Aus aktuellem Anlass: Cybermobbing und die Folgen

Schüler sprachen mich an.

Nur wenige Tage, nachdem auf einer Internetseite erste Mobbing-Attacken auf Frankfurter Schüler, nach Schulen sortiert, aufgetaucht waren, erreichte die Nachricht die Lehrer und damit die Schule(n). Mir wurde von einer  Mobbing-Website erzählte, ich erfuhr die Adresse, die ich hier nicht nennen werde. Und ich war nicht der einzige, den Schüler ansprachen.

Als ich mir dann am Abend die Website anschaute, beschlich mich ein ungutes Gefühl. Entsetzen machte sich breit. Erschüttert konnte ich zu diesem Zeitpunkt ((Als ich die Website gerade noch einmal aufrufen wollte, wurde ich zu einem Blog umgeleitet, auf dem der Umzug auf einen sichereren Server angekündigt wurde. Anders ausgedrückt: Die Website ist zur Zeit – und hoffentlich endgültig – nicht mehr erreichbar, wurde vielleicht unter dem wachsenden Druck abgeschaltet? Da es sich bei dem Blog um eines auf einem deutschen Blogportal handelt, gehe ich davon aus, dass die Staatsanwaltschaft an diesem Blogbetreiber besonders interessiert sein wird, der, lese ich den Blogeintrag zum Thema, nicht sonderlich einsichtig erscheint.)) minütlich neue Einträge verfolgen, in denen Schüler und Schülerinnen mit unsinnigen, meist sexualisierten Angriffen diffamiert, beschimpft, beleidigt wurden.

Mein erster Gedanke galt den betroffenen Schülerinnen und Schülern, die hier zu Opfern gemacht wurden. Was muss passieren, um sie zu schützen, zu unterstützen, den Schaden für die Psyche der Kinder zu verhindern oder so gering wie möglich zu halten?

Es galt nicht nur, als Schule zu reagieren, sondern als individueller Lehrer Position zu beziehen, zu zeigen, dass man ansprechbar ist, dass sich Opfer nicht verstecken müssen, dass die Taten nicht toleriert werden.

Mein zweiter Gedanke galt den Tätern und, noch viel mehr, der Unverfrorenheit der Leute, die eine Website online stellen, die geradezu den Eindruck erweckt, sie wolle Jugendliche dazu verführen, unter dem scheinbaren Deckmantel der Anonymität, genau solche Beleidigungen zu verbreiten, wie ich sie da nun las.

Was aber ist schief gelaufen, dass Schüler und Schülerinnen anonym solch ein „Angebot“ annehmen? Wieso empfinden Jugendliche so etwas als „Spaß“. Ja, auf Nachfrage, wie die Schüler und Schülerinnen auf diese Website reagiert haben, bekam ich tatsächlich zu hören, viele hätten das, zumindest anfänglich, als Spaß empfunden, bis sie bemerkten, was das mit den betroffenen Mitschülern macht.

Was ist da schief gelaufen, dass es scheinbar doch eine ganze Reihe Jugendlicher gibt, die ihr eigenes Selbstwertgefühl über die Erniedrigung anderer Jugendlicher meinen stärken zu müssen? Darauf läuft Mobbing nämlich immer hinaus: Andere werden niedergemacht, weil man für sich selbst etwas erreichen will, sei es die Stärkung des Selbstwertgefühls auf Kosten Dritter, sei es eine Position in einem Unternehmen etc.

Ja, Mobbing und auch Cybermobbing sind kein neues Phänomen, das gibt es schon seit Jahren, in der analogen Form schon seit Jahrzehnten. ((Es wäre für mich übrigens nicht überraschend, stellte sich heraus, dass der Anbieter dieser Website selbst mal Mobbingopfer gewesen wäre, da häufig Opfer zu Tätern werden, was aber die Taten nicht relativieren sollte.)) Aber diese Tatsache befreit nicht von der Verantwortung, nach Wegen zu suchen, Mobbing zu verhindern und dort, wo es doch geschieht, die Opfer zu stärken und den Tätern deutlich ihre Grenzen zu zeigen.

Interessant war für mich die Beobachtung, dass vielen Schülern gar nicht bewusst war, dass es sich bei Mobbing um eine Straftat handelt – auch denen, die solche Aktionen nie unterstützen würden, meiner Wahrnehmung nach die überwältigende Mehrheit der Jugendlichen, das nur mal als Lichtblick nebenbei.

Nun ermittelt der Frankfurter Generalstaatsanwalt gegen die in den USA gehostete Website. ((Die vielleicht doch nicht so anonym war, wie behauptet wurde, denn in dem Blogeintrag, auf den die Webadresse zur Zeit umgeleitet wird, wird davon gesprochen, dass der „Umzug“ zur Sicherheit der Nutzer erfolge…)) Dabei geht es den Ermittlern weniger um die Schüler, die sie für ihre Beleidigungen genutzt haben und wohl eher milde Strafen, wie richterliche Verwarnung oder ein paar soziale Arbeitsstunden, zu erwarten haben, vermutlich begleitet von pädagogischen Maßnahmen der Schulen und solchen Maßnahmen, die nötig sind, um die Ordnung an den Schulen wieder herzustellen.

Viel mehr im Blick der Staatsanwaltschaft ist der Anbieter dieser Website, der dieses Verhalten der Jugendlichen regelrecht herausgefordert hat.

Was aber habe ich aus den Erfahrungen der vergangenen Tage gelernt?

1. Es ist wichtig, dass Lehrende in ihrer Rolle als Lehrer und Lehrerin so auftreten, dass Schülerinnen und Schüler in ihnen vertrauenswürdige Ansprechpartner sehen können, völlig unabhängig davon, dass Lehrende bewerten müssen, Noten geben. Es muss immer klar sein, dass ein Lehrer Pädagoge ist und in seinem Erziehungsauftrag für Kinder und Jugendliche offene, die Notengebung nicht beeinflussende Ohren hat. Hier wird deutlich, was es heißt, dass die Kinder und Jugendliche Schutzbefohlene sind. Als Lehrer und als Institution Schule sind wir, gemeinsam mit den Eltern, Anwälte der Kinder und Jugendlichen. Wir haben dazu beizutragen, dass Schule für die Kinder und Jugendliche ein sicherer Ort ist.

2. Wenn Mobbingattacken wie die über jene Website bekannt werden, gilt es, eindeutig, besonnen und schnell zu reagieren, sowohl als Schule als auch als einzelner Lehrer in den einem anvertrauten Lerngruppen. Man muss Position beziehen, die Auswirkungen des Mobbings auf die Opfer verdeutlichen, die Opfer in Schutz nehmen (ohne diese gut gemeint, aber falsch gemacht wiederum bloß zu stellen!), die Folgen für die Täter klarstellen, gegebenenfalls die Opfer ermutigen, Strafanzeige zu erstatten, damit alle rechtsstaatlichen Mittel genutzt werden können, die Täter zu ermitteln, um diesen konkret zu verdeutlichen, dass ihr Verhalten nicht toleriert wird.

3. Die Stellungnahme und persönliche Positionierung erfolgt mit einem dreifachen Ziel: Opfer sollen geschützt und gestärkt werden, Täter sollen von weiteren Taten abgehalten werden und der Lehrende macht sich ansprechbar – für Opfer und auch für (reumütige oder anfangs die Tragweite ihres Tuns nicht ahnende) Täter.

Fast schon selbstverständlich wurde in dieser Situation die Frage an mich heran getragen, ob man solche Websites nicht sperren könne. Meine Antwort darauf fiel zwiespältig und doch eindeutig aus: Leider und glücklicherweise nicht. Leider, weil ich mir natürlich ein möglichst schnelles Verschwinden solcher Seiten aus dem Netz wünsche. ((Vielleicht hat die Einschaltung der Staatsanwaltschaft einen Beitrag dazu geleistet, dass die Website jetzt nicht mehr erreichbar ist. Das würde einmal mehr zeigen, dass die Ausnutzung rechtsstaatlicher Mittel bereits heute, ohne Netzsperren, zu dem gewünschten Erfolg führen kann.)) Glücklicherweise, weil ich die Debatte um Netzsperren intensiv beobachte(t habe) und die potentiellen Folgen, abgesehen von der leichten Überwindbarkeit von solchen Sperren, für die Grundrechte sehr schwerwiegend sein können.

Das Grundproblem liegt bei der Frage: Warum tun Menschen anderen Menschen so etwas an? Wie kann man verhindern, dass Menschen anderen so etwas antun wollen? Und vor allem: Wie kann man, gemeinsam mit Eltern und Freunden der Opfer, die Mobbingopfer so begleiten, dass sie von diesen Angriffen auf ihre Person keine psychischen (Langzeit-)Schäden davon tragen.

Neben diesen an Individuen orientierten Zielen, gilt es aber auch, das Vertrauen in die Schule als Ort des sozialen Miteinanders zu thematisieren und wieder herzustellen. Anonyme Mobbingattacken bringen es nämlich auch mit sich, dass das Vertrauen in die Mitschüler und Mitschülerinnen nachhaltig belastet wird, schwebt doch die Frage im Raum, ob diese Person, mit der Schüler und Schülerinnen zu tun haben, vielleicht eine von denen ist, die sich an den Mobbingaktionen beteiligt haben. Auch um dieses Ziel zu erreichen, hoffe ich auf Ermittlungserfolge der Staatsanwaltschaft – oder auf einsichtige Täter, die zu dem Schluss kommen, dass das, was sie da tun oder getan haben, so doch gar nicht ihr Ziel war – und trotz allem das Gespräch mit einer Person ihres Vertrauens suchen, um die Folgen ihres eigenen Tuns zu verantworten und zu minimieren.

Auf jeden Fall aber ist es wichtig, an dem Thema Mobbing dran zu bleiben, auch wenn ich den Eindruck habe, dass seit der Verdeutlichung auch strafrechtlicher Konsequenzen, die Zahl der Äußerungen nachgelassen hat. ((Und jetzt auf dieser Plattform auch nicht mehr möglich ist; hoffentlich dauerhaft.))

Dennoch: Selbst, wenn der Hoster der Website diese abstellen würde ((abgestellt hat?)): Die Opfer leiden unter dem, was da passiert (ist). Und zur Stärkung der Opfer gehört auch, dass sie nicht das Gefühl bekommen, dass das Thema vorbei ist, wenn die Einträge aufhören und sie dann in Vergessenheit geraten, weil alle froh sind, dass dieses Gespenst verschwunden ist. Für die Opfer ist es damit nämlich noch lange nicht vorbei.