Boykotteur oder Freak?

In der Jugendzeitschrift Spiesser regte Jonas Großmann mit einem wahrscheinlich gezielt provokanten Artikel eine Diskussion über die Frage an, wie die Lehrer der Jugendlichen zu Computern stehen.

Großmann vertritt hier die These, dass es eigentlich nur zwei Gruppen an Lehrenden gäbe: die Boykotteure und die Freaks. Die Boykotteure sind in seinen Augen jene Lehrenden, die sich der Computertechnologie einfach oder offensiv verweigern, während die Freaks jene Lehrenden seien, die Informatik studiert hätten und über die Theorie inklusive Programmiersprachen sehr viel bis alles wüssten, aber keine Ahnung von Communities oder Twitter hätten. Dabei, so verstehe ich Großmanns Einwurf, gehen die für Jugendliche wirklich interessanten Fragen unter:

„Über die Chancen und Gefahren des Internets und der neuen Medien wird so gut wie gar nichts gelehrt, obwohl das Thema immer wichtiger wird und uns sogar interessiert. Lehrer scheint es nicht zu interessieren, wie wir Computer und Internet heute nutzen. Stattdessen sind sie verschreckt und verunsichert.“

Quelle: Sagt uns eure Meinung: Wie stehen eure Lehrer zu Computer und Internet? – SPIESSER – Die Jugendzeitschrift > SPIESSER tickt.

Die bislang gelaufene Diskussion zu diesem Beitrag ist differenzierter als der zur Diskussion motivieren sollende Artikel. Gut so, denn die Wirklichkeit sieht doch langsam wirklich (zumindest ein wenig) anders aus.

Meine Erfahrung, vor allem mit jenem Phänomen, das endlich Bertolt Brechts Forderung aus dessen Radiotheorie erfüllt, dass sich das Radio (ich ergänze: die Medien) aus Distributionsmedien hin zu Kommunikationsmedien entwickeln müsste(n). Web 2.0 bietet in dieser Form erstmal genau das (nahezu) demokratisierte Kommunikationsmedium, welches Brecht sich wünschte.

Und in diesem Medium kommunizieren eine ganze Reihe an Lehrenden mit. Siebzig dieser Lehrerenden-Blogs hat der Lehrerfreund kürzlich vorgestellt. Ich gehe davon aus, dass die Zahl der bloggenden Lehrer faktisch aber wohl eher bei 200 als bei 70 liegt – oder sind es noch mehr? Freilich, das ist angesichts der Zahl an Lehrern und Lehrerinnen in Deutschland (und im Vergleich zum angelsächsischen Raum) nach wie vor eine Zahl im niedrigen Promillebereich, aber Blogs alleine sind ja noch lange kein Kriterium, die Ahnung von Lehrenden vom Internet zu bewerten.

Allerdings ist mit diesen Blogs, den twitternden Lehrenden, den Lehrenden, die aktiv Wikis oder E-Learning-Systeme einsetzen natürlich auch noch nicht gesagt, dass hier ein an Schulen weit verbreitetes Phänomen an die Oberfläche schwappen würde. – Aber: Es sind nicht nur junge Lehrer und Lehrerinnen, die das Tal der Ahnungslosen verlassen haben!

Andererseits – und das aus meiner Tastatur!: Was wäre denn, wenn Deutschland von einer Welle hochgradig internetkompetenter Lehrkräfte überrollt würde? Für die Jugendlichen wäre das doch ein Schreckensszenario. Spiegel-Online titelte in dieser Hinsicht einmal treffend: „Hilfe, mein Lehrer ist im Internet!“ – auch wenn der Artikel im Endeffekt etwas anderes liefert, als dieser Titel verspricht.

Wie sähe dieses Schreckensszenario für die Schülerinnen und Schüler aus? – Die Lehrkräfte Deutschlands würden nicht nur Blogs schreiben und via Twitter oder OpenSource-Twitter-Alternativen im Web präsent sein, sie würden auch in Massen Hausaufgaben in Lernplattformen erledigen lassen, die Schülerinnen und Schüler zwingen, das Internet auch jenseits von Wikipedia zu durchkämmen und in E-Mail- und Chat-Kontakt mit ihren Klassen sein. Sie würden anfangen, sich gegenseitig in SchülerVZ einzuladen und dort die Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler mit kritischem Blick verfolgen. Jeder Lehrende würde ein Blog für seine unterschiedlichen Klassen anlegen und die Jugendlichen zu Web 2.0-Projekten motivieren wollen, sodass der zu leistende Output, der dann auch noch öffentlich (kontrolliert und diskutiert) würde, nur noch zu leisten wäre, wenn Zehn-Finger-Blindschreiben beherrscht wird. Und der Mangel an Breitbandzugängen in sehr ländlichen Gebieten würde noch mehr zu einem massiven Bildungsnachteil als er es heute vielleicht schon ist.

Möglicherweise wären diese Lehrkräfte dann nicht nur in Sachen Internet kompetent, sondern begännen auch noch, über die typographischen Anforderungen zu reden, die ein in einer Textverarbeitung erstellter Text doch bitte erfüllen solle. In Musik würde plötzlich online kollektiv komponiert, im Deutschunterricht hätte jeder Schüler ein Lese- und oder Sprachblog zu führen und die PC-Räume stünden leer, weil natürlich jeder Schüler und jede Schülerin sein eigenes Net-Book in jeder Stunde dabei haben müsste, wobei die Zahl der in Klassenräumen anzubringenden Steckdosen enorm würde, weil die Net-Books heutiger Generation kaum einen Unterrichtstag mit ihrem Akku überstehen würden. – Kurz: Die Schülerexistenz würde sich massiv verändern, gäbe es plötzlich nur noch in Sachen Internet und Co kompetente und begeisterte Lehrende.

Ja, das ist natürlich ironisch und vielleicht auch ein wenig überzeichnet. Doch die Differenzierung von Lehrende in entweder Boykotteure oder Freaks ist es doch auch. Und ich möchte gar nicht davon anfangen, die wirkliche Internet- und Computerkompetenz vieler Schülerinnen und Schüler zu reflektieren, die nach meinem Eindruck bei weitem nicht so selbstverständlich ist, wie in der Öffentlichkeit meinem Eindruck nach meist angenommen. (Noch eine Herausforderung für Lehrende?!)

Auf das Lernen bezogen ist natürlich wichtig, dass „neue Medien“ eine nicht zu verachtende Rolle bei der Initiierung von Lernprozessen und für die Lernprozesse selbst spielen. Doch die Voraussetzungen hierfür müssen auch geschaffen werden – und die sind durchaus analoger Natur!

Am Anfang einer jeder Bildungskarriere stehen Lesen und Schreiben (vgl. hierzu das gute medienpädagogische Konzept von Fontane44). Und das ist gefälligst mithilfe von Büchern und Füller zu erlernen. Und auch sonst spielt der Umgang mit Büchern (und in diesem sind die Lehrenden in der Regel kompetenter als die Schülerinnnen und Schüler) eine große Rolle, wenn jemand etwas lernen will.

Ohne das analoge Erlernen von Kulturtechniken, kann auch die angemessene Nutzung von Computer und Internet nicht gelingen.

Gleiches gilt freilich auch umgekehrt: Ohne die Nutzung von Computer und Internet können Bildungsprozesse zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts auch nicht mehr gelingen, da sich diese Computernutzung mehr und mehr zu einer weiteren Kulturtechnik entwickelt, so sehr sie auch von den „alten“ Kulturtechniken abhängig ist.

Und so gibt es bereits heute eine durchaus nicht zu verachtende Zahl von Lehrenden, die mit dem Computer besser umgehen können, als gemeinhin angenommen wird, auch wenn er im Unterricht vielleicht nicht bei jedem eine große Rolle spielt. Dies sind zunehmend Lehrende, ganz im Gegensatz zu der von Großmann vertretenen These, die keine Freaks im Sinne studierter Informatiker sind. – Und ich gehöre dazu.

Meines Erachtens wird die Diskussion um Schule und Computer bzw. Internet viel zu polarisierend geführt. Ja, es tun sich neue Möglichkeiten des Lernens auf, die ich persönlich toll (und durchaus auch effektiv) finde. Doch andererseits ist die kritische Distanz zu diesen Technologien von nicht zu verachtender Bedeutung, wenn wirklich zu einem kompetenten und kritischen Umgang mit Medien hingeführt werden soll.

Damit bestreite ich natürlich nicht, dass Lehrkräfte gefälligst Ahnung von der Lebenswelt der Lernenden haben sollten (ohne sich selbst in diese Lebenswelt hinein anbiedern zu wollen). Aber mal ehrlich: Wir befinden uns in einer Zeit massiver Veränderungen. Das Internet als Massenphänomen ist kein 20 Jahre alt und die Möglichkeiten des Internets als Kommunikationsmedium, abgesehen von der E-Mail, ist noch jünger. Da sollte man durchaus auch akzeptieren können, dass nicht jeder auf den Zug aufspringen will oder kann, ohne gleich anzunehmen, dass ein Unterricht, der wenig bis gar nicht mit Computer und Internet arbeitet, ein schlechterer Unterricht sein müsse. – Das scheint mir in dieser klaren Form zwar keiner wirklich zu behaupten, aber implzit scheint mir der Gedanke bei Diskussionen um das Thema durchaus präsent zu sein.