Sprechend lernen – oder: Vom Einsatz des Diktiergerätes im Lehrberuf
Pause. Fünf Minuten oder fünfzehn oder auch mal zwanzig Minuten, vielleicht auch eine Springstunde; im Grunde ist es egal, wie lange eine Unterbrechung des täglichen Unterrichtsgeschehen dauert, die Zeit ist immer voll. Notizen zur letzten Stunde, zu einzelnen Schülerinnen und Schüler, Gedanken zum Unterrichtsverlauf, Reflexion der Stunde und daraus folgend die Feinplanung der Folgestunde im Kontext der Unterrichtsverlaufsplanung, Aktennotizen, Fachgespräche mit Kollegen oder gemeinsame pädagogische Überlegungen… Kurz: Zeit bleibt nie, also füllen wir sie.
Nachmittags und Abend am Schreibtisch. Korrekturen, Notizen, Überlegungen zum weiteren Unterrichtsverlauf, Stundenverlaufsplanungen, pädagogische Überlegungen, wie einzelnen Schüler und Schülerinnen in einem „normalen“ Unterricht gefördert werden können, wo es in einer Lerngruppe gemeinsamen Förderbedarf gibt und außerdem liegt da noch ein Stapel an Fachliteratur und als Deutschlehrer will ich auch an literarischen Texten dran bleiben und einfach mal lesen. Kurz: Zeit bleibt nie, also füllen wir sie. Nur wie? Und was kann dabei hilfreich sein?
Im Prinzip ist alles, was ein Lehrer macht, genau betracht selbst ein ständiger Lernprozess, der als Lern-Lehr-Zusammenhang auch reflektiert werden will. Und dieser Prozess ist unglaublich zeitintensiv, so sehr, dass plötzlich für kaum noch etwas anderes Zeit bleibt, Lehrende währende der Unterrichtszeit entweder plötzlich gar kein Privatleben mehr haben oder aber, wenn die Kraft nachlässt, dem eigenen Anspruch kaum noch gerecht werden können und so an Effektivität der eigenen Arbeit verlieren. – Wie gut täte da ein Spaziergang! Vielleicht ist ein Park in der Nähe oder man hat das Glück, wie der Verfasser dieses Beitrages, in der Großstadt nah an einem Fluss mit Streuobstwiesen, Altarmen und Feldern zu wohnen, an dem man nicht ständig von Menschenmassen umgeben ist. Und wenn die Arbeit einen schon nicht verlässt, warum sie als solche nicht anders gestalten?
Mit diesem Gedanken im Kopf machte ich mich auf die Suche. Und da ich mir manchmal wirklich wie ein Manager vorkomme, habe ich mich auch im Bereich der Arbeitsorganisation von Managern, Anwälten und Co umgeschaut. Dabei stieß ich schnell auf die zentrale Funktionen der Sekretariate, die mir als Lehrer so nicht zur Verfügung stehen. Damit wäre die Sache eigentlich schon erledigt gewesen, denn was soll mir z. B. das Diktieren von Schriftstücken bringen, wenn ich sie dann eh selbst tippen muss?
Doch da ich bei meiner Beschäftigung immer wieder auf das Diktiergerät als zentrales Arbeitsinstrument gestoßen bin und mit der Tatsache konfrontiert wurde, dass wir nun einmal ca. sieben Mal schneller sprechen als schreiben können, selbst wenn man bei einer ganz guten Anschlagzahl auf der Tastatur angekommen ist, wollte ich so schnell nicht aufgeben. Sieben Mal schneller per Diktiergerät? Da muss es doch Einsatzgebiete geben! Und ich habe sie gefunden. Ich sage es gleich: Es sind Einsatzgebiete die mit meinen Eigenarten zu tun haben und vielleicht nicht für jeden übertragbar sind, interessant finde ich die Entwicklung für mich dann aber schon. Die erste Eigenart: Ich habe in meinem Leben schon ein wenig Radio gemacht und stehe dem Sprechen als Instrument der Informationsübermittlung damit nicht fremd gegenüber. Außerdem habe ich meine MP3-Gerät eigentlich immer dabei und nutze es sowieso schon als Bildungsinstrument, indem ich reichlich fachbezogene Podcasts höre oder direkt das Radioprogramm. Außerdem kann ich beim Spazieren gut nachdenken.
Vor diesem Hintergrund habe ich dann begonnen, das Diktiergerät in meine Arbeitsabläufe zu integrieren, sowohl als Instrument des Lehrers als auch als Instrument des Lernenden.
So habe ich begonnen, die Aufforderung, Unterrichtsstunden zu antizipieren (gedanklich vorwegnehmend durchzuspielen), in meinen Vorbereitung so zu gestalten, dass ich auf (langen) Spaziergänge, mir einfach die eine oder andere Stunde ins Diktiergerät spreche. (Ja, ich habe Wege, auf denen ich so wenigen Leuten begegne, dass ich dabei nicht unangenehme Blick auf mich ziehe.) Sehr oft muss ich dann zuhause nur noch eine ganz kurze Skizze niederschreiben und was ich an Material möglicherweise bislang falsch geplant hatte oder so noch gar nicht berücksichtig hatte korrigieren bzw. erstellen (wenn nicht entsprechendes in den den Schülern vorliegenden Schulbüchern enthalten ist).
In einer Pause habe ich in der Regel keine Zeit, mir ausführliche Notizen zu machen. Aber selbst in der Schule gibt es Möglichkeiten, eher unauffällig kurz eine Gedächtnisstütze ins Diktiergerät zu sprechen und angesichts der Empfindlichkeit der Mikrofone, verliere ich so langsam die Bedenken gegenüber den Blicken der Kollegen, wenn ich an meinem Platz leise was ins Mikro spreche. Das entlastet das Gedächtnis enorm und nimmt das lästige Gefühl am Nachmittag oder Abend, dass da doch noch etwas war, an das ich mich jetzt aber nicht mehr erinnere… Aber da war doch noch was…
Natürlich ist meine Literaturdatenbank mit Exzerpten und Zitaten wunderbar. Doch im merke, dass gerade in den Unterrichtswochen keine Zeit bleibt, zu lesen und entsprechend umfängliche Notizen in Schriftform anzulegen. Also lege ich mein Diktiergerät mit aktivierter Sprachsteuerung auf den Tisch oder neben das Lesesofa. Sprachsteuerung bedeutet, dass nur etwas aufgezeichnet wird, wenn ich auch spreche, in der Aufnahme also keine langen Sprechpausen entstehen. Zwar ist ein so entstandenes Notat nicht auf dem Computer durchsuchbar und Zitate können nicht einfach in Dokumente übernommen werden, aber ich bin bereit, diese Begrenzung in Kauf zu nehmen, wenn ich so zu einem sinnvollen Arbeitsablauf gelange. Und ganz ehrlich: Solche Aufnahmen höre ich mir häufiger (in der S-Bahn, auf dem Weg zum Supermarkt oder beim Spaziergehen) an, als ich entsprechende Notizen in meiner Literaturdatenbank lese. Zudem setze ich mit dem Sprechen und dem Hören mehr Sinne ein als es die reine Arbeit mit Text erlaubt, was meinem Hang zum Lernen auf unterschiedlichen Kanälen sehr entgegen kommt. Wenn mir also beim Lesen etwas einfällt, bringe ich die Gedanken sprechend zum Ausdruck und merke darüber meist auch schnell, wo ich etwas noch nicht so verstanden habe, dass ich es sprechend formulieren kann. Und natürlich lese ich dann auch Stellen, die mir spannend erscheinen, einfach laut und kann mich drauf verlassen, dass mir das Exzerpt als Aufnahme anschließend zuverlässig vorliegt.
Grenzen dieses Einsatzes liegen dort, wo es der Datenschutz verlangt:
1. Keine Aufnahmen im Unterricht. (Es sei denn diese sind abgesprochen und stehen im Zusammenhang mit dem Unterricht, aber diesen Fall hatte ich bislang noch nicht)
2. Keine Aufnahmen bei Konferenzen oder von Beratungsgesprächen. Hier sind handschriftliche Notizen knapper und außerdem ist ein Ergebnisprotokoll schriftlich einfach übersichtlicher, ganz abgesehen davon, dass es rechtlich nicht zulässig ist.
3. Viele Notizen, gerade solche, die in Pausen vor allem als Gedächtnisentlastung entstehen, müssen natürlich in eine schriftliche Form gebracht werden. Hier dient das Diktiergerät vor allem der Entlastung jenes Gefühls, was vergessen zu haben, das man unbedingt schriftlich festhalten wollte.
4. Ich bin Fan von Schriftlicheit und möchte den (kreativen) Wert des Schreibens – insbesondere auch des Schreibens per Hand – nicht missen. Der Einsatz des Diktiergerät ist hier ergänzend und in Hochzeiten entlastend, aber für mich keine ausschließliche Lösung. Wo immer es geht, arbeite ich schriftlich. Angesichts der Unterrichtsverpflichtung mit den mit ihr verbundenen Aufgaben, schreibe ich in unterrichtsfreien Zeiten und am Wochenende weit mehr als an Unterrichtstagen (obwohl ich selbst da oft lange über meinen Notizen, Entwürfen etc. sitze).
5. Ich bin noch dabei, das Instrument in den Arbeitsablauf zu integrieren, denn interessanterweise ist das sprechende Arbeiten einfach anders als das schreibende. Einen Text (frei) zu sprechen bedarf der Übung und dem Finden eigener Konventionen des Sprechens, um den Aufnahmen (Diktaten) Struktur zu geben.
Ohne Integration von Technik geht ein solches Arbeiten natürlich nicht. Aber da ich auch sonst gerne mit Tönen arbeite, steht mir Technik zur Verfügung, die sogar ausreicht, um radiogerechte O-Töne zu erstellen. Im Augenblick arbeite ich mit einem Olympus DM 550 Digital Voice Recorder, der klein ist und eine Aufnahmequalität hat, die sich hören lassen kann. Das ist im Prinzip mein „Hab ich immer dabei“-Gerät, nachdem mir der Vorgänger (DS 75) leider über den Jordan gegangen ist. Will ich professionellere Aufnahmen erstellen, das geht dann aber weit über Notizen hinaus in den Bereich des Field Recordings, sei hier aber erwähnt, nutze ich das Olympus LS 10, das allerdings über keine Sprachsteuerung verfügt. Und schließlich nutze ich die iPhone-App Dictamus, da ich mein Mobiltelefon natürlich noch häufiger dabei habe als mein „Hab ich immer dabei“-Gerät. Außerdem verfügt diese App über eine hervorragende Sprachsteuerung und ermöglicht mir zudem nicht nur das Überschreiben von Aufnhamen sondern auch das Einfügen von Passagen in die Aufnahme. Allerdings reicht diese App in ihrer Tonqualität an meine sonstigen Lösungen bislang nicht heran, auch wenn sie für ihre Zwecke sehr aktzeptabel ist.
Insgesamt hat sich für mich eine spürbare Entlastung in bestimmten Arbeitsbereichen ergeben und je mehr ich mit dieser Methode arbeite, um so mehr Einsatzgebiete finde ich: So wie ich fotografiere nehme ich Atmosphären z. B. bei der Besichtigung einer Kirche auf; ich lese für mich selbst gemeinfreie Gedichte ein oder zeichne auch mal einen öffentlichen (!) Vortrag auf. Und ich bin mir sicher, dass ich damit noch nicht am Ende der Entdeckungsreise bin.
Für Schüler und Schülerinnen sehe ich darüber hinaus noch weitere Einsatzgebiete: Diktiergeräte können als Instrument der Übung beim und der Überprüfung des eigenen Vorlesens zuhause genutzt werden; Referate können auf diesem Wege, gerade wenn sie nur mithilfe von Notizen und nicht ausformuliert gesprochen werden sollen, geübt werden und so weiter. Doch diese Einsatzgebiete, die interessant werden, weil nahezu jedes Mobiltelefon und jeder Computer über eine Diktierfunktion, wenn auch oft im reduzierten Maße, verfügt, stehen hier nicht im Zentrum; hier geht es um meinen Einsatz dieser Technlogie. Und je mehr Erfahrungen ich damit mache, um so weniger will ich sie missen; genauso wenig wie Anregungen, Ergänzungen und Kommentare der Leser und Leserinnen dieses Beitrags, für die nur die Kommentarfelder ausgefüllt werden müssen 😉
Sehr interessanter Artikel. Auch als Manager ohne Sekretariat ist ein Diktiergerät eine willkommene Unterstützung.
Besten Dank für Ihren Artikel
Viele Grüße,
Christian Jordan