Didacta 2013 – Eine subjektive Nachlese oder: Der Exot aus Digitalien
Als ich auf der Didacta in Köln ankomme, bin ich über
einen Teil der Besucher dieser Bildungsmesse amüsiert. Hatte ich es
zunächst für ein Gerücht gehalten, dass viele Besucher Koffer auf
Rollen dabei haben, um das einzusammelnde Material transportieren
zu können, sehe ich nun, dass dieses Gerücht stimmt. Aus dem Zug,
mit dem ich zur größten Bildungsmesse Europas angereist bin,
steigen an der Messe Dutzende von Besuchern mit leeren großen
Rucksäcken, Trolleys und Reisekoffern. Viele, die ohne diese
Utensilien angereist sind, finden später auf der Messe Aussteller,
die Pappkartons auf Rollen verschenken. Man kennt eben die
Bedürfnisse der Besucher. Mein Bedürfnis ist es nicht, mich an den
Ständen von Schulbuchverlagen mit Büchern einzudecken, obwohl sie
zu Preisen angeboten werden, die zum Teil sehr günstig sind. Mein
Bedürfnis ist es zu erfahren, wo ich diese Schulbücher als E-Books
erwerben kann, wie ich sie auf mein digitales Lesegerät bekomme und
nutzen kann, ohne dass ich einen Laptop brauche oder mit dem Tablet
online sein muss, wie es momentan beim Angebot digitale-schulbuecher.de der Schubuchbranche noch der Fall
ist.
Diese Frage nach E-Books löst verschiedenste Reaktionen
aus. An einem Stand sagt man, dass das nicht möglich sei – und
lacht. An anderen Ständen ist man ratlos oder man verweist man mich
an die Entwickler der verlagseigenen Online-Angebote, die neben dem
zentralen Angebot des Branchenverbandes den Markt abdecken sollen.
E-Learning ist zwar ein Schwerpunkt im Rahmenprogramm der
Didacta 2013, an den Ständen der Schulbuchverlage dominieren aber
nach wie vor Bücher aus Papier. Die E-Learning-Angebote, die ich
sehe, sind instruktiv, bilden in der Regel Frontalunterricht in
Form von Schulbüchern ab. Die Möglichkeiten des Internets für das
Lernen, die Vernetzung von Lehrern und die digitale
Schulentwicklung, das alles scheint die Besucher am Messesamstag
kaum zu interessieren. Dort, wo es um Bildungstechnik geht, sind
die Hallen leer. Man habe, höre ich an verschiedenen Ständen, vor
allem mit Schulleitungen und Entscheidungsträgern von Schulträgern
zu tun. Lehrer, Referendare und Lehramtsstudenten interessieren
sich im Vorübergehen höchsten für digitale Tafeln, aber schon die
vor Ort in Aktion zu sehenden 3D-Drucker wecken nur wenig
Interesse. Langsam weicht mein anfängliches Amüsement über die
Rollenkofferfraktion einem ambivalenten Gefühl. Ist das große
Interesse an den Büchern dem Desinteresse der Lehrer an digitalen
Medien geschuldet? Oder ist das geringe bzw. nach wie vor nicht
wirklich komfortabel zu handhabende Angebot an digitalen Medien
Schuld, dass Lehrer bei Büchern bleiben? Ohne eine Antwort auf
diese Frage gefunden zu haben, nutze ich den Messetag, um Menschen
zu treffen, mit denen ich digital vernetzt bin. Zum Teil gehe ich
unangemeldet zum Stand, zum Teil haben wir uns unter dem hashtag #didacta via Twitter
verabredet. So erlebe ich selbst den Mehrwert dieser Vernetzung für
meinen Austausch und mein Nachdenken über Bildungsmedien. Aber
selbst in diesen Begegnungen höre ich viel Skepsis über ein allzu
großes Engagement im digitalen Bereich. Der Markt sei da noch zu
unberechenbar, heißt es, die digitale Bildungsrevolution schon zu
oft vertagt worden. Dass sich dies ändern könne, stellen
Lehramtsstudenten in Frage, die ich beim Mittagessen treffe. Ob sie
nicht digitale Angebote von den Schulbuchverlagen vermissen würden,
frage ich. Sie verneinen, sie seien da nicht so interessiert.
Später sehe ich, wie sie bei einem Verlag einen Adresszettel
ausfüllen und dabei auch ihre E-Mail-Adresse hinterlassen. Völlig
fremd scheint ihnen das Netz also nicht zu sein. Was aber passiert
auf dieser Messe? Was erfahre ich hier vielleicht über Deutschlands
Bildungssystem? Steht hier irgend etwas zwischen den Zeilen, das
nicht offensichtlich erkennbar, aber vielleicht doch eine
verborgene Triebfeder im Messegetümmel ist? Also noch einen Gang
durch jene Messehallen, in denen der Schwerpunkt auf schulischer
Bildung liegt. Schulbücher bieten Lehrern ausgearbeitete, an
Lehrplänen orientierte Unterrichtsmodelle an. Das kenne ich aus
meiner eigenen Schulzeit, das weiß ich als Lehrer. Dankbar greife
ich auf diese Modelle zurück, wenn ich sie für einigermaßen
gelungen halte und es im Rahmen von Unterricht, Korrekturen,
Beratungen, Konferenzen und sonstigen schulischen Aktivitäten mal
wieder nicht gelingt, den eigenen Unterrichtsentwurf zu erstellen,
den ich eigentlich im Kopf hatte. Mir geht es offensichtlich nicht
allein so. Ist das Sammeln von Material vielleicht tatsächlich eine
Reaktion der Lehrkräfte auf den Mangel an Zeit, um eigene
Unterrichtsmodelle zu entwickeln, die zu den unterschiedlichen
Lerngruppen wirklich passen? Oder sollte es didaktische
Hilflosigkeit sein, die zum Beispiele Referendare umtreibt, sich
möglichst schnell einen großen Pool an Lernmaterial anzuschaffen?
Da ist es egal, ob das Material analog oder digital vorliegt, denn
es gibt beim digitalen Material eigentlich keinen Mehrwert, außer
in Zukunft ein paar Animationen. Was ich bei den Schulbuchverlagen
sehe, hat nichts mit einer Veränderung des Lernens zu tun, sondern
nur mit der Veränderung von Datenträgern mit Lernmaterial. Die
digitalen Optionen zur Vernetzung spielen in den Bildungsmedien
keine für mich auf den ersten oder zweiten Blick wahrnehmbare
Rolle. Selbst die von Schulbuchverlagen in Eigenregie entwickelten
digitalen Lehrerarbeitsoberflächen sind letztlich nichts anderes
als Sammlungen von Arbeitsblättern zum Ausdrucken; Möglichkeiten,
etwa gemeinsam eine Unterrichtseinheit vorzubereiten, sich mit
Kollegen zu vernetzen etc., sind da nicht vorgesehen. Kein einziger
Verlag wirbt damit, dass man sich das Lehrer-Leben leichter machen
könne, wenn man sich vernetzt, kooperiert, gemeinsam Material
entwickelt. Statt dessen geht es um Geld. Bei einer Messe ist das
wenig überraschend. Aber je mehr ich mir auf dieser Messe als Exot
aus Digitalien vorkomme, der durchaus Bücher aus Papier und das
Schreiben mit Füller zu genießen vermag, um so irritierter bin ich,
dass man bei Verlagen auf bewährte Modelle setzt und wenig
innovationsfreudig ist oder visionäre Konzepte zumindest mal in die
Diskussion wirft. Ich erfahren im Laufe des Messetages, dass die
Rendite im Schulbuchmarkt um die 3 Prozent liege, dass pro Schüler
und Jahr 48 Euro für Bildungsmedien ausgegeben werden, dass man 7.000 Registrierungen für eine
Schulbuchplattform nach drei Monaten für einen Erfolg
hält, obwohl diese Zahl hochgerechnet bedeuten würde, dass es 25
Jahre dauern würde, bis alle Lehrer sich dieser Plattform
digitale-schulbuecher.de bedienen würden. Ich erfahre auf dieser
Messe nichts über eine Marktforschung, die über den Status Quo
hinaus nach Bildungsvisionen fragt. Oder sagt diese Marktforschung
womöglich aus, dass alles so bleibt, wie es ist, dass die paar
stark an digitalen Lernkonzepten interessierten Lehrer und
Lehrerinnen Exoten sind und bleiben? War ich am Anfang über
Rollenkoffer amüsiert, hatte ich zwischendurch ein ambivalentes,
nicht näher zu benennendes Gefühl, beginne ich am Ende zu
begreifen, dass die oft beschworene Krise des deutschen
Bildungssystems sich auch auf dieser Messe zeigt. Lehrer halten an
Unterrichtskonzepten fest, die nach wie vor auf Schulbüchern
aufbauen. Sie sehen digitale Medien vor allem als Ersatz für
Lehrfilme oder nutzen sie als Zusatzmaterial; Schulbuchverlage
bedienen diese Nachfrage, stecken viel Energie in digitale
Angebote, die wiederum die Vorstellung eines Unterricht abbilden,
der zwar zur Kooperation und Vernetzung befähigen will, sich selbst
aber der Kooperation und Vernetzung über die analogen Grenzen des
Schulgebäudes hinaus nach wie vor entzieht.
Dieser Beitrag wird in einer leicht
redigierten Fassung am 27. Februar auf der Bildungsseite der
Tageszeitung (taz) erscheinen. Reaktionen hier auf herrlarbig.de
können gegebenenfalls Einzug in die Veröffentlichung am Mittwoch
finden.
Diese Frage nach E-Books löst verschiedenste Reaktionen aus. An einem Stand sagt man, dass das nicht möglich sei – und lacht.
Bist du dem Grund für das Lachen nachgegangen?
Ich habe es so stehen lassen, wie ich es im Artikel stehen lasse. Mein Eindruck aber war, dass man die Frage als solche … nun … unrealistisch fand…
Ein Aspekt fehlt bei dieser interessanten Beobachtung: Die finanzielle Möglichkeit der Schulen.
Wir haben z.B. genau ein Whiteboard im gesamten Schulgebäude. Wir würden gerne weitere anschaffen, haben aber kein Geld dazu (städt. Gymnasium).
Durch die zusätzlich vorhandene Raumnot wird der Raum mit dem Whiteboard, eines der größten Klassenzimmer, nach Klassengröße belegt. Selbst als interessierter Lehrer hat man dann kaum Chancen, in diesem Raum zu arbeiten.
Von 3D-Druckern kann ich nur träumen, wir haben noch nicht mal das Geld, um die Drucker im Selbstlernzentrum zu betreiben.
Für Vernetzung im Sinne des Artikels sind meiner Meinung nach die finanziellen Möglichkeiten einer Schule ziemlich irrelevant. Vernetzung bedeutet eben nicht, dass ich in jede Klasse ein sündhaft teures Whiteboard baue und das Dings ans Netz anschließe.
Die Infrastruktur ist doch bereits da. Ich behaupte mal, dass ein Großteil deiner Schülerinnen und Schüler einen Computer immer dabei hat. Dummerweise nennt sich das Ding Mobiltelefon oder iPod touch und ist in Schulen sowas von verboten. Dieses Teufelszeug…;)
Eine Zulassung von Tablets und Mobiltelefonen in Unterrichtsräumen würde das immer wieder gern genannte Kostenargument auf einen Schlag eliminieren und automatisch zu einer Veränderung des Lernsettings beitragen. Plötzlich steht eben nicht mehr nur einer vorne und erklärt etwas am Whiteboard, sondern eine nennenwerte Anzahl von SchülerInnen hat zugriff auf einen Rechner mit Netzanschluss.
Ich habe mich auch nicht auf Vernetzung bezogen, sondern auf die fehlende Bereitschaft von Lehrern, sich auf digitale/interaktive Lehrmittel einzulassen und die dazu passende Beobachtung der Bücher und Papier jagenden Lehrer bei der didacta.
Wie kommst Du auf die 3% Rendite?
Ich habe längere Zeit die Schulbuchbranche zu den elektronischen Medien beraten und zu der Zeit sah die Kapitalrendite noch deutlich anders aus. Ich vermute auch jetzt ist diese noch deutlich höher, denn sonst würden keine Kapital-Invest Gesellschaften auf Einkaufstour in diesem Segment sein.
Die Zahl nannte ein Verleger. Dachte, das geht aus der Formulierung „Ich erfahre…“ und dem damit verbundenen Konjunktiv hervor. – Gut, danke, dann kann ich das auf diesem Wege noch klarstellen.
Lehrende, die mit ihren Schülern wikis erstellen und in Facebookgruppen und Blogs lerne, die werden wohl eher nicht zu so einer Messe fahren.
Dass Lehrende überhaupt so selten eigenes Material erstellen, spricht glaube ich für Expertengläubigkeit und Unkreativität, mit der Hochschulen an Lehrerausbildung herangehen. Oder es ist einfach der Tran der Buchindustrie-Verfallenheit.
Ich hätte gerne eine Kreidetafel und WLAN in der Klasse.
Aber das größte Problem ist ja wohl das soziale. Bildungsferne Kinder brauchen soviel Nachholen an schreiben und lesen, nehme ich an, dass man zu den großartigsten wikis innnerhalb deren Schulzeit vielleicht niemals kommen wird. Aber auch hier könnte man ja Bilder einstellen und Rechtschreibung erst mal außen vor lassen, wenn die Idee gut ist.
Auch ich würde bei der Didacta keine Anregungen zur Vernetzung erwarten, sondern mich auch bei Lehrbüchern umsehen.
Grund: Übersichtlichkeit beim Wiederholen (z.B. vor dem Abitur) für Schüler (vgl. das Schülerangebot für Abiturvorbereitung ohne Schule: http://methodos-ev.org/blog/. Da ist auch viel Stoffsammlung drin.)
Außerdem ist alles auch eine Geldfrage: http://fontanefan.blogspot.de/search/label/Smartboard
Über Vernetzung erfährt man eher was im Netz als auf der Didacta.
Aber ändern sollte sich das schon.
Warum nicht? Wo sonst, wenn nicht auf solch einer Veranstaltung findet man so viele von unserer Sorte versammelnt wie auf einer Bildungsmesse.
Und nein, Vernetzung ist nur sekundär eine Geldfrage, den Whiteboards haben herzlich wenig mit Vernetzung zu tun. Sie sind lediglich ein Versuch, tradierte Unterrichtsmodelle krampfhaft ins digitale Zeitalter zu retten.
Sinnvoller wäre ein Überdenken des allgegenwärtigen Handyverbots.
Das Vernetzen, Kooperieren und gemeinsame Entwickeln von Material sind Kulturtechniken, die von den meisten Lehrern schlicht nicht praktiziert werden. Alle werkeln allein und einsam vor sich hin. Solange das so bleibt, gibt es keine Community für Open Educational Resources. Dabei sind OER keine Frage des Geldes, die gäbe es ganz umsonst. Aber ZUM-Wiki und Wikiversity kennen eben nur die Bewohner von Digitalien. Beide Plattformen waren nicht auf der Didacta mit Ständen vertreten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen (hier die Gründe, die das ZUM-Wiki-Team dafür hatte) – leider ein Fehler, der ganz sicherlich die Fixierung der meisten Lehrer auf die herkömmlichen Medien verstärkt, was wiederum einer Neuorientierung im Weg steht. An dieser Stelle kommt die Werbung der Schulbuchverlage ins Spiel. Sie sorgt im Verein mit konservativen Schulverwaltungen erst einmal dafür, daß alles so bleibt, wie es ist. Referendare sind meistens fit beim Umgang mit digitalen Medien für den eigenen Bedarf, treffen aber in den Schulen auf ein Umfeld, das „das Internet“ erst einmal draußen hält. Das findet nur zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Zimmern statt. Wenn die Schüler es in Form von Smartphones mitbringen, werden sie als Störer empfunden. Und so entfernen und entfremden sich die Schule und der Rest der Gesellschaft immer mehr voneinander. Die Katze beißt sich in den Schwanz.
Wie könnte man diesen Kreis durchbrechen? Auf einer Massenveranstaltung wie der Didacta wird es wohl nicht gelingen. Chancen für eine Erneuerung dürfte es nur auf kleinen Inseln geben, die sich untereinander vernetzen sollten, um sich immer mehr ausbreiten zu können. Robinson als Vorbild. Sisyphos war gestern.
…von einem Inselbewohner,
die letztjährige Didacta in Basel stand in einem ähnlichen Licht. Zwar haben die leeren Rollkoffer gefehlt und in der benachbarten Halle fand eine Technikausstellung statt – die mich eigentlich mehr faszinierte – das Bild war aber fast identisch. Voller Erwartungen stürmte ich in die richtige Halle 😉 und fand heraus, warum denn keine Rollkoffer vorhanden waren…man konnte nämlich nicht überall Bücher kaufen. Was mich aber interessierte, war der Stand von Lernsoftware und ich malte mir in Gedanken aus, dass ich hier sicherlich für jedes Fach eine kleine Auswahl antreffen werde. Weit gefehlt…
An jedem zweiten Stand wurden Kurzstreckenbeamer oder interaktive Whiteboards vorgestellt, Pulte als Tablets, 3D-Fernseher, Stände mit massenhaft Zeitschriften zu allen Themen der Welt, Experimentierkasten für die Naturlehre und Musikinstrumente, einziges Buch, das mich interessierte, hätte ich bestellen müssen und dies natürlich ohne Messerabat…
Ja, so sieht es wohl aus: Auf der Liste der offiziellen Lehrmittel findet sich in der Schweiz keine einzige Lernsoftware, kein Lehrmittel in digitaler Form, jedoch die Dias sind doch immerhin auf einer DVD (Geschichte zur Gegenwart). Die Bildungslandschaft Schweiz ist auf einen digitalen Kollaps gut vorbereitet – sie wird ihn nicht spüren.
Trotzdem in leiser Hoffnung.
simon.
Spontane Vermutung: Die bisherigen Erfahrungen mit eBooks, Lernsoftware & Co sind für Lehrer extrem schlecht verlaufen, da die Verlage fleißig diverse DRM-Einschränkungen eingebaut haben und der didaktische Mehrwert häufig recht gering war. Wenn ich die Wahl zwischen einem normalen Buch habe, aus dem ich einfach Kopien für meine Schüler anfertigen kann und einem ähnlich teuren eBook, welches erfordern würde, dass alle Schüler es sich für eine Aufgabe kaufen, würde ich auch zum gedruckten greifen.
Ich versuche, mal einen Schritt zurückzutreten: Mein Eindruck (ohne jede belastbare Grundlage außer meinem Bauchgefühl) ist, dass die meisten offenen Techniken, die man im Web findet und die man ganz hervorragend auch zum kolaborativen Lernen nutzen könnte erst einmal aus der OpenSource-Ecke kamen. Wikis, Blogs, die gängigen GTD-Tools – all das war (und ist) frei vorhanden, weil sich irgendjemand hingesetzt hat und Lust hatte, etwas zu programmieren.
Diese Herangehensweise widerspricht aber vollkommen dem Modell eines klassischen Verlages oder dem eines Softwarehauses. Die haben Entwicklungszyklen, die sich in Excel-Tabellen festhalten lassen müssen und müssen bereits bei der ersten Idee an den ROI denken.
Und auch den meisten Lehrern (die ich kenne) ist ein schön sortiertes Angebot an seriösen Vorlagen lieber, als eine Software, die stolz den Beta-Status im Logo trägt und alle 5 Tage Updates braucht (für Netizens ein Qualitätsmerkmal, für User ein Nerv-Faktor).
Alles in allem finde ich es daher logisch, dass auf der Didacta wenig zu finden war.
Veränderung bei Software, Veränderung in der Arbeitsweise kommt nicht von oben, die braucht eine Killer-Application. Und jemanden im Kollegium, der den anderen zeigt, dass die Killer-App schon da draußen ist und man sie nur benutzen muss.
Für mich fehlt der Aspekt: Kann sich eine Schule überhaupt die Umsetzung digitaler Inhalte leisten?? (auch die Sicht aus der Grundschule sollte nicht außer Acht gelassen werden)
Wie wahr, wie wahr.
Wir haben früher gedacht, dass Lehrer, die den Computer nur insoweit einsetzen, um den eigenen Präsenzunterricht optimieren, allmählich „aussterben“ (Kohorteneffekt).
Mittlerweile haben wir das Gefühl, dass viele Nachwuchslehrer schon deswegen gerne Lehrer werden möchten, um nicht so viel mit Computern arbeiten zu müssen…
Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Artikel.
1. Aus der Verlagsperspektive ist die geringe Veränderung(sbereitschaft) doch noch relativ gut mit finanziellen Interessen zu erklären. Solange man mit herkömmlichen Schulbüchern gutes Geld verdienen kann und sich mit wirklich innovativen Ansätzen nicht wirklich Geld verdienen lässt, wird dort auch kein Umdenken stattfinden.
2. Lehrer haben natürlich erst einmal ein größeres Interesse an Inhalten als den den Medien als solchen. So lange das Angebot an passendem Content so gering ist, wird das Interesse an den neuen Technologien auch gering bleiben. Erst in den Kombination Inhalt und Medium wird es interessant. Dann aber eine echte Innovation und nicht die gleichen Inhalte wie auf Papier.
Die von Ihnen angedachte Entwicklung wird meines Ercahtens länger dauern als Sie denken: nicht wegen technischer Aspekte, sondern wegen der eingefahrenden Lehrmethodik. Dies zu verändern wird dauern.
Da können wir uns ewig im Kreis drehen – ich behaupte einfach, es liege nicht an der „eingefahrenen Lehrmethodik“, sondern an den „technischen Aspekten“. 😉
Nein, aber im Ernst: Meiner Meinung nach sind es zwei andere Aspekte, die noch wichtiger sind als traditionelle Methodik und die Problematik der technischen Umsetzung:
Es ist völlig unklar, wohin es technisch gehen soll. Ich vermute, dass vor allem die großen Verlage schon bereit wären, innovative Produkte anzubieten – wenn sie denn wüssten, was das sein soll. Eine Lehrmethodik unter Einbeziehung von Web 2.0 & Co. muss erst noch entwickelt werden, damit a) die Verlage etwas haben, worauf sie sich stützen können, b) die Ministerien etwas haben, was sie verbreiten können.
Die Ministerien (ich kann eigentlich nur vom bayerischen KM sprechen) loben zwar die Segnungen der Informationstechnik und betonen, wie wichtig es ist, die Schüler „fit“ für die Anforderungen der Zukunft zu machen – wenn es aber ins Detail geht, scheuen sie zurück. Laut bayer. kultusministerieller Anweisung vom Oktober vergangenen Jahres ist „von einer unterrichtlichen Nutzung sozialer Netzwerke (…) mit Blick auf die besondere Schutzbedürftigkeit der Schülerinnen und Schüler abzusehen.“ – Da fehlen mir die Worte. Ganz zu schweigen vom – bereits von anderen angesprochenen – Handy-Verbot. Ich will, ohne weitere Einlassungen dazu, nur die Stichworte „Realitätssinn“ und „Fachkenntnis“ in den Raum stellen.
Nur noch mal so als Ermunterung für Lehrer, die Angst vor Smartphones haben: Sollte ich demnächst Englisch unterrichten dürfen, dann werde ich deutlich machen, dass ich auch nicht alle Wörter auf Englisch auswendig weiß und dass das keine Schande ist. Ich werde Schüler mit Smartphone bitten, das passende Wort mal eben im Internet zu suchen. Falls der Computer vorne kaputt sein sollte. Soll ja auch vorkommen.
Vor Arbeiten würde ich sie allerdings einsammeln, und auch nach Zweit- und Dritthandys suchen. Nur wie? Anfassen darf man die Schüler ja nicht. Tipps gerne an mich.
@Corinna bisher habe ich im Internet noch kein Wörterbuch gefunden, das Schüler davor schützt, groteske Vernachlässigung des Kontextes zu verhindern. Was nutzt es ihnen, wenn sie dafür doch wieder auf einen Lehrer angewiesen sind?
Guten Abend!
Eine Ursache für das eventuell zu Grunde liegende Anti-Digital-Problem ist – glaube ich – die Organisation Schule, die sich manchmal selbst im Wege steht:
„Sie sind LehrerIn aus Digitalien?“ fragt die Schulleitung. „Tja, hmm, nein, Arbeitsblätter über die Facebook-Gruppe zu distribuieren, ist verboten. Mit Schülern online befreundet zu sein? Das ist unprofessionell. Der „Faktencheck“ zur Unterrichtsdiskussion via Twitter am Nachmittag? Wird nicht so gerne gesehen. Nein, Handys im Unterricht sind verboten.“
„Warum?“
„Das war schon immer so…“
Statt einer schulweiten zielorientierten Lösung (z.B. eine Social Media Richtlinie für oben angerissene Problemfelder) gibt es Graswurzelbewegungen und Insellösungen: Diejenigen, die „was online“ machen möchten, installieren für sich und ihre Schüler Moodle oder Ilias auf privatem Webspace und nutzen Social Media im Verborgenen. Schulweite Lösungen? Meist Fehlanzeige.
Allerdings: Sagen Sie doch mal den KollegInnen, dass Sie neben den AGs, Projekten, Korrekturen, Vertretungen, sonstigen Aufgaben noch Freiwillige für den Arbeitskreis „Neue Medien“ suchen. Aber tun Sie das nur, wenn Sie das Image eines unverbesserlichen Idealisten, der sich die „Hörner nach der Uni immer noch nicht abgeschliffen hat“, auch wirklich wollen.
Ein Zweites – auf die Gefahr hin, sich auf einem Lehrerblog diverse Feinde zu machen – könnte eine den Lehrberufen eigene Transparenz-Allergie sein? Oder ist diese vielleicht vom Alter oder vom Fach abhängig? Was ich meine:
Nach dem Referendariat gibts kaum noch Hospitation, keine Peer-Reviews. Keine Feedback-Kultur. Kaum Materialaustausch. Nicht einmal der für das Kollegium zugängliche Materialordner im Lehrerzimmer funktioniert. Keiner heftet was ein; „Warum sollten meine Arbeitsblätter für andere zur Verfügung stehen?“ Wer ist eigentlich dieser OER? Ist das nicht bei Erkenschwick? Und dieses doofe Lehrer-Wiki… Ich hab meine Zugangsdaten gar nicht mehr.
Geschlossene Klassentüren scheinen das Äquivalent zur „Feiheit der Lehre“ zu sein, welche im Hochschulbereich gerne als „Anti-E-Learning-Argument“ herhalten darf. So macht „jeder seins“, und manche Räder werden wahrscheinlich 1.000 Mal oder häufiger erfunden.
Mal Hand aufs Herz: Wessen Unterrichtsbausteine stehen unter CC-Lizenz? Wessen Moodle-Kurse sind downloadable? Wer hat schon mal über einen Open Access und eine Veröffentlichung seiner Unterrichtsentwürfe auf seiner Webseite nachgedacht?
Ich glaube, dass es einer gehörigen Portion Idealismus, einer aufgeschlossenen Schulleitung und eines offenen Schulklimas, viel zusätzlicher Arbeit und den richtigen Werkzeugen bedarf, um dies zu überwinden.
Ich wünsche uns allen Toi,toi,toi auf dem weiteren Weg nach Digitalien!
😉
Just my 2 cents,
Martin
p.s.: Ich hab das mal so weggeschrieben, quasi ungefiltert ausgespeichert; jetzt nochmal gelesen und sag dann doch nochmal was zum Thema: Nein, wir waren nicht auf der Didacta. Die geschilderten Eindrücke kommen aus meiner Arbeit als „Externer“ an (Hoch-) Schulen zum Thema Neue Medien/E-Learning. Aber ich bin kein Pessimist: Ich lasse mich besonders gern vom Gegenteil überzeugen 🙂
Wie Schule funktioniert, ist nicht eine Frage der Technik, sondern des ‚Systems‘ Schule. Letztlich bilden die Verlage das System ab – alles andere wäre kommerzieller Selbstmord. Schulmedien werden nach den Bildungsstandards der Bundesländer gemacht. Wer dieses Grauen jemals gelesen hat weiß, warum es in puncto moderner Lehrsysteme nicht voran geht.
In Deutschland wird am System Schule deshalb so gerne ineffektiv herumgeschraubt, weil hier die Landesparlamente so tun können, als täten sie etwas. Und deswegen wird auf dieser Ebene sehr gerne symbolische Politik – sprich Wahlkampf – betrieben.
Im aktuellen ‚Spiegel‘ gibt es einen kurzen Essay zu diesem Problem (Hauptsache Abitur, S.28). Und daraus folgt für mich: Solange es den Föderalismus samt Kulturhoheit der Länder gibt, wird sich in der Schule nichts wesentliches bewegen. Echte Veränderung wäre ja auch viel zu gefährlich – wer wollte denn garantieren, dass der Wähler (die Eltern) so etwas überhaupt guthieße – selbst wenn es den Schülern nutzte.
Also bleibt es seit 50 Jahren bei der Politik der kleinen Schritte: Einen vor, einen zurück…
Die einzige Möglichkeit zu echter Veränderung bestünde darin, die Eltern zu organisieren und auf ein übergreifendes Wohl zu verpflichten, dass sich nicht in „Abi für alle“ erschöpft. Aber das soll mal jemand dieser zersplitterten und von starkem Eigeninteresse gebeutelten Gesellschaft klar machen…50xStuttgart 21!
@Martin: Meine Seiten mit Analyse-Ansätzen zu Robert Schneiders „Schlafes Bruder“ sind seit 1996 im Netz – und dort lasse ich sie auch, aus nostalgischen Gründen. Da gibt es einen eigenen Punkt „Download“, das Päckchen im Word-Format enthält auch Arbeitsblätter -> „Schlafes Bruder“
Ich weiß schon, das widerlegt nicht grundlegend deine Behauptung, dass Lehrer ungern teilen, aber … manchmal tun sie’s. Besonders konsequent tut es übrigens Jochen Lüders, der in München Englisch und Sport unterrichtet. Seine Materialien und Tipps sind immer einen Besuch wert: JochenEnglish.