Ein Panther im botanischen Garten – Rilkes »Der Panther«

Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris

Der Panther

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

Ein Panther ist ein Leopard ((»Panther« bezeichnet aber auch einfach nur eine Gattung von Großkatzen (Pantherinae) )), eine Wildkatze, die in einer Großstadt wie Paris nichts verloren hat. Bereits die von Rilke dem Titel beigefügte Ortsbezeichnung weist auf einen Un-Ort hin, einen Ort, der keine Heimat für ein solch majestisches Tier ist.

Um an diesem Un-Ort den Panther dennoch halten zu können, werden die Menschen vor der Kraft und dem natürlichen Verhalten der Raubkatze geschützt, indem das Tier, in einen Käfig gesperrt, die völlig unnatürliche Nähe von Menschen ertragen muss. Hier, das macht bereits der erste Vers klar, gibt es keine artgerechte Haltung (und für den Panther keine Chance auf ein Entkommen); hier gibt es einen kleinen Käfig, dessen Stäbe ein Eigenleben entwickeln (»Vorübergang der Stäbe«), wenn das Tier seinem Bewegungsdrang auf kleinstem Raum nachkommt.

Es muss also ein »kleines Gedicht« werden, soll es auch den Raum abbilden, in dem es angesiedelt ist: Drei Strophen mit je vier Versen bilden diesen engen Raum ab; alternierende, fünfhebige (vom letzten Vers abgesehen), jambische Verse bilden die regelmäßigen Schritte des Panthers ab. Der letzte Vers »hört auf zu sein«, hat nur vier Hebungen, die eigentlich erwartbare fünfte Hebung verklingt im Schweigen, im Nichts, im Aufhören des Seins.

Ein außen stehender Beobachter beschreibt seine Eindrücke von diesem Tier, beschreibt das »Ding« vor sich. So überraschend es sich angesichts eines lebendigen Wesens als Gegenstand des Gedichtes auch anhören mag: Rilkes »Der Panther« gehört zu den Ding-Gedichten: Aus der erkennbare Distanz des Beobachters in dem Gedicht, wird der Panther doch so beschrieben, als könne sich dieser Beobachter in die Gefühle des Panthers hinein versetzen (vor allem in der ersten Strophe). Doch bereits in der zweiten Strophe verändert sich die Perspektive, es werden Vergleiche herangezogen. Der Beobachter wird von dem »Ding« zu Assoziationen angeregt. Zunächst beschreibt er noch (Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, / der sich im allerkleinsten Kreise dreht), verbindet diese Beschreibung dann aber mit einem Vergleich (ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, / in der betäubt ein großer Wille steht).

Bereits hier deutet sich an, dass es in dem Gedicht nur äußerlich betrachtet um die Beschreibung eines Panthers in einem botanischen Garten geht. Dem entsprechend nutzt der Dichter zu Beginn der dritten Strophe eine Metapher, um die Augenlider des Tiers zu beschreiben (Vorhang der Pupille), ohne das Tier, das mittlerweile endgültig als passiv seinem Schicksal ergeben erscheint, völlig aus dem Blick zu verlieren.

Dieses Tier ist nicht Herr der Lage, es ist seiner Situation ausgeliefert, kann nichts dagegen tun. Nicht der Panther ist hier aktiv: Seine Augen dienen nicht mehr der Orientierung in der Weite des Reviers, sind eigentlich überflüssig, da er beständig den gleichen kleinen Kreis gehen muss, und dienen auch nicht dem Erspähen von Nahrung. Der Panther hat seinen natürlichen Lebens»sinn« verloren. Nun ist das »Bild« aktiv, das in die Pupille hinein geht (Vers 10) und dem Panther nichts mehr zu sagen, für den Panther keine Funktion mehr hat – und so letztlich aufhört zu sein.

Der gefangene, eingesperrte, seiner ureigensten Lebensform beraubte Panther, wird für den Betrachter zu einem Gegenstand der Reflexion. Er stellt gefangene Kräfte und Energie dar, er wird zum Symbol »für Kräfte und Fähigkeiten, die durch äußere Umstände (den Käfig) und das eigene Leben (das Leben im Käfig) nutzlos geworden sind« ((Siehe http://www.rilke-gedichte.de/rilke_symbolismus.htm)).