»Bring your own device« ist in Schulen solange selbstverständlich, wie das »own device« der Bleistift ist…
Vorbemerkung: In diesem Text wird von Schulen ausgegangen, wie sie in Deutschland weit verbreitet sind. Dabei wird hier nicht berücksichtigt, dass es durchaus Schulen gibt, die als Brennpunktschulen bezeichnet werden, an denen die Ausgangslagen und Probleme ganz andere sind, als in diesem Text beschrieben. Das hier beschriebene Szenario ist auf solche Schulen möglicherweise nicht unmittelbar anwendbar. Da ich selbst keine Erfahrung mit der Arbeit an sozialen Brennpunktschulen habe, möge man mir die Grenzen, an die eine Reflexion, wie die hier vorgenommene stößt, verzeihen.
Es gibt keine Diskussionen mehr, ob man in der Schule auf Schiefertafeln oder in Hefte schreibt. Und dass das Erlernen so mancher Fertigkeiten nicht ohne Eigenbeteiligung der Eltern geht, ist an sich in vielen Bereichen unumstritten: Schultaschen, Hefte, Stifte, Zeichenblöcke, Sportkleidung, Turnschuhe werden nicht von den Schulen gestellt. Die Lernmittelfreiheit hat überall, wo es sie gibt, ihre Grenzen. An vielen Schulen gilt das auch für Literatur, die im Sprachenunterricht gelesen wird.
Das Lernen und Lehren ist immer abhängig von Materialien und Werkzeugen, die im Lern- und Lehrprozess eingesetzt werden, völlig unabhängig davon, ob es sich um instruktiven Unterricht oder um Phasen mehr oder weniger selbständigen Arbeitens handelt.
Will man das Schreiben lehren, braucht man Schreibwerkzeug; Lesen lernen geht nicht ohne Texte; jede Sportart und jedes Instrument fordert ab einem bestimmten Leistungsniveau Werkzeuge, die über jene von Anfängern hinaus gehen, die eine andere Qualität haben und entsprechend auch teurer sein können.
Viele Schulen können Schülerinnen und Schüler mit Leihinstrumenten unterstützen, für bestimmte Sportarten werden die Sportgeräte zur Verfügung gestellt. Doch gerade im musischen Sektor verfügen viele Kinder über eigene Instrumente – und wenn es nicht gerade ein Achter-Ruderboot ist, haben viele Schüler auch ihre Sportgeräte bzw. für die Ausübung des Sports notwendige Kleidungsstücke in ihrem Privatbesitz.
Solche Vorgehensweisen und Selbstverständlichkeiten der Unterstützung an Schulen haben sich vielerorts eingespielt; dass es Unterschiede bei den elterlichen Möglichkeiten der Unterstützung eines Kindes gibt, wird (häufig) berücksichtigt. Jeder Schüler weiß, dass die Sportschuhe seines Mitschülers teurer oder billiger als die eigenen sind; Musiker wissen durchaus um die Qualität und den Preis der Instrumente ihrer Mitmusiker und dass ein Kolbenfüller unabhängig von den Kosten etwas anderes ausstrahlt als ein Einwegwerbekugelschreiber ist auch klar.
Es ist also weit verbreitet, dass nicht alle Werkzeuge, die in der Schule benötigt werden, von den Schulen gestellt werden; es ist auch üblich, dass Schüler keine Einheitsprodukte in der Schule verwenden müssen, um soziale Unterschiede zu verdecken. Ebenso verbreitet sind in einigen Bereichen Unterstützungsmaßnahmen, um die Teilhabe von Kindern weniger finanzstarker Eltern zu zu ermöglichen.
Wenn es aber um das Erlernen von Fertigkeiten geht, die für das digital unterstützte Lernen und Arbeiten notwendig sind, sieht das alles ganz schnell ganz anders aus. – Wenn ich überlege, in meinem Unterricht mit unter den Schülern weit verbreiteten Smartphones zu arbeiten, höre ich immer wieder, dass man das nicht machen könne, weil es diejenigen Schüler diskriminiere, die kein Smartphone oder Tablet besitzen. – Muss ich noch viel schreiben, um die (oft ausgeblendeten) Analogien ((Analogien sind Ähnlichkeiten, keine Gleichheiten)) zu Musikinstrumenten und Sportgeräten bzw. -kleidungsstücken erkennbar zu machen?
Wenn ich Kindern den sinnvollen, für ihr Lernen hilfreichen Umgang mit digitalen Werkzeugen beibringen soll, unter anderem, weil der Umgang mit digitalen Werkzeugen im Arbeitsleben längst selbstverständlich ist, dann muss ich diese Werkzeuge mit den Kindern nutzen können. Das heißt, ich will auf schülereigene Geräte ebenso setzen können, wie ich Leihgeräte für Schüler brauche, bei denen eigene Geräte jenseits des finanziell Machbaren sind.
Was aber, wenn Eltern nicht wollen, dass ihr Kind digital unterwegs ist oder ein Schüler sich bewusst gegen ein Smartphone entscheidet?
Zum ersten kann ich nur sagen, dass es möglicherweise auch Eltern gibt, die Bücher für überflüssig halten, was die Schule nicht davon abhält, den Umgang mit ihnen zu lehren und den Umgang mit Büchern auch einzufordern. Und zu letzterem: Es kommt nicht auf Gerätekategorien an! Das bei Lösungen mit schülereigenen Geräten fast immer von Smartphones ausgegangen wird, liegt alleine daran, dass diese am verbreitetsten verfügbar sind. Tablets und v. a. Laptops sind natürlich an vielen Stellen komfortabler, aber eben in der Schule heute noch nicht selbstverständlich in den Schultaschen als Werkzeuge des Lernens vorhanden.
Es kommt nicht auf die Gerätekategorie und schon gar nicht auf das Betriebssystem an, weil es natürlich auch nicht auf bestimmte Apps ankommen kann. Ob Texte nun mit Word, LibreOffice, Pages oder unter Nutzung von LaTeX etc. erstellt werden, ist egal. Es muss nur die Möglichkeit geben, Formate zu nutzen, die austauschbar sind, wenn es nötig ist.
Der Staat muss für die Infrastruktur sorgen, so wie er heute für die Strom- und Wasserversorgung zu sorgen hat, was ja durchaus auch seinen Preis hat. Vor allem heißt das, dass WLan in jede Schule gehört und dieses – mit personalisierten Zugangsdaten? – von den Schülern genutzt werden kann. Darüber hinaus muss es Lösungen geben, die sicherstellen, dass jeder Schüler und jede Schülerin diese Infrastruktur dann auch (zum Lernen) nutzen kann, indem z. B. Leihgeräte zur Verfügung gestellt werden könne.
Die Lizenzen für Lehrmaterialien sind in Ländern, in denen es heute Schulbücher kostenfrei gibt, von den Ländern zu finanzieren und in den Ländern, in denen Eltern Schulbücher schon heute kaufen müssen, von den Eltern. In diesem Bereich würde sich wenig ändern, mal abgesehen von den Möglichkeiten, die sich eventuell durch OER noch ergeben werden.
Dass wir in Deutschland nicht so weit sind, mag an lange eingeübten Mentalitätsfragen liegen. Denn wenn man einmal zurückschaut: Auch der Übergang von der Schiefertafel zum Schulheft lief in Deutschland alles andere als zügig, wie in diesem Bericht recht anschaulich gezeigt wird.
Und an den Hochschulen setzt sich das Problem dann übrigens fort: Es gibt Professoren, die das Mitschreiben in Vorlesungen über Tablet, Laptop etc. zu untersagen versuchen. – Wenn solche dann Lehramtsstudierende begleiten, ist ungefähr absehbar, wie lange die selbstverständliche Integration digitaler Werkzeuge in den Lehr-Lern-Prozess noch auf sich warten lassen wird..
Mit Profs habe ich weniger zu tun, aber einige Erfahrungen mit wissenschaftlichen MitarbeiterInnen habe ich gesammelt. Und da kann ich berichten, dass die gefühlte Mehrheit die sowieso mitgebrachten Geräte zwar (noch) nicht gleich in die Lehre integriert, aber trotz Befürchtung der Ablenkung immerhin auch nicht verbietet.
Hallo Herr Larbig,
hier die Langfassung des Tweets:
Anm. zur soz. Gerechtigkeit: Vielleicht trifft nicht Einsatz von #BYOD besonders die nicht Besitzenden @herrlarbig
Vorab aber vielen Dank für diesen hilfreichen Artikel mit klaren Worten.
Oft wird als Argument gegen BYOD vorgebracht, dass sei soz. nicht gerecht denen gegenüber, die kein (oder kein gutes) Smartphone besitzen. Meine These: Wenn Schulen weniger schulische und keine private ICT im Klassenzimmer nutzen, weil nicht alle einen bestimmten Standard erfüllen, dann schadet das eher denen, die nichts besitzen, als denen, die gute Geräte haben. Denn in der Klasse soll ja nicht jeder vor seinem eigenen Gerät sitzen, sondern idealerweise wird gemeinsam gearbeitet und die Produkte werden verfügbar gemacht. BYOD weniger eröffnet also vielen Zugang. Zudem erhöht BYOD die „Reichweite“ der schulischen Ausstattung. Wenn manche ihr eigenes Gerät nutzen, können die anderen mehr von schulischen Geräten profitieren – wenn sie ausgeliegen werden können.
Oder anders: Nur wenn Schulen eigene und private ICT umfänglich und mit Bedacht nutzen, haben auch weniger gut ausgestattete Schüler die Gelegenheit mit dieser zu lernen. Die gut ausgestatteten Schüler können das (manchmal mit Hilfe der Eltern) auch so.
Und noch eine Anmerkung: Ich habe die Erfahrung gemacht: Gerade Eltern mit weniger Geld sind bereit in ICT zum Lernen zu investieren, weil sie darin Chancen für ihre Kinder sehen… Trifft natürlich nicht auf alle Fälle zu.
Jetzt nachvollziehbarer?
Sind jetzt aber auch 1564 Zeichen also 12 Tweets. 🙂
Richard
Habe den Blogbeitrag mit großer Begeisterung gelesen, da ich als ETIT-Fachlehrer an einer Berufsschule und gleichzeitig als M. Ed. Student ebenfalls vor dem Problem BYOD in Schulen stehe. Deshalb einige Amerkungen zu diesem Thema:
Ich sehe neben der angesprochenen (aber in der Praxis eher unbegründeten) Gefahr der Diskriminierung von SuS durch den Einsatz unterschiedlicher eigener Hardware die wesentlich größere Gefahr der Überforderung der Lehrkräfte. Durch die Vielzahl an unterschiedlicher Software auf den Geräten der SuS (Betriebssysteme/Programme/Apps) ist es für eine Lehrkraft in einer Klasse mit bis zu 30 SuS kaum möglich im Unterricht auf die unterschiedlichen auftretenden heterogenen Probleme einzugehen. Obwohl ich mich selbst als recht IT- und medienaffin bezeichnen würde, komme ich auch oft in’s Schwitzen bei der Bewältigung aller Probleme, welche neben dem eigentlichen Unterricht auftreten können. Glücklicherweise gibt es inzwischen aber zahlreiche kompetente (und willige) SuS die ihre Mitschüler bei Problemen unterstützen und die Lehrkräfte somit etwas entlasten.
Im naturwissenschaftlichen Bereich kommt mit BYOD noch ein weiteres Problem auf: zwar werben die Hersteller von Office-Anwendungen das hohe Maß der Kompatibilität ihrer Produkte, bei der Interpretation von Zahlen in Tabellenkalkulationsprogrammen haben meine SuS und ich aber oft schon unser blaues Wunder erlebt. So wurden Fließkommazahlen auf einem anderen PC mit einer anderen Tabellenkalkulation plötzlich als Datum dargestellt oder es wurde wild auf- bzw. abgerundet. Dieses Phänomen sollten Lehrkräfte unbedingt bei der Planung und Durchführung von Gruppenarbeiten im naturwissenschaftlichen Bereich unbedingt berücksichtigen.
Zum Schluss würde ich gerne noch auf den angesprochenen Punkt „Bereitstellung von Equipment durch die Schulen“ eingehen. An meiner Berufsschule besitzen wir neben zahlreichen IT-Fachräumen auch mehrere sog. Laptopwagen, welche in „nicht IT-Räumen“ bei Bedarf eingesetzt werden können. Diese sind zwar (theoretisch) identisch ausgestattet und installiert, funktionieren aber oftmals nicht (mehr). Woran liegt das? Und wer wartet diese Geräte? An allen mir bekannten Berufsschulen werden diese Aufgaben von einigen wenigen IT-Lehrkräften, vor oder nach ihrem Unterricht bewältigt… natürlich ohne eine angemessene Unterrichtsentlastung. Trotzdem scheint dieses Konzept ja irgendwie zu funktionieren. Achtung, Sarkasmus: Warum ist man denn noch nicht auf die Idee gekommen auch andere Bereiche der „Schulpflege“ durch Lehrkräfte erledigen zu lassen? So könnte man doch die Gebäudefassade von Malern- und Lackieren, die Heizung von Anlagenmechanikern und die Fliesen im Bad durch Kolleginnen und Kollegen aus der Bauabteilung erneuern lassen!?!
Hallo Herr Labig,
ich finde ebenfalls ihre Gedanken zu diesem Thema äußerst interessant. Ich kann leider wegen meines Alters, eine Diskussion um Schulhefte und Schiefertafeln, nicht nachvollziehen. Ich finde aber den Satz der Dame aus dem Beitrage sehr interessant.
…. dafür gebe ich gerne etwas mehr aus…!
Ich glaube, dass viele Eltern so denken und durchaus Bereit sind in die Schulbildung ihrer Kinder zu investieren. Heute ist das, meiner Meinung nach, noch stärker ausgeprägt als vor 50 Jahren.
Ich sehe definitiv auch das größte Problem bei BYOD in der Kompatibilität der einzelnen Plattformen zueinander. So ist beispielsweise Apple bekanntlich ein sehr geschlossenes System.
Ich bin definitiv gespannt, wie sich das Thema entwickeln wird. Eventuell wird in 50 Jahren wirklich lächelnd auf diese Frage geblickt und über etwas ganz neues diskutiert. 😉
Beste Grüße