Das Schreiben und das Gehirn
Vorbemerkung
Dies ist ein Blog-Beitrag, vielleicht ein Essay, aber sicher keine wissenschaftliche Hausarbeit: Dieser Beitrag enthält meines Erachtens inhaltlich nichts Neues. Ausgangspunkt war die Intuition, dass das Gehirn beim Schreiben eine solch beeindruckende, komplexe Leistung vollbringt, die ich mir auf Basis dessen, was ich weiß, versuchen will, etwas systematisiert in mein Bewusstsein zu rufen. Da ich hier weitgehend von meinen Kenntnissen ausgehend schreibe, halte ich es für wahrscheinlich, dass womöglich manches nicht richtig wiedergegeben wird. Sollte das der Fall sein, bitte nicht schimpfen, sondern über die Kommentarfunktion des Blogs den Beitrag bereichern und den Inhalt besser machen. Darüber würde ich mich freuen.
Das Schreiben und das Gehirn
Kinder lernen spätestens in der Grundschule, Buchstabe um Buchstabe zu schreiben, diese Buchstaben zu Wörtern zu kombinieren, diese Wörter zu Sätzen; und aus den Sätzen können dann später Sinnzusammenhänge hergestellt werden.
Bevor wir das Schreiben lernen, haben wir einen ähnlichen Lernprozess schon einmal vollzogen, als wir Laute lernten, die kombiniert zu Wörtern werden, zu Sätzen, zur Fähigkeit des Sprechens. Das Sprechen lernen wir in der direkten Interaktion mit Menschen, die schon sprechen können.
Möglich machen das 100 Milliarden Nervenzellen, von denen jede einzelne wiederum tausende Kontaktpunkte mit anderen Nervenzellen herstellen kann (Synapsen). Die dadurch ermöglichten Fähigkeiten sind staunenswert, wobei die Struktur des Gehirns, die Kombination von Nervenzellen, die mit Kontaktpunkten untereinander verbunden sind, ein Leben lang flexibel bleiben. Das heißt: In jedem Lebensalter kann man lernen, auch wenn in kaum einem Lebensalter so schnell und so viel gelernt wird, wie in der Kindheit.
Hier soll es um das Schreiben gehen. Dabei will ich versuchen, mich dieser staunenswerten Fähigkeit des Menschen Schritt für Schritt anzunähern.
Zunächst lernen Menschen zu sprechen, wobei alleine die Fähigkeit, das Sprechen zu lernen, im Menschen angelegt ist, wie sich diese dann ausformt, welche Sprache gelernt wird, hängt davon ab, mit welcher Sprache ein Kind bei seinen Bezugspersonen in Kontakt kommt. Dabei ist es auch möglich, mehr als eine Sprache zu lernen. In unserem Gehirn entstehen also aus Nervenzellen und deren Kontaktpunkten alle Fähigkeiten, die wir zum Sprechen einer (oder mehrerer) als Kind gelernter Sprachen benötigen. Und egal für wie »schwer« eine Sprache als zu erlernende Fremdsprache im späteren Leben angesehen wird: Menschen, die mit dieser Sprache aufwachsen, lernen diese ohne Schwierigkeiten – in der Regel von ihren Eltern.
Sobald wir mit Sprache vertraut sind, entdecken wir die Phantasie. Wir erzählen Geschichten, lassen uns von diesen mitreißen; Kinder wollen oft vertraute Geschichten wiedererzählt bekommen. Sprache macht uns gegebenenfalls aber auch in Verbindung mit Riten mit Religion vertraut. Sprache und das Sprechen sind also von Anfang an kreative Prozesse, die über Zeichen Wirklichkeit benennen und diese dabei zu einem guten Stück auch entstehen lassen. So gibt es im Deutschen zum Beispiel zu jedem Substantiv ein grammatikalisches Geschlecht; ein solches kennen andere Sprachen nicht. Was Muttersprachlern »natürlich« erscheint, ist für Menschen, die Deutsch lernen, eine große Herausforderung, weil das grammatische Geschlecht sich alles andere als logisch verhält: So ist »der Junge« zwar männlich, aber zu »Mädchen« gehört das neutrale Geschlecht, während »die Geldanlage« ein weibliches Geschlecht zugeordnet bekommt. »Die Sonne« ist im Deutschen grammatikalisch weiblich, »der Mond« hingegen männlich; im Italienischen ist das genau umgekehrt. Das Erlernen einer Sprache ist das Erlernen eines komplexen Bedeutungshorizontes, das Erlernen einer Sprache macht uns in dieser Sprache mit der uns umgebenden Welt vertraut; das gilt für die Sprache der Eltern, die von Kindern gelernt wird, in einem ganz besonderen Maße.
Neben dem Sprechen lernen wir Menschen das Krabbeln, das Gehen, wir ertasten die Welt, nehmen sie mit allen Sinnen wahr, und ständig ist unser Gehirn dabei, diese Erfahrungen aufzunehmen, Nervenzellen zu verknüpfen, sich höchst plastisch und dynamisch zu entwickeln. Da bei der Verarbeitung von Gelerntem und der entsprechenden Prozesse im Gehirn der Schlaf eine wichtige Rolle spielt, ist es naheliegend, dass kleine Kinder die meiste Zeit des Tages schlafen.
Kinder entdecken rasch, dass es Schrift gibt und was diese kann. In einem Haushalt mit vielen Büchern ist die Magie der Schrift womöglich präsenter als in einem Haushalt, in dem das Radio oder ein Bildschirm den Alltag als wesentliches Medium und weitgehend ausschließlich begleiten. Kinder beobachten, dass Erwachsene lesen. Ohne es bereits benennen zu können, entdecken sie den Zusammenhang von Zeichen und Bedeutung. Sie erleben beim Vorlesen, dass diese Zeichen in der Hand von Menschen, die sie zu entziffern vermögen, lebendig werden, sich zu Geschichten formen, auf die man mit Gefühlen reagiert, als ob sie tatsächlich gerade passierten.
Wer mit dieser Erfahrung aufwächst, dass es da Zeichen gibt, die ganze Geschichten in sich bergen, die man auch, ohne dass Eltern vorlesen müssen, lesen könnte, wenn man nur diese Zeichen könnte, will schreiben lernen. Manche Kinder lernen das schon vor der Schule, die meisten wohl nach wie vor in der Schule. Vorher zeichnen Kinder aber bereits, lernen den Umgang mit Stiften, erleben, wie sie abbildhaft etwas auf Papier festhalten können, drücken sich in Bildern aus. In der Zeichnung werden dann vielleicht auch die Emotionen sichtbar, die Kinder haben, oder auch, wie sie ihre Welt, ihre Familie erleben.
Während das Sprechen vom Kind in der direkten Interaktion mit Sprechenden gelernt wird, ist das Schreibenlernen wohl nicht von Anfang an im Lernprogramm des Menschen vorgesehen. Schreiben lernt der Mensch unter Anleitung; anders als beim Sprechen handelt es sich um eine Kulturtechnik, die vermittelt wird und die Aufgabe hat, sich Kultur anzueignen, diese weiterzugeben (also zu erhalten) und mitzugestalten.1 Das heißt aber auch, dass Kinder beim Erlernen grundlegender Kulturtechniken zudem erleben, dass das Erlernen einer Fähigkeit Zeit und Übung benötigt. Manche fühlen sich davon motiviert, dass sie erleben, wie geduldiges Üben zum Erlangen einer Fähigkeit führt; manche erleben den Widerstand, den es beim Lernen zu überwinden gilt, als frustrierend. Und hier kommt bei der Prägung des Gehirns während des Lernens von Kulturtechniken spätestens das Gefühl von Lust und Unlust ins Spiel, kurz: die Motivation. – Das aber sind didaktische und pädagogische Fragen, die hier gar nicht im Vordergrund stehen sollen. Ausgangspunkt dieses Textes war ja das Staunen darüber, was das Gehirn beim Schreiben für staunenswerte Leistungen vollbringt.
Bis hierher dürfte schon deutlich geworden sein, dass diese Leistungen voraussetzungsreich sind. Im Idealfall gibt es eine Kontinuität des Erlernens einer elterlich vermittelten Sprache hin zum Erlernen der mit der Sprache verbundenen Kulturtechniken. Es ist dies eine im Gehirn »angelegte« Kontinuität; diese aber ist heute nicht mehr selbstverständlich, nämlich dann, wenn die Bezugssprache in der Interaktion von Kleinkindern eine andere ist, als die Sprache, die für das Lernen in der Schule verwendet wird. Damit ist keinerlei Wertung verbunden, sondern die Beschreibung eines Phänomens, mit dem wir es heute zu tun haben. Manchen Eltern ist diese Herausforderung früh bewusst und sie sorgen dafür, dass das Kind frühzeitig in Zusammenhänge mit Bezugspersonen kommt, in denen es, die Sprache lernen kann, mit der später das Erlernen der Kulturtechniken verbunden ist. Anderen Eltern ist das Problem nicht bewusst, woraus sich entsprechende politische Fragen um Sprachtests, Sprachförderung etc. ergeben, die hier aber nicht reflektiert werden; denn hier geht es um das Gehirn und das Schreiben, wobei der Weg, den dieser Text gerade beim Schreiben nimmt, mir eine noch größere Komplexität vor Augen führt, als ich sie beim intuitiven Beginn des Textes angenommen hatte.
Nun aber sind wir endlich beim Schreiben angekommen; genauer gesagt bei den ersten Schritten, die das Schreiben und das mit diesem direkt verbundene Lesen als Kompetenz grundlegen. Zu dem Wie des Vermittelns dieser Kulturtechniken hat es in den vergangenen Jahren unterschiedliche Positionen gegeben. Das Wie soll hier aber gar nicht zur Debatte stehen. Mich interessiert vielmehr, was beim Schreibenlernen im Gehirn passiert. Dabei wäre der Eindruck, der hier vielleicht entstehen könnte, dass es dabei eine bestimmte Reihenfolge des Lernens gibt, irreführend, denn Prozesse, die gleichzeitig passieren, werden hier getrennt dargestellt.
Was der das Schreiben lernende Mensch mitbringt, ist die von ihm gesprochene Sprache.2 Ebenso weiß das Kind, dass diese Sprache in Zeichen umgesetzt werden kann, die dann gelesen werden können. Entwicklungspsychologisch passt dieser Gewinn an Eigenständigkeit, der mit dem Erlernen der Kulturtechnik des Schreibens und auch des Lesens verbunden ist, zu dem größer werdenden Anspruch des Kindes auf Selbstständigkeit, Selbstwirksamkeitserfahrung und der damit auch beginnenden größeren (intellektuellen) Unabhängigkeit. Es kann also im Prinzip davon ausgegangen werden, dass die Motivation hoch ist, Schreiben zu lernen. Zu dem Phänomen des Widerstandes, den Lernende in diesem Zusammenhang ebenfalls (intensiver als vielleicht bisher erlebt) erfahren, habe ich oben bereits etwas geschrieben. Der Umgang mit dieser Erfahrung hat sicherlich Auswirkungen auf die Prozesse, die im Gehirn stattfinden. Wird der Widerstand als Herausforderung erlebt, die zu überwinden sich Lernende zutrauen, fällt das Erlernen leichter; wird der Widerstand so erlebt, dass er als kaum überwindbare Herausforderung erlebt wird, z. B. weil die Sprache als Fremdsprache wenig vertraut ist, fällt das Lernen schwerer.
Bevor man die Schrift mit der Sprache und mit größeren Sinnzusammenhängen verbinden kann, wird nun zunächst einmal das Zeichensystem gelernt. Das ist in einer Alphabetschrift zunächst einmal überschaubar. Im Deutschen sind das sechsundzwanzig Zeichen plus Umlaute und das scharfe S (ß)), jeweils in Groß- und Kleinschreibung. Diese Zeichen müssen einzeln, aber bald auch in Wortzusammenhängen im Gehirn als Strukturen angelegt werden, die deren Nutzung auf den verschiednen Kanälen ermöglicht, nämlich sowohl beim Schreiben (mit der Hand) als auch beim Lesen.
Wer Kinder beim Üben von Buchstaben und beim Schreiben sowie beim Lesen beobachtet, sieht, wie langsam das Gehirn zunächst in der Lage ist, mit diesen Zeichen und deren Umsetzung zu arbeiten. Und ich spreche bewusst von Strukturen, die angelegt werden, wenn eine Kulturtechnik oder auch anderes gelernt wird, denn die Zeichen und die Wörter werden nicht wie auf einem digitalen Speichermedium abgelegt; das gilt umso mehr für die Kompetenz des Schreibens. Das Gehirn entwickelt, so wie ich das verstanden habe, für diese Kompetenzen vernetzte Strukturen, kurz: jede Fähigkeit, die das Gehirn lernt, verändert mindestens Teile des Gehirns bezogen auf die Vernetzung der Nervenzellen über Synapsen. Sind diese Strukturen dann aber erst eimal vorhanden, können sie gefestigt und damit immer leichter genutzt werden, was sich zeigt, wenn das Schreibtempo zunimmt, wenn Texte schneller gelesen werden können, wenn das Kopfrechnen zunehmend schneller gelingt.
Sind die Grundlagen gelegt, sind also die Buchstaben als einzelne Zeichen bekannt, hat man begonnen, einen Grundwortschatz zu bilden, der nicht nur für das Sprechen, sondern auch für das Schreiben zur Verfügung steht, kommen weitere Komplexitätssteigerungen hinzu, die mit den Herausforderungen Rechtschreibung, Grammatik, Zeichensetzung zusammenhängen. Komplexer werden auch die Texte, die mittels der Netze im Gehirn sinngebend erstellt oder sinnerfassend verstanden werden können.
Konzentriere ich mich erneut auf das Schreiben. Neben den Netzen im Gehirn, die mit dem Erlernen dieser Kompetenz verbunden sind, bildet sich beim Schreiben mit der Hand zudem ein Muskelgedächtnis, wie man es auch aus dem Sport kennt. Dieses spielt gleichermaßen beim Tippen eine Rolle, dazu aber in Kürze mehr. Das Schreiben als Handschrift führt also dazu, dass das Gehirn eine Anweisung bekommt, etwas zu schreiben, diese an die Schreibhand und die beteiligten 30 Muskeln und 17 Gelenke weitergibt, welche die Anweisung dann umsetzen. Da passiert also eine ganze Menge, wenn ich schreibe, sodass das Üben des Schreibens letztlich nicht nur im Gehirn Vernetzungen schafft, sondern auch Muskeln so trainiert, dass sie für das Schreiben fit sind. Hier werden ähnlich wie beim Lernen von Instrumenten oder beim Training im Sport Muskelbewegungen in einem Zusammenhang automatisiert, was zunächst zu langsamen Bewegungsabläufen führt, die anschließend immer schneller werden, bis zügig mitgeschrieben werden; bis man Nikolai Rimski-Korsakows »Hummelflug« spielen kann.
Um zurück zu meinem (eigentlichen) Ausgangspunkt zu kommen, den ich noch gar nicht genannt habe: Das Tippen von Text ist ähnlich komplex. Zumindest die Technik des Tastaturschreibens muss, wie der Umgang mit dem Stift, erlernt werden. Wenn ich dann aber tippe, empfinde ich es als staunenswert, welche Geschwindigkeit des Schreibens beim Tippen erreicht werden kann; handschriftlich soll Kurzschrift (Stenographie) noch deutlich schneller sein. Dazu muss man aber in der Lage sein, nicht nur ganze Sätze, sondern komplexe Argumentationsstrukturen im Kopf – oder zumindest auf einem Notizzettel – vorzustrukturieren, um diese dann in Schriftzeichen zu übertragen. Das muss man natürlich auch können, wenn man per Hand komplexe Texte verfasst.
Doch beim Tastaturschreiben merke ich das insbesondere dann, wenn ich die Augen schließe, einen Text langsam vor mich hin spreche und diesen direkt mit zehn Fingern in die Computertastatur und somit auf den Bildschirm übertrage. Auch hierbei spielt das Muskelgedächtnis eine Rolle, das wissen muss, welches Zeichen mit welchem Finger an welcher Stelle der Tatstatur getippt wird. Wechselt man eine Tastatur, dauert es in der Regel eine Weile, bis man mit der neuen vertraut ist.
Was im Hirn und im Körper alles passiert, während wir schreiben oder lesen, finde ich faszinierend. Dabei bin ich hier nur auf die von außen sichtbaren Phänomene eingegangen. Wie genau das im Gehirn funktioniert, ist spannend, aber auch komplex, sodass ich mich für diesen Beitrag auf diese Herangehensweise beschränkt habe.
Wer nun aber glaubt, dass das mit dem Erlernen des Schreibens – und des Lesens – einmal abgeschlossen ist, irrt sich. Bis man in der Lage ist, komplexe philosophische Texte zu lesen, dauert es meist Jahre; gleiches gilt für das Verfassen von Texten; Schriftsteller haben Fähigkeiten im Umgang mit Sprache erlernt und verfügbar, die über Jahre und Jahrzehnte entstehen. Wenn man sich in einer Ausbildung oder einem Studium befindet, dann kommt spezialisierte Fachsprache hinzu.
Was mir beim Nachdenken (nachdenkenden Schreiben) aber eigentlich aufgefallen ist, auch nichts Neues, ist die Zeit, die es für das Erlernen von Kulturtechniken zu investieren gilt. Ohne diese, geht es nicht, auch wenn der Zeitaufwand konkret für unterschiedliche Menschen unterschiedlich sein dürfte. Mir ist einmal mehr klar geworden, wie staunenswert die Fähigkeiten des Gehirns sind.3
Mein Nachdenken findet für mich natürlich auch vor dem Hintergrund meines Berufs als (Deutsch)Lehrer statt. In der Schule, in meinem Fall an einem Gymnasium, habe ich es mit jungen Menschen zu tun, die neben den Inhalten des Fachunterrichts deren sprachliche Übertragung in Geschriebenes lernen können (und müssen). Dieses Lernen steht heute im Kontext der Digitalität, die ebenfalls komplexe Netze im Gehirn bilden kann, die Kompetenzen mit sich bringt. So können Computerspiele zum Beispiel dazu beitragen, die Geschwindigkeit von Reflexen zu erhöhen. Mit der Digitalität ist auch die Frage verbunden, wie mit den damit verbundenen neuen Kulturtechniken umzugehen ist. Und wie beim Schreiben gehe ich davon aus, dass auch das Erlernen dieser Kulturtechniken mit einem hohen Lernaufwand für das Gehirn verbunden ist, sollen diese gekonnt und komplex genutzt werden können. Dabei ist das Programmieren etwas, das einer Fremdsprache gleich auf den Voraussetzungen aufbaut, die im Gehirn mit den Neuronenverbindungen beim Lernen des Schreibens grundgelegt worden sind. Aber, anders als bei einer zweiten oder dritten Fremdsprache, begegnen Jugendliche in den Schulen Deutschlands dieser Sprache des digitalen Zeitalters eher zufällig, oft aber gar nicht. Was das für die im digitalen Zeitalter notwendigen Wissensbestände und Kulturtechniken bedeutet, oder welche Folgen das Fehlen dieser Wissensbestände und Kulturtechniken für eine Gesellschaft mit sich bringen … – wir sind gerade dabei, dies in einem großen Feldexperiment zu erproben.
- Kulturtechniken sind neben anderen – Feuer machen, Landwirtschaft zu betreiben, Wissenschaft zu betreiben, künstlerisch tätig zu sein, Landkarten zu erstellen und zu verwenden, Kalender und Zeitstrukturen anwenden… – Lesen, Schreiben, Rechnen ↩
- Je nachdem, ob es sich um die gleiche Sprache handelt, deren Schriftsprachlichkeit vermittelt werden soll, oder nicht, beeinflusst dies die Komplexität und vermutlich auch den Erfolg des Lernprozesses. Auch wenn mein Nachdenken über das Schreiben dadurch an Komplexität verliert, soll hier der Fall angenommen werden, dass die Schulsprache beherrscht wird. Dass dies in vielen Fällen nicht der Fall ist, ist mir bewusst. Daraus ergeben sich Probleme bei der Chancengleichheit, die seit Jahren bekannt sind und letztlich politisch gelöst werden müssen. ↩
- Ist bis hier eigentlich aufgefallen, dass ich das Wort »wunderbar« auf diese Fähigkeiten bezogen vermieden habe? Ja, das war eine bewusste Entscheidung. Aber was sagt diese über den Text, mein Staunen über das Gehirn etc. aus? – Damit sind im großen Feld der Wortbedeutungen, der Semantik, denn das Schreiben ist letztlich doch, bei aller »Automatisierung« der Abläufe im Gehirn und in den Muskeln, immer auch mit Entscheidungen verbunden, die im Schreibprozess bewusst oder unbewusst diesen begleiten. Wie aber trifft das Gehirn diese Entscheidungen? Wae ist das eigentlich, was wir da als »Bewusstsein« beschreiben? ↩