Das Tippen, der Text und die Schreibkompetenz
Die Bedeutung der Handschrift geht mehr und mehr zurück, ohne dass dies bedeuten würde, dass sie als grundlegende Kulturtechnik nicht dennoch erlernt werden müsste, schon alleine um die Möglichkeit zu erhalten, auch stromunabhängig eine individuelle Ausdrucksform zu ermöglichen, da die Zahl der analogen, rein mechanischen Schreibmaschinen in den Haushalten wohl nicht ausreichen wird, um diese Form des Ausdrucks sicher zu stellen, während zum Beispiel Kugelschreiber nach wie vor ein Alltagsgegenstand sind. Ich wage die Behauptung, dass bei Kugelschreibern eine hundertprozentige Abdeckung in der Bevölkerung vorhanden ist.
Doch wenn auch die Bedeutung der Handschrift zurück zu gehen scheint, hat das Tippen von Texten weit weniger Aufmerksamkeit auf seiner Seite, als angemessen scheint. Das gilt nicht nur für Schülerinnen und Schüler, sondern auch für viele Lehrende. Sowohl unter Schülern der gymnasialen Oberstufe also auch bei vielen Lehrenden scheint zum Beispiel die Fähigkeit, blind und womöglich sogar mit zehn Fingern zu tippen, nach wie vor eher ein Nerdfaktor als Allgemeingut, von angemessenen Kenntnissen in Sachen Textsatz einmal abgesehen, obwohl diese, zumindest meines Erachtens, grundlegend zum kompetenten Umgang mit Textverarbeitungsprogrammen dazu gehören, sind diese doch etwas anderes als digitale Umsetzungen mechanischer Schreibmaschinen, die in Sachen Textsatz (Typographie) keine allzu großen Möglichkeiten ließen.
Doch selbst in Lehrplänen, die die Verwendung von Textverarbeitungsprogrammen zumindest als Möglichkeit in sich bergen, habe ich bislang nichts von der Vorgabe gelesen, dass jeder Schüler und jede Schülerin in der Lage sein soll, blind zu tippen; unabhängig von der Schulform übrigens.
Ja, diese Kompetenz wurde auch schon bisher eher in speziellen Kursen gelernt oder sie war das Produkt selbstständiger Bemühungen. Ich habe nie einen Kurs für Tastaturschreiben besucht und meine es dennoch angemessen zu beherrschen. Sehe ich aber, welche Probleme im Umgang mit Computertastaturen damit einher gehen, dass die entsprechenden Nutzer und Nutzerinnen eher unvertraut mit der Tastatur und auch mit Tastaturbefehlen umgehen, bekomme ich immer wieder den Eindruck, dass außerhalb von Sekretariaten unglaublich viel Energie durch den Mangel an dieser Kompetenz verloren geht.
Der zentrale Vorteil des Tippens, ein relativ schnelles Schreiben zu ermöglichen, wird in vielen Fällen, auch bei Lehrenden, eher stiefmütterlich behandelt. Oft wird dann von der Kompliziertheit des Computereinsatzes gesprochen, aber kaum in Erwägung gezogen, dass die eigenen praktischen Kenntnisse im Bereich dieser (neuen) Kulturtechnik möglicherweise einer Optimierung unterzogen werden könnten.
Mir persönlich ist es dann übrigens egal, ob »korrekt« mit zehn Fingern getippt wird, solange das Tippen seine Überlegenheit in Sachen Schreibgeschwindigkeit irgendwie ausspielen kann, habe ich doch einst selbst lange Zeit mit zwei Fingern getippt, wenn auch schon relativ zuverlässig.
Doch die Frage der Kompetenz in Sachen Nutzung von Tastaturen ist nur eine Seite des Problems — und vielleicht nicht einmal die bedeutendste. Das größere Problem scheint mir, dass kaum reflektiert wird, dass ein getippter Text nicht nur geschrieben sondern auch angemessen gestaltet sein will. Diese Kompetenz nennt man »Textsatz« oder »Typographie«.
Auf den Buchdruck zurückgehend, war der Beruf des Setzers lange Zeit ein wichtiger Beruf, der aber mit Textverarbeitungsprogrammen ein wenig ins Hintertreffen geraten ist, weil mehr und mehr selbst Verlage von den Autoren oder Herausgebern erwarten, dass diese druckfertige Typoskripte abgeben. Vor allem wissenschaftliche Publikationen sehen dann auch oft entsprechend aus.
Neben der Frage der für das Erstellen von Texten notwendigen Schreibkompetenzen tritt heute die Frage nach der Gestaltung von selbst erstellten Texten, die Frage nach dem Layout. Ja, Layouter stellen durchaus nach wie vor eine eigene Berufsgruppe dar, die aber aus den genannten Gründen, die heute eigentlich von jedem am Computer schreibenden Menschen entsprechende Kenntnisse und Kompetenzen erwarten, an praktischer Bedeutung verliert.
Solange selbst auf den Websites vieler großer Zeitungen die Grundregeln des Textsatzes eher stiefmütterlich behandelt werden, ich denke hier insbesondere an den oft schlicht falschen Gebrauch von Anführungszeichen, die oft angelsächsischen Vorgaben folgen, statt den Standards deutscher Sprache entsprechend gesetzt werden, ist an dieser Stelle mit einer auf Unkenntnis beruhenden Wandlung der geschriebenen Sprache zu rechnen.
Zugegeben: Schlechte Typographie und der oft fast schon hilflos wirkende Umgang mit Tastaturen werden keine Untergang des Abendlandes verursachen. Viele Eigenarten, die dem geschulten Auge in Sachen Typographie auffallen, mögen vielen Menschen eher kleinlich erscheinen. Es handelt sich hier eher um eine ästhetische Frage, der sich zu stellen aber gerade Bildungsinstitutionen nicht schlecht stehen würde.
Ökonomisch relevanter ist da schon die Frage, wie sicher der Umgang von Beschäftigten mit der Tastatur als Schreibinstrument ist. Auch hier gibt es nach meinen Beobachtungen massiven Kompetenzentwicklungsbedarf. Aber wer den Weg des Blindschreibens einmal eingeschlagen hat, wird schnell merken, dass es sich dabei um kein Spiel handelt, sondern um eine Fähigkeit, die das Schreiben als solches einfach viel angenehmer macht. Und alleine dafür lohnt es sich meines Erachtens, diesen Weg zu betreten und das Tippen neben der Handschriftlichkeit zu üben.
Die Bedeutung der Handschrift geht im beruflichen wie privaten Alltag definitiv zurück. Wenn man diesem Artikel im WSJ (How Handwriting Trains the Brain) Glauben schenken kann, dann ist die Bedeutung des Erlernens der Handschrift wesentlich größer. Schreiben mit Hand ist eine Fertigkeit, die eine trainierte Feinmotorik erfordert. Wir wissen, wer nicht rückwärts laufen kann, hat auch Schwierigkeiten, rückwärts zu rechnen. Von daher scheint es mir plausibel, dass die mit dem Schreiben von Hand einhergehende Feinmotorik auch entsprechend auf das Denken wirken kann, z.B. beim Formulieren von Gedanken zu Texten.
Wir wissen heute, dass sich mit dem Wandel zur digitalen Gesellschaft auch neuronale Strukturen im menschlichen Gehirn anpassen. Tippen erfordert nur wenig Feinmotorik, und wird Tippen so sehr internalisiert, dass es automatisch, sprich blind erfolgt, wird es vermutlich näher zum Sprechen rücken. Es wäre interessant, Schreibstile dahingehend zu untersuchen.
Schulen vernachlässigen Tastatureingabe von Texten als Fertigkeit in der Tat. Irgendwie lernen die Schüler das schon. Dass die mangelnde Beherrschung des Tippens unnötig Zeit kostet und vermutlich auch Auswirkungen auf das Textergebnis hat, bedenkt kaum jemand. Vielleicht vernachlässigt man das Thema auch schlichtweg, da die Zeit, welche einzelne Schüler in der Schule derzeit während ihrer gesamten Schulzeit an einem Computer verbringen, überwiegend noch sehr gering ist.
Persönlich gehe ich davon aus, dass Texteingabe in absehbarer Zeit auch die Tastatur verlassen wird und auf gesprochene Eingabe wechselt. Die Genauigkeit, mit welcher heute gesprochener Text erkannt wird, selbst in Umgebungen mit deutlichen Nebengeräuschen, hat in den letzten Jahren enorm zugelegt. Reden mit dem Computer scheint vielen heute noch Zukunftsmusik im Sinne von Star Treck. Für Gruppen der Bevölkerung ist das heute schon Alltag. Blinde und Sehbehinderte sowie körperlich behinderte nutzen heute entsprechende Techniken mit gutem Erfolg.
Mit gesprochener Texteingabe wird sich Text vielleicht wieder wandeln, da dann die Hände gar nicht mehr ins Spiel kommen, bzw. nur noch zur Strukturierung/ zum Layouten des Textes. Diktieren von Texten ist anders als Schreiben. Gesprochene Text unterscheiden sich bei nicht geübten Diktierern deutlich von geschrieben Texten. Hier sind ganz andere Fertigkeiten zu erlernen. Rechtschreibung wird bei diktierten Texten allerdings kaum noch ein Problem für Schüler sein.
Layout ist, wie du es ansprichst, auch ein Problem. Schulen berücksichtigen es beim Thema Textverarbeitung wenig. Zwar lernt man eventuell, welche Formatierungsmöglichkeiten eine Textverarbeitung bietet, doch wie man sie sinnvoll einsetzt, wird nicht geübt. Beim Thema Heftführung ist Layout, sprich die Gestaltung einer Heftseite, ein altes Thema. Vermutlich wird Layout von digitalen Texten dann zum Thema, wenn Schüler deutlich mehr digitale Texte produzieren als derzeit.
Bei der Eingabe von Texten über Sprache ist das Formatieren umständlicher, da man über Sprache Text auswählen und gestalten muss. Das wird in Zukunft vermutlich über eine Kombination von Gesten und Sprachbefehlen erfolgen. Man markiert mit Gesten, zieht, schiebt, staucht, usw. und weist über Sprache Schriftarten und -größen etc. zu.
Handschrift wird in dieser Zukunft noch immer ihren Sinn haben, primär für das Erlernen und Verinnerlichen der Buchstaben und ihrer Formen, und außerdem noch für die schnelle handschriftliche Notiz oder Beschriftung.
Tastatureingabe wird vielleicht noch für Spezialbereiche von Belang sein.
@ Damian Duchamps
Danke für diese ausführliche Ergänzung, in der vieles steht, was ich in meinem Beitrag außen vor gelassen habe. So stimme ich völlig zu, dass die Handschriftlichkeit als grundlegende Kulturtechnik gut und primär zu erlernen und zu unterrichten ist. Die Gründe nennst du in deinem Kommentar. Das sehe ich genau so.
Zum Thema »Genauigkeit der Spracheingabe« verweise ich auf folgenden Text, der das Thema ausführlicher in den Blick nimmt.
Ob gesprochene Texte gelingen können ist eine Frage, wie jemand beim Sprechen, vor allem wenn dies frei erfolgt, in der Lage ist, Sätze und Inhalte zu strukturieren. Vielen scheint dies sehr schwer zu fallen, sodass hier noch eine verborgene Kompetenzenförderungsnotwendigkeit besteht, völlig unabhängig davon, ob Texterstellung über das Sprechen eine breitere Gruppe erfassen wird, als diktierende Anwälte, Mediziner, Sehbehinderte etc. Vergleiche hierzu meine Artikel »Mündlichkeit: Die vernachlässigte Seite der Sprachkompetenz?«.
Das Verschwinden der Tastatureingabe sehe ich nicht in dem Maße, wie du es vermutest. Das wird die Zukunft zeigen.