Kreativität – Ein (Selbst)Interview

Hi Torsten. Wenn ich es richtig gehört habe, arbeitest du gern kreativ. Kannst du mir vielleicht erst einmal sagen, was das für dich eigentlich ist: Kreativität?

  • »Kreativität« heißt für mich: Viel arbeiten. Transpiration auf dem Weg zur Inspiration. Und im Prozess des Arbeitens dann noch so wachsam sein, dass ich merke: Hier bin ich an einem Punkt, an dem etwas »Neues« entstehen kann. Das kann ein Gedanke sein, den ich so noch nicht hatte; oder eine Formulierung, die mir besonders gut gefällt. Dabei ist es aber natürlich wichtig, dass ich überhaupt erst einmal eine Frage habe, auf die ich eine Antwort suche.

Und wie könnte so eine Frage lauten?

  • Das kommt ganz darauf an. Zumindest sind die richtigen Fragen ja oft das schwierigste. Worum geht es, wofür suche ich einen Einfall, was soll erreicht werden… Meist habe ich zuerst nur eine Ahnung, welche Frage mich ein wenig beschäftigen könnte. Dann heißt es, ganz viel Informationen sammeln, lesen, schreiben, nachdenken und – ganz wichtig: spazieren gehen!

Spazieren gehen?

  • Ja, ganz genau. Oder nach einem langen Arbeitstag in aller Ruhe ein Glas Wein trinken. Manche Ideen kommen auch mitten in der Nacht. Wenn ich an einer Frage intensiv dran bin, kommt die Antwort immer mal wieder im Traum oder in der Phase des Aufwachens. Es ist ganz wichtig, sich immer mal wieder Auszeiten zu gönnen, damit all das Material sich setzen kann, eine Verbindung zum Unterbewussten aufbauen und so vielleicht zu einer Synthese zu finden, die neu ist. Das ist natürlich immer auch eine Frage des Glücks. Aber wenn ich nicht intensiv arbeite, kann ich kaum erwarten, dass ein guter Einfall einfach so vom Himmel fällt. Und da ist Spazieren gehen eine wirklich gute Sache.

Du sagst, das Kreativitiät viel mit Arbeit zu tun hat. Hast du da bestimmte Methoden?

  • Es kommt da ganz auf das Problem an. Eine wissenschaftliche Fragestellung ist ja meist erst einmal scheinbar klar umgrenzt, so dass ich dann mit der jeweiligen Methode einer Wissenschaft an die Frage herangehe. Allerdings können sich dann neue Probleme zeigen, auf die ich erst einmal Antworten finden muss. Wenn ich versuche, Geschichten und Gedichte zu schreiben, dann sieht das ganz anders aus: Da ist die erste Regel, daß ich so viel lesen und schreiben muss, wie nur möglich. Vor allem das eigene Schreiben ist wichtig. Irgend einen Ausgangspunkt nehmen und dann geht es los. Zum Beispiel kann ich mir vornehmen, einen Menschen oder eine Landschaft zu beschreiben. Oder ich denke mir Geschichten zu Personen aus, die mir vielleicht zufällig in der S-Bahn gegenüber sitzen. Und es ist mir schon mehr als einmal passiert, dass da plötzlich eine Geschichte Form annimmt, Personen oder Ereignisse auftauchen, die mich selbst neugierig machen. Und dann muss ich ja weiter schreiben, um herauszubekommen, wie das denn weitergeht. Eine dritte Möglichkeit ist, dass ich mir eine Werbekampagne ausdenke, einfach so zum Spaß. Ich denke dann darüber nach, wie z.B. eine Veranstaltung oder eine Projekt an der Uni eigentlich kommuniziert werden müsste, um so etwas wie Aufmerksamkeit zu bekommen: was bietet so ein Projekt, welches Versprechen könnte auf es aufmerksam machen… Oder anders: Ich wünsche mir, daß eine bestimmte Zielgruppe erreicht werden soll und dann versuche ich mir eine entsprechende Kampagne auszudenken. Aber das sind meistens nur Trockenübungen, da das Hochschul- und Wissenschaftsmarketing in der Regel am Geld, den Strukturen oder den Bedenkenträgern scheitern, die solchen Vorgehensweisen gerade in den Geiseswissenschaften eher kritisch gegenüberstehen. Könnte mir aber sehr gut vorstellen, in so einem Bereich zu arbeiten – das wäre mal eine realistische Herausforderung.

Bei welchen Tätigkeiten siehst du Kreativität als sinnvoll an?

  • Bei allen. Wenn man als Arbeiter am Fließband arbeitet scheint das nicht so naheliegend zu sein, aber selbst dort gibt es, in eingeschränktem Maße, Möglichkeiten für Kreativität: zum Beispiel, wenn man beim Arbeiten plötzlich entdeckt, dass ein anderer Bewegungsablauf weniger anstrengend ist. Oder in der Verwaltung: da hat man jahrelang nach einer Methode gearbeitet und fragt sich vielleicht, ob es da nicht doch noch eine bessere gäbe. Ich glaube, kreatives Potential kann überall freigesetzt werden, wo jemand mit Lust und Leidenschaft etwas tut, etwas intensiv tut und sich nicht von so Gedanken wie »Mir macht die Arbeit keinen Spaß« ablenken läßt. Ohne Leidenschaft aber, ohne Neugier und Offenheit, die einen auch mal Routinen von außen betrachten lässt dürfte es schwer sein.

Würdest du dich denn neben allem Interesse an Kreativität als kreativen Menschen bezeichnen?

  • Lass es mich so sagen: Ich habe das Potential entdeckt, das darin liegt, mich nicht mit dem einfachsten und nächstgelegenen Weg abzufinden, sondern immer neugierig zu sein, was Neues kennenlernen zu wollen. Und wenn dann die Lust auf den Höhepunkt kommt, kann da auch etwas gezeugt werden. Ist nicht immer leicht. Aber es ist nun einmal wirklich so, daß wahrscheinlich fünf Prozent Inspiration sind und die anderen fünfundneunzig Prozent nichts anderes Transpiration. Aber das Glücksgefühl, das sich einstellt, wenn die Inspiration zuschlägt, ist so phantastisch, daß es all den Schweiß vergessen lässt.

Literatur zum Thema: Mihaly Csikszentmihalyi, Kreativität. Wie Sie das Unmögliche schaffen und Ihre Grenzen überwinden, Stuttgart (Klett-Cotta) 41999; ders.: Flow. Das Geheimnis des Glücks, Stuttgart (Klett-Cotta) 81999.

©tlarbig, 09. Juni 2004 (letzte Überarbeitung: 18. August 2008)