Noten ≠ Bildung

Noten im Schulkontext sind, wenn sich der Blick vor allem auf die Noten richtet und man meint, an diesen den Bildungserfolg messen zu können, wenig aussagekräftig. – Wenn jemand dieses Blog liest, um zu erfahren, wie bessere Noten in der Schule erreicht werden können, dann ist das hier der falsche Ort.

Das liegt daran, dass Noten mit Bildung nur mittelbar zu tun haben und die Frage nach guter Bildung nicht wirklich beantworten können. Überhaupt: Die Orientierung an Noten ist vor allem die Orientierung an Maßstäben für einzelne Fächer; Bildung hingegen ist umfassender. Noten sagen in einem gewissen Rahmen aus, auf welchem Status des Könnens in einem Fach man steht; Noten sagen wenig darüber aus, inwiefern ein Mensch mehr oder weniger umfassend gebildet ist.

Das »Was«, also die Inhalte dessen, was schulisches Lernen ausmacht, ist transparent und kann in den Lehrplänen und Kompetenzrastern nachgelesen werden. Hier kann man mit entsprechendem Engagement zu Ergebnissen gelangen, die ein Weiterkommen ermöglichen.

Das »Warum« dessen, was schulisches Lernen bewirken soll, ist nur auf den ersten Blick einfach (Schulferfolg = beruflicher Erfolg). – Jede einigermaßen aufmerksame Lehrperson weiß, dass es Schüler und Schülerinnen gibt, die fantastische Noten erreichen, bei denen man sich aber nicht sicher ist, ob die Persönlichkeit, meist ist es eine über Leistung definierte Persönlichkeit, für einen beruflichen Erfolg ausreicht; während andere Schüler und Schülerinnen herzlich mittelmäßige Schullaufbahnen absolvieren, ohne dass man als Lehrperson auch nur einmal daran zweifeln würde, dass ein späterer beruflicher Werdegang gelingen wird.

Diskussionen um schulisches Lernen drehen sich in der Regel um Noten, die (nicht) erreicht werden. Dabei gehöre ich nicht zu denjenigen, die ein Problem mit Noten haben, insofern diese 1. ganz klar einen Leistungsstand widerspiegeln und nicht zur Bewertung von Menschen (und deren nicht immer einfaches Verhalten) missbraucht werden und 2. in einen größeren Kommunikationzusammenhang eingebettet sind, in dem mit der Zahl ein Inhalt verknüpft wird, der transparent macht, was mit der Zahl gemeint ist.

Doch diese Diskussionen greifen zu kurz: Die Bildungsdebatte in Deutschland ist seit Jahren eine Debatte um schulische Leistungen und somit eine Debatte um die Leistungsfähigkeit von Schülern und Schülerinnen, die das Schulsystem verlassen. Diese Debatte ist notwendig, denn da gibt es tatsächlich Mängel. – Parallel dazu aber muss eine umfassendere Bildungsdebatte geführt werden, in der z. B. auch gefragt wird, warum anscheinend eine Form von Bildung zu oft nicht erreicht wird, die es Menschen erlaubt, differenziert und sachlich mit Phänomenen der Vielfalt in der Gesellschaft umzugehen und die  zu einer sowohl aktiven als auch konstruktiven Partizipation an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung erfolgreich anleitet.

Die Debatte um MINT-Fächer, Deutsch und Co und das damit verbundene nicht zufriedenstellende Können vieler Schülerinnen und Schüler läuft; die Debatte um die Frage, wie heute mehr mündige Bürger*innen auf der Basis des Bildungssystems zu sich selbst finden können, welche nicht leichtfertig freiheitlich-demokratische Grundwerte in Frage stellen – sei es in Fragen der Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern, der Vorratsdatenspeicherung und anderer Sicherheitsgesetze, sei es in Fragen des Umgangs mit Flüchtlingen, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte nicht-christlichen Glaubens etc. – muss die aktuellen Bildungsdebatten, die eigentlich Schul(form)-Debatten sind, dringend ergänzen. Doch den Blick auf diese Seite von Bildung schärfen keine internationalen Vergleichsstudien wie PISA und Co, die einen sehr bestimmten und im Grunde sehr engen Fokus haben.

Die Diskussion um eine Bildung, die die Freiheit und die Würde eines jeden Menschen zu akzeptieren so lehrt, dass diese Werte auch nachhaltig von den Menschen gelebt werden, gilt es stärker in den Vordergrund zu bringen. Es ist an der Zeit.

 Beitragsfoto: © Torsten Larbig