Über Tabletklassen
Am Anfang des Denkprozesses zu diesem Beitrag, stand, wie schon häufiger, ein Tweet:
Glaube, ich will keine »TabletKlasse«, sondern guten Unterricht machen, in dem ich das jeweils didaktisch best geeignete Medium nutzen kann.
— Torsten Larbig (@herrlarbig) May 25, 2015
Hier nun etwas ausführlicher, was damit gemeint ist:
1 »Tabletklassen« als die Behauptung von Modernität
»Laptop-« oder »Tabletklassen« werden gerne und oft angeführt, wenn nach zeitgemäßem Unterricht gefragt wird, der auf (nicht) absehbare Herausforderungen des 21. Jahrhunderts Antworten gibt. – Es werden Klassen nach der in ihnen verwendeten Technologie benannt, nicht nach Schwerpunkten des Lernens, wie man sie in Schulprofilen finden kann. Und das wird im Prinzip kaum hinterfragt. ((Mir ist natürlich bewusst, dass bei allem, was ich hier kritisiere als Antwort angeführt werden kann, dass man ja mal wo anfangen müsse, dass man Pilotprojekte brauche, dass Leuchtturmprojekte wichtig seien, damit man wissenschaftliche Begleitforschung betreiben könne etc. Das mag so sein. Deshalb fand ich Tabletklassen vor 2 Jahren auch noch gut. Aber die Zeitläufte gehen ja weiter – und so erlaube ich mir hier dann also im Rahmen dialektischen Denkens diesen kritischen Beitrag.))
Zwar sprach nie jemand jemals von »Stift-und-Papier-Klassen«, es wurde nie zwischen »Schulheft-« und »Collegeblock-Klassen« unterschieden, obwohl es doch ein Unterschied gibt zwischen der starren Seitenfolge im Schulheft und der dynamischeren Einsetzbarkeit von Collegeblöcken, aber werden »Laptop-« oder »Tabletklassen« an Schulen eingeführt ((Im Folgenden spreche ich nur noch von »Tabletklassen«, meine damit aber »Laptopklassen« natürlich weiter mit, aber auch »Smartphoneklassen«, falls es solche jemals geben sollte, etc.)), welche Bezeichnung nutzen wir denn dann für die Klassen, die keine »Tabletklassen« sind? Oder basteln wir jetzt noch »Smartwatch-Klassen«, um mithilfe eines Bezugs zu einer Technologie den Eindruck zu erwecken, dass man »modern« sei?
Zugegeben, hätte mir vor zwei oder drei Jahren jemand die Möglichkeit eröffnet, eine »Tabletklasse« zu unterrichten, ich hätte das Angebot freudig angenommen. Diese Möglichkeit hatte ich nicht – und heute würde ich sie kritisch hinterfragen.
2 Das Konstrukt und die Kritik
Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich meine mit »Tabletklasse« nicht, dass man einen Wagen mit einem Klassensatz Tablets hat, welche man gezielt mit in den Unterricht nimmt und dort didaktisch reflektiert im Kontext von Lernszenarien einsetzt, in denen deren didaktischer Mehrwert tatsächlich begründet ist.
Spreche ich von »Tabletklassen«, so meine ich jene Konstrukte, die im Rahmen der Neuzusammensetzung von Klassen (z. B. in Jahrgangsstufe 7) ein oder zwei Klassen anbieten, die als »Tabletklassen« firmieren, weil in ihnen jede Schülerin und jeder Schüler ein eigenes Tablet verfügbar hat, mit dem im Unterricht (schwerpunktmäßig) gearbeitet wird.
Ich würde heute an keiner nicht mehr ohne kritische Rückfragen zu stellen an einer Schule arbeiten wollen, an der ein Teil der Schülerinnen und Schüler mit dem Tablet unterrichtet wird, dies als großartig dargestellt wird, aber die Frage offen bleibt, warum man eigentlich, wenn es doch so großartig ist, verantworten kann, dass (in der Regel) der Großteil der Schülerschaft an den jeweiligen Schulen von dieser Option nicht profitiert, weil er nicht in der Tablet-Klasse gelandet ist.
Das gilt auch für Schulen, deren Schulleiter so wunderbar entspannt, pragmatisch und didaktisch reflektiert an das Thema heran gehen wie Markus Bölling, dem ich inhaltlich an sehr vielen Punkten beipflichte. Aber: Auch hier sind es acht »iPad-Klassen« an der Schule. (ca. Sekunde 50ff.) Wie viele Schülerinnen und Schüler profitieren also nicht von den Möglichkeiten?
3 Technologie als Reduktion statt als Erweiterung des Lernangebots
»Tabletklassen« vermitteln den Eindruck, dass eine Technologie, die zum Lernen genutzt werden kann, im Zentrum steht. Es entsteht der Eindruck, dass die Chance der Digitalisierung, nämlich ein didaktisch interessantes Medium mehr zu haben, welches im Reigen dessen, was dem Lernen dient, eingesetzt werden kann, vertan wird. – Konkret würde mich interessieren: Werden die Schulbücher in »Tabletklassen« als digitale Schulbücher derart genutzt, dass die Druckwerke nun als PDF verfügbar sind? (Was wäre da der Mehrwert?) Wird neues Lernmaterial genutzt? Woher kommt dieses Lernmaterial, welchen didaktischen Grundsätzen folgt es? Welche Mehrwerte kann man wie darlegen? Werden zusätzlich analoge Materialien genutzt? In welchem Ausmaß? Wie ist die Koppelung von analogen und digitalen Materialien? Warum gibt es so wenig Beiträge aus Tabletklassen im konkreten didaktischen Diskurs? Wo reflektieren die Praktiker (Lehrer!) didaktisch, was sie in den Tabletklassen tun? (Gerne Links in die Kommentare unten.)
»Tabletklassen« als einzelne Klassen an einer Schule sind eine Engführung, sie reduzieren die Komplexität dessen, was Lernen ausmacht, weil sie exklusiv sind. Exklusivität aber ist immer eine Reduktion von Partizipationsmöglichkeiten. ((Wie weit eine solche Exklusivität gehen kann, kann man in einem Artikel über die oben verlinkte Freiherr-vom-Stein-Schule vom 11.12.2014 nachlesen, in dem darauf hingewiesen wird, dass die »iPad-Klassen« in ihren Räumen in Eigenregie ihr Logo angebracht haben, um ihre »Corporate Identity« zu pflegen. Da geht es dann nicht mehr ums Lernen, sondern um soziale Rollen, um Abgrenzung. Da ist man dann sehr weit von der Frage nach dem Mehrwert und den Grenzen entfernt.))
Eine solche Reduktion spiegelt nur die Krise wider, in der wir uns – nicht nur im Bildungskontext – befinden. Wir suchen einfache Antworten, statt von Heinz von Försters »ethischem Imperativ« ((vgl. Heinz von Foerster (1973), Über das Konstruieren von Möglichkeiten. S. 49.)) ausgehend nach Lösungen zu suchen. Förster formuliert: »Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird.« Diese größeren Wahlmöglichkeiten sollen für einen selbst und für andere erreicht werden. ((Vgl. hierzu Brand Eins. Wirtschaftsmagazin, Ausgabe 05.2015 (Mai 2015), S. 40–48, besonders 48.))
Die Digitalisierung bringt solche Wahlmöglichkeiten mit sich, sie erweitert die didaktischen Möglichkeiten enorm. Als Lehrer habe ich mehr Möglichkeiten, die ich Lernenden anbieten kann, damit sie lernen können. Als Lehrer ist es Teil meiner Professionalität, um diese Möglichkeiten (und auch deren Grenzen) zu wissen und sie gezielt einsetzen zu können.
So, wie Autowerkstätten in der Lage sein müssen, mit rein mechanisch arbeitenden Automodellen genauso professionell umzugehen wie mit mit digitaler Technologie ausgestatten Wagen, bei denen man für die Fehlerdiagnostik die entsprechende Software bedienen können muss, so müssen Schulen in der Lage sein, für jeden Lerntyp möglichst optimale Angebote anbieten zu können. – Und so sehr solche Beispiele auch hinken mögen, so sehr sollte deutlich werden, was gemeint ist.
Wenn es Erweiterungen der Möglichkeiten des Lernens gibt, dann muss ich mich als Lehrer selbstverständlich damit vertraut machen und diese Erweiterungen überall, wo sie hilfreich sind, nutzen können.
»Tabletklassen« erwecken nicht den Eindruck, dass eine solche Erweiterung der Wahlmöglicheiten für möglichst alle erreicht wird oder werden soll. Ebenso bleibt die Frage, ob denn die Möglichkeiten des Lernens mit Tablet und Co den Schülerinnen und Schülern der Nicht-Tablet-Klassen (gezielt und systematisch) vorenthalten werden sollen? Aus welchen Gründen?
Nach wie vor stehen wir in den Schulen vor der Digitalisierung und sind ratlos, sehen oft nur Gefahren oder nur Chancen, verdrücken uns in anscheinend einfache Lösungen. Statt mit der höheren Komplexität dessen umzugehen, was uns die Digitalisierung an Lernoptionen bietet, schließen wir diese zu oft aus.
4 Das einfache Vereinfachen – Dialektik der analogen und digitalen Radikalismen
Es ist die Zeit der Vereinfacher, der Radikalismen angesichts von Komplexität. Im Bildungskontext sind es einerseits die radikalen Skeptiker, die eher mit Verboten und Restriktionen arbeiten, und andererseits die radikalen Digitalisierungseuphoriker, die zwar auf den ersten Blick für digital affine Menschen moderner wirken, die aber im Grunde genau so vereinfachende Antworten suchen und geben, wie die Skeptiker.
Schwer haben es in diesem Kontext jene, die reflexiv mit den Möglichkeiten und Grenzen der Digitalsierung umgehen. Von den Skeptikern werden sie oft in die Ecke der Euphoriker gestellt und umgekehrt. Es kommt mir manches Mal so vor, als greife hier Heinz von Försters Theorem Nr. 1: »Je tiefer das Problem, das ignoriert wird, desto größer die Chancen für Ruhm und Erfolg« ((http://www.heise.de/tp/artikel/13/13359/1.html)) , denn im öffentlichen, von einer breiten Masse wahrgenommenen Diskurs treten allzu oft die Vertreter der einfachen Lösungen, der Radikalismen auf, weil sie so schön die Herausforderungen über ihre einfachen Antworten ignorieren und so einen lebendigen Streit (nicht Diskurs!) erwarten lassen.
Als Didaktiker geht es mir als Lehrer zunächst darum, dass ich alle zur Verfügung stehenden Mittel und Methoden anschaue und untersuche, was welchem Lernen dient und was nicht. Alles aber, was dem Lernen dient, will ich, wenn die Verfügbarkeit nicht gerade allzu illusionär ist, nutzen können.
5 Nein zu »Tabletklassen« als Leuchttürme, die gar nicht leuchten
Nein, ich will keine »Tabletklasse«. Ich will einen Unterricht, in dem ich zur Verfügung stehende Lern- und Lehrmedien didaktisch reflektiert einsetzen kann, und zwar in jeder Klasse.
Manches kann mit Stift und Papier besser gelernt werden als mit dem Tablet oder dem Laptop; manche Unterrichtssequenz bekommt einen didaktischen Mehrwert, wenn z. B. ein Video genutzt werden kann ((z. B. Versuchsaufbauten in den Naturwissenschaften etc.)), der Umgang mit Büchern _und_ die Möglichkeiten der digital basierten Wissensgenerierung zum Zwecke der Entwicklung einer Kompetenz schließen einander nicht aus.
Vermutlich ist, ich kann es nicht beschwören, weil ich noch keine Möglichkeit der längeren Hospitation hatte, der faktische Unterricht in den »Tabletklassen« bei weitem nicht so heroisch, wie man bei manchem Bericht den Eindruck bekommt. In Wirklichkeit ist die Einrichtung von »Tabletklassen« der eher *einfache* Weg, auf dem die didaktische Komplexität angsichts der Digitalisierung eben nicht erweitert, sondern verschoben und an anderer (analoger) Stelle reduziert wird.
Ich will keine »Tabletklasse«, sondern die Möglichkeit, bei meiner Arbeit ein möglichst breites Spektrum didaktischer Möglichkeiten nutzen zu können.
Dort, wo digitales Lernen einen Mehrwert hat, möchte ich diesen generieren können, ohne mir groß Gedanken um verfügbare Technik machen zu müssen.
Dort, wo analoges Lernen einen Mehrwert hat, möchte ich diesen nutzen, ohne mich rechtfertigen zu müssen, warum jetzt gerade kein Tablet eingesetzt wird.
Dort, wo ein Schüler ein Buch aus Papier braucht, um seinem Lesestil entsprechend arbeiten zu können, soll er/sie diese Möglichkeit genauso haben, wie Schüler auf das EBook zurückgreifen können sollen, die digital lesend besser zurecht kommen.
Ich will an den Punkt kommen, an dem die Differenzierungsmöglichkeiten nicht an der Bezeichnung »Tabletklasse« oder »Analogklasse« enden.
Ich will keine »Tabletklasse«, sondern den Mut, so zu handeln, »dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird«, die für das erfolgreiche Lernen eines jeden Schülers und einer jeden Schülerin zur Verfügung stehen. Und das in jeder Klasse. Dazu müssen dann natürlich auch die (finanziellen, technischen, rechtlichen…) Anstrengungen (von Schulen, Schulträgern, Kultusministerien…) unternommen werden, die eine solche größere Wahlmöglichkeit erst für alle ermöglichen. Das ist keine kleine Herausforderung, aber sicher ein lohnender Weg für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft.
Hallo Torsten,
du hast in vielen Punkten sicherlich recht. Und ich glaube, du bist bei dir an der Schule ja nicht der einzige der sich mit digitalen Medien auseinander setzt. Es gibt Schulen, an denen das ganz anders ist.
Eine solche Tablet-Klasse – soviele Gegenargumente es auch gibt – gibt der Schule/Schulleitung die Möglichkeit …
– den Kollegen, die totale Panik vor digitalen Endgeräten haben, versichern zu können, dass sie da nicht eingesetzt, da es ja nur eine begrenzte Gruppe ist.
– den Kollegen die Interesse haben, zumindest die Möglichkeit zu geben, mal etwas damit auszuprobieren.
– schon mal anzufangen, die Infrastruktur anzulegen.
– hoffentlich einige positive Effekte vorweisen zu können, was die Skeptiker vor Ort nicht als anzweifeln können, da es ja im Hause geschieht.
… und so weiter, da gibt es sicher noch ähnliche Argumente.
Natürlich wird die Zukunft nicht in den zentral administrierten Tablets liegen (können). Aber es ist eine Möglichkeit anzufangen.
Viele Grüße, Birgit.
Nebenbei … ich hätte genug Ideen für den Einsatz von Tablets. Aber natürlich setze ich sie nur so ein, wo ich es für sinnvoll halte.
Wer zwanghaft das Tablet nutzen wird dazulernen, dass es nicht immer Sinn macht.
Vielen Dank für den ersten Kommentar. Das ging ja schnell dieses Mal. 🙂
Es gibt da vielleicht einen Unterschied in der Perspektive: Ich denke von den Lernoptionen der Schülerinnen und Schüler her, nicht an die potentielle Panik von Lehrern. Deshalb dieser Vgl. mit der Autowerkstätte 😉
Was du zur möglichen Funktion von Tabletklassen an Schulen schreibst: Da stimme ich dir zu. Ich habe hier bewusst einen anderen Schwerpunkt gesetzt. In Fußnote 1 erläutere ich das. Fand, es sei an der Zeit, das Problem mit den Nicht-Tablet-Klassen mal zu benennen.
Peter Gorny (ehemaliger Informatiker in Oldenburg) hat mal gesagt „wir brauchen Flutlicht, keine Leuchttürme“. Damit wollte er wie du ausdrücken, dass es an der Zeit sei, allen (Lehrkräften und SchülerInnen) die geeigneten Werkzeuge und Methoden an die Hand zu geben, die im jeweiligen Kontext geeignet sind. Ich fürchte, deine Positionierung der digitalen Medien wird von vielen Protagonisten nicht geteilt werden, vor allem auch jenen, die damit den radikalen Wandel des Bildungssystems herbei schreiben. Wer (wie ich; du auch?) im Rahmen des „Apparats“ die Möglichkeiten nutzen will, gar allgemein-, fach- und mediendidaktische Überlegungen in den Vordergrund rückt, kann dann leicht Gegenwind aus beiden Richtungen bekommen.
Gruß, Joachim
Lieber Joachim, du schreibst:
Du hast Recht. Das ist zu erwarten, aber das muss man aushalten, auch wenn nicht jeder so ohne persönliche Angriffe argumentieren wird, wie ich es hier versucht habe. Das ist aber Teil des Spiels. Natürlich wird dabei auch eine Rolle spielen, dass der Text nur an den Stellen rezipiert werden wird, die als Futter für die jeweilige Kritiklinie geeignet sind. Das könnte »lustig« werden.
Wahrscheinlich sehe ich das aus dem Schweizer Kontext anders: Aber Tablet-Klassen erlebe ich als einen ersten Versuch, um bei der allgemeinen Einführung von Tablets als Erweiterung des didaktischen Repertoires der Lehrkräfte Stolpersteine zu vermeiden. So verlangt die Schule, an der ich unterrichte, von allen Schülerinnen und Schülern, dass sie nach den Sommerferien ein Tablet mit in die Schule bringen. Die »Tablet-Klassen« sind dann nur noch die drei, die identische Geräte direkt von der Schule erhalten, um gewisse technische Fragen gezielt angehen zu können.
Ich finde BYOD demokratischer, flexibler und billiger als Laptopklassen. Was das Verhältnis von digitsl und analog angeht:
Wer die Vorteile von digital gegenüber analog herausfinden will, kann mit meiner kostenlosen Unterrichtseinheit „Kreuzzüge“
http://geschichtszentrum.de/?page_id=1375
gerne einmal analog (PDF ausdrucken) und einmal digital arbeiten (PDF an Schüler- Smartphones verschicken). Für mich liegen die Unterschiede im Praktischen. Vom Computer erwarte ich keine Erlösung und liege deshalb immer abseits des derzeitigen Mainstreams der Digitaleuphoriker. Es ist mir aber in der Zwischenzeit wurscht.
Hier finden sich methodische und didaktische Ansätze für die digitale Arbeit im Klassenzimmer, darunter ein Schaubild über den didaktischen Ort eines digitalen Lehrbuchs:
http://geschichtszentrum.de/wp-content/uploads/2015/02/konzept-vernetzung.pdf
Nochmal ein praktisches Beispiel zu analog und digital aus eigener Erfahrung: Ich hatte immer ein paar wenige Schülerinnen undSchülrr, die nicht am Gerät, sondern von Hand schreiben wollten. Begründung: Sie könnten sich das Aufgeschriebene so besser merken.
Ich hab’s akzeptiert. Nachteil: Das Aufgeschriebene kann nicht wie bei Aufschrieben mit Word etc mit Beamer projiziert und bei Besprechung gleich verbessert werden (-> Musterfassung). Ich habe einen Kompromiss geschlossen: Schülerergebnis mit Smartphone aufnehmen und projizieren, aber keine Musterfassung.
Wenn es um Kartenarbeit ging, habe ich übrigens immer Buntstifte und analoges Arbeiten verlangt.
Ich verstehe die Bedenken zum Begriff der Tabletklasse im Speziellen und dem Betonen der technischen Geräte im Allgemeinen. Doch wie benennt man das Achtgeben auf das Digitale im Dienste guten Unterrichts?
Ausführlicher formuliert unter http://www.projektschule-goldau.ch
Als einer, der sich in den letzten Jahren sehr stark für die Einführung einer Tabletklasse an meiner Schule eingesetzt hat, habe ich den Beitrag mit großem Interesse gelesen.
Ich habe bisher keinerlei Erfahrung mit Tablet-Klassen, außer dass ich persönlich seit 5 Jahren meinen kompletten Unterricht mit einem Stift-Tablet organisiere. Und genau hier kommt meine Frage/mein Ansatz herein: Eine Tabletklasse wird allerorts immer leider nur als eine Klasse mit iPads oder Android-Geräten gesehen, die zwar wunderschön touch-optimiert sind, jedoch schon beim Notizen machen ihre Grenzen stoßen. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten auch in diesen Tablet Klassen dual behaupte ich mal. Einerseits mit dem digitalen Gerät, andererseits natürlich auch analog, da sie irgendwo etwas notieren (müssen), Arbeitsaufträge ausarbeiten,…
An der HAK Steyr werden wir ab Herbst stiftbasierte Tablets einführen, damit das beste aus der analogen und digitalen Welt vereint und (!) erweitert werden kann.
Ich bin ein glühender Verfechter der Handschrift bzw. das „händischen“ Arbeitens, da schon wichtige Lernprozesse beim Aufschreiben, Notizen machen, doodlen, markieren,… stattfinden. Eine aktuelle Studie von Pam Mueller (http://pss.sagepub.com/content/early/2014/04/22/0956797614524581.abstract) unterstreicht die Wichtigkeit der Handschrift im Kontext des Lernens
Ich denke, wir stehen erst am Anfang der digitalen Einbindung von Tablets im Unterricht, ABER bin fest davon überzeugt, dass der Stift der entscheidende Faktor für die Schule sein wird. Dadurch wird eine Art „Papier 2.0“ ermöglicht, das zwar traditionelles Aufschreiben und Notieren ermöglicht, aber noch viel weiter geht.
Es geht uns mit den stiftbasierten Tablets gar nicht darum, eine eigene Klasse zu „definieren“ (obwohl aus ganz einfach wirtschaftlichen Gründen für uns so ein „USP“ enorm wichtig ist, um neue und interessierte SchülerInnen anzu“locken“), ich bin der Meinung und auch Hoffnung, dass diese Stift-Tablets in 10-15 Jahren DAS Standardunterrichtsmittel sein werden und jeder Schüler es selbstverständlich als Werkzeug für sein eigenes Lernen einsetzen wird. So wollen wir – wie in anderen Schulen seit über 10 Jahren schon komplett realisiert (Appleby College – CAN) – eine Transformation der Lernwerkzeuge einleiten, da diese Werkzeuge einfach mehr leisten, als analoge Schulbücher und Collegeblock.
Aber die Entgegenstellung von „Stift und Papier“ und Tablet ist in meinen Augen (und in meiner Arbeitswelt) gar nicht mehr vorhanden… und in 10-15 Jahren – so hoffe ich – werden unsere Schüler gar nicht mehr den Unterschied merken, ob sie auf analogem oder digitalem „Papier“ schreiben…
Ich stell‘ mir folgendes Beispiel vor: Ein digitales Papier, das beim Schreiben-lernen sofort Rückmeldung über die Qualität des Schriftbildes gibt… oder jetzt schon realisiert (!): eine „Papier“, das mathematische Ausdrücke automatisch evaluiert… oder keine sinnlosen abgemalten Mitschriften mehr sondern sinnerfüllte, multimedial hinterlegte Notizen…
Freu mich auf die vielen Gegenargumente!
Du hast natürlich Recht, dass wir, wie oben bereits zitiert wurde, „Flutlicht“ anstelle von „Leuchtürmen“ benötigen. Allerdings sehe ich die finanziellen, technischen und rechtlichen Anstrengungen von Schulen, Schulträgern und Kultusministerium nicht wirklich – und damit stellt sich die Frage, ob denn nicht Leuchtürme besser sind als gar kein Licht, weil nämlich dann zumindest alle sehen, welche Vorteile Licht denn so hat. Richtig, es profitieren zunächst nicht alle!
Du hast natürlich Recht, dass wir nicht verantworten können, dass ein Großteil der Schülerschaft nicht von einem besonderen Angebot profitiert. Aber wir nehmen doch als Lehrer tagtäglich in Kauf, dass es so ist. Ist die Sportklasse – in der bei uns nicht alle SuS, die wollten, aufgenommen worden sind – sinnvolle Sportförderung oder ungerecht? Ähnliches ließe sich über die Musikklasse sagen – auch wenn die Begabung beim iPad vielleicht nicht eine so große Rolle spielen mag 😉 Haben die Schülerinnen und Schüler mit dem vermeintlich aktiveren, jüngeren, besseren, erfahreneren, witzigeren, strengeren Lehrer nicht per se besseren Unterricht? Muss nicht allen SuS gleichermaßen die Chance geboten werden, immer wieder an außerschulischen Lernorten zu lernen? Passiert das? Wovon hängt das ab?
Es gibt insofern an jeder Schule einen Großteil der Schülerschaft, der „von dieser [oder jener] Option“ nicht profitiert – z.T. sogar unter institutionalisierten Nachteilen zu leiden hat (ganz zu schweigen von verschiedensten Schulformen oder Privatschulen – es gibt da , die hat nur iPad-Klassen, ich bin da skeptisch).
Es stimmt, dass das nicht gerecht ist, aber kaum jemand würde auf die Idee kommen, deshalb keine Exkursionen mehr zu machen, nicht mehr in den Computerraum zu gehen, auch die Sportler und die Musiker finde ich großartig!
Mir gefällt tatsächlich am allerbesten, dass du schreibst, als Didaktiker gehe es dir darum, „alle zur Verfügung stehenden Mittel und Methoden“ anzuschauen und zu untersuchen, „was welchem Lehren dient“. „Alles, was dem Lernen dient, will ich […] nutzen können“ und damit sind wir wieder beim Flutlicht.
Ich will in einen Klassenraum kommen, bei dem die Voraussetzungen gut sind: Beamer an der Decke, kabellos übertragen können, WLAN für alle! So, wie auch die Schulmaterialien in den Fächern bereit liegen, eine Klassenbibliothek – ganz analog – vorhanden ist, Wörterbücher bereitstehen, eine Europakarte an der Wand hängt, usw. Und wenn ich’s brauch, will ich’s nutzen. Auch Tablets!
Für mich ist klar: , im Gegenteil iPads fordern anderes Unterrichten geradezu heraus. Mein Ziel bleibt die Erreichung dieser Möglichkeiten für alle! Ich sehe insofern eine andere Schlussfolgerung, bei der Tablet-Klassen ein Schritt in die richtige Richtung sind, auch wenn du ja gerade dagegen argumentieren willst. Vielen Dank für die erstklassige Anregung und die kluge Skepsis.
P.S.: Versteht man DigitalisierungsEUPHORIE mit wikipedia als „subjektiv temporäre überschwängliche Gemütsverfassung mit allgemeiner Hochstimmung“, dann gehöre ich nicht zu den Digitalisierungseuphorikern (temporär? allgemein? überschwänglich?), wählt man die Übersetzung aus dem Griechischen „Produktivität“, dann gehöre ich ganz sicher dazu! 😉
„Die Erweiterung der Möglichkeiten“, das finde ich die richtige Perspektive. Der scheinbare Gegensatz von analog zu digital ist nicht vorhanden, weil beide Aspekte unser Leben bestimmen. Es gibt kein digitales Leben ohne das analoge. Und nur sehr wenige Menschen leben heute noch nur analog. Also lasst uns aufhören diesen Gegensatz zu produzieren. Vielen Dank für den Artikel, damit es aufhört mit der Sichtweise, das Tablet-Klassen automatisch „modern“ sind. Modern sind für mich Klassen, die vielfältige Zugangsmöglichkeiten und Erfahrungsmöglichkeiten zu den Lerngegenständen ermöglichen – digital und analog. Nutzen wir das beste aus beiden Welten.
Ich arbeite seit Jahren in 1:1 Settings wie auch 1:n Settings. Mir kommt es ein wenig so vor, als fehlen hier tatsächlich der Unterrichtsbezug bzw. die Erfahrungen. Ich verweise auf Axel Krommer, der einen schönen Beitrag zu diesem Artikel verfasst hat: https://docs.google.com/document/d/1jhXvjqkgyal7DOCYcUTaEJFsxCEZpgIUsXvY1kP21dw/mobilebasic
Klassenweise oder flächendeckende Ausstattung mit Tablets generell zu kritisieren, anstatt sie als ersten Versuch zu sehen, digitales Arbeiten in die Breite zu streuen, sehe ich als schwer kontraproduktiv an. Die Diskussion über didaktischen Mehrwert müssen wir nun nicht wirklich führen, denke ich. Digital dort, wo es sinnvoll erscheint, dem Lehrer oder auch dem Schüler. Das ist allgemeine Annahme und schließt sich doch nicht in einer Tabletklasse aus. Ganz im Gegenteil. Meine Schüler entscheiden seit Jahren, ob sie analog oder digital arbeiten und diesen Weg gebe ich selten vor. Fakt ist, Sie haben aber die Möglichkeit, beide Wege zu gehen! Spontan und jetzt. Leihgeräte als bessere Alternative anzusehen, empfinde ich als merkwürdiges Argument und sollte auch aus pragmatischer Sicht betrachtet werden ( Administration? Urheberrechte? Datenschutz? Kosten? Umgang mit den Geräten? Lagerung? )
Ich gebe dir in einem Recht, die pressetauglichen Schlagwörter und Auftritte sog. „iPad- Schulen, Leuchttürme und anderer Superlativen“ empfinde ich zunehmend als störend. Sie vermitteln tatsächlich den Eindruck der Technik als Selbstzweck und dazu Promotion. Ich glaube herauszulesen, dass es auch das ist, was du kritisierst.
Ich kann diesen Artikel tatsächlich in weiten Teilen nicht nachvollziehen, weil das, was du forderst, durch Tabletklassen möglich gemacht wird. Dass wir uns in einer (laaaangen) Phase befinden, in der die Modelle gegeneinander ausgetestet werden (BYOD, homogene Elternfinanzierung…) müssen und sollten, ist richtig und gibt Anlässe zur Diskussion. Das sehe ich genauso.