Lehrende im Selbstversuch: Neue Formen selbst verantworteten Lernens

Die Diskussion um medienpädagogische Fragestellungen wird zur Zeit an unterschiedlichen Stellen (im Netz) geführt. Unter anderem gibt es einen Artikel im ZUM-Wiki (ZUM steht für „Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet“), der sich mit der Frage der Medienpädagogik befasst. Zu diesem Artikel hat sich auf der jedem Wiki eigenen Diskussionseite zum Artikel eine (bislang noch von einer übersichtlichen Zahl an Diskutanten geführte) Diskussion entwickelt, auf der unter anderem Fontane44 (der gleiche Fontane, der im letzten Beitrag unter Fontanefan geführt wird) in seiner anregend kritischen Art ein paar interessante Fragen stellt, die meines Erachtens in der Diskussion um die Medienpädagogik unabdingbar sind:

„Wie oft werden Aufgabenstellungen in Moodle bearbeitet, die ebenso im Schreibgespräch, an Flipcharts oder mit Overheadfolien bewältigt werden könnten?”

Zu Lern-Managementsystem (LMS) wie Moodle habe ich mich bereits an anderer Stelle grundsätzlich geäußert und habe dabei die Vermutung formuliert, dass diese LMS eigentlich eine neue Form des lehrerzentrierten Unterrichts sind.

Hier wird diese Verschiebung des Vorhandenen im Bereich der reinen Übertragung klassischer Unterrichtsmethoden ins Netz nun von Fontane44 klar formuliert. Altbekanntes wird nun im Netz reproduziert – und das ist in Zeiten, in denen neue Medien entstehen, etwas ganz normales. Betrachte ich die ersten Buchdrucke und ihre Versuche, die früheren handschriftlichen Werke nachzuahmen, so fand auch schon dort eine Übertragung des Bekannten in eine neue Medientechnologie statt.

Die eigenständigen Möglichkeiten eines neuen Mediums zeigen sich erst im Gebrauch und im Laufe eines gewissen Zeitraums. Vergessen wir nicht: Der selbstverständliche Umgang mit Computern und Internet ist noch keine zwei Jahrzehnte alt. Und jetzt zeichnen sich langsam Entwicklungen hin zu dem Bewusstsein ab, dass das Arbeiten im Web 2.0 möglicherweise mehr bieten kann als eine bloße Übertragung bekannter Methodiken ins Netz.

Meiner Beobachtung nach, befinden sich gerade einige Pädagogen und Wissenschaftler auf dem Weg, neue Methoden auszukundschaften, indem sie sie selbst ausprobieren.

Die vernetzte Welt der Lehrer und Lehrerinnen ist nach wie vor doch noch relativ klein. (Wenn ich die Zahl der in Deutschland tätigen Lehrkräfte einigermaßen richtig erinnere, schätze ich, dass die 1-Promille-Grenze nicht überschritten ist.)

Doch hier tut sich etwas: Blogs werden geschrieben und dabei findet in der Auseinandersetzung mit pädagogischen Themen im Prinzip das statt, was ich „Fortbildung 2.0“ nenne und das eine ganze Menge mit Lernen durch Lehren zu tun hat oder, um einen anderen Vergleich heran zu ziehen, ein wenig an autonome Seminare erinnert, die von institutionellen Strukturen losgelöst eigene Bildungsprozesse initiieren, wobei die Beteiligten eigenverantwortlich lernen. – Die via Netz diskutierenden Lehrer und Lehrerinnen machen also im Prinzip das, was in der Bildungsdiskussion heute so oft gefordert wird: sie lernen eigenverantwortlich und kollaborativ, sammeln dabei Erfahrungen mit einer Lernform, die dann im Zusammenhang mit dem Bildungsauftrag an der Schule dort eingesetzt werden können. Und das tolle ist: Jeder und jede, der oder die sich für diesen Diskussionsprozess interessiert, kann ihn mitverfolgen.

Hier findet eine Öffnung über die Grenzen von pädagogischen Konferenzen, pädagogischen Tagen und anderen Fortbildungen statt, die gleichzeitig zu einer größeren Kontinuität dieser Fortbildungsprozesse der Lehrenden führt, die gleichzeitig sowohl von anderen Profis aus der Universität oder z.B. dem Coachingbereich aufgeriffen und mit externem Fachwissen angereichert werden als auch beispielsweise Lernenden und Erziehungsbereichtigten die Möglichkeit bieten, ihre Überlegungen zu diesen Themen beizutragen. So stelle ich mir zumindest gegenwärtig den Idealzustand vor, der zumindest teilweise auch schon umgesetzt wird.

Vielen bloggenden Lehrenden reicht ein eigenes Blog dann bald nicht mehr aus. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass Plattformen wie twitter – ja, twitter ist kommerziell und proprietär und es entwickeln sich zur Zeit auch offene Plattformen nach diesem Vorbild, aber nach wie vor sind eben nun einmal sehr viele der netzaktiven Pädagogen bei twitter anzutreffen… – die Vernetzung und die Diskussion lebendiger machen und (neben RSS-Feeds) eine zentrale Rolle im kontinuierlichen Gedankenaustausch spielen.

Zurück zum Anfang: Nachdem die ersten Jahre des selbstverständlich werdenden Umgangs mit Computer und Internet also unvermeidlich von der Übertragung bekannter Formen und Inhalte geprägt waren (Web 1.0), zeichnet sich nun ab, dass nach dem Medium eigene Formen (Methoden) des Arbeitens gesucht wird. Hier entwickeln sich neue Methoden, insbesondere des kollaborativen Lernens, die so z.B. in zur Lehrerzentrierungen neigenden LMS wie Moodle oder auch lo-net2 grundsätzlich zwar angelegt sind, aber bislang kaum angemessen umgesetzt werden.

Und dieser Prozess der Reflexion ist mit der praktischen Entdeckung der Medien und ihrer Möglichkeiten durch die Lehrkräfte selbst verbunden, die dann als Multiplikatoren versuchen, eigene Erfahrungen in den Unterricht und ins Kollegium zu tragen, ohne das von vornherein klar ist, wann und ob es zu Emergenzen kommt.

„Werden nicht viel zu häufig gerade von internetverliebten Pädagogen allzu unbedenklich Namen und Leistungen von minderjährigen Schülern ins Netz gestellt, so dass damit die Gefahren des unbedenklichen Umgangs mit privaten Daten in sozialen Netzwerken verharmlost werden?“

Hier wird scheinbar ein völlig anderes Thema angesprochen, das aber dennoch eng mit dem ersten Teil der Aussagen Fontanfans zusammenhängen.

Zur Entdeckungsreise auf Neuland gehört natürlich auch die Frage, was eigentlich passiert, wenn ich altbekannte Vorgehensweisen der Kommunikation auf das Netz übertrage und mich dabei in Bereich begegebe, die datenschutzrelevant sind.

Das Netz kann nicht als klassisches Notenbuch oder der Kommunikation über Schüler und Schülerinnen dienen, wenn nicht angemessen Vorkehrungen getroffen werden, dass hier der Datenschutz nicht zu kurz kommt.

Dabei stoße ich aber z.B. auf das Problem, dass mir noch kein Lehrender begegnet ist, mit dem ich verschlüsselte E-Mails austauschen kann, obwohl diese Technologie vorhanden und gar nicht so aufwendig zu implementieren ist.

Einerseits machen sich Lehrende viele Gedanken über die Gefahren, denen Jugendliche im Internet ausgesetzt sind, warnen vor allzu unbedendlicher Preisgabe persönlicher Daten in sozialen Netzwerken und nutzen gleichzeitig fröhlich Moodle und Co, aber auch E-Mails zur Preisgabe persönlicher Daten genau der Jugendlichen, die sie gerade noch davor gewarnt haben. Mir ist überhaupt nur eine Plattform bekannt, die von Datenschutzbeauftragten in der Entwicklung begleitet wurde, so dass hier von einer recht hohen Sicherheit der Daten ausgegangen werden kann. Und das ist nicht Moodle, das ist Edunite, was freilich keine Lernplattform ist.

Die Nutzung des Internets durch Lehrende muss also, neben der Lust an der Entdeckung neuer Möglichkeiten eigenverantwortlichen und kollaborativen Lernens am eigenen Leib und deren reflektierter Übertragung in medienpädagogische Zusammenhänge, immer auch von der Kenntnis und der Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen dieses Mediums begleitet sein. Im Zusammenhang des Austauschs über Lernende und deren Bewertung, die Lehrende nun einmal vorzunehmen angehalten sind, bedarf es also eines hohen Bewusstseins im Zusammenhang mit dem Datenschutz. – Und hier gilt, dass in diesem Zusammenhang nichts unverschlüsselt passieren darf.

Die Leuchttürme vorbildlicher medienpädagogischer Arbeit gibt es gewiss, aber wie gut sind sie bekannt? Was käme heraus, wenn man in den Kollegien fragte, wer die im Hauptartikel vorgestellten Materialien kennt? Wie weit ist die Schulung der Lehrkräfte gediehen?“

Die Schulung der Lehrkräfte ist landauf landab in vollem Gange, auch wenn es natürlich Lehrende geben mag, die sich auf diese Schulung nicht einzulassen bereit sind, aus welchen (völlig nachvollziehbaren !) Gründen auch immer (nahende Pensionierung, grundlegende Skepsis gegenüber neuer Medien, gut eingespielte analoge Arbeitsformen, die im Sinne eines „never change a winning team“ nicht aufgegeben werden sollen…)

Es gibt zahlreiche Fortbildungen in Schulen und als Angebote der Träger der Lehrerfortbildung. Und es gibt den bereits oben ausführlich dargestellten selbst verantworteten Schulungsprozess der Lehrkräfte, die das Web 2.0 für sich selbst fruchtbar machen, um es auf der Basis dieser Erfahrungen auch für die Lernenden fruchtbar machen zu können.

Hier geht es meines Erachtens nicht darum, die Kollegen und Kolleginnen zu fragen, wer die oben angeführten Materialien kennt, denn kennt sie jemand nicht, fühlt er oder sie sich von dieser Frage möglicherweise (und vielleicht sogar zurecht) bloß gestellt, in die Ecke gedrängt, was zu Abwehrhaltungen führen kann.

Meines Erachtens lebt diese Schulung der Lehrenden von der Neugier! Zumindest geht es mir so und ich weiß auch von anderen im Netz aktiven Lehrenden, dass es oft mit Neugier losgeht und, wenn die Vernetzung funktioniert, mit Faszination angesichts der sich auftuenden Möglichkeiten des lernenden Austauschs weiter geht.

Um also Schulungen effektiv gestalten zu können, braucht es Lehrende, die in diesen Bereichen aktiv sind und von den Erfahrungen erzählen, die sie hier machen. Es bedarf Lehrender, die aus eigener Erfahrung heraus die Sorge um noch größere Arbeitsbelastung durch den Umgang mit neuen Medien, eine durchaus berechtigte Sorge, wenn man die kollaborativen Lernmöglichkeiten des Netzes nicht angemessen zu nuten vermag und vor allem daran denkt, vertraute Lehrstrategien nun netzbasiert zu gestalten, aufgreifen und vielleicht sogar zerstreuen können.

Das ist sicher ein nicht immer einfacher Prozess. Zunächst gilt man möglicherweise als Exot oder Freak, der ins Netz verliebt ist. Das löst sich aber (teilweise) auf, wenn man von den Erfahrungen und auch Erleichterungen berichten kann, die der Einsatz dieses Mediums für mich selbst mit sich bringt.

Kurz: Eine Schulung in Sachen Medienpädagogik, die zu einem angemessenen Umgang mit neuen Medien führen will,  kann nur gelingen, wenn die Bereitschaft der Lehrenden geweckt wird, dieses Wissen auch haben zu wollen. Das geht nicht durch Zwang oder Nachfragen, ob bestimmte Materialien gekannt werden, sondern meines Erachtens nach nur durch die „Leuchttürme“, von denen Fontane44 in seiner Diskussionsanmerkung im ZUM-Wiki spricht.

Wie sollen wir auch zu Schulungen übergehen, wenn wir doch selbst gerade erst entdecken, wie ein angemessener Umgang mit neuen Medien in Lehr-Lern-Zusammenhängen gelingen kann. Sicher, in Sachen Datenschutz sind Schulungen dringend nötig. In vielen anderen Bereichen geht es darum, Kollegen und Kolleginnen für eine Entdeckungsreise zu gewinnen und selbst auf Entdeckungsreise zu sein und dabei die Projekte und Resultate nicht für sich alleine zu behalten, sondern die eigene Erfahrung der Bereicherung mitzuteilen und bei gewecktem Interesse als Mulitplikator auch die Grundlagen weiter zu geben, mit deren Hilfe man sich selbst in diese Erkundung eines neuen Mediums einbringen kann, die dann in eigenes unterrichtliches Handeln hinein emergieren.