Danke Marcel Reich-Ranicki

»Retten, was noch zu retten ist« scheint die Devise nach Marcel Reich-Ranickis Auftritt im Rahmen des Deutschen Fernsehpreises zu sein. Und ein schlagfertiger Moderator riecht, wo es Einschaltquoten gibt und vereinnahmt MRR schnell für die Zwecke des Fernsehens: Ja, lass uns doch eine Stunde über das reden, über das man im Fernsehen nicht mehr spricht…

Und sogar die betroffenen Sender nehmen das Ereignis in ihre Nachrichtensendungen auf, verbreiten sie den ganzen Tag der Ausstrahlung über – die Einschaltquote wird es doch bestimmt danken! – Doch selbstkritische Worte der Fernsehschaffenden habe ich bislang noch nirgends gefunden, keine Hintergrundberichte, die aufklären, was Reich-Ranicki meint, wenn er die Qualität (vor allem der Veranstaltung zur Preisverleihung selbst) kritisiert.

Doch die Untertöne sind klar, teilweise sogar mehr als Untertöne: Alter Mann, 88 Jahre alt, sind wir mal ein wenig nachsichtig. Und außerdem weiß er sich nicht zu benehmen. Aber es wird auch kräftig auf den fahrenden Zug aufgesprungen: Man kann die Kritik eines Menschen, der gerade noch für sein Lebenswerk geehrt werden sollte, doch nicht einfach ignorieren… Also schreibt Elke-Heidenreich schnell einen sehr persönlichen Artikel, der auf der FAZ-Website erscheint.

Traurig, dass weitgehend vor allem MRRs Zurückweisung des Preises thematisiert wird, nicht aber der Anlass, der zu dieser Kritik führte. Das kommt vielleicht noch – hoffentlich, denn die Kritik der Dümmlichkeit weiter Teile des deutschen Fernsehens (zumindest zu Sendezeiten, die ein normal arbeitender Mensch nutzen kann) scheint mir mehr als berechtigt.

Jetzt aber wird erst einmal der Auftritt Reich-Ranickis verdaut. Man war in so schöner Feierlaune, dachte wohl erst MRR habe hier eine ganz eigenwillige Dankesrede vorbereitete und brauchte seine Zeit um zu realisieren: Der meint das ernst. Da will man sich selbst feiern, denn was anderes ist der Fernsehpreis nicht, sich und dem Publikum zeigen, wie toll man doch sei – und dann geht da einer auf die Metaebene und sagt ganz eindeutig: So nicht! Eine Ohrfeige für all die Stars und Sternchen, die da gerade noch über den roten Teppich defilierten, sich (oder ihre Kleider und Frisuren?) selbstverliebt den Kameras zeigten.

Was aber ist das Problem des Fernsehens? Darüber wird nun hoffentlich auch inhaltlich diskutiert werden, denn Argumente sind noch nicht so viele zu vernehmen gewesen. Da scheint eher ein undeutliches Gefühl endlich ausgesprochen worden zu sein: Das Massenmedium Fernsehen erliegt, selbst im gebührenfinanzierten öffentlichen-rechtlichen Programm, mehr und mehr einer Anpassung an einen angenommenen, von den Fernsehmachern vermuteten Massengeschmack, der Einschaltquote bringt, koste es was es wolle. – Als Ausgleich gibt es ja ARTE und den einen oder anderen hochwertigen Film nach 22 Uhr oder noch später, aber bitte nie auf Sendeplätzen um 20:15 Uhr, ganz zu Schweigen von einem an Qualität orientierten Gesamtkonzept des Fernsehprogramms.

Anders als bei MRR, der zumindest darauf hinweist, dass es ja manchmal bei ARTE gutes Fernsehen gäbe, ist meine Konsequenz schon seit langem eine andere: Ich liebe das Radio (zumindest bestimmte Sender, die sich konsequent der platten Mittelmäßigeit verweigern) und verzichte auf das Fernsehen, das mir bei weitem nicht das bieten kann, was ich bei einem Kinoabend, einer Theatervorstellung oder beim Lesen eines Buches erleben kann: Aufregende Stunden und großen Genuss. – Und bevor ich mich hier zu lange dem Fernsehen, das ich in seinem gegenwärtigen Zustand längst abgehakt habe, widme, danke ich noch einmal Marcel Reich-Ranicki für seine klaren Worte, höre noch ein wenig Radio und nehme mir einen spannenden Thriller vor, den (natürlich) ein Schwede geschrieben hat…

Nachtrag: Die von Thomas Gottschalk angeregte »eine Stunde« findet nun am 17. Oktober im ZDF statt: Natürlich nach 22:00 Uhr (genau um 22:30) und auch nur eine halbe Stunde. Titel: »Aus gegebenen Anlass. Marcel Reich-Ranicki im Gespräch mit Thomas Gottschalk«. Ob auch Programmdirektoren bei dem Gespräch dabei sein werden, geht aus der Ankündigung nicht hervor.