Über die Unsichtbaren im Umfeld der Frankfurter Buchmesse

Die Frankfurter Buchmesse 2024 ist vorbei. So viele Bücher.

Während ich durch die Hallen der internationalen Verlage (Hallen 5 und 6) flanierte, Schriften sah, die ich nicht lesen kann, Sprachen hörte, die ich nicht verstehe, stellte ich mir staunend vor, dass jedes dieser Bücher von mehr oder weniger Menschen erworben und gelesen wird. – Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur eines der Bücher, die ich beim Gang über die Messe gesehen habe, überhaupt keinen Weg zu Lesern1 finden wird. Was für eine Vielfalt; was für eine Farbenpracht, die oft gerade Bücher für Kinder prägt. Aus meinen Augen ist das nicht alles so, dass ich die Kategorie der „schönen“ Buchgestaltung darauf anwenden würde. Aber darum geht es ja auch gar nicht. Es geht darum, dass das Buch als Objekt nach wie vor großartig ist und Abnehmer findet. Das können auch digitale Abnehmer sein. In einer Zeit, in der Bücher in einer solchen Fülle vorliegen, hat die analoge Form in den meisten Fällen keine Archivfunktion mehr, zumindest auf absehbare Zeit. Entsprechend schließt meine Vorstellung, dass jedes dieser Bücher Leser findet, digitale Lektüre mit ein.

An den Ständen auf der Buchmesse findet sich größtenteils Personal. Dies führte meine Gedanken weiter, dass hinter jedem der Bücher hier auf der Messe, hinter jedem einzelnen, nicht nur Autoren stehen, sondern ganz viele Menschen, die bei der Herstellung des Buches beteiligt sind, im Lektorat, beim Vertrieb, bei der Öffentlichkeitsarbeit, in der Buchhaltung, beim Transport, bei der Herstellung der Rohstoffe, der Papiersorten, der Druckfarben, der Druckmaschinen… Mir wird fast schwindelig bei der Vergegenwärtigung der faszinierenden Vielfalt, die notwendig ist, um schließlich eine kleine Auswahl dieser vielen Bücher, die ich auf der Buchmesse sehe, zu mir und in meine Bibliothek zu bringen.

Die Stände auf der Buchmesse mussten aufgebaut werden, müssen nach der Messe wieder abgebaut werden. Ich stelle mir all die Messebauer vor, die hier gearbeitet haben. Jeder Teppich, jeder Stromanschluss, eigentlich alles, was wir für das Gelingen dieser Messetage nötig ist, wurde von Menschen gebaut, die wir beim Besuch der Messe überhaupt nicht mehr sehen oder derer wir uns oft überhaupt nicht bewusst sind.

Solch eine Buchmesse ist für die Verlage eine Investition. Wenn ich dann sehe, wie groß manche Stände von internationalen Verlagen sind, die an den Publikumstagen mehr oder weniger verlassen sind, bekomme ich eine Ahnung von den Lizenzgeschäften, die hier abgewickelt werden können müssen, damit sich diese Stände für die Verlage überhaupt lohnen. Denn das ist es ja, was die Frankfurter Buchmesse in ihrem wirtschaftlichen Kern auszeichnet: Hier werden Lizenzen verkauft. Sei es für die Nutzung eines fremdsprachigen Textes, der von einem Schulbuchverlag für den Fremdsprachenunterricht als Grundlage genommen und dann didaktisch verarbeitet wird, seien es Übersetzungslizenzen und was es da noch alles für Lizenztypen gibt, von denen ich keine Ahnung habe. – Die Buchmesse macht es möglich, dass so ziemlich alle wichtigen Akteure an einem Ort versammelt sind und man auf kurzen Wegen die entsprechenden Geschäfte, bei denen es meist um Verwertungsgeschäfte gehen dürfte, erledigen kann.

Die Frankfurter Buchmesse ist im Wesentlichen eine Geschäftsmesse. Dass es in den vergangenen Jahren gelungen ist, durch das Begleitprogramm in der Stadt und auf der Messe, sie auch zu einem Fest der Bücher für die Lesenden zu machen, ist eine deutliche Erweiterung und Bereicherung dieser Messe. Zumindest in meinen Augen.

Dieses Jahr aber ist mir in besonderer Weise einmal mehr bewusst geworden, wie viele Menschen, die man im literarischen Betrieb kaum oder gar nicht wahrnimmt, für das Gelingen dieses Betriebes unabdingbar sind. Dieses Jahr richtete ich meine Antennen ein wenig auf jene, die man nicht sieht, ohne die aber Bücher und Buchmessen und die Freiheit des Wortes und die Vielfalt der Bücher überhaupt nicht möglich sind. Meine Gedanken auf der Buchmesse waren in diesem Jahr bei denen, die auf der Buchmesse unsichtbar sind, ohne die aber eine solche Messe unmöglich wäre.

Und immer wenn ich wieder eine Idee hatte, dass hier ein Mensch vor, nach oder auch während der Messe als Dienstleister aktiv war, habe ich ein „Danke“ gedacht. Ich bin als ein sehr dankbarer Mensch über diese Buchmesse gegangen.

  1. Ich meine hier und im ganzen Text alle Menschen, die lesen, schreiben etc. Das hier verwendete generische Maskulium wird von mir mit umfassenden Genderbewusstsein genutzt. Ich meine alle im Kontext von LGBTIQA+.