Lehrer mit Tablet-Computern oder: Was spielen Sie denn da?

Nachdem ich begonnen hatte, im Unterricht einen Tablet-Computer zu benutzen, hörte ich immer wieder von jüngeren Schülern die Frage, was ich denn während der Stunde da so alles spiele.

Die Frage kam bei mir so an, dass ich keinen Grund hatte anzunehmen, sie sei von den Schülern nicht genau so gemeint, wie sie gestellt wurde: sachlich, aber auch irritiert, denn mit einem Computer in der Stunde zu spielen, ist ihnen streng untersagt, es sei denn, es handelt sich um ein Spiel mit Unterrichtsbezug.

Den jüngeren Schülern war der Tablet-Computer tatsächlich nur als ein Gerät bekannt, mit dem man spielen kann. Ob sie dies nun aus eigener Anschauung geschlossen hatten oder ob sie sich diese Vorstellung aus all dem konstruiert hatten, was sie vor allem über das iPad gehört hatten, kann ich nicht recht einschätzen. – Doch abgesehen von dem Mangel an empirischen Daten für die Gründe diese Sicht und somit auch für die mir gestellte Frage, haben sich für mich einige Überlegungen aus dieser Frage heraus kristallisiert.

Schon früh war mir aufgefallen, was es für eine enorme Diskrepanz zwischen der Normalität des Arbeitens mit Computern in der Arbeit außerhalb des Unterrichts und in meinem privaten Umfeld und der Nutzung des Computers in der Schule und somit im Unterricht gibt.

Das überraschende an dieser Diskrepanz liegt für mich darin, dass die Schülerinnen und Schüler einerseits den verantworteten Umgang mit digitalen Geräten lernen sollen, ihnen aber andererseits an dem Ort, der allgemein am intensivsten mit dem (formalen) Lernen verbunden wird, kaum in produktiven Kontexten begegnen. Am konsequentesten mag da die Begegnung mit Rechnern im Sekretariat sein, wo Computer eindeutig als Arbeitsgeräte genutzt werden.

Einerseits wollen wir, dass Schüler und Schülerinnen lernen, mit digitalen Geräten umzugehen, andererseits schränken wir den Gebrauch dieser Geräte teilweise drastisch ein.

Es ist wirklich leichter, lesesüchtig zu sein, als konsequent den Einsatz des Computers als Arbeitsinstrument zu lernen. Lesesucht gilt (heute) nicht (mehr) als sozial auffällig. Wenn ein Kind stundenlang alleine liest, vielleicht, weil es auf diesem Wege der Einsamkeit entflieht, weil niemand sein Freund oder seine Freundin sein will, dann löst das keine Bedenken bei Hirnforschern aus, dann fürchtet man nicht, dass bei Gewaltdarstellungen, die es auch in Jugendbüchern gibt (z. B. Die Tribute von Parnem, Harry Potter etc.), Kinder und Jugendliche zu gewalttätigen Monstern werden. Nein: Lesen ist kulturell angesehen und von daher per se „gut“.

Digitale Technologien werden, wohl wegen der hohen Integration unterschiedlicher Medientypen, die, das gebe ich zu, auch unterschiedlich auf die Psyche wirken, was besonders für den Film gelten kann, nicht so positiv bewertet. Wenn Kinder mit dem PC so umgehen, wie manche Eltern es sich für den Umgang mit Büchern wünschen, dann ist das böse, dann wird das schnell mit unterschiedlichsten Gefahren assoziiert.

Und wenn Kinder nicht lesen, wird dies mit Sorge betrachtet, es wird darauf hingewiesen, dass es Vorbilder brauche, die Kinder an das Lesen heran führen. Und das stimmt auch. Weil es diese gibt, kommt auch kein Kind auf die Idee, dass ein Lehrer, der ein Buch mit in den Unterricht nimmt, damit herumspiele, es vielleicht als reines Malbuch nutze oder in Büchern sowieso nur Sudoko-Aufgaben stünden.

Bei Tablets aber kommen Kinder zu diesem Schluss: Der Lehrer nutzt ein Tablet (auf dem z. B. selbst erstellte Unterrichtsentwürfe, Tafelbilder etc. vorliegen) – und die Kinder bekommen einzig und alleine die Assoziation des „Spiels“.

Diese Reaktion ist für mich ein Alarmzeichen. Ja, natürlich kann man auf Tablet-Computern auch spielen, aber eben nicht nur. Wenn Kinder das nicht wissen, dann gehe ich, analog zur Frage, wie Kinder an Bücher herangeführt werden, nämlich durch Vorbilder, davon aus, dass ihnen die Vorbilder fehlen, die ihnen zeigen, dass mit diesen Geräten gearbeitet werden kann. Etwas weniger spezifisch ausgedrückt: Ähnlich wie beim Lesen bedarf es im Umgang mit dem Computer und somit auch mit dem Tablet-Computer der Vorbilder.

Ich erinnere mich an einen Eintrag aus einem Abi-Buch. Dort wurde unter anderem gefragt, welcher Lehrer die Schüler geprägt habe. Einer schrieb: „Herr Larbig mit … seinem Umgang mit dem Internet.“ Ich fand das bemerkenswert, weil es jemand war, der selbst viel mit Computern zu tun hat.

Eltern und Lehrer haben Möglichkeiten, Schülern das Lesen und das Schreiben als Kulturtechnik vorbildhaft erfahrbar zu machen. Wir fördern in Elternhäusern und öffentlichen Einrichtungen die musischen Seiten von Jugendlichen, wir fördern das naturwissenschaftliche Interesse, wir fördern Jugendliche, die über Breitensport hinaus sportlich aktiv sind, wir fördern viele Bereiche, die sehr zeitaufwändig für die Jugendlichen sind. – Wir fördern nur in Ansätzen die Kompetenz im Umgang mit Computern und Internet. Und, was noch weitreichender sein kann: Kinder und Jugendliche finden auch wenige Vorbilder im Umgang mit Computer und Internet. Das mag daran liegen, dass diese Kulturtechniken nach wie vor relativ jung sind und viele Erwachsene mit ihnen fremdeln, auch jüngere Erwachsene. Doch statt dies zu akzeptieren und zumindest interessiert an den Entdeckungen der Kinder und Jugendlichen in digitalen Welten teilzunehmen, werden diese mehr oder weniger rational untermauert abgelehnt.

Klügere Medienpädagogen raten den Eltern, Computer und Internet gemeinsam zu entdecken. Und diese Aufgabe kommt auch der Schule zu, da es auch unter den Lehrenden eher wenige gibt, die souverän produktiv und eben nicht nur konsumierend mit den Möglichkeiten digitaler Strukturen umgehen. Es ist mindestens das neugierig miteinander auf Entdeckungsreise gehen, was Schule neben dem Elternhaus beitragen kann, um Schülern nahezubringen, dass ein PC oder ein Tablet-Computer bzw. auch das Smartphone eben nicht alleine zum Spielen und Konsumieren geeignet sind, sondern darüber hinaus Instrumente zum Arbeiten, zur produktiven Beteiligung mittels eigener Beiträge und auch zur politischen Meinungsbildung und Beteiligung sein können.

Lehrer und Lehrerinnen sollten, auch wenn sie selbst eher fremdelnd mit Computern umgehen, diesen Erfahrungsraum nahezu aller Jugendlichen nicht verteufeln; es sollten weder einzelne Medien verteufelt noch nicht existente Krankheitsbilder schlagwortartig und wenig wissenschaftlich untermauert in den Raum geworfen werden, wie man es immer mal wieder in den Bestsellerregalen der Buchhandlungen  beobachten kann.

Langsam aber tut sich was. Der Anblick von Lehrern und Lehrerinnen, die sich im Unterricht eines Laptops oder Tablets bedienen ist zumindest in meinem Umfeld in den vergangenen sechs Monaten deutlich häufiger geworden. Mindestens eine Klasse ist mir bekannt, in der drei Lehrkräfte mit Tablets unterrichten, sodass hier eine Veränderung der Wahrnehmung dieser Geräte im Erfahrungshorizont der Jugendlichen ganz selbstverständlich zum Tragen kommt.

Darüber hinaus schreibe ich dieses Blog, bin nicht auf Facebook (beobachte aber sehr wohl, wie sich Facebook entwickelt, denn der Großteil meiner Schüler nutzt dieses Instrument). Schüler fragen dann auch manchmal nach, wenn es um Fragen des Arbeitens mit dem Computer geht. Und ebenso bekomme ich einigermaßen mit, wo Schüler produktiv mit dem Medium Internet umgehen, was mich oft auf YouTube führt, denn dort sind überraschend viele Schüler produktiv aktiv. Vielleicht ist nicht jedes Produkt so, dass jeder Lehrer „Hurra“ rufen würde, aber für mich zeigt sich in diesem Rahmen, dass Jugendliche am ehesten das Medium nutzen, das ihnen vertraut ist. Und der Film bzw. der YouTube-Clip ist ihnen vertraut; in diesem Bereich scheint es durchaus manche Vorbilder zu geben.

Das Tablet ist kein Spielzeug. Man kann auf ihm spielen, allein oder auch mit Teams, aber man kann darüber hinaus auf ihm schreiben, sich vernetzen, bloggen, Podcasts erstellen und verfügbar machen, Videos drehen; man kann Zeitung lesen und Trash finden. Und dann gibt es die dunklen Seiten des Internets, die auch vorhanden sind und durchaus ein begleitetes Herangehen an das Instrument und das Medium notwendig machen. Bei diesem Herangehen wird immer wieder die Frage nach der Bewertung von dem gestellt werden (müssen), was einem im Netz begegnet: Da geht es um Fragen der Qualität von Beiträgen, aber auch um Glaubwürdigkeit und Fragen im Kontext von Fundamentalismen. Für mich als Religionslehrer taucht diese letzte Frage im Unterricht, das das Internet nutzt, sehr schnell auf, wenn Schüler zu religiösen recherchieren und dann zum Beispiel auf christlich-fundamentalischen Seiten landen, ohne dass sie das bemerken. Natürlich: So etwas kann, ebenso wie manch andere im Netz vorhandenen Inhalte, Angst machen, den Beschützerinstinkt des Lehrers / der Eltern wecken, sodass man geneigt ist, aufgrund dieser Gefahren sehr restriktiv mit dem Netzzugang der Kinder und Jugendlichen umzugehen. Und das Thema Jugendschutz ist im Netz durchaus noch nicht geklärt. Hier aber sollten nicht nur Jugendschutzfilter greifen; hier sollten sich vor allem alle an der Erziehung beteiligten Personen bewusst und offensiv an die Begleitung der Kinder und Jugendlichen machen und – wenn man selbst mit dem Medium noch nicht vertraut – auch gemeinsam auf Entdeckungsreise gehen.

Lehrer, die selbst Lernende sind, die nicht meinen, alles wissen zu müssen, aber bereit sind, sich auf den Weg zu machen, die auch mit den Schülern gemeinsam zu lernen bereit sind, sind sicher nicht die schlechtesten Lehrer.

Und ja: Lehrer könnten in Sachen digitalen Lernens heute schon viel häufiger Vorbilder sein, wenn mal jemand auf die Idee gekommen wäre, sie frühzeitig offensiv an dieses Thema heran zu führen. Eigentlich wäre es nicht das Schlechteste, fänden sich unter Lehrern ein paar mehr frühzeitige Anwender (Early-Adoptor), die in besonderer Weise neugierig auf die Welt und ihre Trends sind.

Ja: Vieles kommt und geht, aber um frühzeitig Trends zu erkennen und pädagogisch mit ihnen umgehen zu lernen, würde vielleicht ein wenig leichter, wenn mehr Lehrer und Lehrerinnen nicht nur das Bekannte lehrten, sondern als Pädagogen stärker als bislang (in ihrer Arbeitszeit vorgesehen) auch Wege in die Zukunft auskundschafteten und bewusst über Entwicklungen in der Gesellschaft reflektierten, statt, wie es heute noch hin und wieder anzutreffen ist, über diese Entwicklungen vor allem zu lamentieren, ohne wirklich Wege des pädagogischen Umgangs mit ihnen zu suchen.

Ob der Tablet-Computer zum spielen da ist? Klar, das kann er sein. Er kann aber auch zum Lesen dieses Beitrages genutzt werden, zum Schreiben von Kommentaren zu einem solchen Beitrag, zum Lesen von Lexikonartikeln, zur politischen Beteiligung (z. B. im Rahmen von Petitionen), zum Fotografieren, zum Filmen, zum Erstellen von Präsentationen etc. – Wie ein solches Arbeiten geht, wie man lernen kann, die Multitaskingfunktionen eines digitalen Gerätes auch mal zu ignorieren, wenn es um konzentriertes Arbeiten geht, kann man am besten lehren, wenn man es selbst gelernt hat oder weiß, wie man es lernt, und sich auf der Basis dieses Wissens gemeinsam mit anderen auf den Weg macht, denen man beim Lernen beibringt, wie dieses Lernen geht.

Zu strikte Verbote hingegen verhindern dieses Lernen. Verbote sind manchmal auch eher Zeichen der Hilflosigkeit der Erwachsenen gegenüber den neuen digitalen Welten als in jedem Fall rational auf empirischer Basis nachvollziehbar.

Wenn an die Stelle der Frage an den ein Tablet nutzenden Lehrer, was er denn während der Stunde da so alles spiele, die Beobachtung der Kinder tritt, dass diese Geräte eben nicht nur zum Spielen geeignet sind, sondern ziemlich umfassend auch zum Arbeiten genutzt werden können, dann sind wir einen wichtigen Schritt weiter, wenn es um den verantworteten Umgang mit dieser Technologie geht. Wenn mich mein Eindruck nicht täuscht, sind viele Lehrer und Lehrerinnen auf einem Weg, der diese Veränderung der Wahrnehmungshorizonte von Kindern und Jugendlichen begleitet und entsprechende Erfahrungsräume digitalen Arbeitens ermöglicht und erschließt.