Handyverbot verbessert Leistungen? – Anmerkungen zu einer Studie der London School of Economics
Forscher der »London School of Economics« kommen in einer Studie zu dem Schluss, dass ein Verbot von Mobiltelefonen (also: Smartphones) an Schulen zu besseren Leistungen bei einem Teil der Schülerinnen und Schüler führe.
Während man bei leistungsstarken Schülern und Schülerinnen keinen Effekt von Handyverboten feststellen konnte, sei dieser bei leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern enorm gewesen. Im Schnitt verbesserten sich die Leistungen um 6,41%, was in etwa dem Lerneffekt einer zusätzlichen Schulwoche entspreche.
Begründet wird das Ergebnis damit, dass das Ergebnis die Vermutung nahelege, dass sich leistungsschwache Schülerinnen und Schüler leichter durch die Verfügbarkeit der Mobiltelefone ablenken ließen, während leistungsstarke Schüler und Schülerinnen sich unabhängig von der Verfügbarkeit von Smartphones im Unterricht konzentrieren können. (»The results suggest that low-achieving students are more likely to be distracted by the presence of mobile phones, while high achievers can focus in the classroom regardless of whether phones are present.« (S. 17) [Hervorhebung TL])
Am Ende wird festgestellt, dass die Ergebnisse der Studie nahelegen, dass ein Verbot von Mobiltelefonen an Schulen ein kostengünstiger Weg sei, um Bildungsungleichheiten zu reduzieren (»banning mobile phones could be a low-cost way for schools to reduce educational inequality.« (S. 17f)).
Soweit die Ergebnisse der Studie. Soweit das, worüber in unterschiedlichen Presseberichten geschrieben wurde. Hier nun ein paar Überlegungen, die man mit dieser Studie sicher auch verbinden kann:
Die Studie betont, dass Handyverbote ein kostengünstiger Weg sein können, um Bildungsungleichheiten zu reduzieren. Vor allem leistungsschwache Lernende könnten daraus einen Vorteil ziehen, bei leistungsstarken konnte kein negativer Effekt festgestellt werden, wenn Smartphones nicht verboten sind.
Wie aber sehe der vielleicht nicht ganz so kostengünstige Weg aus?
Der Vorschlag der Forscher der London School of Economics läuft auf eine Zementierung der unterschiedlichen Fähigkeiten des Umgangs mit den digitalen Endgeräten hinaus. – Ein Handyverbot trägt kein Jota dazu bei, dass die leistungsschwächeren Schüler einen Umgang mit Smartphones lernen, der dazu beiträgt, dass ihr Lernen durch diese nicht beeinträchtigt wird, was ja durchaus ein erstrebenswertes Ziel sein könnte.
Die Studie untersucht ausschließlich die Leistung im Kontext von formalen Prüfungen, sie untersucht nicht, welchen Einfluss medienpädagogische Interventionen oder deren Fehlen auf diese Leistungen (und auf das soziale Lernen in der Schule) haben.
Die Studie erweckt den Eindruck, als könnten leistungsstarke Lerner etwas, was den leistungsschwächeren Lernern fehlt: Konzentration auf das Lernen trotz der Ablenkungspotentiale von Smartphones.
Diese Kompetenz ist erlernt! Wie sie erlernt werden kann, ist die eigentliche Frage, die sich für mich an die Studie anschließt. Und damit verbunden auch die Frage, wie Smartphones bzw. andere digitale Endgeräte, sinnvoll für das Lernen genutzt werden können. Wo haben diese Geräte einen Mehrwert für das Lernen – auch und gerade von Menschen, denen Bildungschancen nicht automatisch als Teil der biographischen Erwartungshaltung des Umfelds mit auf den Weg gegeben wurden?
Kurz: Die Studie bietet ein kurzfristiges Handlungsrezept angesichts eines Phänomens; sie ist aber weder in der Lage, die Gründe für das Phänomen angemessen zu erfassen, noch bietet sie Antworten auf die Frage, wie alle Schülerinnen und Schüler die Kompetenz erwerben können, die die Studie bei leistungsstarken Schülern und Schülerinnen beobachtet, die sich von Smartphones nicht von ihrem Lernprozess ablenken lassen.
Was also bringt so eine Studie?
Zunächst liefert die Studie bei unreflektierter Nutzung der Ergebnisse Argumente für ein Handyverbot an Schulen.
Die Situation vor Ort ist ja tatsächlich so, dass Smartphones als von außen in die Schule mitgebrachte Gegenstände angesehen werden, mit denen man in der Schule – zumindest außerhalb des Unterrichts, in dem sie vielleicht zumindest als Wörterbuchersatz genutzt werden können – nichts anzufangen weiß.
Da kommt einfach so eine neue Technologie mit den Kindern in die Schule und stört. Sie stört die vertrauten Abläufe, sie führt zu neuen veränderten Formen des Fehlverhaltens, sie scheint unkontrollierbar. Da scheint es das Einfachste zu sein, ein Verbot auszusprechen. Und schon sind die Probleme aus der Welt verlagert.
Sollen doch die Eltern dafür sorgen, dass die Kinder einen angemessenen Umgang mit diesen Geräten lernen und wenn sie für das Lernen geeignet sein sollten, dann bitte zuhause, aber nicht in der Schule. Ein Gedankengang, der sicher jetzt stark übertrieben und weit von der Realität entfernt formuliert ist: »Das können wir Lehrer nicht auch noch leisten. (Obwohl wir ja selbst in vielen Fällen diese Geräte in der Schule nutzen, uns von ihnen ablenken lassen. Das Problem ist: Wir können das nicht besser als die Schüler, aber den Schülern können wir das, was uns stört und was wir teilweise selbst genau so tun, verbieten. Schüler zum produktiven Mediengebrauch erziehen? Dazu muss ich diesen produktiven Mediengebrauch ja selbst erst lernen. Das ist anstrengend. Hilfe. Überforderung. Verbot.)«
Keine Frage, die Ergebnisse der Londoner Studie sind evident. Aber sind es die Schlussfolgerungen auch? Was kostet es eine Gesellschaft, wenn sie sich weigert, Medienerziehung zu betreiben und stattdessen mit Verboten vielleicht auch den Druck zur Integration sinnvoller Medienerziehung mindert – und diese somit noch länger hinauszögert?
Ziel von Medienerziehung muss sein, dass man selbstbestimmt in der Lage ist, ein Smartphone zu nutzen und selbstbestimmt die Nutzung zu vermeiden, da sie störend, unangemessen oder einfach nur nervend ist.
Ein Handyverbot schließt zwar nicht aus, dass Medienerziehung stattfindet. Aber wenn sie stattfindet, dann sollte sie so ablaufen, dass ab einem bestimmten Alter dieser selbstbestimmte und auch einigermaßen reflektierte Umgang mit Smartphones möglich ist.
Medienerziehung kann nur als differenzierte und differenzierende Medienerziehung gelingen.
So halte ich es durchaus für sinnvoll, die Nutzung von Smartphones in der Schule für bestimmte Altersstufen zu untersagen, insofern in diesen Altersstufen parallel Medienerziehung stattfindet, die darauf hinaus läuft, dass die alltäglich gewordenen Smartphones sinnvoll und verantwortet eingesetzt werden können.
Wenn z. B. in den Klassen 5 bis 7 entsprechende Maßnahmen greifen, die auch im Bereich der Peer-Education (Medienbuddys, Medienscouts, Digitale Helden…) angesiedelt sein sollten, kann man überlegen, ab Klasse 8 die von den Schülern zu verantwortende Nutzung zu erlauben. Dann muss man aber z. B. auch bereit sein, beim nicht verantwortungsvollen oder gar illegalen Gebrauch Sanktionen zu erlassen oder, insbesondere bei Mobbing oder der Verletzung des Rechts am eigenen Bild etc…, durchaus auch die Mittel des Rechtsstaates zu nutzen, um Grenzen deutlich zu machen.
Das Internet geht nach unserem heutigen Wissen nicht mehr weg.
Mit Smartphones ist die Digitalisierung des Alltags nicht am Ende.
Wearable sind auf dem Vormarsch.
Und so, wie heute keiner mehr Verkehrserziehung an den Schulen vermissen will, ist es höchste Zeit, Medienerziehung strukturiert und umfassend zu etablieren. Das Ziel der Verkehrserziehung ist nicht das Verbot der Nutzung von z. B. Fahrrädern, sondern deren sichere Nutzung. Entsprechend müssen Ziele der Medienerziehung die sichere Nutzung von (digitalen) Medien sein.
Zu dieser sicheren Nutzung gehört der sinnvolle Gebrauch für eigene Zwecke und ebenso für Zwecke des Lernens; zur sicheren Nutzung gehört aber auch, dass man Umgangsformen lernt, wie und wo z. B. Smartphones (nicht) genutzt werden sollten / dürfen.
Das ist der teurere Weg, aber in Bezug auf Kompetenzenerwerb und Nachhaltigkeit womöglich der günstigere auf längere Sicht.
Damit sind andere Themen, wie der Zusammenhang von Elterneinkommen und Partizipation an (digitalen) Bildungschancen, Voraussetzungen für Laptop-/Tablet-basiertem Unterricht etc. natürlich nicht geklärt. Damit sind viele didaktische und methodische Fragen nicht geklärt. Das sind dann weitere Baustellen eines differenzierten und differenzierenden Diskurses.
Die entspannte und sinnvolle, alltägliche und für das Lernen hilfreiche Nutzung digitaler Technologien fällt weder einfach so vom Himmel noch ist die Digitalisierung ein Heilsversprechen: Wir haben es mit Herausforderungen zu tun, die, wenn es stimmt, dass der Wandel so bedeutend ist, wie einst die Erfindung des Buchdrucks, enormer Anstrengungen bedürfen.
Verbote sind, werden sie so undifferenziert als schnelle und kostengünstige Lösungen in den Blick genommen, wie die Studie der London School of Economics das tut, eine eher unreflektierte Reaktion.
Es bedarf der Phantasie, des Muts, der Bereitschaft, auch einmal Fehler zu machen – und vor allem eines hohen Maßes an Reflexion dessen, was wir in Bildungskontexten tun, um diesen Wandel nicht passiv zu erleiden, sondern produktiv zu gestalten.
(P.S.: Und dann soll dieser Beitrag als grundlegender Beitrag gerne auch der Blogparade »Mit digitalen Medien besser lernen« zur Verfügung gestellt werden.)
Hallo Torsten, Danke für diesen sehr gelungenen Artikel. Du sprichst mir und dem Team der Digitalen Helden mit deinem Artikel aus dem Herzen. Auch über die Nennung unseres Peer Education Programms freue ich mich:-)
Gerade heute haben Schüler/-innen deiner Schule mit uns einen Projekttag gemacht. Die Schüler-Mentoren (8.Klasse), deiner Schule berichteten uns und anderen im Schul- Netzwerk über Klassenbesuche zur Sensibilisierung von Schülern der fünften und sechsten Klasse. Jetzt überlegen wir gemeinsam, wie wir Eltern dieser Kinder für Ihre Medienerziehung zu Hause sensibilisieren können. Die Frage war, wie ein Elternabend eigentlich aussehen sollte, wenn Schüler ihn selbst gestalten.
Zum Beispiel gab es die Idee sich bei den Eltern der künftigen fünften Klassen vorzustellen beim ersten Elternabend des Schuljahres. Neben dieser Kurzvorstellung könnte ein inhaltlicher ausführlicher Elternabend zum Thema Smartphone, Foto Rechte und Online Mobbing im Laufe des Jahres angeboten werden.
Ich bin immer wieder erstaunt, auf welche kreativen Ideen und Vorschläge die Schüler selbst in Teamarbeit mit Lehrkräften kommen. Gemeinsam mit den engagierten Lehrkräften der Schule und den Eltern können neue Wege für die Produktive Nutzung von Smartphones gefunden werden. Und wenn sich diese Wege dann auch künftig in schulischen Strukturen (das machen wir jetzt jedes Schuljahr so, das hat sich bewährt) abbilden, dann sind wir auch bei dem sehr richtigen Bild was du in deinem Artikel gezeichnet hast:
Medien-Erziehung wird dann so ein selbstverständlicher Teil der Schule und des Lehrplans wie ist die Verkehrserziehung in der Grundschule ist.
Mein Eindruck ist folgender: auf der einen Seite gibt es aktuell an fast jeder Schule ein Handyverbot. Zugleich suchen genau diese Schulen nach wegen die technologische Entwicklung auf sozialer, schulischer und didaktischer Ebene eine produktive Richtung zu geben.
Das ist anstrengend. Dafür braucht es personelle Ressourcen. Jede Schule ist in der Lage einem oder zwei Lehrern hierfür 1 Stunde in der Woche frei zu stellen.
Bei den digitalen Helden ist dies eine Voraussetzung, um im Programm mitzumachen. Auch wenn das zunächst eine Einstiegshürde ist, sind die Lehrkräfte die mit im Netzwerk arbeiten dafür sehr dankbar.
Allein diese kleine Maßnahme selbst sehr viele Kräfte frei.
Solch eine Freistellung braucht aber auch klare Aktionen und Ziele, die in einem
Oder zwei Schuljahren erreichbar sind.
Deshalb mein Tipp an die Lehrer, die das hier lesen und gerade an einem Medien Bildungskonzept arbeiten. Plant gezielt Aktionen in eurer Schule. Überprüft wie diese Aktion angenommen werden und macht Verbesserungen.
Ihr braucht eine Community of Practice an eurer Schule.
Dann sind eure Anstrengungen von dem Torsten in dem Artikel spricht, ja dann ist euer Medien Bildungskonzept auch nicht für die Tonne geschrieben:-)
Dir, lieber Torsten, wünsche ich weiter viel Erfolg bei #edchatde …
Das digitale Lehrerzimmer #edchatde ist sehr wertvoll
und Inspiration für mich und die Arbeit mit Schülern, Eltern und Lehrern…
Digitale Grüße,
Florian Borns @fborns
lieber torsten,
diesmal bin ich nicht deiner meinung. ich finde, du überforderst die studie und du liest sie, glaube ich, nicht ganz richtig.
ein solcher rechnerischer leistungs-vergleich von zwei gruppen von schülern mit und ohne handyverbot hat halt ein statistisches ergebnis. und das kann man jetzt nicht einfach wegreden. die haben herausgefunden, dass die handyverbotsgruppe mehr wusste – umgangssprachlich ausgedrückt – als die ohne verbot, und dass das einer schulwoche entspricht bei den schwächeren schülern. warum und wieso das so ist, was die zusammenhänge sind, die dazu führen, darüber kann man räsonnieren. und wird sicher weitere untersuchungen brauchen. darüber treffen die forscher keine aussagen. sie nennen eine auffindbare korrelation für die variable handyverbot. mehr nicht.
warum überforderst du die studie? weil das ein ergebnis einer ganz bestimmten fragestellung ist, die man unter den umständen möglichst ideal isolieren kann. punkt. nicht mehr und nicht weniger. das ist ja noch kein wertender beitrag in der handy-debatte. ich kann mir nicht vorstellen, dass die forscher ihre eigene meinung kund tun. sie präsentieren ihre ergebnisse.
ich stimme deinem schluss zu, den du an kennedy anlehnst: ‚Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung, keine Bildung.‘ so ist es mit der „netzverkehrserziehung“, die nicht mehr unterlassen, sondern an deutschen schulen ganz ganz schnell einführen sollte. und zwar nicht nur als ein isoliertes fach, sondern als durchdringung aller fächer. die sich dabei ohnehin gehörig verändern werden.
grüße! christian
Mir ist schon klar, dass die Möglichkeiten solcher Studien begrenzt sind. Ich sage ja auch nicht, dass die Studie hätte leisten sollen, was ich als Überlegungen von der Studie ausgehend formuliere. Ich stelle das Ergebnis nicht in Frage. Ich stelle die Empfehlung der Forscher als eine eine Folgerung aus der Studie nicht in Frage.
Allerdings bin ich über die Formulierung gestolpert, dass es sich um eine kostengünstige Lösung handele, wenn man Handys verbiete, um die Leistungen der schwächeren (nicht aller) Schüler in formalen Prüfungen zu verbessern. Ich bin über das Ergebnis gestolpert, dass bei leistungsstarken Schüler die Effekte nicht beobachtet wurden, die man bei den leistungsschwachen Schülern fand. Daraus ergab sich für mich die Frage, was da los ist.
Klar, der Empiriker wird da nur weitere Studien akzeptieren, die das en detail untersuchen. Meine Überlegungen leite ich nicht direkt aus den Zahlen der Studie ab, da hast du Recht, aber ich habe auch nicht den Anspruch einer ausschließlichen Berichterstattung über die Ergebnisse, sondern ich haben den Anspruch einer Reflexion, die von den Ergebnissen ausgeht, sich von diesen anregen lässt, da ich in der Schule arbeitend natürlich an der pragmatischen Seite solch einer Studie interessiert bin und wissen will, was das denn hier und heute für meine Arbeit bedeutet.
Ob das die Studie überfordert? Vielleicht. Aber da ich von der Studie ausgegangen bin, kann es durchaus sein, dass ich woanders ankomme. Und bei diesem Ziel sind wir uns dann anscheinend ganz schnell wieder einig, wenn du schreibst: »so ist es mit der “netzverkehrserziehung”, die nicht mehr unterlassen, sondern an deutschen schulen ganz ganz schnell einführen sollte. und zwar nicht nur als ein isoliertes fach, sondern als durchdringung aller fächer. die sich dabei ohnehin gehörig verändern werden.«