(M)eine digitale Wende (digital turn)

Dass ich gerne mit der Hand schreibe, Bücher aus Papier in die Hand nehme – mich manchmal sogar von deren Geruch ansprechen lasse – und mich noch gut an den Geruch in einer Dunkelkammer beim Entwickeln von Fotos erinnern kann, ist das eine.

Dass ich zumindest die Handschrift per Füller und die Lektüre papierener Bücher nicht aufgeben mag, ist das andere.

Was bei meiner Selbstbeobachtung in den vergangenen Monaten herausgekommen ist, ist dann aber noch etwas ganz anderes.

Dass ich mit der Selbstbeobachtung begann, lag daran, dass ich den Eindruck nicht losbekommen habe, mein produktives Arbeiten habe sich in der Zeit seit der Anschaffung eines Tablet-Computers verändert. Aber was sich da wie verändert hatte, darüber konnte ich nur spekulieren, hatte ich nicht genau im Blick.

Also habe ich den Fokus verschoben: Wie arbeite ich? Ist etwas anders geworden als früher und wenn ja, was?

Mit ist aufgefallen, dass ich seit der Anschaffung des Tablets dieses so gut wie immer dabei habe.

Meinen Laptop trug ich nicht immer mit mir herum.

Das Tablet ist kleinere und dünner als ein Collegeblock, den ich früher eigentlich immer bei mir trug. Außerdem hatte ich immer Füller und Tinte dabei.

Nach wie vor schreibe ich per Hand. Seit einiger Zeit aber muss ich mir sagen, dass ich den einen oder anderen Text doch per Hand schreiben könnte, sollte, will. Ich habe eine kleine, handliche Schreibmaschine doch faktisch immer dabei.

Dann aber bemerkte ich zunehmend, dass per Hand verfasste Artikel fast nie fertig wurden, nie in dem Notizbuch standen, dass ich gerade nutzte und überhaupt nicht den Eindruck von Flow hinterließen, den ich beim Schreiben mit Füller so oft erlebt hatte.

Produktives, auf Verwendbarkeit hin ausgerichtetes Schreiben verlagerte sich mehr und mehr auf die Tastatur des Tablets.

Ob das Unterrichtsentwürfe, Blogartikel oder Ansätze für Essays oder im Kontext des „kreativen Schreibens“ waren: Sie alle wanderten auf den Bildschirm. Mittlerweile kann ich selbst auf der virtuellen Tastatur sehr zuverlässig und vor allem auch schnell und fast blind tippen, sodass ich wirklich mit einer völlig geräuschlosen Schreibmaschine arbeiten kann.

Aber ich muss nicht nur gezielt zur Handachriftlichkeit übergehen, um diese weiter zu pflegen, ich beobachte auch, dass sich die Orte verändern, an denen ich produktiv arbeite.

Textkorrektur im Zug war früher immer eine wacklige Angelegenheit, ging eigentlich nur auf den langen Geraden, auf denen ICEs unterwegs sind. Heute achreibe und korrigiere ich Texte sogar im Bus und in der Straßenbahn.

Entwürfe habe ich immer dabei. Unterrichtsstunden konzipiere ich, wo ich gerade Zeit dafür finde, sei es in einer Freistunde oder an einem Sommernachmitag am Main sitzend. Das notwendige Material habe ich fast immer dabei, abgesehen von den Schulbüchern, die weder digital vorliegen noch von mir digital kopiert werden, das ist nämlich verboten.

Aber meine Sachanlysen und online verfügbares Material reichen oft.

Wenn ich Material brauche, das mir nur an bestimmten Orten zur Verfügung steht, dann wird eben eine Notiz angefertigt, die ich in meiner Aufgabenverwaltung direkt mit diesem Ort verbinde, sodass ich ortsbezogen tun kann, was nur an einem bestimmten Ort getan werden kann.

Sogar beim Lesen ertappe ich mich dabei, dass ich oft gar kein Buch oder keine Zeitung mehr dabei habe, weil ich auf dem Tablet lese. Dabei bin ich eigentlich immer aktiv dabei, neue Erkenntnisse mit bereits vorhandenen zu verknüpfen und so konstruktivistisch strukturiertes Lernen an mir selbst zu praktizieren.

Mir kommt es vor, als vollzöge sich da an mir gerade eine Art digitaler Wende.

Immer häufiger „zwinge“ ich mich zum analogen Arbeiten weil ich es doch mag. Immer häufiger scheine ich mir einzureden, dass ich mit Notizbuch und Füller effizent arbeitete, um dann zu beobachten, dass meine auf Veröffentlichung hin ausgerichteten Texte nahezu ausschließlich digital entstehen.

Dass viele Leute, mit denen ich außerhalb beruflicher Kontexte kooperiere und kolaborativ arbeite, mithilfe digitaler Technik kommunizieren, fördert diese Entwicklung noch.

Es scheint mir mittlerweile möglich, in den meisten Fällen tatsächlich mit einem Tablet gut arbeiten zu können, trotz gewisser Einschränkungen, die sie im Vergleich zu „echten“ PCs haben.

Dass sich die Veränderungen meines eigenen Arbeitsverhaltens so schleichend einstellten, ich mir bewusst eine Zeit der Selbstbeobachtung auferlegt habe, deute ich dahingehend, dass es ein organischer, selbstverständlicher, in sich stimmiger Prozess der Veränderung ist, eine digitale Wende in fast allen Bereichen, in denen ich mich beruflich und in meiner Freizeit bewege, ein „digital turn“. Oder?