Schlagwort: Kunst

Weltlos mäandernde Gespräche. Über Sigrid Nunez’ »Der Freund« und Sally Rooneys »Gespräche mit Freunden«

Zwei Bücher, die in der SWR Bücherbestenliste auftauchten und deshalb von mir gekauft und gelesen wurden: Sally Rooneys »Gespräche mit Freunden« und nun Sigrid Nunez‘ »Der Freund«. Diese beiden Bücher wurden von mir beim Lesen des Romans von Nunez in den vergangenen Tagen mehr und mehr miteinander verknüpft, so wenig sie auf den ersten Blick inhaltlich miteinander zu tun haben. Es war eher der Sound dieser Bücher, der diese Verbindung verursacht hat, das Gefühl, das ich am Ende der Lektüre hatte: Ja, das sind gute Romane, solide geschrieben, sie greifen Lebensgefühle von Menschen auf – bei Rooney sogar – wie

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Klang-Raum-Wunder (Happy Birthday, Bruder Paulus!)

Heute habe ich ein Klangwunder erlebt.  Was passiert ist: Bruder Paulus Terwitte ofm cap, den ich tatsächlich mehr als die Hälfte meines Lebens und fast die Hälfte seines Lebens kenne, feierte Geburtstag und es gab ein privates Konzert mit einer privaten Lesung (Schwerpunkt war die Lyrik von Nelly Sachs, die Bruder Paulus vermutlich noch mehr ans Herz gewachsen ist, als mir [und ich bin von Nelly Sachs schon seit meinen Studienjahren fasziniert]).  Da wurden Instrumente in der Liebfrauenkirche zu Frankfurt am Main zum Klingen gebracht, die ich nicht kannte. Zunächst hörte ich eine Wasserstichorgel. Dieses Instrument gibt es überhaupt erst

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Hans Joachim Schädlich: Felix und Felka. Das Schicksal der Unmächtigen angesichts des Terrors der Mächtigen

Felix Nussbaum wurde am 11. Dezember 1904 in Osnabrück geboren und 1944 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Als Maler wird er der Neuen Sachlichkeit zugeordnet. 1932 ging ein Großteil seines Werkes durch Brandstiftung verloren. Felka Platek wurde am 3. Januar 1899 in Warschau geboren und 1944 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. 1932 geht ein Großteil ihres Werkes durch Brandstiftung verloren. 1924 lernten Felix und Felka einander in Berlin kennen, sie heirateten 1937 in Brüssel, wo sie sich bis zum 21.07.1944 versteckt halten konnten. Nach ihrer Entdeckung wurden sie von der Gestapo in das Sammellager Mechelen transportiert und dann nach Auschwitz deportiert. Hans

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Die Langeweile des Bungeesprungs – Simon Strauss: Sieben Nächte

Endzwanziger scheinen nunmehr seit mindestens 20 Jahren in der Dauerkrise einer Sinnsuche zu sein. 1995 führte die damit verbundene Suchbewegung in Christian Krachts »Faserland« immerhin noch zu Fisch-Gosch mit Champagner und Scampis auf Sylt, zu bunten Pillen, schwulen Burschenschaftern und schwarzen Models in Hamburg, Frankfurt und Heidelberg ((vgl, Georg Diez: Christian Kracht: Faserland. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 17. März 2002)), während heutige Sinnkrisen explizit mit den Todsünden in Verbindung gebracht werden. Zumindest bei Simon Strauss, dessen Protagonist beim nächtlichen Versuch, Todsünden zu begehen, scheitert. Als ob die Säkularisierung, die mit dem Transzendenten nicht mehr rechnet, sogar die schlimmsten aller Sünden mit

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Gedichtinterpretation: Johann Wolfgang Goethe – Natur und Kunst (1800)

  Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehenUnd haben sich, eh’ man es denkt, gefunden;Der Widerwille ist auch mir verschwunden,Und beide scheinen gleich mich anzuziehen. Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!Und wenn wir erst in abgemeßnen StundenMit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,Mag frei Natur im Herzen wieder glühen. So ist’s mit aller Bildung auch beschaffen:Vergebens werden ungebundne GeisterNach der Vollendung reiner Höhe streben. Wer Großes will, muß sich zusammenraffen;In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.  Worum eigentlich geht es in diesem um 1800 ohne Titel erschienen Sonett?

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Kleist mit Schülern lesen – aber wann?

Die Vorgeschichte Am Donnerstag vor dem Beginn des neuen Schuljahres spazierte ich mittags durch Frankfurt-Sachsenhausen, weil ich in einem französischen Bistrot den Mittagstisch genießen wollte. Als ich gerade den Schweizer Platz umrundete, sah ich im Kaffee auf der anderen Seite einen Kollegen, den ich sehr schätze und der auch Deutsch unterrichtet. Ich plante spontan um, sorgte dafür, dass er mich sah – und die nächste knappe Stunde war von leckerem Kaffee, hausgemachtem Quiche und einem anregenden Gespräch bestimmt. Nach sechs Wochen merkt man erst, dass man viel zu lange nicht miteinander gesprochen hat… Im Gespräch erzählte der Kollege, dass er

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Zu Thomas von Steinaeckers Roman »Die Verteidigung des Paradieses«

Auf einer Alm nahe dem Ort, der einst Berchtesgaden war, leben sechs Menschen und ein paar Tiere. Die Katastrophe, von der man ausgeht, dass es eine globale gewesen sein müsse, ist in Thomas von Steinaeckers Roman »Die Verteidigung des Paradieses« elf Jahre her – Vom »Paradies« auf der Alm aus gesehen, ist man vielleicht der letzte Rest der Menschheit. Um sich gegen das Vergessen zu stemmen, bekommen die Kühe die Aufgabe, durch ihre Namen an die Menschheitsgeschichte zu erinnern: Sie heißen z. B. Nero, Tizian, Einstein, Hitler, Kafka, Kennedy und Beckenbauer. Zwar tauchen diese Namen im Roman nur an einer

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Über Klassenfotos

Im Bruchteil von Sekunden entscheidet sich, welches Bild man für die nächsten Jahrzehnte abgibt. Das gilt für Schüler, das gilt für Lehrer. Vielleicht schaue ich als Klassenlehrer ja auch irgendwann vergilbt und deutlich einer anderen Zeit angehörend aus der Festschrift einer Schule, möglicherweise namenlos und mit einer Gruppe von Kindern oder Jugendlichen zusammen, die auch schon längst nicht mehr Kinder oder Jugendliche sind. Klassenfotos wirken auf mich manchmal so, als sei extra für sie die Fotografie erfunden worden. Zumindest gab es bereits Ende des 19. Jahrhunderts anscheinend eine aufkommende »Tradition«, der folgend seitdem Jahr für Jahr Klassen mit ihren Klassenlehrern

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Ach, diese Kostenloskultur (!). Reflexionen nach einem Bloggertreffen.

Das schlechte Gewissen dringt in alle Sphären meiner Präsenz im Internet. Überall an seinen Rändern sitzen jene „digitalen Bettler“ und winseln um kommerzielle Beachtung, reden von dem Geld, das sie so gerne im Netz verdienten. Und ich gehöre zu denen, die Schuld sein sollen, dass dieses Geld nicht verdient werden kann. „Nein! Dein Blog ist viel zu klein und unbedeutend, als dass du jemanden in eine existentielle Krise materieller, ja vor allem finanzieller Art treiben könntest“, sagt da ein kleines, ganz in weiß gekleidetes Wesen neben meinem einen Ohr. „Quatsch“, ruft es an meinem anderen Ohr – ich sehe erst

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#Bloggertreffen und #Tweetup @Schirn @Liebieghaus in #Frankfurt – „Jeff #Koons. The Painter & The Sculptor“

Ich war am 26. Juli 2012 beim ersten Bloggertreffen, das die Frankfurter Kunsthalle Schirn veranstaltete. Aufhänger für diese Initiative der Kunsthalle war die vom 20. Juni – 23. September in Frankfurt stattfindende Doppelausstellung mit Werken von Jeff Koons.  Im Rahmen des Bloggertreffens habe ich getwittert. Für mich sind solche Tweets nicht nur eine Art Live-Berichterstattung für Interessierte, die nicht da sein können, sondern gleichzeitig Notizen für mich. Bislang habe ich diese Notizen nur für mich mittels eines kleinen Programms wie eine Art Tagebuch abgelegt.  Aber warum soll ich nicht die „Liveberichterstattung“, die ich ja schon angefertigt habe, die aber auf Twitter

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Herrn Larbigs Bibliothek 15 – Jonathan Franzen: Freiheit. Roman.

Wenn ein Familienroman während einer bestimmten Zeit spielt und die Familie einigermaßen geschickt gestaltet wird, dann wird aus dem Familienroman ein Zeitroman. Jonathan Franzen kann das gut: Mehr als 700 Seiten umfasst sein Roman „Freiheit“, der 2010 erschien und nach „Die Korrekturen“ intensiv erwartet wurde. Mehr als 700 Seiten, auf denen er den Überblick über sein Personal behält, immer wieder souverän Handlungsfäden aufgreift, weiterführt und wieder mit anderen Handlungsfäden verbindet, die dann wieder … Ein gut gearbeiteter Familienroman, der gut 30 Jahre USA-Geschichte – mit zugegebener Maßen recht konventionellen Mitteln und künstlerisch wenig originell – reflektiert, den Schwerpunkt aber auf

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Nachdenken über Kunst @staedelmuseum

Vergangene Woche war ich zum ersten Mal im neuen, von seiner Ausstellungsfläche her nahezu doppelt so groß gewordenen Städel am Frankfurter Museumsufer, einem der bedeutendsten Museumsstandorte in Europa – und damit auch auf den fünf Kontinenten. Die neuen Gartenhallen sind der Gegenwartskunst gewidmet. – Ein Besuch reicht natürlich nicht, um die dort zugänglichen Kunstwerke wirklich wahrnehmen zu können, aber ein solcher Besuch kann ein Nachdenken über Kunst anregen. Ein solches Nachdenken über Kunst, die in meinen Augen ein Dialog mit der Wirklichkeit mit künstlerischen Mitteln ist, hat seinen Niederschlag in einer Podcastfolge gefunden. Zu diesem Podcast schreibe ich im Abstract

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„Schule 3.0: digital total?“ – Diskussionsbeitrag zu einem Artikel von Prof. Dr. Christian Spannagel

Dieser Beitrag bezieht sich auf den gerade im Blog von Prof. Dr. Christian Spannagel erschienen Artikel „Schule 3.0: digital total?“. Da mein Beitrag für die Kommentarspalte des Blogartikels ein wenig zu umfangreich wurde, erscheint er hier, ist aber ein Diskussionsbeitrag zum genannten Blogartikel, der zunächst gelesen werden sollte.  Großartig, lieber Christian, mit welcher Konsequenz du im Vorfeld von Podien auf denen du sitzt oder von Vorträgen, die du hältst, deine Gedanken mitteilst, sodass andere dir ihre Gedanken mitteilen können. Was also geht mir durch den Kopf, wenn ich deine Statements lese? Das will ich hier sammeln. Ich finde deine Überschrift

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Gedichtinterpretation: Johann Wolfgang Goethe, Der Sänger (1783)

Gedichtinterpretation: Johann Wolfgang Goethe, Der Sänger (1783) von Torsten Larbig steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz. ———— Diese Interpretation habe ich einmal nicht überarbeitet, sondern in der Fassung belassen, die normalerweise entsteht, wenn ich mich einem Gedicht gerade erst interpretierend annähere. Da kann sich schon einmal, während ich mich an das Gedicht herantaste, die Interpretationshypothese erst spät ergeben. Normalerweise beginnt in dem Status, in dem diese Interpretation hier gerade ist, ein zweiter Arbeitsprozess, in dem der Gedankengang geglättet, der rote Faden stärker erkennbar gemacht wird. Auf diese Fassung habe ich hier verzichtet, um auch

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Herrn Larbigs Bibliothek 12 – James Wood: Die Kunst des Erzählens

Ich habe nun ja schon eine ganze Reihe an Büchern darüber gelesen, „wie Schriftsteller zu Werke gehen“ (Herlinde Kölbl), was einen guten Roman ausmacht, wodurch Gedichte geprägt sind. Mir ist noch kein Buch über das Lesen und Schreiben von Literatur begegnet, nach dessen Lektüre mein Arbeitsplatz so hell von „Kronleuchtern“ bestrahlt wurde, die mir während der Lektüre aufgegangen sind. Gleichzeitig weiß ich , dass dieses Buch noch mehrfach zu lesen sein wird, um seinen Tiefgang, seine Differenziertheit und all seine Anregungen wirklich für meinen Alltag fruchtbar zu machen. Die Erstlektüre von James Woods „Die Kunst des Erzählens“ hat mich gefesselt.

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Kreatives Schreiben in der Schule

Kleinere Kurse im kreativen Schreiben gebe ich seit einigen Jahren immer wieder einmal. Ich habe zwar kein Zertifikat, dass ich das kann, aber zum Glück traut man einem Deutschlehrer in der Regel zu, dass er unter Umständen weiß, was er tut, wenn er nicht nur Texte dem übenden Analyseskalpell der Schüler und Schülerinnen zuführt, sondern auch die künstlerische Seite des Schreibens in den Blick nimmt. Schreiben als Kunst, deren Gegenstand die Literatur ist, verstehe ich

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Ermutigung zur differenzierenden Autonomie

Zugegeben: Bei allem, was ich so tue, vertraue ich auf die Qualität von Inhalten. Ich vertraue darauf, dass Inhalte, die zunächst einmal wenig individualisiert, wenig differenzierend wirken mögen, in der Lage sind, selbst in heterogenen Lerngruppen Schüler und Schülerinnen mit unterschiedlichsten Voraussetzungen ansprechen zu können. Ich vertraue darauf, dass Menschen in der Lage sind, mit Inhalten auf genau die Art und Weise umzugehen, die für sie angemessen ist, so sie erst einmal das Vertrauen vermittelt bekommen, dass sie das dürfen! Ich habe viele Unterrichtsvorbereitungen erlebt,

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Was im Deutsch-Grundkurs zu lesen sein wird (Landesabitur Hessen 2013)

Nach einem in seinen Lektüren dem Deutsch-Unterricht noch Luft gebenden Einführungsjahr, beginnt für die Schüler und Schülerinnen, die im Jahr 2013 ihr Abitur in Hessen machen wollen, nun die Phase, in der der offizielle Lehrplan mit verbindlichen Lektüren verbunden ist. Erstmals sind diese Lektüren sogar Halbjahren zugeordnet, worauf die bisherigen Vorgaben verzichteten, wohl deshalb, weil sich durch die offiziellen Lehrpläne eigentlich fast von alleine ergab, in welchen Halbjahren der Oberstufe die Lektüren ihren Platz finden. – Dass die Lektüren nun konkreten Halbjahren zugewiesen werden, hat vielleicht Gründe. Doch über diese will ich hier gar nicht spekulieren. Was also wird im

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Fächer verbindend Kompetenzen lehren – ein Vorschlag

Ein Vorschlag für fächerverbindendes, kompetenzenorientiertes Lernen aus der Sicht eines Deutschlehrers (Vertreter und Vertreterinnen anderer Fächer sind herzlich eingeladen, ihre Ideen in den Kommentaren zu hinterlassen): Kompetenzen, die in Deutsch eingeführt werden, aber auch für andere Fächer relevant sind, werden in den anderen Fächern von beiden Fachlehrern überprüft. Beispiel: In Deutsch wird die Beschreibung geübt und die Klassenarbeit ist dann z. B. eine Versuchsbeschreibung in der Chemie, die Beschreibung eines Phänomens in der Biologie, eine Bildbeschreibung in der Kunst. Die Benotung wird von beiden jeweils beteiligten Fachkollegen /Fachkolleginnen vorgenommen, wobei jede(r) den Teil bewertet, der schwerpunktmäßig zu seinem / ihrem

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Gedichtinterpretation: Goethe – ein jugendgefährdender Autor

Gedichtinterpretation: Goethe – ein jugendgefährdender Autor von Torsten Larbig steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.   Johann Wolfgang Goethe (1815) Trunken müssen wir alle sein! Jugend ist Trunkenheit ohne Wein; Trinkt sich das Alter wieder zu Jugend, so ist es wundervolle Tugend. Für Sorgen sorgt das liebe Leben, und Sorgenbrecher sind die Reben.   Goethe – ein jugendgefährdender Autor? Im „Faust“ werden Geister beschworen, Drogen konsumiert, Personen direkt oder indirekt dem Tode übereignet; im ,,Heidenröslein“ lesen viele Interpretationen die Darstellung einer Vergewaltigung und im „West-östlichen Divan“ gibt es das „Schenkenbuch“

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