Vom Üben in der Schule (in Anlehnung an Gunter Dueck || @wilddueck)
Ich lese gerade Gunter Duecks „Das Neue und seine Feinde: Wie Ideen verhindert werden und wie sie sich trotzdem durchsetzen“ und bin gerade in eine Gewohnheitsfalle getreten: Ich suchte in meinen digitalen Notizen nach dem Wort „wiederholen“, weil ich fester Überzeugung war, dass das von mir gesuchte Zitat dieses Wort enthält. Wie irritiert ich war, als mir null Suchergebnisse angezeigt wurden, kann man sich vielleicht vorstellen. Was war da los?
Ich suchte also manuell nach dem Zitat und siehe da: Das Verb „wiederholen“ taucht in den von mir angestrichenen Stellen und in den von mir dazu angefertigten Notizen gar nicht auf. Stattdessen lautet das Zitat, das ich gesucht habe:
„Das eigentliche Problem wird allerdings nie angefasst: das Üben und die Resistenz dagegen.“ ((Dueck, Gunter, Das Neue und seine Feinde (German Edition) [Kindle Edition]. loc. 2352-2353.))
Da steht nicht „wiederholen“. Da steht „üben“.
Wenn ich Gunter Dueck richtig verstanden habe, ist das kein Zufall, denn in einigen von mir notierten Zitaten aus dem Buch taucht das Wort „üben“ auf, nicht aber das Wort „wiederholen“. Und als ich dann in der Kindle-App auf meinem Rechner das ganze Buch noch einmal nach den genannten Wörtern durchsuchte, fand ich das Verb „wiederholen“ im ganzen Buch genau ein Mal, das Verb „üben“ hingegen vierundzwanzig Mal. ((Wenn mich jemand fragt, welchen Vorteil das Lesen von E-Books hat, dann antworte ich unter anderem das: Man kann Bücher schnell durchsuchen und Wortstatistiken erstellen. Das ist ein echter Mehrwert des digitalen Buchs gegenüber dem gedruckten Buch.))
Zwei Beispiele, die zu dem Gedankengang passen, den ich hier gleich weiter verfolgen will:
„…und dann gibt es auch für das Meisterwerden die 10 000-Stunden-Regel, die unter anderem von Malcolm Gladwell propagiert wird: Man muss 10 000 Stunden (zum Beispiel 10 Jahre lang 3 Stunden pro Tag) üben, um wirklich Weltniveau zu erreichen, sei es im Tennis, Opernsingen, Management, Kochen, Zahlentheorie, Computerbau oder in Innovation. Irre hohes Naturtalent kann das etwas abkürzen, ja! Und gute Lehrer auch, aber das Üben bleibt dann trotz des Talents irgendwie doch!“ ((Dueck, Gunter, Das Neue und seine Feinde (German Edition) [Kindle Edition]. loc. 2298-2302. Hervorhebungen TL.))
„Im Ganzen gesehen ist in unserer heutigen Welt vom Üben kaum die Rede – wer würde auch nur 1000 Stunden üben wollen?“ ((Ebd., loc. 2304-2305.))
Und noch einmal, damit es wirklich wahrgenommen wird:
„Das eigentliche Problem wird allerdings nie angefasst: das Üben und die Resistenz dagegen.“ ((Ebd., loc. 2352-2353.))
Gunter Dueck schreibt dies in einem Buch, in dem es um Innovationen in der Wirtschaft geht. Im Zentrum der Überlegung steht der Entrepreneur. Das hindert mich aber nicht daran, das Buch mit den Augen eines Lehrers zu lesen. Überhaupt lese ich Bücher wie dieses von Dueck mittlerweile lieber als Bücher von deutschen Erziehungswissenschaftlern / Pädagogen, weil ich bei Dueck Antworten auf meine Fragen finde und von einigen (in vielen Studienseminaren gelesenen) Pädagogen – um es sehr überspitzt auszudrücken – erst einmal mitgeteilt bekomme, welche Fragen ich eigentlich haben sollte.
Auf Duecks Beharren auf der Notwendigkeit des Übens hat mich meine spontane Zustimmung aufmerksam werden lassen. Und zum Denken brachte mich, dass ich erst einmal felsenfest davon überzeugt war, dass da von der Notwendigkeit des Wiederholens die Rede gewesen sei.
Steht das Wiederholen im Vordergrund oder das Üben? Als reflektierender Praktiker stellte ich mir angesichts dieses Fehlers natürlich sofort diese Frage. Oder habe ich die Wörter einfach synonym verstanden, meinte mit Wiederholen aber eigentlich das Üben?
Meist bedeutet „wiederholen“ in der Schule oder an der Uni, dass ein Stoff vom Lehrer oder von Schülern in einem Referat für die Lerngruppe wiederholt wird. Da werden dann also z. B. die Erläuterungen für so wundersame sprachliche Stilmittel wie die Anadiplose der Brachylogie oder auch der Onomatopoesie als mündliche Erläuterung, vielleicht durch Folien unterstützt, erneut und zum wiederholten Mal den Schülern und Schülerinnen vorgetragen.
Aber wenn ich etwas weiß und x Mal erläutert bekomme, bedeutet das noch nicht, dass ich das Erläuterte – z. B. ein sprachliches Stilmittel – auch erkennen, benennen und benutzen kann. Um hier voran zu kommen bedarf es der Übung.
Das Sprichwort sagt dann ja auch „Übung macht den Meister“. Das Sprichwort lautet nicht „Wiederholung“ macht den Meister.
Will ich also Schülerinnen und Schüler dahin bringen, dass sie etwas wissen und können, dann sorge ich klugerweise dafür, dass es Übungsmöglichkeiten gibt, in deren Rahmen die Lernenden wirklich Üben.
Als Deutschlehrer erinnerte mich Dueck an einige Binsenweisheiten, die oft in die Binsen gehen.
Natürlich wissen Lehrer, dass Schüler üben müssen. Viele Lehrer geben das Wiederholen dann auch als Hausaufgabe. Ja, oft heißt es tatsächlich: „Und das wiederholt jetzt bitte noch einmal bis zur nächsten Stunde.“ Es wird in vielen Fällen Übungsmaterial verfügbar gemacht, sogar vorausgesetzt, dass Schülerinnen und Schüler eigenständig üben. Von daher denken Lehrende bei dem Wort „wiederholen“ meist bestimmt auch an das „Üben“, nur gibt es in dem angeführten Zitat von Gunter Dueck einen oft vernachlässigten zweiten Teil:
„Das eigentliche Problem wird allerdings nie angefasst: das Üben und die Resistenz dagegen.“ ((Ebd., loc. 2352-2353.))
Ja, in Schulen gibt es oft viel Übungsmaterial. Ja, Eltern ergänzen dieses Material durch Workbooks, selbst angeschaffte Übungsbücher, es werden von Lehrern Übungsblätter erstellt. Schülerinnen und Schüler gehen aber nicht unbedingt so mit den Materialien um, wie Lehrende sich das vorstellen. Werden Übungsblätter als Hausaufgabe aufgegeben, ist später dann oft unklar, wer wirklich nachdenkend geübt und wer die Ergebnisse nur abgeschrieben hat. Wird im Unterricht geübt, ist das mit der Kontrolle zwar leichter, aber so wirklich intrinsisch ist die Motivation dann auch nicht. Wird das Üben von Lehrenden regelmäßig überprüft, klagen sich Schüler und Schülerinnen möglicherweise über „zu hohe Anforderungen“.
Das Problem ist oft nicht die Ermöglichung des Übens. Das Problem ist „die Resistenz dagegen“. Und da haben wir nun den Salat. Es macht Schülerinnen und Schülern ebenso wie vielen Erwachsenen einfach keinen Spaß zu üben. Wenn jemand etwas macht, weil er oder sie es machen will, dann kann man vielleicht die 10000 Stunden Üben erreichen, die notwendig sind, um etwas bis zur Meisterschaft zu beherrschen. Aber solch eine Motivation hat man erstens nie in allen Unterrichtsfächern und zweitens kommt man häufig ja sowieso durch, auch wenn man nicht (so viel) übt.
Wie aber geht man an die Resistenzen gegen das Üben ran?
Der zaghafte Versuch einer Antwort lautet: Lasst Schüler Gelerntes praktisch anwenden. Aber das geht nicht in jedem Fall, zumindest wenn man noch nicht ganz davon weggekommen ist anzunehmen, dass Faktenwissen durchaus einen Wert hat. Geschichtliche Verläufe sind schwerer vom Wiederholen weg in Übungszusammenhänge zu bringen als z. B. sprachliche Stilmittel.
Eine Aufgabe mit nachhaltigem Lernerfolg: Schülerinnen und Schüler bekommen in einer Stunde mehrere sprachliche Stilmittel – unter anderem die Alliteration – vorstellt. Ihr Aufgabe ist es dann z. B. einen Text zu schreiben, in dem als Stilmittel von Wort zu Wort Alliterationen benutzt werden. Ziel: Der Text soll so lang wie möglich sein. Die Folgestunde ist in der Regel reichlich lustig. An diesen Sketch von Heinz Erhardt kommen die Texte zwar noch nicht ran, aber was eine Alliteration ist, wissen die Schüler anschließend nachhaltiger als zuvor – und das Beste ist: Sie können das Stilmittel sogar anwenden.
Aber was gibt es weiter an Wegen, um Resistenzen gegen das Üben aufzugreifen, abzumildern, zu vermeiden?
Was können wir in der Schule tun, damit Duecks Diktum (Alliteration), dass das eigentliche Problem nie angefasst werde, nämlich das Üben und die Resistenz dagegen, etwas weniger gilt?
Vorschläge sind gerne gesehen, sei es als Kommentar, in einem eigenen Blogartikel (bitte mit Pingback), als Videoantwort oder wie auch immer.
Üben bedeutet ja, dass ich als Lernende den Zustand des Beherrschens noch nicht erreicht habe. Daraus ergibt sich für mich ein Spannungsfeld. Einerseits brauche ich die Aussicht auf das zu Beherrschende, ein Ziel also, um mich selbst in Bewegung zu setzen. Andererseits wird mir durch den Vegleich mit dem zu Beherrschenden ständig bewusst, wie weit der Weg zum Ziel noch ist, was nicht unbedingt motivierend wirkt. Hilfreich finde ich Bestätigung während des Übens, d.h. den (Über-)Blick der LehrerIn, die meine (kleinen) Fortschritte feststellt, während ich mein Können noch kritisch mit dem Ziel abgleiche. Das lässt Widerstand augenblicklich schwinden. Grundbedingung ist allerdings, dass ich dem Ziel generell Sinn abgewinnen kann.
pingback: „Herr Larbig schreibt in seinem Blog über die Schwierigkeit des Übens in der Schule und beendet seinen Blogpost mit folgenden Sätzen:…“
http://moewenleak.wordpress.com/2013/10/20/ueben-und-wiederholen/
Sehr schön.
Bei der Frage, wie wir das mit der Resistenz gegens Üben angehen – die ich übrigens selbst auch bei einigen Bereichen verspüre – kommt man wohl unweigerlich auf das Zitat von Antoine de Saint-Exupéry von wegen Schiffsbau und Sehnsucht nach dem Meer.
Diese potentielle Sehnsucht hängt aber wahrscheinlich von verschiedenen Faktoren ab: Der Persönlichkeit des Schülers mit dessen Neigungen, Interessen und momentaner Lebenssituation, aber freilich auch von der Fähigkeit des Lehrers, den Stoff in Kontext zu setzen, die Relevanz des Stoffes emotional zu transportieren und begreifbar zu machen. Es übt sich leichter, wenn ich weiß, wozu das im großen Ganzen hilft. Deswegen sehen wir mit MATLAB & Simulink an Unis gute Erfolge im projekt/problembasierten Lernen für Studenten. Da wird ziemlich schnell klar, wozu man die ganze graue Theorie und höhere Mathematik üben muss: Nur damit lässt sich das Maschinchen oder Board oder ähnliches eben zu der sinnvollen oder zumindest unterhaltsamen Aktion bringen. Mittlerweile geht das auch schon vor der Uni los.