Der „Lernen durch Lehren”-Tag in Ludwigsburg – Reflexionen eines Referenten
Als ich am 09. Mai 2009 zum LdL-Tag (LdL = Lernen durch Lehren) nach Ludwigsburg fuhr, dachte ich zunächst, dass es vor allem eine von „Insidern“ besuchte Lehrerfortbildung sein würde, wobei ich unter Insidern all diejenigen verstehe, die sich aktiv und/oder theoretisch mit LdL befassen. Ein solches „Insider“-Treffen hätte seinen Reiz gehabt, hätte bestimmt „Flow“ ausgelöst und alle wären mit guten Ideen, Glücksgefühlen und neuen Ideen für den Einsatz von LdL nach Hause gefahren.
Es kam anders und in meinen Augen ist etwas viel spannenderes passiert,als es ein „Insider“-Treffen hätte leisten können.
„Der LdL-Tag in Ludwigsburg war eine Fortbildungsveranstaltung für Lehrende. Es kamen sehr viele Interessierte, die weder mit LdL noch mit der Terminologie vertraut waren“, schreibt Jean-Pol Martin in seinem Weblog. Gleichzeitig kamen noch nie so viele LdL-Vertraute an einem Ort zusammen, wie in Ludwigsburg. Das ist eine herausfordernde Konstellation: Auf der einen Seite die in der Diskussion befindlichen LdL-Vertrauten, denen es offensichtlich gelungen ist LdL so darzustellen, dass es auf der anderen Seite sehr viele Interessierte gibt, die nun wissen wollen, was es denn mit LdL wirklich auf sich hat. – Fand die Diskussion in meiner Wahrnehmung bislang vor allem unter „Insidern“ statt, hatte LdL sich in diesem Rahmen als eine Methode zu bewähren, die kommunizierbar ist und im Dialog mit Kollegen und Kolleginnen bestehen kann, die mit dem interessierten Blick erfahrener Schulpraktiker auf die Methode schauen.
Es gab zwei Hauptvorträge von Jochim Grzega und Jean-Pol Martin und fünfzehn Workshops, die sich um unterschiedlichste Aspekte von LdL drehten. Außerdem gab es am Rande des LdL-Tages zumindest kurze Begegnungen einiger Leute, die sich bislang nur über das vernetzte Arbeiten kannten und nun endlich einmal die Möglichkeit hatten, einander von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Das Erstaunliche dabei: Die Arbeit an der Sache in vernetzten Strukturen erwies sich tatsächlich als geeignet, unbefangen in eine erste Begegnung zu gehen. Auch das hat der von Christan Spannagel und Team organisierte LdL-Tag ermöglicht.
Doch wie so oft bei Lehrerfortbildungen und Tagungen überhaupt, blieb viel zu wenig Platz, während der Tagung zu informellen Begegnungen zu kommen, in denen oft die spannendsten Prozesse ablaufen, statt dessen – und das hat auch was für sich – gelang es in „nur“ fünfeinhalb Stunden einen intensiven Durchgang durch alle wesentlichen Teile von LdL zu ermöglichen.
Hundert an LdL-Interessierte an einem Ort. Das hat es so vorher nicht gegeben und für mich wurde bei dieser Veranstaltung endlich deutlich, welche Fragen Leute mitbringen, die zwar am Thema interessiert sind, aber die Terminologie der Methode nur in Ansätzen oder gar nicht kennen.
Schaue ich zurück, ergeben sich für mich aus den Diskussionen folgende Gedanken, wenn es um die Frage geht, was notwendig ist, damit LdL als Methode 1. richtig verstanden und 2. auch von bislang mit der Methode unerfahrenen Kollegen und Kolleginnen, die ihr mit Neugier begegnen, akzeptiert werden kann. (Dabei fällt mir nun, nachdem ich diese Gedanken schon notiert habe und diesen Teil noch ergänze, dass diese Gedanken auch in Richtung von Kommunikationsstrategien gehen, die hilfreich sein können, Interessenten Lust auf eigene Erfahrungen mit einer Methode zu machen.)
- LdL hat keinen Absolutheitsanspruch, sondern ist ein methodisches Angebot, das zum Gelingen von Unterricht eine Möglichkeit hinzufügt. Ich hatte häufiger den Eindruck, dass bei Kollegen und Kolleginnen der Eindruck vorhanden war, dass hier mal wieder ein „Allheilmittel“ „verkauft“ werden soll, das guten Unterricht verspricht. Dabei schienen meiner Wahrnehmung nach einige Kollegen und Kolleginnen vor allem deshalb mit einer gewissen Skepsis (bei allem Interesse an der Sache, sonst hätte ja niemand von ihnen den Weg nach Ludwigsburg auf sich genommen, noch dazu an einem unterrichtsfreien Tag) an die vorgestellten Methode heran zu gehen, weil sie sich die Frage stellten, ob der Anspruch von LdL ihre bisherige Unterrichtspraxis in Frage stellt oder sogar abwertet. Deshalb erscheint es mir für die Akzeptanz der Methode ganz wichtig, dass die Wertschätzung gegenüber geläufiger Unterrichtsmethoden mit dem Ziel, eigenständiges Lernen zu fördern, sehr deutlich ausgedrückt wird, was deren Vordenker selbst ja durchaus auch betonen.
- Es bedarf einer klaren terminologischen Darstellung der Methode selbst und deren Abgrenzung von anderen schüleraktivierenden Methoden. Von Schülern erarbeitete Referate und Präsentationen fördern den Lernprozess der dabei aktiven Lernenden, sind aber kein LdL. Dieses Missverständnis tauchte am LdL-Tag mehr als einmal auf, wenn von Teilnehmenden darauf hingewiesen wurde, dass man sich doch schon Teilen der Methode bediene, wenn eben in Projekten etc. gearbeitet würde. Grzega hat auf dieses terminologische Missverständnis hingewiesen, Martin auch und ich in meinem Workshop ebenfalls – ich nehme an, dass die Frage auch in den anderen Workshops eine Rolle spielte.
- Natürlich ist es gut, gelungene Beispiele von LdL-Unterricht ins Zentrum zu stellen, um sehr deutlich zu machen, dass LdL in der Unterrichtspraxis funktioniert und zu sehr erstaunlichen Ergebnissen führen kann. Wer LdL aber bislang nicht kennt, kennt als Lehrender doch die Herausforderungen der Schulwirklichkeit, seien es sehr unterschiedliche Lerngruppen, unterschiedlichste Formen der Störungen etc., mit denen Lehrende umgehen müssen und die bei methodischen Überlegungen offensiv aufgegriffen werden sollten, sollen Lehrende sich mit ihren Fragen in einer Methode ernst genommen fühlen. Ich gewinne zunehmend das Gefühl, dass die weit verbreitete Skepsis unter Lehrenden gegenüber Prozessen, die als „Neuerungen“ verkauft werden, auch damit zu tun hat, dass die drängenden Fragen nicht oder nur teilweise aufgenommen werden, selbst dann, wenn auf sie bei Nachfrage angemessen eingegangen werden kann. Strategisch gilt es, solche Fragen bereits zu beantworten, bevor sie gestellt werden, denn wenn erst einmal der Eindruck entsteht, dass die eigenen Fragen in der Vorstellung einer Methode nicht berücksichtigt werden (der Eindruck!, das heißt ja nicht, dass sie in Wirklichkeit nicht doch eine Rolle spielen), kann das Interesse an der Methode von diesem Gefühl des Mangels einer Methode (zumindest zeitweise) überlagert werden.
- LdL lebt von Projekten. Meines Erachtens könnte es deshalb bei zukünftigen LdL-Tagen neben Vorträgen und thematischen, teilweise an LdL orientierten Workshops auch Raum geben, in dem die Frage aufgegriffen wird, wie mit den Erfahrungen beim LdL-Tag nun in der Weiterarbeit umgegangen werden kann. Warum nicht eine Workshoprunde einbauen, in der anhand konkreter Unterrichtsthemen (und deren Aufbereitung in exemplarischen Lehrwerken) gemeinsam überlegt wird, wie hier eine LdL-Unterrichtseinheit aussehen könnte. – Und von diesen Planungen ausgehend an den Unterrichtsprojekten bspw. auf ldl.mixxt.de weiter arbeiten? – Ich komme auf diese Frage, weil ich von Kollegen gefragt wurde, ob es irgendwo ein dem Lehrplan folgendes Modell der Stoffverteilung im Rahmen von LdL gäbe. Hier gäbe es möglicherweise einen Ansatz, die ldl-Community in dieser Richtung um konkrete Materialsammlungen zu erweitern.
Danke für diese Eindrücke vom LdL-Tag, den ich leider nur teilweise im Stream verfolgen konnte (einige Sessions wurden besser übertragen als andere). Ich habe dabei gestutzt, was sich an Deinen letzten Punkt anschließt: Es gab Vorträge – viele Vorträge. In einer Session, die ich sah, wurde auch diskutiert (erinnerte ans EduCamp). Aber ich habe keine LdL-Sessions gesehen.
Daraus resultierte bei mir die Frage, ob man LdL nicht mit/durch LdL erklären kann? Wenn ich z.B. das Web 2.0 erklären will, nutze ich es doch auch direkt. Nun schreibst Du, dass Ihr auch gar keine Unterrichtsszenarien besprochen habt.
Versteh mich bitte nicht falsch, aber dies ist mir doch recht merkwürdig vorgekommen. Besonders wenn doch so viele kritische Kollegen vor Ort waren (wie ich auch bei den gestreamten Vorträgen feststellte), wäre es doch evtl. sinnvoll gewesen, sie direkt mal diesen Effekt des Lernens durch Lehren spüren zu lassen. Nun will ich aber keine hätte/wäre/wenn-Diskussion anstoßen, sondern ganz einfach fragen, ob dies möglich ist oder man es so nicht erklären kann.
Doch, doch, es wurde natürlich mit LdL gearbeitet und es ging auch um Unterricht (zumindest wenn ich der oben verlinkten Workshopübersicht Glauben schenken darf, habe die Videos noch nicht gesehen). Ich schreibe nicht, dass wir keine Unterrichtsszenarien besprochen haben. Unterrichtsszenarien spielten in den Workshops eine große Rolle! Was ich mit dem letzten Punkt ansprechen will ist die Frage, ob es neben der Vorstellung der Unterrichtsszenarien nicht Raum für die konkrete Planung von Unterricht der Beteiligten geben sollte, nachdem per Video-Aufnahmen und LdL folgenden Workshops (siehe die oben verlinkte Workshopübersicht) Eindrücke gesammelt wurden. Und wenn dieser Unterricht dann durchgeführt wurde, zu Diskussionen auf ldl.mixxt.de einladen, zum fördern der Vernetzung, aber auch, damit die Teilnehmenden mit einem unterrichtspraktischem Ergebnis nach Hause gehen, das sie gleich am Montag oder in der Folgewoche ausprobieren können und das im Rahmen einer Art kollegialer Planung entstanden ist… Im Rahmen von Unterrichtsbesuchen würden Ausbilder wohl die Frage nach der Ergebnissicherung stellen 😉
Nochmal deinen Kommentar gelesen: Die Idee ist gut. Man könnte vor Vorträge und Workshops, die das ganze reflektieren und die Terminologie einführen, LdL-Stunden mit den Teilnehmenden stellen (zu unterschiedlichsten Themen, von pädagogischen über
schulbildungspolitische bis hin zu an den Fächern der Teilnehmenden orientierten) und dann von der Frage „Was ist hier gerade passiert“ LdL vielleicht noch besser als anhand von Videos aus Unterrichtsstunden, die aber für die Frage, ob Ldl in der Schulpraxis funktioniert, wichtig sind!, erfahrbar machen. Diese Anregung finde ich gut.@Herr Larbig und Scheppler
Herzlichen Dank! In meinem Blogeintrag habe ich mich missverständlich ausgedrückt: wir haben seit 1984 hunderte von Fortbildungsveranstaltungen durch geführt, 13 Jahre lang Bundestreffen mit jeweils 200 Teilnehmern (das letzte Treffen im Jahre 1989 in Berlin) und Regionaltreffen mit etwa derselben Teilnehmerzahl aufgeteilt auf die verschiedenen Regionen. Und wir haben sehr viele Sessions so gestaltet, dass die Teilnehmer sich LdL nach dem LdL-Prinzip gegenseitig beigebracht haben. Das Ludwigsburger Format ergab sich aus der Kürze der Veranstaltung, die zur Straffheit zwang.
Ich sagte in meinem Blog, dass zum ersten Mal soviele Leute zusammen kamen, die aus langjähriger Erfahrungen mit meiner Terminologie und mein Denke vertraut sind: Grzega zum Beispiel seit 16 Jahren, Kratky seit 12 Jahren, Renate Gegner seit 20 Jahren, usw…
Danke für die Einblicke. Die Idee einer gemeinsamen Materialsammlung finde ich klasse.
@torsten @rené
Wenn man eine solche Veranstaltung organisiert,dann ist die Nachbereitung durch solche Blogeinträge gold wert. Vielen Dank also vom mir, für das Gedanken machen. 🙂
Es waren gerade im ersten Block einige LdL-Sessions dabei, die nicht oder nur wenig frequentiert wurden. Das lag vor allem an den 2 Workshops die parallel überlaufen wurden und eben auch an der Thematik an welchem Beispiel „LdL erleben“ angeboten wurden. (Französisch, Fremdsprachen) Ich würde beim nächsten Mal eine Vorab-Wunschliste von den Teilnehmern anfordern und dementsprechend die Workshops zeitlich optimal regulieren.
Eine LdL-Simulation kann auch gerade unter Lehrenden nur modellhaft wiedergeben werden, denn die atmosphärischen Herausforderungen denen LdL im Klassenzimmer unterliegt werden häufig nur theoretisch Thematisiert. (Wenn Einer redet, hören die Anderen zu und stören nicht. 😉 )
Manche Sessions die per Live-Stream nicht vertont waren kommen in den nächsten Tagen online. So können wir uns alle noch einen besseren Gesamteindruck verschaffen.
Soweit erstmal aus meiner Sicht 🙂
Liebe Grüße, Mel
Vielen Dank für deinen ausführlichen Bericht und deine Vorschläge, Torsten!
@scheppler: Klar gabs LdL-Sessions (zum Beispiel meine). 🙂
Die Idee mit den konkreten Materialsammlungen ist gut; allerdings möchte ich zu Bedenken geben, dass ich glaube, dass es weniger das Material ist, das „neue LdL-Lehrer“ benötigen, sondern eine Änderung der Haltung. Das Material ist zweitrangig und vielleicht auch nicht unbedingt notwendig (aus der richtigen Haltung ergibt sich vieles, und den Schülerlehrern kann man vielleicht auch das Material zur Vorbereitung geben, das man selbst verwendet, so wie es Erich Hammer macht).
„dass es weniger das Material ist, das “neue LdL-Lehrer” benötigen, sondern eine Änderung der Haltung.“
Das ist für mich ein ganz zentraler Satz, dessen Grundgedanke Pate für meinen Blogeintrag stand. Ich hatte heute schon wieder ein LdL-Erlebnis und glaube, dass man LuL nicht zwingend in LdL-Methodik, sondern vor allem auch in den Bereichen „Gesprächsführung“, „Gebrauch von Sprache im Unterricht“, „Selbstbild des Lehrenden“ usw. mehr sensibilisieren sollte. Wir machen bei uns mit Schulungen mit dem Motto „Entwickle Unterrichtsmaterial“ gelinde gesagt keine guten Erfahrungen. Mir würde mehr Beispiele und Erzählungen von z.B. aufgetretenen Problemen helfen.
Ein grandioser Tag, hervorragende Aufarbeitung!
Ich fand den Gedanken „praktische Hilfen“ auch gut, möchte jetzt aber Maik Recht geben.
LdL setzt einen Lehrer voraus, der auch ein sehr guter Lehrerausbilder ist. Das ist seine Aufgabe. Das Material kann dasselbe wie für normalen Unterricht sein. Das Neue ist: Was will ich in der Gruppe erreichen?
Aber: Martins LdL wirkt auch wegen seiner anspruchsvollen Aufgaben. Beispiele dafür, was mit welchem Material in LdL möglich ist, können gewiss nicht schaden.
@jeanpol Es wirkt immer seltsam, wenn eine Methode propagiert, aber nicht befolgt wird. Lehrer, die heute unter extremem Stoffdruck stehen, werden nicht in Flow geraten, wenn sie im Hinterkopf immer die Frage haben: Wie passt das zu meinen Lehrsituationen? (Das hat Herr Larbig m.E. gut herausgearbeitet.)