Gedichtinterpretation: Lessings „Lob der Faulheit“
Gedichtinterpretation: Lessings „Lob der Faulheit“ von Torsten Larbig steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.
Lessing?
Klar. Das ist doch der mit der Ringparabel aus „Nathan der Weise“.
Lessing hat Emilia Galotti geschrieben und ein umfassendes Werk zur Dramturgie.
Lessing? – Ein fleißiger Dichter. Und dann, im Jahre 1751, das:
Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781)
Lob der Faulheit (1751)
Faulheit, jetzo will ich dir
Auch ein kleines Loblied bringen. –
O – – wie – – sau – – er – – wird es mir, – –
Dich – – nach Würden – – zu besingen!
Doch, ich will mein Bestes tun,
Nach der Arbeit ist gut ruhn.
Höchstes Gut! wer dich nur hat,
Dessen ungestörtes Leben – –
Ach! – – ich – – gähn‘ – – ich – – werde matt – –
Nun – – so – – magst du – – mirs vergeben,
Daß ich dich nicht singen kann;
Du verhinderst mich ja dran.
Lessing ist 22 Jahre.
Er ist noch Student, als der dieses Gedicht verfasst.
Aber es ist ihm schon gelungen, sich mit Voltaire zu überwerfen, der immerhin als einer der wichtigsten Denker der Aufklärung gilt – und 1751 am Hofe Friedrichs II. weilte.
Zu dieser Zeit hatte sich Lessing schon entschieden, dass er Schriftsteller werden wolle. Und dass er es sich mit Voltaire verscherzt hatte mag ihn dabei kaum gekümmert haben, denn streitbar war Lessing durchaus, wie in dem Streit mit dem Hamburger Hauptpfarrer Goeze noch einmal deutlich wurde, aus dem immerhin ein Teil der Motivation zum Schreiben des Nathans hervorgegangen ist.
Und so ein fleißiger Autor schreibt dieses kleine „Lob der Faulheit“. Wer auch sonst? Denn schaut man genau hin, so ist die Ironie, die diese heiteren Zeilen vorantreibt, kaum zu übersehen. Diese Ironie ist nicht bloß inhaltlicher Art, auch die Form beteiligt sich daran, dass dieser Eindruck entsteht.
Zwei Strophen mit je sechs Versen, von denen die jeweils ersten vier über Kreuz und die letzten zwei paarig gereimt sind. Hinzu kommt die Konsequenz des gleichmäßig durchgehaltenen alternierenden Rhythmus in trochäischer Form, wobei die Verse 2, 4, 8 und 10 mit klingender (weiblicher) Kadenz , die restlichen acht Verse hingegen mit stumpfer (männlicher) Kadenz enden.
Dieses Gedicht ist kunstvoll gebaut und gleichzeitig von „Faulheit“ geprägt, bewegt es sich doch sehr gleichmäßig, ohne große Spielereien. Auf den nach vorne drängenden Jambus wird verzichtet, der etwas zurückhaltendere, „bremsende“ Trochäus gewählt. Alle Verse haben exakt vier Hebungen.
Hinzu kommen, als auffälligstes formales Merkmal des Gedichts, die gebrochenen Verse 3, 4, 9 und 10, die für jeden, der das Gedicht laut lesen will, eine ganz besondere Herausforderung darstellen, so klar sie in der Druckfassung auch als das zu erkennen sind, was sie sein sollen: Das räkeln und Gähnen des von der Faulheit Ergriffenen, denn ohne dem Vers seine Struktur zu nehmen, strecken diese doppelten Gedankenstriche die Verse, wie sich ein genüsslich Fauler streckt. – Und so gilt es, sich bei diesen Versen zu strecken, zu räckeln, um den Ton zu finden, der diesen Versen angemessen ist.
Das Gedicht trägt diese Leseanweisung in sich, ohne dass sie ausdrücklich genannt wird. Und hier wird das Gedicht lustig. Ich stelle mir vor, wie Lessing es wohl vorgetragen haben mag… Wenn er dazu nicht zu faul gewesen ist.
Lessing wird meist als aufklärerischer Dichter, Dramatiker und Verfasser theoretischer Schriften vermittelt. In diesem Kleinod eines Gedichtes zeigt sich ein ganz anderer Lessing: Ein heiterer, humorvoller, verspielter Lessing, dem es bereits in diesem frühen Gedicht, zur Erinnerung: Lessing hatte es mit 22 Jahren! geschrieben, gelingt, sprachliche Schönheit, Humor und formale Sensibilität zu vereinen.
Ein großartiges Gedicht, dessen Ironiespur aber mit dessen Niederschrift noch nicht vollständig war. Diese wurde von Joseph Haydn auf den Gipfel getrieben, der aus diesem Loblied, von dem das lyrische Ich sagt, dass es dies nicht singen könne, da es von dem Gegenstand des Gedichtes selbst daran gehindert werde (V 11f.), tatsächlich ein Lied macht, in dem dann gesungen wird, dass über den Gegenstand des Liedes nicht gesungen werden könne… Ob diese Vertonung dem Humor des Gedichts gerecht wird, das möge hier nun jeder und jede selbst entscheiden.
Jedenfalls gibt die Vertonung den nötigen Spielraum, zu gähnen, matt zu werden etc.