Rettet die Lyrik. – Über Dichter, Gedichte und das Inter-Netz
Dichter, die keine Sänger sind und als solche etwas Erfolg haben, können von Gedichten – zumindest im deutschsprachigen Raum, aber ich glaube das gilt ziemlich global – in der Regel nicht leben.
Tragisch aber wird das erst, wenn die Lyrik verschwindet, weil sich Dichter nicht um deren Verbreitung kümmern. Es gibt sie zwar, die Enklaven der Lyrik im Netz, aber sind sie wirklich präsent? Selbst wenn sie den Grimme-Online-Award bekommen haben, wie http://lyrikline.org, oder einen guten Ruf genießen, wie http://poetenladen.de, hat es die Lyrik nach wie vor mit einer kleiner Nische zu tun.
Ich behaupte nicht, dass das je anders gewesen wäre. Abgesehen von Lyrik in Liedern, die zu Volksliedern bzw. Hits wurden, fristet die Lyrik schon des längeren ein Schattendasein.
Aber wenn man mit Gedichten weder Geld verdienen noch eine breite Leserschaft erreichen kann, warum dann eigentlich nicht zumindest versuchen, eine etwas breitere Leserschaft zu erreichen und vielleicht sogar auf die Seite der Lyrik zu ziehen?
Sicher: Dichter sind nie von sich selbst zu überzeugen, bleiben in Selbstzweifeln hängen und müssen von Verlegern gehätschelt und getätschelt werden, damit sie überhaupt bereit sind, Gedichte der Öffentlichkeit zu übergeben. Und deshalb käme kein echter Dichter je auf die Idee, z. B. in sozialen Netzen zu veröffentlichen oder gar eine Website bzw. ein Blog zu gestalten – Das war natürlich Ironie. … Obwohl: Ganz so unrealistisch ist dieses Bild gar nicht. Die Lyrik versteckt sich – und dort, wo Lyriker Verlage gefunden haben, wird sie nicht sonderlich aktiv vermarktet. Statt die Leserschaft zu verbreitern, strahlt jeder mit Lyrik befasste Mensch eine stoische Ruhe aus, die sich selbst genügt, die für sich bleiben will.
Der Wert der Lyrik liegt in ihr selbst. Und wenn sie nicht gelesen wird, dann sind die Leser selbst Schuld.
Aha.
Das sagt keiner so; mein Eindruck bei Lesungen lyrischer Werke ist aber genau dieser. Man fühlt sich im kleinen Kreis wohl und ist in Wirklichkeit gar nicht darauf aus, dass Gedichte verbreiteter wahrgenommen (rezipiert) werden, als das bis heute der Fall ist.
Wo sind die Dichterwebsites, die selbst ein Gesamtkunstwerk sein könnten?
Wo sind die Verlage, die die digitalen Möglichkeiten nutzen, um Lyrik einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen? – Nein, liebe Verlage, auch für euch sind die meisten Gedichtbände keine Kassenschlager. Ihr könntet also eigentlich angstfrei andere Veröffentlichungswege testen und die Bücher so attraktiv und hochwertig gestalten, dass man sie trotz der zugänglichen Gedichte gerne kauft. – Ihr könntet potentielle Leser im Netz „anfixen“ und dann zu Kunden machen. Aber so wirklich scheint dieses Interesse nicht euer Interesse zu sein.
Lyrik – auch wenn man sich auf der Aussage ausruht, sie sei noch nie massentauglich gewesen und habe immer nur eine kleine Minderheit erreicht – hat so viel an Kraft in sich, die in Nischen abgeschoben wird, die sich letztlich kaum entfalten darf.
Dazu tragen Dichter bei, die wenig tun, dass ihre Werke leicht zugänglich sind.
Dazu tragen Schulen bei, die Lyrik viel zu häufig zu einem Produkt machen, dessen Attraktivität der eines Zahnarztbesuches gleicht, wenn gerade eine Plombe rausgefallen ist oder eine Wurzelbehandlung angekündigt wurde.
Dazu tragen Medien bei, die Lyrik mit der Aura des Unantastbaren umgeben.
Robert Gernhardt und Charles Bukowski zum Beispiel, haben durchaus ein größeres Publikum erreichen können. Die meisten von den wenigen Experten wahrgenommen und veröffentlichten zeitgenössischen Dichter hingegen sind den Lesern und Leserinnen in der Regel völlig unbekannt.
Lyrik ist verdichtete Sprachkunst, auf den Punkt gebrachte Emotion und auch, je nach Persönlichkeit des Dichtenden, komprimierte Reflexion.
So bietet sich Lyrik gerade als etwas an, das in Blogs publiziert, in soziale Netzwerke eingespielt, als Podcast gut eingelesen veröffentlicht und einen möglichst großen Resonanzraum geschaffen bekommen sollte. – Statt dessen gibt es ein paar Hobbydichter mit Schüttelreimen, die den Weg ins Netz wagen, statt einem der Selbstverlage zu verfallen, bei denen man für die Veröffentlichung des eigenen Werkes auch noch bezahlen soll.
Dichter konnten, ohne Gönner und Preisgelder, in den allermeisten Fällen weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart von ihrer Dichtung leben. Das hat sie in einen Nische gedrückt. Und heute scheint es mir, dass Dichtung sich so selbstzufrieden in den kuscheligen Ecken des intellektuell kokettierenden Rest-Bildungs-Bürgertums eingenistet hat, dass sie ihre Wildheit nicht nur verliert, sondern selbst unsichtbar und überflüssig werden könnte. – Erst, wenn es Dichtern gelingt, die Nische, die der Dichtung eingerichtet wurde, zu ignorieren und das Gedicht so zu platzieren, dass es Lesende findet, werde ich wieder ein wenig Hoffnung in Bezug auf die Relevanz einer der ältesten literarischen Formen haben.
Das Gedicht könnte eine größere Rolle in der kollektiven Wahrnehmung spielen. Aber zur Zeit steht es schlecht ums Gedicht. Und dabei bietet das Internet vieles, was zu einer Renaissance der Lyrik beitragen könnte. Mögen sich gute Nachwuchsdichter finden, die selbstbewusst und entspannt eine Lesung digital präzise vorbereiten und dann nicht mehr nur als Lesung, sondern als einen Zusammenhang in unterschiedlichen – analogen und digitalen – Darstellungsformen präsentieren.
Da ist noch einiges an Potential vorhanden. Dass es die gegenwärtigen Dichter und Dichterinnen nutzen werden, von Ausnahmen abgesehen, ist eher zu bezweifeln. Und die Folge könnte sein, dass die Dichter, die Lyrik als „Geschäftsmodell“ aufrecht erhalten wollen, verzweifelt nach individuellen Verkaufswegen suchen, ohne dabei zu merken, dass die Räume für Gedichte in der Öffentlichkeit im enger werden.
Wie aber könnte die Zukunft eines hauptberuflichen Lyrikers aussehen?
Ich stelle mir vor, dass ein Dichter sich nicht länger in sein stilles Kämmerlein zurückzieht, dort mit Worten kämpft und dann immer mal wieder ein schmales Werk das Licht der Öffentlichkeit erblicken lässt. Vielmehr wird ein Lyriker des 21. Jahrhunderts neben einer eigenen Website auch über intensive Präsenzen in sozialen Netzwerken verfügen und in diesem Rahmen veröffentlichen. Darüber hinaus wird der Lyriker seine Vortragskunst zu einem Event werden lassen, der so spannend ist, dass genügend Publikum dabei sein will, sodass der Dichtende bei solchen Liveveranstaltungen durchaus Geld verdienen kann. Die Gedichte selbst stehen in der Regel im Netz zur Verfügung, doch wird parallel dazu gemeinsam mit einem Kunstbuchautor an einer hochwertigen Ausgabe der Gedichte in der Forme eines Kunstbuches gearbeitet.
Lyrik scheint in letaler Agonie zu liegen. Ich behaupte, es ist nur ein Koma, aus dem sich die Lyrik wird befreien können, wenn erst einmal eine Generation von Autoren heranwächst, die selbstverständlich Inhalte im Internet zur Verfügung und / oder zur Diskussion stellt.
Lyrik ist nicht tot, sie schläft nur. Wecken wir sie als auf und führen wir sie über soziale Netzwerke hinein ins Freie der kein Gschäftsmodell sein wollenden Existenz, die in der Lage ist, Lesende nicht nur anzusprechen, sondern nachhaltig zu verändern.
Ja, eigentlich sind Gedichte ideal fürs Internet, schön kurz und pointiert, das reicht noch für die kürzere Aufmerksamkeitsspanne, die es beim Lesen im Netz gibt. Und tatsächlich kann man im Internet mit Gedichten Geld verdienen, nur muss man dafür in die furchtbaren Keller der Lyrik absteigen: Gelegenheitsgedichte zu Geburtstag, Hochzeit oder Weihnachten, auch Liebesgedichte laufen gut. Denn ganz so nischenhaft sind Gedichte im Netz nicht. Eine Website, die Gedichte der genannten Art sammelt, wozu auch gemeinfreie Texte gehören, kann, wenn sie gut etabliert ist, auf mehrere Tausend Besucher pro Tag rechnen. Nur für Lyriker mit modernem Anspruch ist ebenso wie in der Verlagswelt nicht viel zu gewinnen im Netz. Ob das nun die Schuld der Produzenten oder Rezipienten ist, sei dahingestellt. Nur eins ist für mich klar: So lange in den Schulen der Schwerpunkt auf dem Interpretieren von Gedichten liegt und nicht auf der Kreativität, werden Gedichte diesen Ruf des Elitären behalten, der dafür sorgt, dass man unter sich bleibt.
Mir und Wir
Und ist mir dies auch Sonnenklar ,
so dicht ich nicht für mich allein.
Ich freu mich wie ein kleines Kind,
wenn die Resonzanz von wir mich find.
Doch bald geht dies Gefühl vorbei,
den Meisten ist dies allerlei-
Was soll ich machen mit dem Ding,
das Keiner auch noch kennen will