Mir fehlen Sofas in der Schule. Oder: Wie ich gerne Lernprozesse an Schulen hätte.

Mir fehlen Sessel, ein Sofa (Couch) in der Schule. Da sind keine Sitzsäcke oder Teppiche, auf denen man auf dem Bauch liegen kann, um ein Buch zu lesen. Der Schulhof ist geteert oder mit Betonverbundsteinen versiegelt. In der Bibliothek stehe ein paar bequeme Sessel. Aber wo kann ich mich hinfläzen, um zu träumen, wo kann ich mich auf eine Wiese setzen, um den Schmetterlingsflug nicht zu versäumen? Wo kann ich mit Schüler:innen bei einem Kaffee gemütlich über Literatur ins Gespräch kommen? Wo schreiben wir mit Laptops oder Tablets oder gar per Hand, ohne dabei auf diesen Schulstühlen zu sitzen und auf Schultischen unser Material zu lagern?

Unsere Schulen sind oft optimiert, um auf eine gewisse Weise zu unterrichten: im Klassenverbund, der Lehrer als frontales Gegenüber der ganzen Klasse. Ja, überhaupt: Dieser Klassenverbund, der implizit davon ausgeht, dass jedes Kind eines Alters gleich entwickelt ist, den gleichen Unterrichtsstoff braucht (und erlernen kann), ist zu etwas geworden, mit dem ich weniger und weniger anfangen kann. Massentierhaltung und Schulgebäudekonzepte sind strukturell womöglich gar nicht so weit auseinander, wie man zunächst annehmen mag. Wie viel Quadratmeter sind in einem Klassenraum pro Schüler:in vorgesehen?

Statt die Universitäten mehr und mehr zu verschulen, sollten wir die Schulen vielleicht mehr und mehr zu Orten des Studierens machen, jenes eigenen, heftigen Bemühens um das Lernen, das darum weiß, was es kann, was es nicht kann; das genau weiß, was von ihm erwartet wird, wo es hin will – und das darauf bauen kann, dass die Lehrer:innen genau auf diesem Weg unterstützen. Als Fachlehrer:innen, nicht als Coaches. Die Schüler:innen wissen, welche Schwerpunkte die einzelnen Lehrer:innen in ihren Fächern haben, bei wem sie was in besonderer Form lernen können. Die Schüler:innen treffen auf Expert:innen – und das ist was anderes als die Begegnung mit »Coaches«. 

Überall in dieser Schule gibt es Bücher. Überall gibt es WLan, Projektionsflächen, Bastelmaterial, Malmaterial. Es gibt Werkstätten, die von Handwerksmeistern betreut werden, Bühnen, Proberäume für Musiker, ein breites Sportangebot, verschiedenste Theaterprojekte. Und es ist keine kleine Schule, sondern eine Schule, die so groß ist, dass all diese räumlichen Angebote auch umsetzbar sind. 

Vielleicht gibt es vereinzelt noch Klassenräume. Aber ich träume von einem Haus des Lernens, von einem Campus, der alleine dafür gebaut ist, dass man auf jedem Millimeter des Geländes lernen kann. Alles dreht sich hier um das Lernen im Sinne des Begreifens; des Dialogs mit sich und der Welt und Materialien, die es zu bearbeiten gilt; des praktischen Tuns beim Inszenieren von Gedichten, beim Schreiben von Kolumnen über das Schulleben, beim Heraustreten aus der Schule, um im Wald, im Museum oder was weiß ich wo zu lernen. 

Ich will weg von einer Schule, in der erwartet (und im Referendariat vermittelt wird), dass Lehrer:innen die Stunde vorbereitet und minutengenau angeben (antizipieren) können, welches Kind vermutlich was sagen wird. Als Lehrer will ich nicht der sein, der den Unterricht vorbereitet und den Kindern sagt, was es heute zu lernen gibt, ohne dass das Kind dabei überhaupt etwas mitzusprechen hat.

Ich will weg von einer Schule, in der Unterricht ausfällt, nur weil ich mal einen oder zwei Tage so stark erkältet bin, dass ich nicht vor Ort sein kann. Warum sollen die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen dann nicht einen Tag ohne mich lernen können? – Das Problem ist doch eher die Aufsichtspflicht, die im Klassenraumprinzip an die eine anwesende Lehrperson gebunden ist. In einem Lernhaus meiner Vorstellung wären Schüler:innen und Lehrer:innen den ganzen Unterrichtstag im Lernhaus, auf den Außenflächen, in den Werkstätten, den Makerspaces verteilt – um zu lernen, um zu tun, um die Welt zu erforschen, zu entdecken, zu staunen, um Probleme zu lösen. Lehrer:innen, die Aufsicht führen, wären da sowieso immer in der Nähe; es gibt keinen Grund mehr, Unterricht ausfallen oder »vertreten« zu lassen, da die Schüler:innen wissen, wo sie stehen und was es jetzt zu lernen gilt. 

Außerdem gibt es die Seminare. Jede Lehrperson bietet diese an. Sie haben immer ein Thema und die Schüler:innen wählen sich aus, welches Thema sie interessiert oder wo sie am besten gefördert werden.

Zudem werden sie von ihren Tutoren begleitet. Denn wenn es keine Klassen in Jahrgangsstufen mehr gibt, brauche ich keine Klassen-Lehrer:innen. Die Zahl der Schüler:innen wird durch die Zahl der vollen Stellen geteilt und dann auf die Kolleg:innen gemäß ihrer Voll- oder Teilzeitstellen aufgeteilt. Diese Tutorengruppen sind stabile Bezugsgrößen. Im Unterricht wechselt man ständig die Lerngruppen, weil es nicht mehr um Geburtsjahrgänge, sondern um bereits erworbene Kenntnisse geht; in der Tutorengruppe wird man älter, erreicht man das Jugendalter, wird man zum jungen Erwachsenen.

Schule als ein Haus des Lernens und weniger des Unterrichtens; Schule als ein Haus, in dem Schüler:innen auf Expert:innen (Fachlehrer, Handwerksmeister etc.) treffen, von denen sie ganz viel lernen können; Schule als Ort des Entdeckens eigener Interessen und Fähigkeiten; Schule als ein Ort der Konfrontation mit Kompetenzen und Wissen, die als Kulturtechniken bekannt sind – so eine Schule wünschte ich mir. 

Und ja: Sessel, Sofas, Sitzsäcke, Stehpulte, Bücher, Bibliothek, Werkstätten, Makerspace etc. wären eine Selbstverständlichkeit. 

Aber morgen gehe ich wieder in ein Haus mit Klassenräume, geteertem oder mit Verbundsteinen versiegeltem Schulhof, mit Jahrgangsstufen und Klassenverbünden und Lehrer:innen, die frontal unterrichten und versuchen, Kinder im Gleichschritt (natürlich in Leistungsstufen differenziert) zu freien, kritischen, kompetenten und wissenden Menschen zu erziehen. 

Wie bekommen wir das staatliche Schul-System in Deutschland endlich nicht reformiert, sondern einer Revolution unterzogen?