Jahresmottos als Instrument zur Weiterentwicklung eigenen Unterrichts

Jedes Schuljahr versuche ich, für meinen Unterricht andere Metaphern oder Vorstellungen zu finden, an denen ich mich bei der Planung orientiere.

Angefangen hatte das damit, dass meine pensionierte Schulleiterin für jedes Jahr ein Motto ausgab. Das lautet dann einmal »Teil der Lösung sein« oder »gut gepflegt« etc.

Ich hatte bald gemerkt, dass solche Leitsätze tatsächlich leiten konnten, wenn sie nur kurz genug sind. Und weil ich immer alles, was ich für mich toll finde, auch für den Unterricht versuche nutzbar zu machen, begann ich dann also, mir Leitsätze für die jeweiligen Schuljahre zu geben. In diesem Jahr ist dieser Leitsatz eigentlich ein ganzer Leitartikel geworden.

Gegen Ende des letzten Schuljahres hatte ich Peter Bieris Bildungsbegriff entdeckt und diesen für mich schlagartig adaptiert. Da las ich einen Text, in dem ich das über Bildung formuliert fand, was ich so schon immer dachte, aber nicht wirklich auf den Begriff bringen konnte. Das hatte Bieri an dieser Stelle für mich getan.

Und so habe ich das neue Schuljahr 2015/16 in dem mir anvertrauten Deutsch-Leistungskurs mit Peter Bieri begonnen, um auch den Schülerinnen und Schülern einen Text an die Hand zu geben, den ich als ein Angebot verstehe, über das nachzudenken, was für sie selbst »Bildung« bedeutet.

Aus meiner Sicht ein guter Einstieg, denn in der Beschäftigung mit diesem Ansatz schälte sich ein Bruchstück aus Bieris Text heraus, das ich zum Motto meines Herangehens an den Unterricht für dieses Jahr gewählt habe. Die Formulierung, dass »Lesen als innere Veränderung« ein Lesen sei, das eng mit Bildung verbunden ist, begleitet mich nun und lenkt (bislang zumindest) mein Herangehen an die Stundenplanungen (vor allem in der Oberstufe).

Noch stärker als bislang lade ich Schülerinnen und Schüler ein, Texte von ihrer Existenz aus zu lesen und mache in diesem Rahmen rezeptionsästhetische Herangehensweisen stark. ((Dass die Rezeptionsästhetik als Gegenpart zur Produktionsästhetik und in großer Nähe zur Wirkungsgeschichte steht, ist mir durchaus bewusst. Ich meine nicht die Beliebigkeit des Textverständnisses, wie manche das Hereinnehmen des Lesers in den (schulischen) Interpretationsvorgang missverstehen – und dann als zu subjektiv gefärbt auch kritisch betrachten oder gar ablehnen.))

Dabei ist es wichtig, den Schülerinnen und Schülern aber auch den Raum zu geben, nur soweit ihre persönliche Auseinandersetzung mit Texten zu artikulieren, wie sie das wollen. Diese Auseinandersetzung allerdings muss nachvollziehbar geschehen und geht eben nicht in der Beliebigkeit des »Das kann ja jede(r) so verstehen, wie er mag« auf.

Das häufig von Schülerinnen und Schülern beim Herantasten an Texte verwendete »vielleicht«, dem dann keine Auseinandersetzung mit dem Text, sondern eine spekulative Vermutung folgt, drückt dabei eine Unsicherheit aus, die im Laufe der Zeit hoffentlich dem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten im Umgang mit den Texten weichen wird.

Literatur und psychologische Ansätze können bei dieser Herangehensweise Hand in Hand gehen. Das gilt übrigens in meinem zweiten Fach »Religion« auch. Entsprechend kann zum Beispiel das »Eisbergmodell« helfen, sich an die oft nur kurz aufflackernden Figuren in Kurzgeschichten heranzutasten, weil es Fragen anregt, die man an diese Figuren stellen kann. Mithilfe des Vier-Ohren-Modells von Kommunikation von Friedemann Schulz-von-Thun kann man Dramenszenen (anders) lesen und Dialoge intensiver betrachten. Usw.

Schullektüre gilt traditionell als Lektüre, die vielen Schülerinnen und Schülern schwer zugänglich ist. Das kann daran liegen, dass sie im Einzelfall noch nie große Leserinnen und Leser gewesen sind. Das kann aber auch daran liegen, dass die existentielle Bereicherung, die Literatur bedeuten kann, nicht erfahren wurde. – Die meisten Menschen müssen es lernen, sich von Literatur, Kunst und jeglicher ästhetischen Erfahrung mitreißen zu lassen. Nicht jede Lehrkraft, das ist die andere Seite der Medaille, hat ein solches »sich mitreißen lassen« als Grundeinstellung gegenüber Literatur verinnerlicht, sodass an dieser Stelle durchaus Möglichkeiten verloren gehen.

Mein Jahresmotto also lautet »Lesen als innere Veränderung«. Oh ja, das ist nah an Kafkas Diktum »Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns«. Und dieses Diktum habe ich durchaus im Hinterkopf.

Ich weiß am Anfang eines Schuljahres nicht, wohin mich mein Leitsatz des Jahres führen wird. Aber die Erfahrungen mit dieser Herangehensweise sind für mich sehr spanend, so dass ich also auch dieses Schuljahr einen Leitsatz gesucht habe.

Das Schuljahr ist noch jung: Wie könnte Ihr / Dein Leitsatz für dieses Schuljahr lauten? Welche Strategien, der Ausrichtung in einem Schuljahr nutzen Sie / nutzt Du selbst erfolgreich? Was tust Du / tun Sie, um sich mit solch inneren Leitbildern als Lehrkraft, in welchem Kontext auch immer, weiter zu entwickeln. Ich freue mich auf Tipps in den Kommentaren.