Lineares und Vernetzes Denken: Ein Konflikt zwischen „digital natives“ und „digital emigrants“?
Auf der einen Seite stehen Menschen, die vernetzt arbeiten und ihre Denkstrukturen als „vernetzt“ bezeichnen. Auf der anderen Seite stehen Kritiker der Vernetzung, die im hohen Informationsaufkommen, das in technisch vernetzten Strukturen entsteht als eine Gefahr sehen, da ein Mensch so viel Informationen gar nicht verarbeiten könne.
Andrian Kreye bringt diesen scheinbar bestehenden Konflikt in der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt und benennt dabei auch die vermeintlichen Gegner in diesem Konflikt:
„Widersprechen sich das lineare und das vernetzte Denken nicht so sehr, dass sie keine gemeinsame Ebene finden können?“
In dieser Gegenüberstellung von linearem und vernetztem Denken wird ein Widerspruch behauptet, der analog und digital gestütztes Denken gegeneinander stellt. Dabei taucht in Kreyes Artikel implizit die Behauptung auf, dass mit analogen Mitteln arbeitende Denkenprozesse „linear“ seien und digital gestützte Denkprozesse „vernetzt“.
Dies kann nicht unwidersprochen hingenommen werden, denn es ist eben nicht so, dass analog gestützte Denkprozesse „linear“ und digitale Medien automatisch „vernetzt“ sind. Das Problem liegt in der Gegenüberstellung von linearem und vernetztem Denken im Kontext einer Diskussion um die Wissensbildung per analoger bzw. digitaler Methoden.
Der Hauptvorwurf gegenüber den sich, um es ganz genau zu sagen, digitaler Hilfsmittel bedienender Wissensbildungsprozesse scheint aus zwei Strängen zu bestehen:
- Die Masse an Informationen, die über digitale Hilfsmittel auflaufen, ist nicht verarbeitbar und führe zunehmend dazu, dass wir
- das Denken an den Computer deligieren.
Nun, statt auf solchen Wegen der Unterstellungen zu Lösungen zu kommen, wird vielmehr mit einem Chaos unklarer Begriffe gearbeitet, das das Denken viel mehr erschweren dürfte, als die Art der Hilfsmittel, die im Kontext kognitiver Prozesse eingesetzt werden. Deshalb kurz eine Darstellung meines Begriffsverständnisses, mit der es vielleicht möglich wird, sachlich über die hier angerissenen Probleme zu diskutieren:
- „Lineares Denken“ bezeichnet ein Denken in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. „Lineares Denken“ beschreibt hingegen nicht die Art von Hilfsmittlen, die für diese Denkprozesse herangezogen werden. Zum „linearen Denken“ kann auch das „analytische Denken“ gezählt werden, da Analyse in der Regel eingeübten Schritt-für-Schritt-Methoden folgt.
- Vernetztes Denken zeichnet sich hingegen durch folgende Punkte auf, die im Kontext des Edward de Bono entwickelten Konzeptes des „lateralen Denkens“ weitgehend abgebildet werden:
- „Es wird zugelassen, dass vorliegende Informationen subjektiv bewertet und selektiv verwendet werden. Details werden nicht analytisch, sondern intuitiv erfasst.
- Gedankliche Sprünge und Assoziationen werden zugelassen, nicht jedes Zwischenergebnis muss richtig sein.
- Ja/Nein-Entscheidungen werden vermieden. Auch nicht durchführbare Lösungen können ein Schritt zum besseren Verständnis des Problems sein.
- Konventionelle Denkmuster werden in Frage gestellt, indem z.B. bewusst nach der unwahrscheinlichsten Lösung eines Problems gesucht wird.
- Ausgangssituation und Rahmenbedingungen werden nicht als unveränderbar hingenommen.“ (Quelle)
Auch hier ist der Denkprozess nicht daran gebunden, ob er sich analoger oder digitaler Hilfsmittel bedient.
Lineares und vernetztes Denken beziehen sich als Begriffe also nicht auf den Einsatz bestimmter medialer Formen, sondern auf eine Art des Denkens eines Individuums. Lineares und vernetztes Denken beziehen sich eher auf eine Grundeinstellung gegenüber Denkprozessen als auf jeweils eingesetzte (analoge oder digitale) Technologie.
Dennoch wird in der Diskussion immer wieder die Kluft zwischen analogen und digitalen Hilfsmitteln des Denkens aufgemacht und somit ein Konflikt erzeugt, in dem es gar nicht um das Denken als solches geht. Als Argument hält oft die scheinbare Fülle an Informationen her, die im Internet vorfügbar sind, verbunden mit der Annahme, dass der Mensch nicht multitaskingfähig sei.
Bei genauerem Hinsehen aber scheinen die Konfliktlinien ganz anders zu verlaufen, als es von den Kritikern des Web (2.0) gesehen wird. Es geht um einen Konflikt zweier Denkmodelle: Das „analytische“, „lineare“ Denkmodell vs. „vernetzte“ Denkstrukturen.
In diesem Konflikt sind beide Seiten nicht zimperlich mit Vorwürfen, wobei es heute akzeptiert zu sein scheint, dass auf beiden Seiten mit Stereotypen gearbeitet wird, die im Prinzip Absolutheitsansprüche für das eigene Denkmodell erheben. Der lineare Denker gilt dem vernetzen Denker dabei als Relikt einer vergangenen Zeit und der vernetzt Denkende wird von linearen Denkern als jemand gesehen, der mehr mit ausgelagerten Instrumenten arbeite als mit dem eigenen Gehirn.
Beide Annahmen sind zwar wunderbar geeignet, um einen Konflikt herauf zu beschwören, der sich dann plötzlich nicht mehr um Denkstrukturen sondern um Fragen des Einsatzes analoger oder digitaler Technologien (Medien) dreht, sie sind aber auch Zeugnis von Imunisierungsstrategien, die letztlich die die jeweils eigene liebgewonnene Art des Denkens tendenziell mit einem Alleinvertretungsanspruch versehen und somit kommunikationsunfähig werden, zu reflexartigen Reaktionen auf Erscheinungen der jeweils anderen Denkweise neigen.
Die Fokussierung der Diskussion auf eine Entgegensetzung von analogen und digitalen Arbeitsinstrumenten, hat aber dennoch einen realen Hintergrund: Es scheint so zu sein, dass lineare Denkstrukturen eher zu analogen Medien greifen und vernetzte Denkstrukturen sich eher im medialen Kontext dessen wohl zu fühlen scheinen, das heute als „Web 2.0“ bezeichnet wird.
Dies ist eine Erscheinung der letzten Jahre. Die unterschiedlichen Denkstrukturen bestehen aber unabhängig der technischen Möglichkeiten, derer sie sich zu bedienen vermögen.
An dieser Stelle sei dem analytischen (linearen) Denken der Begriff des synthetisierenden (vernetzten) Denkens gegenüber gestellt: Das analytische Denken neigt dazu, Zusammenhänge Schritt für Schritt in Details zu zerlegen; das synthetisierende Denken hingegen versucht, assoziative Gedankenbilder eines größeren Zusammenhanges zu erstellen, wobei sich auch diese Form des Denkens analytischer Denkweisen nicht entziehen kann, wenn nach Möglichkeiten der Verknüpfung von Elementen eines Zusammenhangs gesucht wird.
Das erklärt dann auch, warum lineare Denkstrukturen den Hypertextstrukturen im so genannten „Web 2.0“ kritisch gegenüber stehen, während vernetzte Denkstrukturen sich dort pudelwohl fühlen, so es gelingt, mit den Verknüpfungsoptionen, die digitale Technologien heute bieten, so umzugehen, dass keine Überforderung entsteht. Dieser Umgang mit dem Netz muss gelernt werden. Es müssen Strategien zur Nutzung des Netzes erlernt werden.
Die Kritiker dieser Form des vernetzten und vernetzenden Denkens richten sich oft gegen die scheinbare Überfülle an Informationen im Netz. Das Irritierende daran ist, dass diese Kritik genau so auch auf bedeutende Bibliotheken mit Buchbeständen von mehreren Millionen Exemplaren angewandt werden könnte; außerdem findet die gleiche Überlastung an Informationen dort statt, wo Bücher mit zahlreichen Verweisen auf andere Bücher rezipiert werden, bei denen zwar keine Links aber analog zu diesen Literaturverzeichnisse und Fußnoten eingesetzt werden. Mit dieser Informationsüberfülle umzugehen muss genau so gelernt werden wie mit der in digitalen Netzwerken. Der Unterschied ist nur, dass sich dieser Umgang mit der Informationsfülle analoger Medien, die in Wahrheit immer intertextuelle Strukturen bieten und somit auch vernetzte Strukturen in analoger Form aufweisen, als Kompetenz über einen wesentlich längeren Zeitraum entwickeln konnte, als dies bislang beim Umgang mit digital vernetzten Hypertextstrukturen der Fall ist.
Damit ist die Spannung zwischen linearen und vernetzten Denkstrukturen freilich nicht aufgehoben, aber zumindest schon einmal von der Ebene einer eher kulturkritischen als epistemologischen Auseinandersetzung herunter geholt. Denn in Wirklichkeit haben wir es zur Zeit mit einer Auseinandersetzung um die Frage zu tun, wie Erkenntnisse angemessen generiert werden.
Vor diesem Hintergrund ist es dann auch kein Zufall, das Kritiker des Internets immer wieder (zu Recht) auf die oft fragliche Relevanz der dort gemachten Äußerungen hinweisen, ohne gleichzeitig die Demokratisierung von Wissensbildungsprozessen ins Augen zu nehmen, die mit dieser Schwäche des Netzes verbunden sind. Es ist tatsächlich nötig, einen kompetenten Umgang mit Äußerungen im so genannten „Web 2.0“ zu entwickeln, eine kritische Kompetenz im Umgang mit Wissen. Diese kritische Kompetenz ist zwar auch in analogen Strukturen notwendig, dort aber weit weniger bewusst, da das Vertrauen in Redaktionen und Lektorate oft übersieht, das auch dort irrelevante Wissensbestände generiert werden, denen allerdings das Korrektiv abgeht, das in vernetzten Strukturen zumindest deutlich schneller zu Wort kommt als im einzigen Vernetzungsmedium analoger Art – in Leserbriefen.
Überspitzt ausgedrückt: Lineare Denkstrukturen bringen oft die überrationalisierten Erkenntnisprozess der Spätaufklärung zum Tragen, die zumindest tendenziell mit universalem Geltungsanspruch vertreten werden, während vernetzte Denkstrukturen eher der Gegenbewegung zur Spätaufklärung entsprechen, die sich in der Epoche der Romantik deutlich vernehmbar zu Wort meldete und mehr nach der tieferen Bedeutung des „Ganzen“ suchte, mit Pluralität selbstverständlicher umzugehen vermochte und sich dabei auch auf Assoziationen und Umwege einzulassen bereit war, als dies von analytischen Denkmodellen akzeptiert wird.
Lineare Denkstrukturen drücken sich, so das vorläufige Fazit, eher in analogen Medien aus; vernetzte Denkstrukturen hingegen finden sich in den Strukturen des so genannten „Web 2.0“ fast schon optimal abgebildet. Der Konflikt zwischen denen, die analoge Prozesse des Erkenntnisgewinns bevorzugen und denen, die die Optionen digital vernetzter Erkenntnisprozesse als für sich optimal betrachten, ist aber bei genauer Betrachtung nicht der Konflikt, als der er sich oft ausgibt: Es geht nicht um die Frage, ob analoge Medien das Abendland bewahren oder retten und digitale Medien den kulturellen Niedergang mit sich bringen; es geht vielmehr um eine Auseinandersetzung unterschiedlicher Formen des Erkenntnisgewinns. An der Oberfläche sehen wir ein medienkritische Auseinandersetzung, die letztlich lineare Fragen nach dem Muster von „Ursache“ und „Wirkung“ in den Blick nimmt (Kinder lesen immer weniger, die Verfügbarkeit des Internets ist Schuld; Leute laufen Amok, Gewalt betondende Computerspiele sind Schuld etc.) und somit Oppositionen schafft. Unter der Oberfläche aber geht es um grundlegende Fragen der Erkenntnistheorie (Epistemologie). Hier aber haben vernezte Denkstrukturen einen großen Vorteil: Sie können mit linearen Denkstruren im Grunde leben, da sie die so gewonnen Erkenntnisse eigentlich in ihr Netz integrieren können, während lineare Denkstrukturen vernetzte Formen des Erkenntnisgewinns zwar analysieren, nicht aber integrieren können.
Um so erstaunlicher ist es allerdings, dass die Kritik an Vernetzungsverweigeren bei denen so groß ist, die sich selbst vernetzen. Dies liegt vermutlich an den massiven Widerständen, denen digital vernetzt Arbeitende oft ausgesetzt sind, was sie in eine Verteidigungshaltung bringt, die selbst wieder missionarischen Charakter annimmt, da es überhaupt nicht nachvollziehbar erscheint, dass jemand die wunderbaren Möglichkeiten der Vernetzung nicht zumindest akzeptiert.
Zurück zum Zitat am Anfang dieses Beitrages:
„Widersprechen sich das lineare und das vernetzte Denken nicht so sehr, dass sie keine gemeinsame Ebene finden können?“
Ja, der Widerspruch in beiden Denkformen ist gegeben. Es ist ein Widerspruch im Streit um Genese und Geltung von Erkenntnissen, der sich nur dann auflöst, wenn gegenseitig akzeptiert wird, dass beide Formen des Denkens zu relevanten Erkenntnissen gelangen können.
Der Unterschied des Umgangs mit Web 2.0 und dem mit einer gewaltigen Bibliothek ist nicht nur darin begründet, dass der letztere länger gelernt werden konnte. Vielmehr liefert Web 2.0 auf Grund seines höheren Tempos weit mehr nicht „abgelagerte“ Informationen und macht es deshalb schwerer, vermutlich relevante von weniger relevanten Informationen zu scheiden.
Das befördert ein „neuronenhaftes“ Denken (Feuern und auf Reaktion reagieren). Das ist deshalb noch nicht vernetzter als das eines Leibniz, der für das Zusammentragen seiner Informationen freilich weit mehr Zeit brauchte.
Für mich ist dein Text endlich eine Grundlage, auf der wir sachlich diskutieren können und ich sehe einen großen qualitativen Abstand zu den momentan stattfindenden Diskursen in den Medien. So viel zur Banalität des Netzes.
Noch ein paar Gedanken:
Du sprichst von einer Art Segmentierung von Erkenntnis in linearen Denkprozessen – Erkenntnis durch eine Reihe z.B. logisch aufeinander aufbauender Prozesse.
Ich glaube, dass genau diese Teilschritte(!) – also die Segmente – im Grunde assoziativ und damit auch in vernetzten Denkstrukturen entstehen. Um zu interpretieren brauche ich z.B. einen Leitgedanken, der mir Teilschritte erst ermöglicht. Den kann ich in seiner Ausformung nur sehr begrenzt allein auf Basis eines Textes und seiner Analyse gewinnen, sondern ich bin dabei auch auf meine persönlichen Erfahrungen und Wissensbestände angewiesen, die sich assoziativ-chaotisch(!) durch meinen Lebensweg angesammelt haben. Dazu gehören immer auch Interaktionsprozesse, d.h. multidimensionaler Input. Damit würde die Vernetzung (die im Gehirn des Individuums wahrscheinlich analog erfolgt) zu einer Grundlage linearem Denkens und das lineare Denken selbst ist dabei der Ausdruck des Wunsches nach Ordnung, quasi die Abstraktion dieser vernetzten, assoziativen Prozesse. Ordnung ist immer dann gut herzustellen, wenn das Neue in bestehende Strukturen passt.
Weder Ordnung noch Struktur bestimmen „das Netz“, sondern Chaos und Kontrollverlust – der geht bei manchem sogar so weit, dass er die Kontrolle über seine Identität verliert und selbige im Netz in einer Weise diffundiert, die ihn nicht mehr einzigartig erscheinen lässt. Darauf müssen wir achten.
Denn darin liegt Trost – ich bin nicht allein -, aber ebenso eine existenzielle Bedrohung, wenn der „Sog der Masse“ (die es im Netz für mich gibt) mich zu Verhalten hinreißt, was u.U. nicht mehr zu meinem langsam, in linearen Prozessen entstandenen Weltbild passt. Dort fängt für mich die Fremdbestimmung an, die eben im Widerspruch zu den so oft propagierten Möglichkeiten des Netzes steht.
Danke für die vielen guten Gedanken.
Zwei Bemerkungen möchte ich gerne machen – die hoffentlich neue Bemerkungen auslösen:
1. „Die unterschiedlichen Denkstrukturen bestehen aber unabhängig der technischen Möglichkeiten, derer sie sich zu bedienen vermögen.“ Ja und nein. Denn Denken ist ganz und gar nicht unabhängig von den Medien, derer es sich bedient. Es gibt kein „Denken an sich“. Es gibt Denken immer nur als kulturhistorische Praxis, also als Form, die eng mit dem Medium verknüpft ist.
2. Relevanz. Was ist relevant? Gibt es objektiv Relevantes? – Ich denke, nicht. Und da sind wir schon wieder beim persönlichen Sinn, bei der Beurteilungsfähigkeit, was für einen selbst Sinn macht. Ich zitiere mal Leont’ev:
„Der Mensch findet ein bereits fertiges, historisch entstandenes Bedeutungssystem vor und macht es sich ebenso zu eigen, wie er sich ein Werkzeug, […] zu eigen macht. Die […] wesentliche Tatsache ist die, daß ich mir eine Bedeutung zu eigen mache und auch, inwieweit ich sie mir zu eigen mache und was sie für mich, für meine Persönlichkeit wird. Wovon hängt dies letztere ab? Das hängt davon ab, welchen Sinn diese Bedeutung für mich hat.“ (A.N. Leont’ev, Tätigkeit, Bewusstsein, Persönlichkeit, Köln 1982, S. 262)
Da stimme ich dir völlig zu, gehe sogar so weit, dass das „lineare“ Denken eng mit der Alphabetschrift verbunden ist, das „vernetzte“ Denken hingegen sich im Hypertext widergespiegelt sieht. Das ist natürlich auch noch sehr verkürzt, gibt ein wenig weiter Einblick in mein Denken. Das ist z. B. deshalb verkürzt, weil ja auch der Hypertext weitgehend über Alphabetschrift läuft, was auf eine durchaus enge Verbindung der beiden Denkformen hinweist, genau so wie die hier durchgeführte analytische Differenzierung in Begrifflichkeiten.
Überhaupt scheinen mir viele Netzwerker auch intensiv linear unterwegs zu sein. Ich wage mal eine These:
Lineares Denken ist eng mit dem vernetzten Denken verbunden. Vernetztes Denken vertieft lineare Denprozesse, reichert diese an und ist an Kooperation und Dialog interessiert. Möglicherweise ist die unter eher linear denkenden Menschen verbreitete Skepsis gegen digitale Formen der Vernetzung auch Ausdruck einer (unterbewussten, mit den Gefahren des Netzes rationalisierte?) Angst vor diesem Dialog, der ja voraussetzt, dass so auch Definitionsmacht aufgegeben wird. Vielleicht treten deshalb so wenige Politiker auf Twitter in einen Dialog und nutzen das Medium alleine zur linearen Distribution ihrer Pressemitteilungen; vielleicht liegt hier auch einer der Gründe von Sorgen angesichts der Risiken des Internets, die oft bei Lehrern und Lehrerinnen zu finden sind. Es wäre sicher einmal interessant zu erheben, ob es vielleicht sogar einen signifikanten Zusammenhang zwischen Netzskepsis und der Intensität des Einsatzes von Frontalunterricht gibt, bzw. zwischen Netzaffinität und Einsatz kooperativer Lernmethoden.
Die Überschrift hat mich neugierig gemacht.
Zum einen ist das Thema „Digital Natives“ spannend siehe u.a. http://www.dnadigital.de/networks/blog/post.filterraum:4
zum anderen „vernetztes denken“.
Vernetztes denken wie ich es kennen gelernt habe, bedeutet scheinbar etwas anderes, als dass hier beschriebene.
Dörner schrieb zb.
„Ich hoffe hinlänglich klargemacht zu haben, dass man das, was oftmals pauschal „vernetztes Denken“ oder „systemisches Denken“ genannt wird, nicht als eine Einheit, als eine bestimmte, isolierte Fähigkeit betrachten kann. Es ist ein Bündel von Fähigkeiten, und im wesentlichen ist es die Fähigkeit, sein ganz normales Denken, seinen „gesunden Menschenverstand“ auf die Umstände der jeweiligen Situation einzustellen.“
siehe auch http://beat.doebe.li/bibliothek/w00746.html
In diesen Kontexten geht es allerdings um Analyse.
Generell komme ich zu dem Schluss, dass nicht nur unser Denkorgan grundsätzlich physiologisch vernetzt arbeitet, sondern auch die bisher geführten Dialoge mit Mitmenschen meinen Eindruck verstärken, dass alle Menschen vernetzt denken. Die einen etwas umfangreicher und „bewußter“ als die anderen vielleicht.
Nach soviel kompetenten beiträgen melde ich mich hier nur deshalb zu wort, weil ich explizit dazu aufgefordert wurde. Herrlarbig hat sehr ausführlich und sorgfältig die merkmale aufgelistet, die zwei unterschiedlichen informationsverarbeitungsprozessen zugrundeliegen: bei dem einen bemüht man sich, den fokus auf eine begrenzte menge von informationen zu richten und diese in einen überschaubaren und stabilen ordnungszusammenhang zu bringen (also zu linearisieren). Beim anderen versucht man möglichst viele Informationen in den Blick zu nehmen (nicht-linear) und in Linearität zu bringen. Die Präsentation der Informationen als linearer Text (Buch) erleichtert die Informationsverbeitung nach dem ersten Muster: man hat alles schön beisammen. Die Leistung des Lesers wird es sein, aktiv weitere Informationen zu finden. Die Präsentation der Informationen auf einem Bildschirm (Web20) begünstigt den nicht-linearen, umfassenden Blick. Die Leistung des informationsverarbeiteden Subjektes wird es sein, alle Informationen zu einem kohärente, linearen Text zu integrieren.
Fazit: Informationsverarbeitung erfolgt in einem permanenten hin und her von linearer
vs. nicht-linearer Wahrnehmung. Selbstverständlich wurde immer schon nicht-linear gearbeitet, aber die lineare informationsdarbietung im Buchtext zwang den Leser, selbst aktiv nach rechts und links zu schauen. Und im Web20-Kontext wird selbstverständlich linear gedacht, nur dass der Akteur die Linearität permanent aktiv selbst herstellen muss.
Hallo und danke für den langen durchdachten Artikel voller Ideen.
Ich habe mich auch kürzlich mit ähnlichen Fragen befasst, aus beruflichen Gründen aus der Perspektive Web 2.0 / Enterprise 2.0. Mit den Hauptthesen gehe ich mit:
– Es handelt sich nicht um eine Gegenüberstellung von Denkmodellen, sondern um ergänzende Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns
– Digitale Medien sind nicht an assoziatives Denken gebunden, erleichtern es aber: http://bit.ly/alIbUf
Unter http://bit.ly/cORiTx habe ich mir mal am Beispiel der „Erweiterten Wissenstreppe“ Gedanken darüber gemacht, warum und inwiefern soziale Software eigentlich assoziative/vernetzte Denkprozesse unterstützt. Bevor ich jetzt einen überlangen Kommentar verfasse 😉
Wow, was für ein Text!*** Kompliment!
Ich habe eben nur interessehalber nach „vernetztem Denken“ gegoogelt, bin weder ein Experte noch im Auftrag von irgendwas Bildungspolitischem oa. unterwegs (daher ist das Kompliment nur meine persönliche Sicht).
Ich war mir beim Lesen sicher, daß es ein quasi kommerzieller Artikel eines Coaches der digitalen Transformation ist. Dabei war ich überrascht wie intelligent und differenziert die zugrundeliegenden Details des Konflikts herausgearbeitet wurden. Allein die formale Struktur finde ich schön, nichts wiederholt sich oder schweift aus/ab, sondern führt mich einen logischen Gedankenweg entlang, Fragen werden beantwortet, Fantasie wird angeregt, innerlich stellen sich plötzlich neue Thesen auf… 😀
Jedenfalls war ich echt überrascht, daß dieser reflektierte Text (nur) von einem Gymnasiallehrer stammt. Das freut mich und ich bin sehr beeindruckt. Die Schüler können sehr froh sein, so einen Lehrer zu haben. (Ganz plump ausgedrückt und eben kurz losgeworden.) Wünsche weiterhin viel Freude am Schreiben!