Terézia Mora, Alle Tage: Der Vorspann des Romans (S. 5)

Im Anfang eines Romans soll alles enthalten sein, was sich im weiteren Verlauf des Buches entfaltet. Zumindest ist dies für mich ein Kriterium für gelungene Literatur und ich weiß aus Gesprächen mit Autoren, dass nicht nur den ersten Seiten eines Romans noch mehr Mühe gewidmet wird als dem Rest, sondern dass der erste Satz hier noch einmal eine herausragende Stellung hat.

Manchmal aber gibt es vor dem ersten Satz noch eine Seite mit einer Art Motto des Romans: Das können Zitate bekannterer, unbekannterer und sogar erfundener Leute sein. Bei Terézia Mora wirkt diese der eigentlichen Geschichte voran gestellte Seite ein wenig wie Vorwort, das auch »Bekenntnis« zu sein scheint zumindest auf den ersten Blick. Erst gegen Ende der Seite wird klar: Hier spricht bereits der Protagonist des Romans; hier spricht bereits Abel Nema von dem wir erst später erfahren, dass er der Protagonist ist, so wir nicht schon den Klappentext gelesen haben…

Und auch, welche Rolle diese Aneinanderreihung von kurzen Textabschnitten in Bezug auf den ganzen Roman spielt, blende ich hier erst einmal aus. Als ich das Buch begann, waren dies die ersten Zeilen, die mich verwirrten, mich sprachlich aber auch schon anzogen.

Ich erfahre hier, wenn auch erst im dritten der vier Textabschnitte, dass offensichtlich ein nicht näher namentlich benannter Redakteur mit Abel Nema im Gespräch ist. Ich erfahre nicht, auf welche Fragen Abel antwortet. Doch Abel spricht davon, dass er von »herzzerreißenden undoder komische(n) Geschichten« rede, von »Katastrophen« und von »Wundern«, da wir überhaupt in der »Zeit der Wunder« leben.

Es folgt ein Verweis auf die »lateinischen« Länder, auf Babylon ((Assoziation Turm zu Babel und die Sprachverwirrung in Genesis 11, 1 9: »1 Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte. 2 Als sie von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und siedelten sich dort an. 3 Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel. 4 Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. 5 Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. 6 Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. 7 Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. 8 Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. 9 Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.«)), Transylvanien ((Dracula?)), den Balkan im allgemeinen etc.

Ich erfahre, dass da einer zehn Sprachen beherrsche nicht: spreche! und werde anschließend mit dem Klischee eines »Christus ohne Bart« konfrontiert, oder von einem »Rasputin«, dem Pilger, »Heiligen«, dem Zeit seines Lebens wilde Sexorgien vorgeworden wurden, der am Ende, als seine »Wunderkraft« versagte, ermordet wurde.

Wer spricht in diesem dritten Textabschnitt? Der Redakteur, Abel Nema oder beide? Wenn beide, wer sagt hier was?

Und dann noch ein Hinweis, dass Lügen (für die zu erzählende Geschichte) gar nicht nötig seien: »Das Leben ist voller furtbarer Zufälle und unzählbaren Ereignissen. Sie verstehen.«

Terézia Mora, Alle Tage. Roman, Müchen (Luchterhand) 2004.