Ereignisse und deren Bilder – eine Symbiose?

Die hier besprochenen Fotografien finden sich auf http://www.boston.com/bigpicture/2009/04/protests_at_the_g20_summit.html – Bilder 11 und 12. Es könnte sinnvoll sein, diese Bilder in einem weiteren Tab oder einem zweiten Fenster geöffnet zu haben, da ich die Bilder hier aus Copyright-Gründen nicht veröffentliche. Beide Fotos wurden von Andrew Winning für Reuters gemacht.

Wird etwas fotografiert, weil es geschieht – oder geschieht etwas, weil es fotografiert wird?

Ich war gerade auf der Fotoseite des Boston Globe. Dort gibt es eine Fotoserie zu den Protesten im Rahmen des G20-Gipfels in London am 1. und 2. April 2009. (Protests at the G20 summit – The Big Picture – Boston.com)

Zwei der dort gezeigten Bilder, die Andrew Winning für Reuters gemacht hat (Bild 11 und 12), haben mich irritiert: Mein erster Gedanke war, dass es sich um gestellte Bilder handeln müsse, da es doch unwahrscheinlich ist, dass so viele Fotografen zur gleichen Zeit an Orten sind, an denen eine sehr kurze, scheinbar sehr spontane Handlung geschieht, wie vor allem auf Bild 11 dieser Serie. Was ist dort zu sehen:

Ein Demonstrant wirft einen Computerbildschirm in eine Fensterscheibe, die allerdings schon zuvor zerstört worden war. Das Foto zeigt den Moment, in dem der Bildschirm die Hand des Demonstranten verlassen hat und nun gerade durch die Luft auf die bereits eingeworfene Fensterscheibe zufliegt. – Das ist doch wirklich eine Aktion, die sehr spontan wirkt und alles in allem vielleicht nicht mehr als zehn Sekunden dauert. Doch das kann so nicht gewesen sein, betrachte ich den Rest der Fotografie. Der Demonstrant ist von einem Fotografenpulk „umstellt“, alle haben ihre Fotoapparate auf die Szene gerichtet. Dabei wirken die Fotografen zwar drängelnd und recht schnell positioniert, aber angesichts der Ereignisfülle eines solchen Protesttages ist es schon erstaunlich, dass es sich hier um ein aus der Situation heraus entstandenes Bild handeln soll.

In der Bildunterschrift wird dann gesagt, das Bild zeige einen Demonstranten im Rahmen der Proteste gegen den G20-Wirtschaftsgipfel. Diese Unterschrift wird dem Motiv nicht gerecht, da es sich um eine Aufnahme handelt, die einen von Fotografen umringten Demonstranten zeigt. Die Fotografen werden im Untertitel einfach ausgeblendet. – Gleiches auf Bild 12, auf dem Demonstranten gerade die Royal Bank of Scotland durch zerstörte Fenster verlassen. Aber auch hier sieht der Betrachter wieder mehr Fotoapparate als Demonstranten!

In meinen Augen sind die Themen dieser zwei Bilder die Entstehung von Bildern und die damit verbundenen Probleme. Die Demonstranten wissen sehr genau, dass es solche Bilder sind, die Fotografen wollen. Und die Fotografen lassen sich genau auf diese Motive ein. Die hier genannten Bilder sind keine Schnappschüsse mehr, die im Rahmen eines solchen Protestes entstehen, sondern kalkulierte Motive. Das gilt für viele der auf der Fotoseite des Boston Globe zu den G-20-Protesten veröffentlichten Bilder nicht (!), zumindest nicht in dem Maße erkennbar, wie bei diesen zwei Fotografien von Andrew Winning, die mich nachdenklich gemacht haben.

Es scheint in diesen zwei Bildern eine Symbiose zwischen Demonstrierenden und die Proteste fotografisch Dokumentierenden sichtbar zu werden. Beide Seiten sind auf diesen Bildern voneinander abhängig. Das wirft dann aber die Frage auf, inwiefern diese Bilder eigentlich noch als Reportage über die Proteste zum G-20-Gipfel betrachtet werden können. Keine Frage, sie dokumentieren einen wichtigen Zusammenhang von Ereignissen und Berichterstattung über solche Ereignisse. Solche Bilder rufen aber direkt nach einer Reflexion dessen, was auf ihnen als Motiv ins Zentrum rückt.

Mich erinnern diese Bilder einmal mehr daran, dass der Fotograf, so wenig von ihm auf den meisten Bildern zu sehen ist, indirekt immer mit im Bild ist. Er muss sich einen Standpunkt für seinen Aufnahmen suchen, eine Perspektive wählen und entscheidet so wesentlich über die Aussagekraft eines Fotos mit. Egal wie sehr ein Fotograf auch darauf aus sein mag, alleine das Motiv sprechen zu lassen und seine Gstaltung ganz in den „Dienst“ eines Motives zu stellen: Das Abgebildete kommt nicht aus der Abhängigkeit dessen heraus, der es abbildet. Wer sich ein Bild macht, macht das Abgebildete „von sich abhängig“. Das ist übrigens der Grund, warum es in vielen Religionen ein Bildverbot gegenüber dem als unverfügbar und nicht vereinnahmbar angesehenem Heiligen gibt, das aber nur am Rande.