Apples iPad und das Schulbuch – Gerüchte und Einschätzungen
Für Hersteller von Hard- und / oder Software hat ein Monopol etwas verlockendes. Das war so bei Microsofts Windows-Betriebssystem, das erst von Gerichten und staatlichen Monopolbehörden auf seine Grenzen hingewiesen werden musste; das gilt für geschlossene proprietäre Strukturen, wie sie Apples iOs, Amazons Kindle etc. anbieten.
Was wäre es für ein Coup, käme man mit seinen Produkten in die Schulen hinein, zumindest in die finanziell relativ gut ausgestatteten Schulen der Industrienationen!
Microsoft ist dieser Coup schon geglückt: Ich kenne wenige Schulen, die nicht mit deren Betriebssystem arbeiten und so die Schüler und Schülerinnen an Windows gewöhnen. „Word“ war ja nicht umsonst lange Zeit „Quasi-Standard“ bei Textverarbeitungsprogrammen. Das wird kaum noch thematisiert, aber in den meisten Schulen herrschen nach wie vor proprietäre Systeme aus dem Hause Microsoft.
Das hat aber nicht verhindern können, dass es Lehrer gibt, die andere Plattformen nutzen, sowohl proprietäre als auch freie.
Das hat nicht verhindert, dass Schüler privat auf anderen Plattformen arbeiten.
Nun aber gibt es Gerüchte, dass ein weiterer Computerherrsteller einen Initiative zur Besetzung des Schulmarktes starten wolle. Apple, so heißt es, plane Kooperationen mit Schulbuchverlagen und wolle das iPad 2 massiv als Träger von Schulbüchern und als Arbeitsgerät in die Schulen hinein bringen.
Angeblich, so vernahm ich es aus dem unmittelbaren Schulbuchverlage-Umfeld, suche Apple auch schon Kooperationspartner in Deutschland.
Bereits auf der Buchmesse in Frankfurt erfuhr ich, dass die Schulbuchverlage an einer App arbeiten, die zur Didacta vorgestellt werde.
Ob das mehr als Gerüchte sind, weiß ich nicht. Ich nenne sie hier aber, weil sich in Gesprächen mit unterschiedlichen Personen diese Informationen für mich verdichtet haben.
Aus meiner Sicht wäre es logisch, wenn Apple in den Bildungssektor wollte. Microsoft hat vorgemacht, dass das geht.
Außerdem bietet Apple mit dem iPad eine geschlossene Plattform, was mehr Lehrern sympathisch sein dürfte, als Vertreter offener Plattformen vermuten dürften, denn viele Lehrer wollen so ziemlich alles kontrollieren können, was Schüler an Rechnern tun, sodass es in PC-Räumen bereits heute in der Regel eine Software gibt, die Lehrenden Zugriff auf alle Bildschirme gibt und Interaktion mit den Nutzern dieser Rechner erlaubt.
Schulen arbeiten bis heute in der Regel nicht mit offenen, frei verfügbaren Bildungsmedien und Technologien. Statt freier Software auf Linuxbasis wird proprietäre Software genutzt; statt freie Bildungsmedien zu kreieren, verfügbar zu machen und zu nutzen, werden Schulbücher und proprietäre Arbeitsmaterialien nach wie vor sehr häufig eingesetzt.
Die Angst der Bildungsmedienersteller vor „Digitalisaten“ aus Lehrerhand wurde in der „Schultrojaner“-Diskussion der vergangenen Wochen sehr deutlich. (Und nebenbei: Es wurde von den Verlagen her nach wie vor kein offener Dialog mit den Lehrern und Lehrerinnen gesucht, es fand alleine ein Treffen von Lehrerverbänden, der Kultusministerkonferenz und den Schulbuchverlagen statt.)
Schulbuchverlage brauchen, um ihre Markt-Macht in den Schulen zu behalten und zu festigen, eine Lösung, die das Schulbuch in das digitale Zeitalter bringt.
Schulbuchverlage werden dabei kaum auf offene Standards setzen wollen und könnten also durchaus Zielgruppe eines Unternehmens wie Apple sein. Das iPad bietet genügend Geschlossenheit, um sicherzustellen, dass bloß kein böser Lehrer „Digitalisate“ der digitalen Schulbücher erstellt, genug Geschlossenheit, um den Schulbuchmarkt weiter attraktiv zu halten.
Es könnte eine starke Lobby geben, die eine solche Kooperation zwischen Schulbuchverlagen und Apple als Produzenten des iPads, befürworten dürfte.
Es könnte aber auch passieren, dass die deutschen Schulbuchverlage die Kooperation mit Apple verweigern und weiter auf analoge Bücher und eine eigene App-Lösung setzen würden. – Ob Verhandlungen zwischen Apple und Schulbuchverlagen konkret stattgefunden haben, konnte ich den Gerüchten nicht entnehmen, geschweige denn, wie diese ausgegangen sind.
Ich selbst würde mir andere, offene Lösungen wünschen, die nicht auf eine spezielle Hardware und nur für diese verfügbare Apps aufbauten.
Unterrichtsmaterial muss die Freiheit lassen, es auf Rechnern der eigenen Wahl nutzen zu können. So schätze ich browsergestützte Zugänge zu Lernmaterialien, die von jeder Plattform aus genutzt werden können und nicht auf spezielle Hardware angewiesen sind.
Andererseits: Wenn Schulen von Schulbüchern auf digitale Bildungsmedien umstellen sollen / wollen, so würden sie einheitliche Geräte benötigen, wenn man nicht darauf bauen wollte, dass jeder Schüler und jede Schülerin ein eigenes, elternfinanziertes digitales Endgerät hätte, was letztlich die Lehrmittelfreiheit, die in manchen Bundesländern nach wie vor gegeben ist, in Frage stellen würde.
Die Lehrmittelfreiheit, so sie auch die Datenträger umfassen soll, verlangt also einheitliche Geräteinfrastrukturen für zumindest eine Schule. – Diese Lücke scheint Apple nun besetzen zu wollen.
Ich stelle mir vor, dass Apple die iPads in Kooperation mit den Schulbuchverlagen vertreiben – näheres werden wir in wenigen Tagen erfahren – und die Schulbuchverlage aus Gründen der Gewinnmaximierung darauf verzichten würden, ihre digitalen Schulbücher für unterschiedliche Tablet-Plattformen verfügbar zu machen.
Es gibt kritische Stimmen, die mich in ihrer harschen Art überraschen, da sie bezüglich des Windows-Dauerzustandes an vielen deutschen Schulen eher zurückhaltend vernehmbar waren (eigentlich sogar gar nicht).
Für Ersteller freier Bildungsmedien, den sog. Open Educational Ressources (OER), ergibt sich nicht erst angesichts der Gerüchte um den Einstieg Apples in den Schulbuchsektor die Notwendigkeit darauf zu achten, diese Bildungsmedien so zugänglich wie nur möglich zu erstellen und zu verbreiten.
OER müssen grundsätzlich von jedem Endgerät mit jeder beliebigen Plattform erreichbar und zu nutzen sein.
Die vermutete, in Gerüchten angekündigte, vielleicht Wirklichkeit werdende Initiative Apples könnte einen Nebeneffekt haben, der viel positiver ist, als es das reflexartige „Da ist ein Weltkonzern, der proprietäre Hard- und Software durchdrücken, gleichzeitig die Kinder als Kunden aufbauen und an sich binden will und das ist böse!“ vermuten lässt.
Wenn man will, dass in Schulen digital vernetzte Strukturen produktiv für Zwecke des Lernens genutzt werden, reichen nicht nur zwei, drei Computerräume aus.
Wenn man digital unterstützte Lernprozesse in Schulen haben will, dann braucht man dafür Hardware, Software, Netzinfrastruktur, idealerweise WLan.
Wo bitte soll das alles herkommen, angesichts der Finanzausstattung der Schulen, angesichts der heiklen Haushaltslagen, mit denen Schulträger agieren müssen?
Wie soll Zugang zu so interessanten OER-Materialien im Unterricht möglich sein, wie sie z. B. Mathematik Digital anbietet, wenn die Hardware und der Internetzugang gar nicht vorhanden sind?
Klar, die Kritik, wie sie fefe äußert verlinkt, fragt grundsätzlicher, ob hier an proprietäre, geschlossene Systeme gewöhnt werden solle (Verschwörungstheorie). Dass eine solche Gewöhnung aber auch schon mit proprietären Tintenpatronen-Formaten für Schulfüller stattfindet, sei nur erwähnt.
Sollte Apple die Initiative ergreifen – oder ein anderer Anbieter, das ist mir egal, Hauptsache es tut endlich mal einer –, sollte auf diesem Wege tatsächlich Hardware in Koppelung mit Schulbüchern ihren Weg in die Schule finden und wäre diese Hardware nicht nochmal zusätzlich verschlossener als sie es schon ist, z. B. durch Zugangsbeschränkungen ins Internet, die auch OER-Seiten beträfen, dann böte sich die Chance, dass, so die Gerüchte auch nur einen Teil der Wahrheit wiedergeben, Apple als Katalysator wirken könnte, was die angesichts des Leitmedienwechsels notwendige Veränderung von Schule und Unterricht angeht.
Es ist das eine, digital gestützte Lernprozesse, digital ermöglichte Zugänge zu Wissen und damit verbundene Möglichkeiten des Zuwachses von Autonomie Lernender gut zu heißen.
Die andere Seite ist dann aber, dass man Antworten finden muss, wie solche Veränderungsvorstellungen mit der notwendigen Infrastruktur ausgestattet werden können, um sie umzusetzen.
Ich bewerte an dieser Stelle die Gerüchte noch nicht abschließend, da Apple immer für Überraschungen gut ist.
Ich fände die Vorstellung sympathisch, dass es einen Anstoß gäbe, der den Veränderungsprozess in Schulen aktiv unterstützen würde; einen Anstoß, der auch denjenigen, die bislang darauf verwiesen, dass es für digitale Endgeräte im Unterricht kaum Schulbücher (in Deutschland) gäbe, ein wenig die Argumente nähme; einen Anstoß, der Eltern, die sich längst wünschen, dass Kinder mehr an die Kompetenzen herangeführt würden, die für eine aufgeklärte Bewältigung des Leitmedienwechsels notwendig sind, neue Argumente gegenüber den Schulen, den Schulträgern und der Bildungspolitik gäbe.
Klar, das kann man alles auch viel kritischer sehen, man kann Verschwörungen vermuten, die die Kinder abhängig von einer Plattform machen wollen etc. Auch ich könnte so argumentieren, habe mich aber entschieden, an dieser Stelle dem Chancenblick Vorzug zu geben, da es die Kritik sowieso geben wird.
Wenn die Gerüchte stimmen, wäre mein Blick auf das, was da kommt, mit der Frage verbunden, wie ich das Angebot gegebenenfalls – in Frankfurts Schulen gibt es kein WLan, weil der Schulträger das scheinbar nicht will, was die Umsetzung potentieller Möglichkeiten bislang auf Lan-Optionen beschränkt – nutzen könnte, um zum Beispiel auch freie Bildungsmedien in den Unterricht zu integrieren, da mich ja niemand zwingen kann, nur die Schulbücher zu nutzen, die dann vielleicht in digitaler Form vorliegen würden.
Es wäre ein pragmatischer Blick, der aber auch die Frage geschlossener Systeme in der Schule thematisieren würde, um nicht zu einer neuen „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ beizutragen.
Warten wir ab, was letztlich präsentiert werden wird. Im Idealfall wäre es etwas, das Fahrt in den Sektor der Unterrichtsmaterialien bringen würde, etwas, das andere Anbieter aufwecken würde, sodass letztlich doch einen Vielfalt von Angeboten digitaler Unterstützung des Lernens und zum Aufbau personalisierter Lernumgebungen entstünde, aus dem Schulen dann wählen können…
Der Vergleich mit Microsoft hinkt für mich. Microsoft hat eine dominierende Stellung bei den Betriebssystemen im Desktop bzw. im klassischen, zum Glück langsam sterbenden „Computerraumbereich“ oder auch im Verwaltungsnetz.
Für diese Plattform darf und hat aber fast jeder jeder Software entwickeln. Es wird von Microsoft nicht kontrolliert, wer das tut und ob das qualitativ oder unschädlich für die Plattform ist. U.a. deswegen wird Windows ja gerade auch von Tabletlösungen verdrängt: Die Geschlossenheit ermöglicht eine andere Stabilität.
Dass beides in Einklang zu bringen ist – der Wunsch nach Stabilität einerseits – und Offenheit auf der anderen Seite, beweist Linux. Apple ist unglaublich stark durch die Koppelung von Hard- und Software. Apple kommt damit den Bedürfnissen vieler Menschen sehr entgegen. Und daran ist nichts auszusetzen. Die haben den von uns gewünschten Kapitalismus verstanden. Angebot – Nachfrage.
Ich frage mich, ob durch geschlossene Plattformen wie Apple sie erfolgreich vertreibt, nicht auch unglaubliche Lernpotentiale im IT-Bereich verloren gehen, aber das wäre einen eigenen Artikel wert. Da müsste man auch über Nachhaltigkeit (Wartbarkeit & Recycling), Produktionsbedingungen, Produktzyklen und Vermarktungsstrategien nachdenken – also eben ganzheitlich, wie ich mir Schule wünsche.
Meine Gleichung für OER enthält noch eine Komponente mehr, die in deiner Argumentation nicht vorkommt:
OER + WLAN + Endgerät + Plattform + Haltung = ???
Ich weiß eben nicht, welche Haltung bei Lehrenden eine geschlossene Appliancelösung befördert und ob sie nicht eher bestehendes Verhalten zementiert. Technik macht wahrscheinlich nur 5% der Herausforderungen aus –
OLPC kommt mit primitivsten Oberflächen aus, weil die Haltung der Zielgruppe eine ganz andere ist. Diese ist in diesem extremst reichen Land nur schwer zu erzeugen, aber meiner Meinung nach der Schlüssel zu allem.
Schön fänd‘ ich auch die Browserlösung. iPad & Co. nur als Interface. Dadurch entsteht dann auch Druck auf Schulträger. Und vielleicht gäbe es dann auch in den Pads nach und nach zumindest ein zugängliches Akkufach – oder soll man sich alle drei ein neues Gerät kaufen müssen? Dadurch entsteht dann Druck auf die Hersteller und Richtung Nachhaltigkeit. Das modulare PC-Konzept ist umsonst im Businessbereich immer noch sehr stark.
Wir als Staat müssen in die Rolle des Handelnden kommen. Wir müssen sagen: WLAN! Browser! Inhalte! Nachhaltig! Ersatzteile! – und eben nicht das aufsammeln, was man uns hinwirft und hoffen, dass es sich dann schon irgendwie entwickelt, weil es wenigstens ein Anfang ist und das mit xy ja auch so war. Das ist zumindest nicht meine Vorstellung von aktiver Entwicklung.
OLPC ist ein gutes Beispiel dafür, wie es gehen kann. Da sagt ein „Entwicklungs“-Staat: Wir wollen bezahlbare, modulare Dinger mit den und den Spezifikationen. Und dann baut das Zeug tatsächlich jemand.
Naja. Dafür ist Deutschland wirtschaftlich einfach zu schwach. Oder liegt es doch an der Haltung?
Seufz – ich bin einfach zu grundsätzlich, oder?
Wie mein Vorredner moechte ich darauf Hinweisen, dass der Windows-Vergleich hinkt. Es geht nicht um Windows, Mac, Linux oder sonstwas, es geht um Bevormundung durch die Lizenz. Apples ist da kein Einzelfall, auch im MS-Umfeld ist man da ja schon seit einiger Zeit dran, aber Apple hat es perfektioniert. Sie bestimmen welche Apps laufen. Sie bestimmen die Inhalte. Und das ist gefaehrlich.
Und ja… die MS-Dominanz war und ist ein Fehler, den genau so Leute angeprangert haben…
Apple zensiert nicht. Das kann nur ein Staat. Apple hat nicht den Browser gesperrt, man kann also alle Inhalte ansteuern. Apple bietet ein Produkt, das dem Nutzer (denn von dessen Geld lebt Apple) einen maximalen Mehrwert bringen soll (damit er zufrieden ist und Kunde bleibt). Und da ist Apples Strategie die, dass dies der Fall ist, wenn bestimmte technische Standards erfüllt sind, die eben durch Apple geprüft werden. Dass zu viel nackte Haut nicht erwünscht ist (inhaltliche Prüfung), ist eher unter dem Aspekt sehen, dass in Amerika eine Firma wie Apple diesbezüglich einfach eine weiße Weste braucht und „Schmuddelkram“ da nicht so gerne in der Öffentlichkeit gesehen wird.
Wem das alles nicht passt, kann ein Alternativprodukt kaufen. Wo ist das Problem?
Beim zukünftigen Mountain Lion bilden sie das Modell durch Zertifizierung „externer“ Anbieter ab. Apple geht es um Kundenbindung durch ein möglichst beschwerdefreies Nutzungserlebnis. Bisher geht die Rechnung auf.