Atmosphärische Störungen: »Krabat« – Der Film
Da reibt sich der verwunderte Kinogänger die Augen: Verschneite, hochgebirgsähnliche Berge in der Gegend um Hoyerswerda, der Heimat der Sagenfigur Krabat? Marco Kreuzpaintner trägt schon zu Beginn seiner Aufnahme des Krabatstoffes, die ausdrücklich dem gleichnamigen Buch von Otfried Preußler folgen will, ganz schön dick auf. Das ist erst einmal in Ordnung, da die Verfilmung eines Buches natürlich ein neues Werk schafft und nicht nur darstellen soll, was so im Buch steht. Jede Verfilmung eines Romans ist eine Interpretation des Romans, die so ziemlich alles leisten muss, was in Schule und Studium über den Umgang mit Büchern gelernt wurde:
- Es gilt den Inhalt des Romans zu erfassen und wiederzugeben (Inhaltsangabe, Nacherzählung).
- Die Figuren benötigen Darsteller, Kostüme, Masken und müssen von den Darstellern als Figuren begriffen werden. Bereits die Auswahl der Schauspielenden spiegelt Vorstellungen der Auswählenden wider, wie diese Figuren sind und wirken (Personenbeschreibung, Charakteristik).
- Die Darsteller selbst müssen sich in die Rollenbiographie ihrer Figuren einarbeiten, um den jeweiligen Charakter darstellen zu können (Charakteristik).
- Es gilt, entsprechende Kulissen zu bauen und Spielorte zu finden. Dazu muss man Entscheidungen treffen, in welcher Zeit ein Film spielt, welche Atmosphäre diese Zeit bestimmt (oder auch einzelne Spielorte des Films) etc. Es müssen also Entscheidungen zu eingesetzten Formen getroffen werden, welche Stilmittel genutzt werden – und damit steht im Hintergrund immer die Frage, wie die eine Romanverfilmung Produzierenden den Roman verstehen und deuten (Interpretation, Stilanalyse).
- Jede Verfilmung eines Romans ist nicht nur die Interpretation einer Geschichte mit Hilfe szenischer Mittel, sondern immer auch eine persönliche Stellungnahme der Filmschaffenden zu dem Roman.
- Möglicherweise wird in einem Film auch ein Thema, das in einer Romanvorlage angelegt ist, näher erörtert, während andere Themen möglicherweise außen vor gelassen werden.
Für Filmschaffende ist die Verfilmung eines literarischen Werkes dem entsprechend eine äußerst anspruchsvolle Tätigkeit, die aber gleichzeitig mit dem Problem verbunden ist, dass ein Film teuer ist und entsprechenden Erfolg beim Publikum braucht.
Wende ich all dies auf Kreuzpaintners Umgang mit Preußlers »Krabat« an, so fällt zunächst auf, dass Kreuzpaintner bestimmte Schwächen bei der Darstellung der Figuren im Roman bezüglich deren »Biographien« zumindest bei der Figur des Krabats aufgreift und sich dafür entscheidet, dass die Pest Krabat zum Waisen gemacht habe. Dabei taucht zwar nur Krabats Mutter auf, vom Vater erfahren wir auch im Film nichts, aber immerhin wird verständlich, warum Krabat möglicherweise an der Schwarzen Kunst interessiert ist: Die Hilflosigkeit im Umgang mit dem Tod seiner Mutter könnte Wünsche nach Macht losgetreten haben, die mit dem Tod kämpfen kann. Andererseits könnte auf diesem Wege verstanden werden, warum Krabat sich gegen den Müller zur Wehr setzt, als er erkennt, dass die Kunst des Müllers darauf beruht, mit dem Gevatter ein Bündnis eingegangen zu sein, das unweigerlich Jahr für Jahr zum Tode eines der Müllergesellen führen muss.
Doch diese in der Figur des Film-Krabats angelegten Charaktereigenschaften werden von David Kross in der Rolle des Krabats nicht überzeugend vermittelt. Das wäre wiederum nicht schlimm, wenn dieser Krabat z. B. in der Lage wäre, den Kampf eines Heranwachsenden mit dem Erwachsenwerden zu verkörpern. Aber auch dies gelingt David Kross nicht. Um zu zeigen, dass dieser Krabat älter wird, wird ihm von der Maske im zweiten Teil des Films ein Zopf und ein Schnurrbartfläumchen angelegt. Darstellerisch lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung nur in Ansätzen wahrnehmen.
Doch dieses Problem scheint vor allem ein Problem der Konzeption des Filmes und nicht der Schauspieler und Schauspielerinnen zu sein, die ja schon an anderer Stelle gezeigt haben, was ihnen stecken kann. Der Film ist nicht auf die schauspielerische Darstellung von Charakteren oder Feinheiten der Persönlichkeitsveränderungen der Figuren in der Mühle hin angelegt, sondern – und damit sind wir wieder bei den verschneiten Bergen am Anfang des Filmes – auf Effekte und Klischees.
Die Schauspieler gehen im Übermaß der visuellen Effekte nahezu unter, werden mit im Roman nicht auftauchenden Kampfszenen konfrontiert und natürlich müssen Tonda und Krabat ihren Mädchen so früh wie möglich real begegnen, inklusive heimlicher Treffen, Küsschen und aus dem Film heraus völlig unmotivierten Augen-Blicken. Warum »Kantorka« Krabat liebt und bereit ist, ihr eigenes Leben in Gefahr zu bringen, bleibt auch im Film völlig nebulös.
Darüber hinaus wird in dem Film eine Atmosphäre geschaffen, die von einer Musik geprägt ist, die an keltisch-mystische Elfengesänge, den Zuschauer einlullende Pseudomystik erinnert. Alles, was über die Anforderungen an die Schauspieler hinaus geht, ist in diesem Film zu dick aufgetragen: Die Berge sind zu hoch, es liegt zu viel Schnee, der Schlamm bei der Mühle ist zu tief, die Kornfelder sind angesichts des herrschenden Krieges zu üppig, die Wälder zu märchenhaft, die Musik zu aufdringlich, die Darstellung der Figuren greift zu viele Klischees auf, statt liebevoll Individuen zu schaffen und so die Schauspieler zu Höchstleistungen zu treiben.
Preußlers Krabat zieht Lesende in sich hinein, auch wenn das Buch selbst die eine oder andere Schwäche hat; der Film hingegen hält den Zuschauer außen vor und bedient ihn mit zwei zitierfähigen Lebensweisheiten, die platter nicht sein könnten: »Höre auf dein Herz« und »Alles hat seinen Preis« lauten diese Allerweltsaussagen, deren inhaltliche Füllung im Film nur oberflächlich, wenn überhaupt gelingt.
Auch wenn ich angesichts der Leistungsfähigkeit der Schauspieler nun ein wenig zu böse werde, so erinnert mich das ganze Setting doch ein wenig an das Setting von »Big Brother«: Der Meister als derjenige, der (fast) alles sieht, die Fäden in der Hand hält und jedes Jahre fliegt einer der Gesellen aus dem Spiel raus und wird durch einen Anderen ersetzt. Unter dem Blick des Meisters werden zwölf Personen in eine gruppendynamische Zwangssituation gestellt, in der es, anders als im Buch, zu Cliquenbildung kommt, die am Ende von »Freundschaft« überwunden wird, weil Lyschko durch eine Handlung, von der man im Film nicht erfährt, ob sie Krabat helfen sollte oder das Ziel hatte, Krabat und »Kantorika« ans Messer zu liefern, der »Liebe« von Krabat und »Kantorika« zum Durchbruch verhilft und so dazu beiträgt, den Meister am Ende zu vernichten.
Was andere Sagen:
Ich habe mir Krabat zum zweitenmal angesehen und auch diesmal mit Vergnügen. Wahrscheinlich deshalb, weil meine Sicht darauf anders ist. Das Buch kannte ich vorm ersten Anschauen nicht, nur in groben Zügen die Sage. Und ich kenne die Gegend, in der die Sage angesiedelt ist. Weil ich schon gehört hatte, dass der Film in Siebenbürgen gedreht wurde, hatte ich ein kleines Vorurteil wegen der ganz anderen Landschaft – inzwischen spielt das für mich keine Rolle mehr. Besonders interessant finde ich aber, dass die Handlung nicht so eng war, dass man als ZuschauerIn gar nicht zum Denken/Assoziieren kommt, wie das manchmal bei Filmen leider passiert. Zuerst fielm mir das auf, als die Mühlen-Maschinerie zum erstenmal gezeigt wurde und ich dabei unwillkürlich an die Schaufelräder der Lausitzer Braunkohlebagger denken musste. Dieser Gedanke störte nicht, sondern war so etwas wie eine Grundlage fürs weitere Ansehen. Weil mir (Leipzigerin, Jg. 1968) die Geschichte nämlich mehr und mehr vorkam wie eine Parabel auf die DDR-Zeit. Ein abgeschiedener enger Ort, der den Bewohnern Brot und Arbeit nach schlimmen Kriegszeiten (oder noch mittendrin) bietet. Wo sie sich sogar einbilden können, zaubern zu können. Aber einem genauen Beobachter wie Krabat fällt auf, dass ein seltsames Geschäft betrieben wird in der Mühle, dass manchmal Knochen zermahlen werden. Es passte, so düster, wie die Geschichte war – sie passte bis zum Schluss, wo den Befreiten die Mühlenbretter um die Ohren fliegen und sie wieder im kalten Wind stehen, in einer Welt, wo der Krieg nur ‚in deutschen Landen‘ beendet ist, wie die Off-Stimme richtig sagt. Und in diesem Zusammenhang finde ich die eine Weisheit des Films gar nicht so läppisch, wie sie klingt: Alles hat seinen Preis.
Vielen Dank für dieses andere Sicht der Dinge! Ich finde es klasse, wenn ein so gehaltvoller Kommentar hier seinen Platz findet.