Ein Rückblick (im Zug verfasst)
Es ist ein Bug, wenn bei einem EduCamp die Sonne scheint ;-), sind da doch Leute, mit denen man ebenso gerne über Bildung, Medieneinsatz in Bildungszusammenhängen, die Bedeutung von Bildungsprozessbegleitern etc. im Gespräch ist, diskutiert, wie man mit ihnen auf dem sonnenüberfluteten Innenhof des GW2-Gebäudes der Bremer Universität grillen würde.
Und so musste man sich plötzlich entscheiden. Mit ein paar anderen draußen Sonne tanken oder schön brav die nächste Session besuchen. – In den meisten Fällen fiel die Entscheidung zugunsten der Session aus. Diese Veranstaltungen waren ja der Grund für die Reise nach Bremen – ein guter Grund, der der Sonne echte Konkurrenz machen konnte.
Es war mein erstes Educamp.
Welche Erfahrungen habe ich mit ihm gemacht, soweit ich sie schon jetzt, im Zug Richtung Süden sitzend, der bis auf den letzten Platz gefüllt ist ( – nein, das sind nicht alle Educamper), einschätzen kann?
Zunächst das wichtigste: Die Atmosphäre war produktiv entspannt. Dafür waren die Organisatoren des Educamps (ab hier schreibe ich das jetzt so, wie es auf Twitter abgekürzt wird – #echb11 ) um Thomas Bernhardt verantwortlich, die eine perfekt organisierte Tagung auf die Beine gestellt haben. Das ist bei dem Format eines Barcamps nicht leicht, lebt ein Barcamp doch auch ein Stück weit von unerwarteten Erkenntnisgewinnungsprozessen, die durchaus eine eigene Dynamik entwickeln können.
Mindestens so wichtig aber war der Raum. Das #echb11 fand in der Cafeteria des Gebäudes der Gesellschaftwissenschaften (GW2) auf drei Ebenen statt.
Es gab keine abgegrenzten Seminarräume!
Die Fläche war vielmehr – was der Schnitt dieser Cafetaria wunderbar möglich macht – in „Denkflächen“ für die Sessions aufgeteilt, die dann auch entsprechen „Geistesblitz“, „Geniestreich“, „Gedankensprung“, „Wissensdurst“, „Eselsbrücke“ und „Hirnrinde“ hießen.
Außerdem gab es den Foodcorner (sehr wichtig!), drei runde Tische, den roten Salon und Lutz Bergers Live-Streaming-Station, von der aus problemlos zwei der Denkflächen live ins Web gestreamt werden konnten.
Der gesamte Raum war mit Lautschprechern für allgemeine Ankündigungen auf allen Ebenen versehen. WLan-Zugang war selbstverständlich möglich. – Und was auf anderen Konferenzen nicht unbedingt gemocht wird, war hier selbstverständlich: Es wurde fotografiert, gefilmt, getwittert, die Veranstaltungen (Sessions) wurden parallel in Etherpads und auf anderen Wegen dokumentiert, wobei sich meist jemand in der Gruppe fand, der live mitschrieb – und meist blieb diese Person nicht allein.
Es mag an den Gewohnheiten von Educamp-Teilnehmenden liegen, dass all diese „Nebentätigkeiten“ (beim Educamp gehören sie zum Kerngeschäft) die Diskussion nicht beeinträchtig haben, weder in Sachen Lebendigkeit noch beim Tiefgang.
Dieser Tiefgang lebte davon, dass beim #echb11 zwar viele Lehrer und Lehrerinnen waren, aber auch viele Leute aus anderen Bereichen: Ob nun Medienwissenschaftler, Universitätsmitarbeiter, Mitarbeiter von Organsationen und aus welchen Bereichen nicht noch alles. Gemeinsam bildeten und füllten sie den „Think-Tank“.
Eine Session nur habe ich erlebt, in der ich keine „Nebentätigkeiten“ beobachtete: Lutz Berger hatte Maik Rieken, Felix Schaumburg, Lisa Rosa, René Scheppler, Andreas Kasche und mich als „bloggende Lehrer“ auf roten Sofas versammelt und uns zu einer Diskussion eingeladen, die live gestreamt wurde und in den nächsten Tagen auch online verfügbar sein wird. – Aber natürlich nutzten Leuten um uns herum ihre Geräte, um über diese Session zu schreiben 😉
Es war für mich die erste Medien integrierende Tagung, die so (!) entspannt verlief, bei der ich eine ganz selbstverständliche Integration digitaler Medien erlebte, die in ihrer Summe das neue Leitmedium bilden, wie es Lisa Rosa in Bremen formulierte.
Bislang erlebte ich diese Integration nur, wenn ich von außen an Educamps teilnahm, die Streams verfolgte, mittwitterte, kommentierte und dabei aus der Ferne mitbekam, wie die Medienintegration in diese Tagung funktioniert.
Nun also habe ich den Erfahrungsbeweis, dass es geht, so sich alle drauf einlassen. – So habe ich z. B. noch nie erlebt, dass im Rahmen der Diskussion um Educamps via Twitter gemobbt wurde, wohl aber, dass es durchaus ehrliche Stellungnahmen auch in Sessions hinein gab 😉
In Bremen waren die Umgangsformen, soweit ich sie miterlebt habe, durchweg freundlich.
Nicht, dass man nicht auch ohne (leichte) Nerd-Anteile am Educamp teilnehmen kann – aber es könnte passieren, dass man solche Anteile während eines Educamps an sich entdeckt.
Angesichts der Fülle an Sessions (um die 50, wenn ich richtig gezählt habe) und angesichts all des wichtigen, das außerhalb der Sessions passierte, in den Pausen, am Eröffnungsabend, der Party am Samstagabend und in den Essenspausen, geht es hier jetzt weniger um einzelnen Sessions, sondern um meine grundsätzlichen Einsichten, die ich auf dem Educamp meine gemacht zu haben.
Die Erfahrung, dass in diesen knapp zwei Tagen ((Den Bremer Medientag Media@School lasse ich unberücksichtigt, das war eine ganz andere Veranstaltung.)) eine dichte und doch offene Lernatmosphäre herrschte, sprach ich schon an. Sie hat mich beeindruckt.
Im Laufe der Veranstaltung bin ich immer wieder dem Phänomen begegnet, dass ich Leuten begegnete, die engagiert mit digitalen Medien arbeiten und auch die ihnen eigene Vernetzungsmöglichkeiten intensiv nutzen, sich aber wie Don Quichotte vorkommen, wenn es um die Frage geht, wie man andere dazu bekommen könne, es ihnen im Medieneinsatz gleich zu tun.
Abgesehen von Situationen, in denen jemand einen offiziellen Auftrag zu dieser Motivation Dritter bekommen hat, zeigte sich in den Diskussionen eine Tendenz, die den missionarischen Anspruch, der hinter dem artikulierten Frust oft steht, selbst in Frage stellte.
Man solle, so wurde sinngemäß mehrfach gesagt, die eigene Bereicherung, die mit dem Einsatz digitaler Medien erlebt wird, nicht zum Maßstab für andere machen, aber sie auch nicht verstecken.
Kurz zusammengefasst: Mach dein Ding, lass dich bereichern, erzähle auch davon, aber habe nicht den Anspruch, dass alle die gleichen Instrumente als bereichernd erleben müssen, die es für dich sind.
Mit dieser Diskussion ging das Educamp für mich los, sie ist immer mal wieder aufgeflammt, wobei noch ein Nutzen des eigenen im Netz Aktivseins betont wurde: „Nur wer schwimmen kann, kann schwimmen lehren.“
Ein Sportlehrer widersprach dieser Aussage zwar, aber das Bild trifft zumindest als Bild die Situation gut: Ich bin im Netz und vernetze mich nicht zuerst, weil ich da etwas in der Unterrichtspraxis nutzen will, sondern weil es für mich eine Bereicherung ist. – Und sobald das Umfeld die Möglichkeit bietet oder einfordert, kann ich von diesen Erfahrungen dann auch im Unterricht zehren.
Da es an Frankfurter Schulen laut Vorgaben des Schulträgers kein WLan gibt, sind die Bedingungen noch nicht so, wie sie von vielen Kollegen beschrieben werden, die intensiv mit digitalen Instrumenten arbeiten. Die iPad-Klasse der Kölner Kaiserin-Augusta-Schule, von der André Spang per Video zugeschaltet berichtete, ist nur mit WLan in Schulen denkbar. Und das gilt bis jetzt für alle dieser Geräte der neuen Geräteklasse Tablet-Computer.
Soll ich mich von solchen Gegebenheiten abschrecken lassen, meine eigenen Erfahrungen des Arbeitens im Netz weiter auszubauen? Es gibt keinen Grund zur Klage, wenn man pragmatisch orientiert handelt, ohne aus dem Blick zu verlieren, was möglich ist und sein wird.
Für mich war das Educamp auch in dieser Hinsicht eine Bereicherung: Ich habe Formen des Arbeitens mit digitalen Instrumenten kennengelernt, bei denen ich ohne die Erfahrung, dass sie von Kollegen und Kolleginnen eingesetzt werden, angenommen hätte, dass sie (noch) nicht möglich sind.
Die Arbeit mit Etherpad erlebte ich auf dem #echb11 selbst als sehr effektiv, die Diskussion um den Umgang mit der Frage, was man eigentlich macht, wenn Schüler einem Lehrer in sozialen Netzwerken folgen wollen, hat mir die Vielfalt der Umgangsformen der Kollegen und Kolleginnen mit diesem Thema vor Augen geführt. Und als es in der Session um die iPad-Klasse um die Frage des Verhältnisses von Technik zu Didaktik ging, wurde sehr schnell deutlich, wo es nach wie vor Diskussionsbedarf gibt, wo Lehrende selbst forschen, was geht und was nicht geht.
An dieser Stelle spreche ich bewusst von „forschen“ und nicht von „Experimenten“, wie es in der Session passierte, weil ich davon ausgehe, dass die Erfahrungen sowohl im Vorfeld als auch bei der Aufarbeitung der Beobachtungen reflektiert werden.
Weitere Erfahrungen:
– Ich musste mir in diesen zwei Tagen immer wieder klar machen, dass ich noch keine Veranstaltung mit Twitterwall erlebt habe habe. So selbstverständlich fühlte sich deren Präsenz für mich an. Da war wirklich nichts befremdliches für mich dabei.
– Zahlreichen Leuten, mit denen ich über Twitter und durch die Kommentarkultur in Blogs schon länger kooperativ am Denken denken bin, bin ich in Reallife begegnet. Mich überrascht immer wieder, dass es zwischen dem Eindruck, den ich von den Leuten im Netz gewinne und dem bei der realen Begegnung große Schnittmengen gibt, wobei die reale Begegnung in der Regel den Eindruck noch positiver werden lässt, als er vorher eh schon war.
– Einigen Leuten, mit denen die Verbindung über Twitter steht, bin ich wieder begegnet. Kam mir gar nicht so vor, als hätten zwischen den Begegnungen zum Teil zwei Jahre gelegen.
– Ich weiß jetzt, was ein Google-Quiz ist und das ein solches einiges an didaktischem Wert, Spaß und Gruppendynamik in sich birgt. (Liebe Google-Quiz-Crew „42“: Hat Spaß gemacht.)
– Die Begriffe „Lernen“ und „Unterrichten“ kann man analytisch trennen und den Lernbegriff dann mit dem Leitmedienwechsel fruchtbar zusammen denken.
– Digital Natives sitzen in einem Boot, auf dem sie geboren wurden; digital Emigrants haben dieses Boot einmal (freiwillig) betreten und kennen das Land noch.
Hier breche ich ab, denn dieser Beitrag ist 1. lang genug und 2. erwarte ich in den nächsten Tagen noch mehr Blogbeiträge zum #echb11 in anderen Weblogs. Auch hier: Ein Gesamtbild wird sich aus unterschiedlichen Hinsichten ergeben. Bin gespannt, wie dieses Educamp an anderen Stellen reflektiert werden wird.
Danke für diesen Bericht, der die Stimmung für mich (als Nichtteilnehmer) gut nachvollziehbar wiedergibt.
Sehr schöner Blogbeitrag! Und es hat mich auch gefreut, den Kurznachrichten, den längeren Texten und der Stimme endlich ein Gesicht zuordnen zu können 🙂
Sehr schöner Rückblick. Meinen Kollegen die nicht mitgekommen sind, aber Lust haben könnten im November dabei zu sein, werde ich mal deinen Artikel ans Herz legen.
…und die Sonne scheint immernoch 🙂