Abi-Bet-Tücher und Psychologie – Abitur 2009
Als auch dieses Jahr zum schriftlichen Abitur wieder all die beschrifteten, bemalten oder bedruckten Betttücher, Plakate und Fahnen vor der Schule hingen, erinnerte mich dies an die Tradition der Gebetsfahnen im tibetischen Buddhismus.
Eine letzte Botschaft vor dem Schulgebäude, soll den Prüflingen Glück und Zuversicht mit auf den Weg geben. Hier denken andere an einen. Psychologisch ist dieses Wissen wichtig (zumindest dann, wenn die positive Unterstützung auch dann gewiss ist, wenn eine Prüfung nicht wie gewünscht ausgehen sollte, auch wenn man sich so gut wie einem möglich vorbereitet hat).
Mich erinnern diese Tücher darüber hinaus an die Tradition der Fürbitte im Christentum, in der ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen einen anderen Menschen oder eine Gruppe von Menschen in sein oder ihr Gebet mit aufnimmt bzw. aufnehmen.
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In diese Tüchern, Plakaten und Fahnen drückt sich ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen aus: Menschen brauchen das Wissen oder zumindest das Vertrauen darauf, dass andere an sie denken – nicht nur zu Abizeiten. Positive Unterstützung ist für die Psyche des Menschen wichtig. Wie oft wird das vergessen? Für mich sind die Tücher, Plakate und Fahnen, die zu Abizeiten vor den Schulen hängen, eine alljährliche Erinnerung daran, wie viele Menschen an der Entwicklung und Ausbildung junger Menschen beteiligt sind. Und das macht mir diese Tücher sympathisch.
Ja, es ist auch ein Ritual geworden, dass hier Jahr für Jahr zu beobachten ist. In einer Wikipedia entnommenen Beschreibung klingt das so:
„Rituale sind ein allgemeines Phänomen der Interaktion mit der Umwelt […]. Sie finden sowohl auf der Ebene des individuellen Verhaltens (persönliche Rituale, autistische Rituale, Zwangshandlungen) als auch im menschlichen Miteinander (Rituale im Familienleben, geregelte Kommunikationsabläufe, Feste und gesellschaftliche Veranstaltungen, Gepflogenheiten und Konventionen, religiöse Riten und Zeremonien) statt.
Ein Ritual ist normalerweise kulturell eingebunden oder bedingt. Es bedient sich strukturierter Mittel, um die Bedeutung einer Handlung sichtbar oder nachvollziehbar zu machen oder über deren profane Alltagsbedeutung hinaus weisende Bedeutungs- oder Sinnzusammenhänge symbolisch darzustellen oder auf sie zu verweisen.
Indem Rituale auf vorgefertigte Handlungsabläufe und altbekannte Symbole zurückgreifen, vermitteln sie Halt und Orientierung. Das Ritual vereinfacht die Bewältigung komplexer lebensweltlicher Situationen, indem es „durch Repetition hochaufgeladene, krisenhafte Ereignisse in routinierte Abläufe überführt“. Auf diese Weise erleichtern Rituale den Umgang mit der Welt, das Treffen von Entscheidungen und die Kommunikation. Durch den gemeinschaftlichen Vollzug besitzen viele Rituale auch einheitsstiftenden und einbindenden Charakter und fördern den Gruppenzusammenhalt und die intersubjektive Verständigung.“
Und in diesem Sinne haben die „Abi-Bet-Tücher“ Jahr für Jahr ihren Ort und ihre Funktion im Zusammenhang mit dem Abitur.
Solange dieses Ritual weder zum leeren Ritual noch zu einer Zwangshandlung wird, der jeder unterworfen ist, der nicht Zweifel an seiner sozialen Eingebundenheit aufkommen lassen will, finde ich diese, in den vergangenen Jahren fast schon zur Tradition gewordene Form der psychologischen Unterstützung von Prüflingen auf dem Weg zum Abitur, einen schönen Ausdruck des „Mitfieberns“. Und als solcher Ausdruck haben die Tücher, Fahnen und Plakate dann ja vielleicht auch eine positive Rückwirkung auf jene, die sie meist liebevoll gestalten und so ausdrücken, dass sie in Gedanken da sind.