EdChatDe – Ein Twitterchat für Lehrerinnen, Lehrer, Bildungsmenschen: Theorie und Praxis einer Idee

“Chats on Twitter have become a staple for information and contacts.
They are great sources of relevant information
that educators need to promote change and improve their own methodology.
Chats are wonderful sources for connecting to educators with proven worth
to add value to Professional Learning Networks.
It adds to the many ways educators can now
personalize their learning for professional development.
In order to provide kids a relevant education,
we need to provide relevant educators.
A connected educator, engaging in education chats,
is one method that enables this much-needed relevance.”

Tom Whitby (Founder EdChat)

Abstract: Seit dem 10. September 2013 chatten Lehrer, Lehrerinnen und andere an Bildungsfragen interessierte Menschen eine Stunde pro Woche auf Twitter gezielt über vorher abgestimmte Themen, zu denen von den Organisatoren des Chats, André Spang und Torsten Larbig, jeweils Fragehorizonte erarbeitet werden.

Was als ein einfaches Format von der in den USA entstandenen Idee des „Edchat“ (Education-Chat) abgeleitet wurde, das spiegelt sich im Namen „EdChatDE“ wider, baut auf einer Theorie auf, die die Frage nach dem didaktischen Mehrwert des Internets für Lehr-Lern-Zusammenhänge stellt und diese praktisch erforschen und erproben will. In diesem Beitrag stellt Torsten Larbig zunächst in groben Zügen den theoretischen Rahmen vor, in den der EdChatDe von ihm eingeordnet wird, bevor er dessen praktische Umsetzung auf der Basis dieses Theorierahmens darstellt und reflektiert.

Theorie

Viel ist dieser Tage die Rede von offenen Bildungs- bzw. Lernmaterialien. Open Educational Resources (OER) werden nicht nur von der UNESCO propagiert, sondern auch auf Konferenzen in Deutschland thematisiert. Doch neben der Frage nach Material, das erstellt, verändert und weitergegeben wird, stellt sich die Frage, wie sich Offenheit, die man für Lernmaterialien wünscht, als Grundhaltung in Bildungsprozesse integrieren lässt. Wie können Form und Inhalt Offenheit widerspiegeln, wenn Fortbildungen oder digital vermittelter Austausch im Netz organisiert werden sollen?

Im Zentrum digitaler Didaktik

Es ist eine Reise ins Zentrum digitaler Didaktik, fragt man nicht nur, inwiefern z. B. das Internet bei der Verbreitung von Lernmaterial helfen kann, wobei allzu oft analoge Lernkonzepte digitalisiert werden, sondern danach, welcher didaktische Mehrwert in digitalen Strukturen liegt.

Es trifft den Kern digitaler Didaktik, reduziert man das Nachdenken über freies Lernen nicht auf Lizenzfrage für Unterrichtsmaterial oder Gedanken über Geschäftsmodelle, die OER attraktiv machen könnten.

Im Zentrum steht nicht die – an einigen Stellen wichtige, relevante und unbedingt zu beachtende – Frage nach Urheberrechten, sondern die Frage nach einer Grundhaltung, einer Einstellung, einer Ausrichtung des eigenen Denkens und Handelns in Bezug auf Lernszenarien, zu denen u. a. Lernmaterialien – und dann natürlich inklusive der Fragen nach Lizenzen, Geschäftsmodellen etc. – gehören, aber eben nicht nur.

Hattie für die Fragen freier Lernszenarien rezipieren

Die Hattie-Studie stellt wie viele andere Untersuchungen überzeugend fest, dass für den Erfolg von Lernprozessen die Lehrer von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind. (vgl. Hattie 2009 und 2012) Dabei spielt vor allem die Qualität des Vertrauensverhältnisses zwischen Lernenden und Lehrenden eine Rolle, aber ebenso wichtig sind die Fragen des Feedbacks und der Evaluation, mit deren Hilfe Lernprozesse sichtbar gemacht werden können. Sichtbarkeit ist dabei eine der zentralen Kategorien, die für das Lernen herangezogen werden, sodass Hattie nicht umsonst den Begriff des „Visbible Learning“ (Sichtbares Lernen) eingeführt und begründet hat.

Auf digitale Netzstrukturen angewandt bedeutet dieser Ansatz, dass Lernen, das in all seinen Dimensionen online sichtbar sein will, über Vertrauen, Feedback und gezielte Evaluation zu den sichtbarsten Ergebnissen kommen kann. – Im Netz ist Vertrauen dabei die Basis, Feedback Alltag und Evaluation ein kontinuierlicher Prozess im Rahmen vernetzter, offener Kommunikationsstrukturen mit Bildungsanspruch.

Der hier vorgelegte Ansatz, der als Weiterführung des Gedankens Hatties gedacht ist, spiegelt eine der Grundstrukturen in digitalen Kontexten wider: Ein Basisgedanke des Internets im Sinne dessen, was als Web 2.0 bezeichnet wird, ist die Möglichkeit der sichtbaren Teilnahme von jedem im Netz vertretenen Menschen am gesellschaftlichen Diskurs. Der Diskurs aber ist ein Prozess gesellschaftlichen Lernens (vgl. Habermas 1995); von der Distribution (Verteilung) von Information ist man zur Kommunikation gelangt und erfüllt damit einen Traum, der von Bertolt Brecht signifikant in seiner Radiotheorie formuliert wurde (vgl. Brecht 1967).

Das Internet und das so genannte Web 2.0 sind so etwas wie das ideale Radio im Sinne Brechts. Hier wird nicht nur Wissen verteilt, es gibt nicht nur Einbahnstraßen des Flusses von Kommunikation. Vielmehr ist die Grundstruktur des Web 2.0 die einer dialogischen Vernetzung.

Das bedeutet für die didaktische Betrachtung der Möglichkeiten und Grenzen des Internets, dass Lernen online im Idealfall ein ebenso dialogischer Prozess ist wie in konkreten Lernsituationen, z. B. an der Schule, der Hochschule, im Handwerksbetrieb, im Dienstleistungsunternehmen etc.

Hier sei angemerkt, dass „Dialog“ als Begriff nicht das Gespräch von zwei Personen meint. Die Vorsilbe des Wortes lautet nicht „di“ im Sinne von Zwei, sondern διά (diá) was ‚[hin-]durch‘  bedeutet. Dieser Vorsilbe folgt der griechische und von seiner Bedeutung sehr komplexe Begriff λόγος (lógos) = ‚Wort‘, ‚Rede‘, ‚Weisheit‘ etc.,  sodass „Dialog“ als ein Fließen von Worten (zwischen beliebig vielen Gesprächsteilnehmern) verstanden werden kann.

Es stellt sich also die Frage, wie offene Lernszenarien online geschaffen werden können, die in diesem Sinne „dialogisch“ sind.

Eine Möglichkeit in Bezug auf Lernmaterialien findet man im Gedanken freier Lernmaterialien (OER), die sich im Netz im oben genannten Sinne „dialogisch“ entwickeln, indem sie erstellt, verbreitet, verändert (an Lerngruppen angepasst bzw. qualitativ verbessert) und geteilt werden. Auf diesem Wege werden zumindest Arbeitsblätter und andere Lernmaterialien an die Möglichkeiten des Netzes angepasst, aber Lernmaterialien sind nur ein Teil dessen, was Lernprozesse ausmacht. Der andere Teil ist der Dialog konkreter Personen. Und genau an dieser Steller setzt der Twitterchat „EdchatDE“ an, der seit dem 10. September 2013 jeden Dienstag von 20 bis 21 Uhr auf Twitter unter Nutzung des Schlagwortes (Hashtags) #EdchatDE stattfindet.

Neben diese Überlegungen zu den Ansätzen von Hatties „Visible Learning“ und Brechts „Der Rundfunk als Kommunikationsapparat“ tritt im Rahmen eines Twitterchats für Lehrer, Lehrerinnen und andere an Bildungsfragen interessierte Menschen die Frage nach Formen und Strukturen von Fortbildungsaktivitäten angesichts der Möglichkeiten des Internets. Kann das Internet als Fortbildungsinstrument taugen, dessen sich Lehrende bedienen, die sich für einen kontinuierlichen und nicht nur punktuellen Ansatz der Fortbildung interessieren? (Vgl. hierzu Larbig 2013)

Praxis

Weniger die Theorie als der Wunsch, nicht zu nachtschlafender Zeit am amerikanischen Vorbild teilnehmen zu müssen, um die Bereicherung erleben zu können, die der Edchat ist, stand am Anfang des deutschsprachigen Ablegers des Edchats, der unter dem Schlagwort #EdChatDe seit dem 10. September 2013 jeden Dienstag auf Twitter stattfindet.

Weder André Spang noch ich wollten darauf angewiesen sein, um 2 Uhr morgens wach zu sein, um mit den Kollegen und Kolleginnen aus den USA im Gespräch zu bleiben. Was der Edchat kann, sollte ebenso in Deutschland möglich sein, lautete einer der treibenden Gedanken, der die Gründung des deutschen Ablegers des EdChats zur Folge hatte. Dabei wurde dieses Ansinnen von Anfang an von den amerikanischen Machern des Edchats (Tom Whitby, Steven Anderson, Shelly Terrell) positiv begleitet.

Alles begann für André Spang und mich am 29. August 2013. In einem knapp fünfundvierzig Minuten dauerndem Telefonat waren wir uns sehr schnell einig, dass wir es begrüßen würden, könnte man im deutschsprachigen oder gar europäischem Raum einen Ableger des Edchats etablieren. Ziel war es dabei von Anfang an, nicht nur im Sinne eines Dialogs Lehrende miteinander zu vernetzen, sondern das Thema „Bildung“ („Education“) auf Twitter sichtbarer werden zu lassen.

Noch am gleichen Tag entstanden das Blog und das Wiki des Projektes und es wurde unmittelbar mit der Werbung begonnen.

Nach weniger als zwei Wochen Vorlaufzeit ging es dann am 10. September 2013 mit einem Schwerpunkt auf dem Schuljahresbeginn (Back to School) los. Es war überwältigend zu sehen, wie im Sekundentakt in der Stunde von 20 bis 21 Uhr die Tweets zu den von André und mir vorbereiteten und von Peter Ringeisen (@vilsrip) ins Englische übersetzen Fragen an uns vorbei liefen. Wenn auch bei den Chats in den Folgewochen die Zahl der Teilnehmenden etwas geringer wurde, sich aber seitdem recht konstant hält, so war es doch eine Überraschung, dass dieses Format offensichtlich zur rechten Zeit kam, äußerten sich doch viele Teilnehmer in diesem Sinne on- oder offline gegenüber André Spang und mir.

Wochenrhythmus – EdchatDe-Backstage

Um eine Vorstellung davon zu geben, wie das Format des EdchatDE funktioniert, sei hier kurz skizziert, wie eine Woche mit dem Chat abläuft.

Nachdem das Thema des ersten EdchatDe mit „Früh im Schuljahr“ (Back to School) von den Organisatoren gesetzt worden war, wurde es üblich, dass jeweils am Ende der Stunde des EdchatDe nach Themenvorschlägen für die nächsten Male gefragt wird.

Aus diesen Vorschlägen und eigenen Ideen werden dann am Donnerstag oder Freitag der jeweiligen Woche Themenvorschläge für die kommende Woche erarbeitet und spätestens am Freitag zur Abstimmung auf das Blog von EdChatDe gestellt. Bis montags um 18:00 kann dann über die Themen abgestimmt werden.

Wenn absehbar ist, welches Thema für die kommende Woche gewählt werden wird, werden Fragen und deren Reihenfolge von den Organisatoren entwickelt, die auf GoogleDocs in eine Art „Drehbuch“ eingetragen werden, das Woche für Woche die Grundlage der Moderation des EdchatDe darstellt. In diesem GoogleDoc werden die Fragen dann von Peter Ringeisen ins Englische übersetzt, denn wir wollen den amerikanischen Kollegen, aber vor allem den Lehrenden in Europa die Möglichkeit geben, sich am EdChatDe zu beteiligen.

Kurz vor der Stunde am Dienstagabend von 20 bis 21 Uhr verbinden sich die Organisatoren Spang und Larbig, die in Köln und Frankfurt am Main leben und das ganze Format tatsächlich fast ausschließlich online organisieren, meist via Telefon, um sich während des EdchatDE abzustimmen, zeitliche Synchronität beim Veröffentlichen der Fragen zu erreichen und  Beobachtungen auszutauschen, die sie während des EdChatDe machen.

Nachdem eine Sitzung vorbei ist, gibt es dank externer Unterstützung von @frandevol und Gabriele Cierniak (@gcierniak) nicht nur eine Dokumentation der im Laufe der Stunde aufgelaufenen Tweets, sondern darüber hinaus immer wieder statistische Auswertungen über den Verlauf des jeweiligen EdchatDe, die im Wiki des Projektes veröffentlicht werden.

Dabei kommt es gerade bei der Dokumentation der Tweets nicht darauf an, diese nachträglich zu sortieren oder zu kategorisieren. Die Tweets werden als Rohmaterial verfügbar gemacht, dessen sich jeder bedienen kann, sei es um eigene Storify-Geschichten zu erstellen oder um für sich selbst hilfreiche thematische Schwerpunkte aus dem Chatgeschehen heraus zu filtern.

Rohmaterial oder: Gewollte Unübersichtlichkeit

Es liegt nahe, dass man sich wünscht, das im Chat entstandene Material würde zentral ausgewertet. Doch das wollen und können die Organisatoren des Formates nicht leisten. – Die entstehende Unübersichtlichkeit ist geradezu Teil des Konzeptes.

Organisiert wird ein dialogisches Format.

Wir organisieren nicht die Bedeutung, die den Inhalten zugeschrieben werden kann, die im Laufe des EdchatDe entstehen.

Das entstehende Material kann ausgewertet werden, aber wir schreiben niemanden die Kriterien vor, nach denen er es auswertet. – Das hat mit dem theoretischen Hintergrund zu tun, dass Offenheit u. a. bedeutet, die Kontrolle über die Deutung der Inhalte eines Lernprozesses nicht unbedingt in den Händen der Organisatoren zu belassen.

An dieser Stelle eine Übersicht der ersten sieben Themen im EdchatDE:

  1. Früh im (Schul)Jahr / Early in the (School)Year (10.09.2013)
  2. Kollaborative Arbeiten initiieren, gestalten und bewerten“ (17.09.2013)
  3. Wollen wir OER (erstellen) oder sind wir zufrieden, so wie es ist? (Ein Nachklang zur OER-Konferenz, Berlin und dem OER-Barcamp, Köln) (24.09.2013)
  4. Digitales Lernen: 1:1 mit Laptop/iPad-Klassen oder #BYOD? (01.10.2013)
  5. Wie bringe ich mehr LehrerInnen zur Vernetzung? (Connected Educators Month – CEM) (08.10.2013)
  6. Tipps und Tricks zum digitalen Workflow (15.10.2013)
  7. Medien als Thema in den Unterrichtsfächern der Schule oder ein eigenes Fach Medien? (22.10.2013)

Bereits in dieser frühen Phase des Projektes zeigt sich, dass die Themen zwar vielfältig sind, aber angesichts der Teilnehmerstruktur bislang eine Tendenz hin zu Fragen der digitalen Didaktik besteht. Wenn das Medium die Message (Botschaft) ist, wie Marshall McLuhan postulierte (vgl. McLuhan & Fiore 2001), wäre dies wenig überraschend. Wer sich mit der Didaktik eines Mediums befasst, der kommt nicht umhin, sich mit dem Medium und dessen Möglichkeiten selbst zu befassen.

Digitale Didaktik ist Gegenstand des Formates, weil das Format selbst versucht, die didaktischen Möglichkeiten des Digitalen im Kontext sozialer Netzwerke wie Twitter auszuloten.

Widerspruch

Solch ein Projekt bleibt nicht ohne Widerspruch: Twitter sei kein Chat, wurde uns mitgeteilt, einzelnen Menschen, die André Spang und mir auf Twitter sonst folgen, gaben öffentlich bekannt, dass sie das Schlagwort #EdChatDe filtern und ausblenden, da die Tweets zum Thema in der einen Stunde ihnen ihre Übersicht über eingehende Tweets rauben, weil es einfach zu viele seien. – Glücklicherweise gibt es Twitterclients, die eine solcher Filterung ermöglichen, denn die Offenheit eines Formates muss natürlich immer überlegen, ob es Wege gibt, ein Format nicht annehmen zu müssen, an einer Diskussion online nicht teilnehmen zu müssen.

Wir vertrauen darauf, dass im Sinne einer Filtersouveränität, die neben dem dialogischen Charakter ein Merkmal des kompetenten Verhaltens von Menschen in digitalen Netzen ist, Nutzer von Twitter gegebenenfalls in der Lage sind, sich durch Filter eine Art Opt-Out für den EdchatDE zu ermöglichen.

In diesem Sinne bedeutet Offenheit für den EdchatDe, dass er einerseits darauf setzt, dass die Teilnahme jedem möglich ist, der oder die mittels Twitter im Internet aktiv ist, andererseits aber damit rechnet, dass sich Personen mittels entsprechender Tools zumindest partiell aus dem Geschehen auf Twitter ausklinken können, was letztlich zeigt, wie hilfreich signifikante Schlagworte (Hashtags) für die Organisation eines solchen Chats im Rahmen der Öffentlichkeit eines sozialen Netzwerkes sein können.

Erfahrungen

Wenn das Netz so genutzt wird, dass Inhalt und Form zueinander finden, ergeben sich enorme Potentiale für Flow-Effekte (Vgl. Csikszentmihalyi 1993). Und es scheint so zu sein, dass Flow in der Planung die beste Voraussetzung für diesen Zustand für Teilnehmende an solch einem Projekt ist.

Mehrfach wurde mir gegenüber mittlerweile das Erstaunen darüber ausgedrückt, dass ein Format wie das des EdchatDe sich direkt beim ersten Anlauf bewährte und mittlerweile deutliches Potential zeigt, sich zu etablieren und zu verstetigen.

Neben den Aktivitäten der am EdChatDe Woche für Woche beteiligten Personen ist es spannend zu sehen, wie sich Personen bereit erklären, kontinuierlich wichtige Aufgaben im Bereich der Übersetzung, der Dokumentation und der statistischen Auswertung zu übernehmen.

Darüber hinaus etabliert sich neben dem deutschsprachigen Format durchaus die Teilnahme englischsprachiger Teilnehmer und Teilnehmerinnen, sodass neben einer Vernetzung deutschsprachiger Lehrerender die Aufmerksamkeit nicht unrelevanter Persönlichkeiten – zur Zeit vor allem im angelsächsischen Bereich – auf die Themen gelenkt wird, die momentan im deutschsprachigen bzw. europäischen Raum diskutiert werden.

Darüber hinaus hat es sich bewährt, dass der EdchatDe völlig offen für alle Personen ist, die sich Twitter als Werkzeug bedienen.

Natürlich gab und gibt es kritische Stimmen, die grundsätzlich skeptisch gegenüber Chataktivitäten auf Twitter sind oder subjektiv den Eindruck haben, dass ihr Twitteraccount angesichts der vielen Personen aus der je eigenen Timeline, die am EdChatDe teilnehmen, mit EdchatDE-Tweets geflutet wird.

Es gibt kritische Stimmen, die sich mit der Frage auseinandersetzen, ob denn auf diesem Wege überhaupt dialogische Strukturen möglich seien. – Zumindest der Dialogcharakter des Formates hat von Termin zu Termin zugenommen. Es scheint so, als würden die Teilnehmenden über dieses Format etwas mehr lernen, mit einem solchen offenen und damit nicht unbedingt übersichtlichem oder geordnetem Format umzugehen.

Noch einmal Theorie: Didaktische Erkenntnisse

Nach den ersten Wochen, in denen nun Erfahrungen mit dem #EdchatDe als einem Twitterchat zu Themen, die Lehrende beschäftigen, vorliegen, ist es Zeit, diese an den theoretischen Grundlagen zu messen die oben gelegt wurden.

Es hat sich gezeigt, dass der EdchatDe davon lebt, dass es Organisatoren gibt, die das Format Woche für Woche initiieren und am Leben halten. In diesem gesetzten Rahmen aber verwandelt sich die Struktur des Mediums Internet momentan Woche für Woche zum Teil der Inhalte, die via #EdChatDe kommuniziert werden. Die offene Struktur des Mediums spiegelt sich in der offenen Struktur des Formates wider. Die Unübersichtlichkeit, die mit dem Medium Internet verbunden ist, findet sich im EdChatDe wieder, wobei sie dort ein Teil des Konzeptes ist.

Die Notwendigkeit, sich für die Nutzung des Internets eigene Filterstrukturen zu schaffen, um mit der Vielfalt der Informationen umgehen zu können, die dort verfügbar sind, findet sich als gewolltes Merkmal in der Struktur des EdchatDe wieder.

Darüber hinaus greift das Format die in offenen Strukturen mögliche Form des ReMix auf, indem auf das angelsächsische Format nicht nur zurückgegriffen wird, sondern darüber hinaus dieser Rückgriff von den Initiatoren des amerikanischen EdChats ausdrücklich begrüßt wird. Wie anders wäre es, wenn sie auf die „Marke“ Edchat bestehen würden!

In deutschsprachigen OER-Zusammenhängen ist es leider nicht selbstverständlich, dass im Kontext offener Bildungsformate genutzte Begriffe selbstverständlich von Dritten genutzt werden können. In deutschen Zusammenhängen kann es sogar passieren, dass die Inspiration durch OER-Formate abfällig als „Kopie“ (indirekt hört man da den Unterton „Ideenklau“ mit) bezeichnet wird und an die Stelle von Synergien Konkurrenz tritt. – Was im Bereich von OER-Initiativen zum Teil so anstrengend und überflüssig ist, hat den Bereich offener Bildungsformate jenseits von klassischen Open Educational Resources meiner Wahrnehmung nach glücklicherweise bislang nicht erreicht.

Neben dem EdchatDe gehören zu diesen offenen Formaten, die aktuell stattfinden, regionale Bildungsstammtischformate. So etablieren sich zur Zeit in Frankfurt die Idee des „Bildungsäpplers“ – in Anlehnung an das regionale Getränk des Apfelweins – und des „Bildungskölschs“ in Köln.

Diese regionalen Formate versuchen, radikal offene Formate in den analogen Bereich einer überschaubaren Region zu integrieren und „Offlinern“ zugänglich zu machen. Durch ihren schon im Namen liegenden Regionalbezug unterscheiden sich diese Formate von ähnlichen offenen Bildungsstammtischformaten, wie z. B. dem „Bildungsbier“, das bislang in Hamburg, Düsseldorf, Bremen und Köln organisiert wurde und zwischen 2011 und 2013 fünf Mal stattfand.

Offenheit als Trend?

Es scheint, als entwickelten sich gegenwärtig zumindest die Potentiale für digital und für analog vernetzende Formate, die sich dem Gedanken der (durchaus an gemeinsamen Interessen  orientierten) Offenheit verschrieben haben.

Offenheit bedeutet dabei, dass die Formate für jeden am „Thema“ interessierten Menschen offen sind, dass also die Termine oder Orte offen kommuniziert werden, was idealerweise bedeutet, dass die Organisation nicht über geschlossene Plattformen läuft.

Darüber hinaus bedeutet Offenheit, dass sich mit Bezug auf den EdchatDE Chatthemen idealerweise aus den Reihen der am Chat beteiligten Personen heraus entwickeln und über das Thema der je kommenden Woche abgestimmt wird; Offenheit bedeutet, dass die analogen Treffen themenfrei sind, weil sie – ähnlich wie die Barcamps als offene Konferenzformate – darauf bauen, dass die Teilnehmenden spannende Experten sind, die die Inhalte selbst zu gestalten in der Lage sind.

Was für Barcamps als offene Formate gilt, gilt auch für offene Formate on- und offline: Der Reichtum liegt im Verschwinden von institutionalisierten Filtern, die den Zugang diesseits von inhaltlichen Kriterien filtern.

Man muss nicht „etabliert“ sein, um am EdchatDe teilnehmen zu können oder Teilnehmer bei regional organisierten Treffen von Bildungsmenschen zu sein, wie sie gegenwärtig in Frankfurt am Main und Köln und in diversen anderen Formen an anderen Orten stattfinden. Es scheint sich um einen Trend zu handeln, der zeigt, dass die Zeit für eine experimentelle Erneuerung überkommener Kommunikationsformen im Bereich des Fachgesprächs reif ist.

Das Internet als Rundfunk im Sinne eines brechtschen Kommunikationsmediums macht die Organisation offener Bildungsformate on- und offline einfach wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Und in diesen Formaten wird das nötige Know-how gesammelt, dass es den beteiligten Personen möglich macht, selbst offene Bildungsformate im Kontext ihrer jeweiligen Arbeit an Schule, Hochschule etc. zu ermöglichen.

Solange man nicht der Versuchung erliegt, das frei Fließende dieser Formate in feste Bahnen lenken zu wollen, solange können diese Formate ihr oft überraschendes Potential ausspielen, das letztlich sehr individuell ist: Es ist nicht möglich vorauszusagen, wer welche Erkenntnisse in solchen offenen Formaten erwirbt. Deshalb ist es wichtig, dass sich mittelfristig um diese offenen Formate herum Netzwerke entwickelt, in denen sich die Beteiligten offen und transparent darüber austauschen, was sie aus den offenen Formaten für sich persönlich mitnehmen.

Es bedarf eigenständiger Aktivitäten der Teilnehmenden, da diese Formate ja bislang nicht in schulischen Kontexten und dem damit verbundenen „Zwang“ entwickelt und getestet werden.

Es bedarf eigenständiger Aktivitäten der Teilnehmenden, in deren Rahmen sie ihre eigenen Lernergebnisse nicht nur festhalten, sondern selbst wieder in den dialogischen Diskurs einspeisen, der idealerweise aus offenen Bildungsformaten hervorgeht, die von einer Haltung der Offenheit geprägt sind, welche weit über formaljuristische Lizenzfragen hinaus gehen und die dazu beitragen, Werte einzuüben, die dann dazu beitragen können, dass Open Edcuational Resources vielleicht etwas leichter entstehen können.

Unabhängig von Lernmaterial kann schon hier und heute im Rahmen offener Bildungsformate – von Barcamps über Twitterchats bis hin zu regional organisierten analogen Treffen – viel von der Haltung eingeübt werden, die mit einem Offenheitsbegriff verbunden ist, der auf Respekt, Hochachtung und Vertrauen angesichts je eigener Kompetenzen und der Kompetenzen anderer baut, ohne diese für eigene Zwecke intransparent vereinnahmen zu wollen, wie es leider in Einzelfällen auch vorkommt.

Offenheit im Sinne von „Openness“ ist für den EdchatDe eine dauernde Herausforderung. Es gilt, Bestrebungen zu widerstehen, die gerne mehr „Ordnung“ hätten, weil diese die Offenheit des Formates drastisch reduzieren und somit irrelevanter machen würde.

Literaturverzeichnis

Brecht, B., 1967. Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. In: Bertold Brecht: Gesammelte Werke, Bd. 18. Schriften zur Literatur und Kunst, Bd. 1. Frankfurt a. M: Suhrkamp, S. 127ff.

Csikszentmihalyi, M., 1993. Flow: das Geheimnis des Glücks, Stuttgart: Klett-Cotta.

Habermas, J., 1995. Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt a.M: Suhrkamp.

Hattie, J., 2009. Visible learning: a synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement, London [u.a.: Routledge.

Hattie, J., 2012. Visible learning for teachers: maximizing impact on learning, London ; New York: Routledge.

Larbig, T. 2013. Lehrerfortbildung 2.0? Wie Lehrer sich über / im Netz fortbilden können, in: Pädagogik, 65. Jahrgang, Heft 10 / Oktober 2013, S. 25–27.

McLuhan, M. & Fiore, Q., 2001. The medium is the massage, Corte Madera: Gingko Pr.