„Schadstoff für die Seele“ – Des ZDFs „Die Vorleser“ kritisch betrachtet

Es mag der Aufgeregtheit geschuldet sein, dass Amelie Fried das erste in der neuen ZDF-Sendung „Die Vorleser“ vorgestellte Buch nicht in die Hand nimmt. Statt dessen beginnt sie mit einer auswendig gelernt wirkenden Inhaltsangabe. Und dann:

„Ich finde, dass diese Autorin ganz toll geschrieben hat, wie eine Kindheit endet. Das hat mir gut gefallen.“

In „Das literarische Quartett“ stritten sich leidenschaftliche Literaturkritiker. In „Lesen!“ lobte eine leidenschaftliche Literatin Bücher und kämpfte in einer Zeit, in der er es um die Lesekultur nicht mehr allzu toll zu stehen scheint, um die Vermittlung der Lust am Lesen.

Reich-Ranicki lehnte den Deutschen Fernsehpreis ab. Elke Heidenreich wurde vom ZDF gefeuert. Und jetzt wird ein sich andeutender Streit über Per Olov Enquists literarische „Autobiographie“ (Ein anderes Leben) in Harmoniegesülze zwischen Amelie Fried und Ijoma Mangold ausgeplätschert. O-Ton Fried:

„Es ist sicher ein lesenwertes Buch. Man muss ja nicht alles toll finden.”

Anschließend kommt doch noch die kollektive Empfehlung, dass dieses Buch ein toller Einstieg für all diejenigen sei, die noch nichts von Enquist kennen würden.

Es folgt ein buntes Familienbildchen, das zur Untermalung des Gejammers über die Krise der Literatur in der (deutschen! – ja, das wird ausdrücklich betont) Familie natürlich ideal geeignet ist, vor allem, weil diese zu illustrativen Zwecken aufgestellte Familie mit zwei Eltern und drei Kindern alles andere als der bundesdeutsche Durchschnitt ist. Nein, hier wurden Bilder nur als Hintergrundillustration eines mit literarischen Zitaten reich geschmückten, aber nicht zum Punkt kommenden Kurzbeitrages in der Manier privater Rundfunkanstalten geboten. Da halfen die Bezüge zu Fontane oder gar Schophenhauer (Die Welt als Wille und Vorstellung) kein Stück weiter.

Nach diesem kurzen Film,  mittlerweile überraschen die Textbausteine der Banalität endgültig nicht mehr, bekommt das Fernsehen schauende und die Zeit nicht mit Lesen sinnvoll füllendere Publikum einen Satz von kaum zu unterbietender inhaltlicher Qualität zu hören:

„Ja, das stimmt uns natürlich auch nachdenklich. Um so besser, dass wir Ihnen jetzt zwei Bücher vorstellen können, die – ähm – wirklich klasse Lesestoff fast für die ganze Familie sind. Also nehmen wir mal die Kinder, die ganz jungen Jugendlichen, aus.“

Das ewige „Man“ Amelie Frieds kann ich nach fünfzehn Minuten fast schon nicht mehr ertragen. Da fühlt „man sich betroffen“, obwohl „man“ doch eigentlich „Ich“ hätte sagen müssen.

Doch immerhin, genau zu diesem Zeitpunkt, etwa in der Mitte der Sendung, fasst Amelie Fried die Erstausgabe von „Die Vorleser“ schon einmal ganz toll zusammen, auch wenn sie sich dabei auf ein von ihr vorgestelltes Buch bezieht: „Fernsehen ist Schadstoff für die Seele“. „Ja“ will ich da rufen, richtig, das stimmt, zumindest für diese Art des Fernsehens, das es gar nicht bräuchte, da man diese Sendung auch als Radiosendung hätte senden können, so wenig, wie die ästhetischen Möglichkeiten des Fernsehens ausgenutzt wurden.

Das einzig Wohltuende an dieser Sendung ist, dass Ijoma Mangold, seit kurzem stellvertretender Feuilletonchef der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit,  Fried auch einmal widerspricht und zumindest in Ansätzen Leidenschaft zeigt, so sehr dies in einer knappen halbe Stunde möglich ist.

Argumentativ reicht Fried an Mangold in diesen Situationen der Möglichkeit des Streites über Qualitätskriterien, an denen Literatur gemessen werden kann, nicht heran. Der Streit wird dann auch nicht ausgetragen, sondern im Nichts der Begrüßung Walter Sittlers erstickt, der vor allem für sich selbst werbend auftrat.

Der Titel des von Sittler mitgebrachten Kästner-Buches (Als ich ein kleiner Junge war) wird übrigens im Gespräch kein einziges Mal genannt, sondern nur einmal kurz eingeblendet, während Sittler gerade über das Schulsystem jammert.

Aber geht es da überhaupt um das Buch? O-Ton Sittler (Man beachte die grauenhafte Satzkonstruktion mit auf „weil“ folgendem Hauptsatz, die in der Sendung mehr als einmal vorkam!):

„Und warum ich es mitgebracht habe ist, weil (kurzes nachdenkliches Schweigen) ich habe jetzt über hundertvierzig Vorstellungen mit diesem Stück gehabt.“

– Eigenwerbung oder literarische Begeisterung? Wahrscheinlich kann ein Stück nicht hundertvierzig Mal aufgeführt werden, wenn das vorgestellte Buch nicht als spannend erlebt würde.

Es ist übrigens, anders als ich am Anfang angenommen habe, doch nicht dem Lampenfieber geschuldet, dass das erste in der Sendung vorgestellte Buch weder von Fried noch von Mangold in die Hand genommen wurde. Die auf dem Tisch vor den Sofas liegenden Bücher bleiben während der gesamten pure Dekoration! Erst in den letzten Minuten, in der Kategorie „Drei Bücher in drei Minuten“ nimmt Mangold dann doch noch ein paar Bücher in die Hand.  Hier erinnert er mich an Denis Scheck in „Druckfrisch“ – und das ist dann schon ein Kompliment aus meiner Tastatur.

Als Zusammenfassung ziehe ich die Dekoration des Studios heran: Diese besteht aus bunten, buchähnlichen, völlig leeren Pappschachteln, abgesehen von den Teilen des Regals, an dem Mangold „drei Bücher in drei Minuten“ vorstellt. Zu viele Bücher, zu wenig Zeit und am Ende habe ich keinerlei Ahnung, was denn nun an den vorgestellten Büchern lesenswert sein soll (obwohl sie es teilweise bestimmt sind!).