Didacta 2013 – Eine subjektive Nachlese oder: Der Exot aus Digitalien

Als ich auf der Didacta in Köln ankomme, bin ich über
einen Teil der Besucher dieser Bildungsmesse amüsiert. Hatte ich es
zunächst für ein Gerücht gehalten, dass viele Besucher Koffer auf
Rollen dabei haben, um das einzusammelnde Material transportieren
zu können, sehe ich nun, dass dieses Gerücht stimmt. Aus dem Zug,
mit dem ich zur größten Bildungsmesse Europas angereist bin,
steigen an der Messe Dutzende von Besuchern mit leeren großen
Rucksäcken, Trolleys und Reisekoffern. Viele, die ohne diese
Utensilien angereist sind, finden später auf der Messe Aussteller,
die Pappkartons auf Rollen verschenken. Man kennt eben die
Bedürfnisse der Besucher. Mein Bedürfnis ist es nicht, mich an den
Ständen von Schulbuchverlagen mit Büchern einzudecken, obwohl sie
zu Preisen angeboten werden, die zum Teil sehr günstig sind. Mein
Bedürfnis ist es zu erfahren, wo ich diese Schulbücher als E-Books
erwerben kann, wie ich sie auf mein digitales Lesegerät bekomme und
nutzen kann, ohne dass ich einen Laptop brauche oder mit dem Tablet
online sein muss, wie es momentan beim Angebot digitale-schulbuecher.de der Schubuchbranche noch der Fall
ist.

Diese Frage nach E-Books löst verschiedenste Reaktionen
aus. An einem Stand sagt man, dass das nicht möglich sei – und
lacht. An anderen Ständen ist man ratlos oder man verweist man mich
an die Entwickler der verlagseigenen Online-Angebote, die neben dem
zentralen Angebot des Branchenverbandes den Markt abdecken sollen.
E-Learning ist zwar ein Schwerpunkt im Rahmenprogramm der
Didacta 2013, an den Ständen der Schulbuchverlage dominieren aber
nach wie vor Bücher aus Papier. Die E-Learning-Angebote, die ich
sehe, sind instruktiv, bilden in der Regel Frontalunterricht in
Form von Schulbüchern ab. Die Möglichkeiten des Internets für das
Lernen, die Vernetzung von Lehrern und die digitale
Schulentwicklung, das alles scheint die Besucher am Messesamstag
kaum zu interessieren. Dort, wo es um Bildungstechnik geht, sind
die Hallen leer. Man habe, höre ich an verschiedenen Ständen, vor
allem mit Schulleitungen und Entscheidungsträgern von Schulträgern
zu tun. Lehrer, Referendare und Lehramtsstudenten interessieren
sich im Vorübergehen höchsten für digitale Tafeln, aber schon die
vor Ort in Aktion zu sehenden 3D-Drucker wecken nur wenig
Interesse. Langsam weicht mein anfängliches Amüsement über die
Rollenkofferfraktion einem ambivalenten Gefühl. Ist das große
Interesse an den Büchern dem Desinteresse der Lehrer an digitalen
Medien geschuldet? Oder ist das geringe bzw. nach wie vor nicht
wirklich komfortabel zu handhabende Angebot an digitalen Medien
Schuld, dass Lehrer bei Büchern bleiben? Ohne eine Antwort auf
diese Frage gefunden zu haben, nutze ich den Messetag, um Menschen
zu treffen, mit denen ich digital vernetzt bin. Zum Teil gehe ich
unangemeldet zum Stand, zum Teil haben wir uns unter dem hashtag #didacta via Twitter
verabredet. So erlebe ich selbst den Mehrwert dieser Vernetzung für
meinen Austausch und mein Nachdenken über Bildungsmedien. Aber
selbst in diesen Begegnungen höre ich viel Skepsis über ein allzu
großes Engagement im digitalen Bereich. Der Markt sei da noch zu
unberechenbar, heißt es, die digitale Bildungsrevolution schon zu
oft vertagt worden. Dass sich dies ändern könne, stellen
Lehramtsstudenten in Frage, die ich beim Mittagessen treffe. Ob sie
nicht digitale Angebote von den Schulbuchverlagen vermissen würden,
frage ich.  Sie verneinen, sie seien da nicht so interessiert.
Später sehe ich, wie sie bei einem Verlag einen Adresszettel
ausfüllen und dabei auch ihre E-Mail-Adresse hinterlassen. Völlig
fremd scheint ihnen das Netz also nicht zu sein. Was aber passiert
auf dieser Messe? Was erfahre ich hier vielleicht über Deutschlands
Bildungssystem? Steht hier irgend etwas zwischen den Zeilen, das
nicht offensichtlich erkennbar, aber vielleicht doch eine
verborgene Triebfeder im Messegetümmel ist? Also noch einen Gang
durch jene Messehallen, in denen der Schwerpunkt auf schulischer
Bildung liegt. Schulbücher bieten Lehrern ausgearbeitete, an
Lehrplänen orientierte Unterrichtsmodelle an. Das kenne ich aus
meiner eigenen Schulzeit, das weiß ich als Lehrer. Dankbar greife
ich auf diese Modelle zurück, wenn ich sie für einigermaßen
gelungen halte und es im Rahmen von Unterricht, Korrekturen,
Beratungen, Konferenzen und sonstigen schulischen Aktivitäten mal
wieder nicht gelingt, den eigenen Unterrichtsentwurf zu erstellen,
den ich eigentlich im Kopf hatte. Mir geht es offensichtlich nicht
allein so. Ist das Sammeln von Material vielleicht tatsächlich eine
Reaktion der Lehrkräfte auf den Mangel an Zeit, um eigene
Unterrichtsmodelle zu entwickeln, die zu den unterschiedlichen
Lerngruppen wirklich passen? Oder sollte es didaktische
Hilflosigkeit sein, die zum Beispiele Referendare umtreibt, sich
möglichst schnell einen großen Pool an Lernmaterial anzuschaffen?
Da ist es egal, ob das Material analog oder digital vorliegt, denn
es gibt beim digitalen Material eigentlich keinen Mehrwert, außer
in Zukunft ein paar Animationen. Was ich bei den Schulbuchverlagen
sehe, hat nichts mit einer Veränderung des Lernens zu tun, sondern
nur mit der Veränderung von Datenträgern mit Lernmaterial. Die
digitalen Optionen zur Vernetzung spielen in den Bildungsmedien
keine für mich auf den ersten oder zweiten Blick wahrnehmbare
Rolle. Selbst die von Schulbuchverlagen in Eigenregie entwickelten
digitalen Lehrerarbeitsoberflächen sind letztlich nichts anderes
als Sammlungen von Arbeitsblättern zum Ausdrucken; Möglichkeiten,
etwa gemeinsam eine Unterrichtseinheit vorzubereiten, sich mit
Kollegen zu vernetzen etc., sind da nicht vorgesehen. Kein einziger
Verlag wirbt damit, dass man sich das Lehrer-Leben leichter machen
könne, wenn man sich vernetzt, kooperiert, gemeinsam Material
entwickelt. Statt dessen geht es um Geld. Bei einer Messe ist das
wenig überraschend. Aber je mehr ich mir auf dieser Messe als Exot
aus Digitalien vorkomme, der durchaus Bücher aus Papier und das
Schreiben mit Füller zu genießen vermag, um so irritierter bin ich,
dass man bei Verlagen auf bewährte Modelle setzt und wenig
innovationsfreudig ist oder visionäre Konzepte zumindest mal in die
Diskussion wirft. Ich erfahren im Laufe des Messetages, dass die
Rendite im Schulbuchmarkt um die 3 Prozent liege, dass pro Schüler
und Jahr 48 Euro für Bildungsmedien ausgegeben werden, dass man 7.000 Registrierungen für eine
Schulbuchplattform
nach drei Monaten für einen Erfolg
hält, obwohl diese Zahl hochgerechnet bedeuten würde, dass es 25
Jahre dauern würde, bis alle Lehrer sich dieser Plattform
digitale-schulbuecher.de bedienen würden. Ich erfahre auf dieser
Messe nichts über eine Marktforschung, die über den Status Quo
hinaus nach Bildungsvisionen fragt. Oder sagt diese Marktforschung
womöglich aus, dass alles so bleibt, wie es ist, dass die paar
stark an digitalen Lernkonzepten interessierten Lehrer und
Lehrerinnen Exoten sind und bleiben? War ich am Anfang über
Rollenkoffer amüsiert, hatte ich zwischendurch ein ambivalentes,
nicht näher zu benennendes Gefühl, beginne ich am Ende zu
begreifen, dass die oft beschworene Krise des deutschen
Bildungssystems sich auch auf dieser Messe zeigt. Lehrer halten an
Unterrichtskonzepten fest, die nach wie vor auf Schulbüchern
aufbauen. Sie sehen digitale Medien vor allem als Ersatz für
Lehrfilme oder nutzen sie als Zusatzmaterial; Schulbuchverlage
bedienen diese Nachfrage, stecken viel Energie in digitale
Angebote, die wiederum die Vorstellung eines Unterricht abbilden,
der zwar zur Kooperation und Vernetzung befähigen will, sich selbst
aber der Kooperation und Vernetzung über die analogen Grenzen des
Schulgebäudes hinaus nach wie vor entzieht.

Dieser Beitrag wird in einer leicht
redigierten Fassung am 27. Februar auf der Bildungsseite der
Tageszeitung (taz) erscheinen. Reaktionen hier auf herrlarbig.de
können gegebenenfalls Einzug in die Veröffentlichung am Mittwoch
finden.