Max Frisch: Aus dem Berliner Journal

© Suhrkamp Verlag
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Die Max-Frisch-Stiftung hat sich entschlossen, dem Volke der Leser einen neuen Happen Max Frisch zu gestatten. Bruchstückhaft: Persönlichkeitsrechtliche Gründe werden vom Herausgeber Thomas Strässle als Grund dafür genannt, dass Frischs „Berliner Journal“ nur als Ruine an die Leser herausgegeben wird, obwohl man sich, wie Volker Weidermann in der Frankfurter Allgemeine Zeitung darlegt, in anderen Fällen um solche persönlichkeitsrechtlichen Gründe bei der der Herausgabe von Frischs Werken eher weniger Gedanken gemacht zu haben scheint.

Von den fünf bis 1980 entstandenen Ringheften sind nun Ausschnitte aus zweien veröffentlicht. Frisch hatte diese Tagebucheintragungen selbst mit einer Sperrfrist von 20 Jahren nach seinem Tode versehen, die 2011 ausgelaufen ist. Und nun liegt im Suhrkamp-Verlag ein Band vor, bei dem sich durchaus die Frage stellt, warum er so kurz geraten ist. Ob es zum Marketing der Max-Frisch-Stiftung gehört, um Frischs Nachlass einen Mythos aufzubauen?

Was auch immer die Gründe für die Veröffentlichung einer Frisch-Ruine gewesen sein mögen: Wie jede Ruine die Schönheit des vollständigen Gebäudes atmet, so findet sich auch Frisch in seinen Facetten und als großartiger Beobachter in diesem Band; wie großartige literarische Fragmente zu wirken vermögen, so wirkt auch dieses Fragment. Frisch widersetzt sich der Verstümmelung durch seine eigenen Texte. Der Herausgeber würde vielleicht sagen: In diesem Torso findet sich das ganze Werk, nun meckert mal nicht, es blieb uns (ja, wir wissen es, die persönlichkeitsrechtlichen Gründe) wirklich nichts anderes übrig.

So ärgerlich dieser Umgang mit Frischs Werk auch erscheinen mag, kommen wir nun zu dem, was man im Stiftungsrat der Max-Frisch-Stiftung „nach der Sichtung des gesamten Konvoluts und der Abklärung der rechtlichen Lage“ für veröffentlichbar hält.

Am 6. 2. 1973 setzt das Journal unmimttelbar ein. Nachdem Frischs im Jahr 1972 eine Wohnung in der Sarrazinstraße 8 (Berlin-Friedenau) gekauft hatten, hatten sie die Wohnung an diesem Tag übernommen – und essen gleich am ersten Abend bei der in der Nachbarschaft wohnenden Familie Grass Nieren. Friedenau war damals für Schriftsteller von Rang und Namen ein offensichtlich bevorzugter Stadtteil. Neben Grass wohnten dort Lars Gustafsson, der ebenso wie Christoph Meckel im Journal nicht vorkommt, aber auch die im Journal ausführlich berücksichtigten Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger und Uwe Johnson.

Doch all diese Gründe nach Berlin zu ziehen, scheinen nicht der eigentlich Grund zu sein, warum sich Frisch für den Umzug entscheidet: Zu viele kennen ihn in Zürich; in Berzona wird ihm die Welt zu eng und die Nachbarschaft mit Alfred Andersch zu anstrengend. Und so ist er nun also in Berlin. Hier begegnet er in Ost- und Westberlin unterschiedlichen Autoren, u. a. Christa und Gerhard Wolf, Günter Kunert,  Jurek Becker und Wolf Biermann. Von jeder dieser Personen finden sich Porträts im Journal, in denen sich Frisch als ein Meister der Beobachtung erweist. Diese Porträts sind einer der Höhepunkte dieses Journals.

Vor allem der in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Frischs lebende Günter Grass wird teilweise scharf kritisiert, denn Frisch fremdelt sehr mit Grass‘ politischem Engagement und der selbstverständlichen Art und Weise, mit der Grass zu meinen scheint, im Recht zu sein. Ein Phänomen, dem Grass treu geblieben scheint, schaut man auf die jüngere Gegenwart.

Aber nicht nur Begegnungen mit anderen Autoren, die zu dieser Zeit in Berlin lebten, prägen das Buch: Frisch ist zu dieser Zeit voller Selbstzweifel, scheint kaum an einem großen Werk zu arbeiten und erzählt zudem, wie das Skript zu einem Roman mit dem Arbeitstitel „Klima“ am Ende wieder zurückzieht.

Außerdem gibt das Journal einen Einblick in den Umgang mit dem Autor beim DDR-Verlag Volk&Welt. Mit diesem Verlag verhandelt Frisch über eine Veröffentlichung und notiert hier nicht nur, was es da alles an Sensibilitäten angesichts der Kulturpolitik der DDR zu berücksichtigen gab, sondern auch das, was nicht zur Sprache gebracht wird.

Dieser Frisch, der hier veröffentlicht wird, ist ein großartiger Frisch, der zudem mit seinen persönlichen Schwächen im Text durchaus offensiv umgeht. Er weiß, dass er zu viel Alkohol trinkt. Er fühlt sich alt. An vielen Stellen wirkt Frisch zutiefst unglücklich; an anderen hingegen gelingt es Kollegen, vor allem Hans Magnus Enzensberger, ihn aufzuheitern und von ihm als Bereicherung empfunden zu werden.

Darüber hinaus ist sich Frisch bewusst, dass er schon beim Schreiben an die Leser denkt. was durchaus das eine oder andere Schimpfworte aus den Aufzeichnungen verdammt haben möge.

Max Frisch erweist sich als wunderbarer Beobachter, was sich in wunderbaren (Kleinst)Porträts niederschlägt, die er 1973 (74) in Berlin aufgezeichnet hat. Dieser Frisch liegt nun endlich vor – zumindest in Bruchstücken. Doch der großartige Textkorpus wird ein wenig durch eine Edition gestört, die den Textkorpus in einer letztlich doch sehr kleinen Auswahl aus den Heften 1 und 2 von fünf Heften widerspiegelt und das Buch in einer erstaunlichen Minimalausstattung auf den Markt bringt: Weder einen Leineneinband noch ein Lesebändchen hat man im Suhrkamp-Verlag diesem Werk spendiert. Aber vielleicht wird das ja nachgeliefert, wenn das Berliner Journal vielleicht doch irgendwann einmal vollständig veröffentlicht wird. Bis dahin müssen wir mit diesem Bruchstück Vorlieb nehmen. Das allerdings ist lesenswert.

Max Frisch: Aus dem Berliner Journal. Hrsg. von Thomas Strässle unter Mitarbeit von Margit Unser. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 235 S., geb., 20,- € (Ebook 16,99€)