Was können Lehrer, was Erklärvideos nicht können? – Schülerantworten

Für fast alles gibt es heute Erklärvideos im Internet. Es gibt erste Versuche, in deren Zusammenhang Schülerinnen und Schülern individuelle Lernwege zusammengestellt bekommen. Algorithmen haben diese Arbeit übernommen und während Lehrkräfte selten dazu kommen, das Lernverhalten von Schülern und Schülerinnen so genau im Blick zu haben, dass jede und jeder individuell angepasste Aufgaben bekommen kann, kann der Computer auf der Basis großer Datenmengen sehr wohl genau diese Arbeit leisten. ((Bei allen Chancen und Risiken, die mit großen Datenmengen (Big Data) verbunden sind.))

Je mehr diese technischen Entwicklungen tatsächlich zeigen, was Computer leisten können, um so mehr beschäftigt mich die Frage: Was ist in einem solchen Umfeld die Rolle des Lehrers? Brauchen wir Lehrerinnen und Lehrer noch?

Von den Schülerinnen und Schülern einer Lerngruppe wollte ich wissen, ob sie Lehrer noch brauchen, nun, da sie doch zumindest das Fachwissen im Internet finden können. Die Frage war kaum ausgesprochen, da kamen schon die ersten Meldungen. Nicht repräsentativ, aber vielleicht interessant, ist das, was dabei herauskam. – Die erste Erkenntnis: Jede(r) Schüler / Schülerin kannte Online-Lernvideos und hat diese mit unterschiedlicher Intensität schon genutzt.

Die Antworten habe ich mitgeschrieben und werde sie in der Reihenfolge hier nennen, in der sie geäußert wurden. Manche werde ich erläutern, Erläuterungen stehen in Klammern, andere sind so klar, dass ich sie einfach stehen lassen kann ((Im Gespräch wurde von Schülerinnen und Schüler jeweils die männliche Form »Lehrer« genutzt. Dabei denken sie selbstverständlich an Lehrende unterschiedlicher Geschlechter. Ich habe mich entschieden, den Sprachgebrauch beizubehalten, der in dem Gespräch genutzt wurde.))

  • Lehrer erklären auf andere Art. (Und das war positiv gemeint!)
  • Lehrer sorgen dafür, dass wir uns überhaupt mit den Themen beschäftigen.
  • Die Leute, die online erklären, sind oft weniger kompetent als Lehrer.
  • Im Unterricht sind direkte Rückfragen möglich. (Wir kamen darauf, dass dies online doch auch gehe, aber die Schüler bestanden darauf, dass dies etwas anderes als die direkte Rückfrage bei einem physisch anwesenden Lehrer sei, denn…)
  • …man sieht das Gesicht des anderen (, was durchaus als etwas anderes wahrgenommen zu werden scheint, als das Gesicht, das auf einem Bildschirm erklärt. Gemeint war wohl, dass in vielen Erklärvideos tatsächlich das Gesicht des Erklärenden nur kurz oder gar nicht gezeigt wird, sondern eine völlige Konzentration auf den Inhalt stattfindet. Die körperliche Präsenz des Lehrenden spielt also anscheinend eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Wahrnehmung des Lernens bei den Schülerinnen und Schülern.)
  • Lehrerinnen und Lehrer haben den Beruf gewählt. Die müssen Schüler unterrichten. (Dies war im positiven Sinne gemeint: Lehrerinnen und Lehrer werden hier als professionelle Dienstleister im Kontext der Schule wahrgenommen.)
  • Der Unterricht ist individueller als die Videos im Netz. (Diese Auskunft hat mich tatsächlich kurz überrascht, denn immer wieder lese ich Argumente für Online-Erklärvideos, die besagen, dass Lehrkräfte zu wenig auf einzelne Schülerinnen und Schüler eingehen könnten, sodass diese sich dann im Internet holten, was dem Lehrer zu erklären nicht gelungen sei. Dabei wird tatsächlich übersehen, dass die Videos [auf dem heutigen Stand der Technik] in keiner Weise auf den Betrachter reagieren. Verbunden mit den genannten Möglichkeiten, direkte Rückfragen zu stellen und das Gesicht des Lehrenden sehen zu können, ist die Auskunft der Schüler an dieser Stelle dann so überraschend doch wieder nicht. Allerdings habe ich den Schülern an dieser Stelle von den Möglichkeiten der individuellen Förderung erzählt, die an der David-A.- Boody-Schule in der New Yorker Bronx bereits praktiziert werden. So richtig überzeugte das die Schülerinnen und Schüler nicht, denn direkt nachdem von dieser Schule berichtet wurde, bestanden die Schüler weiter darauf:
  • Beim Lernen im Internet geht das Persönliche verloren, das Menschliche.
  • Lehrer wissen mehr und helfen dabei, bestimmte Informationen zu finden.
  • Lehrer haben eigene Meinungen, die man besser einschätzen kann, als jene von Leuten, die Lehrvideos machen. (Diese Aussage fand ich sehr spannend, da sie sehr deutlich zeigt, dass Schülerinnen und Schüler sich an konkreten Lehrpersonen »abarbeiten« [wollen]. Man kann die Antwort zwar so lesen, dass Schülerinnen und Schüler »besser einschätzen« können, was die Lehrperson von ihnen will – und das spielt hier sicher einen Rolle – , aber vor dem Hintergrund der Frage, wozu man noch Lehrer brauche, wenn man doch eh alles im Internet lernen könne, ist diese Aussage sicher auch auf das Lernen bezogen. Lernen ist nicht nur ein individueller Prozess, sondern darüber hinaus einer, der in Interaktion stattfindet. Das ist an dieser Stelle mit gemeint gewesen, wie ich dem Gespräch meine entnommen zu haben)
  • (An dieser Stelle sagte ein Mitglied der Lerngruppe, dass die folgende Aussage zwar nicht so richtig zur Frage passe, es aber eine wichtige Sache sei, weil nun ja so viele Flüchtlinge kommen und die könne man vielleicht gar nicht so schnell unterrichten wie nötig) – Flüchtlingen könnte man mit digitalen Werkzeugen helfen. (Von Wegen Schülerinnen und Schüler können nicht über den Tellerrand schauen 🙂 )

An dieser Stelle kamen wir darauf zu sprechen, wie sich in den Augen der Schülerinnen und Schüler Unterricht verändern könnte, wenn man Computer und die dazugehörige Infrastruktur für alle Schülerinnen und Schüler an der Schule denn verfügbar hätte.

Auch hier die Antworten in der Reihenfolge, wie sie kamen. Da die für dieses Gespräch reservierte Zeit auf ihr Ende zu ging, fällt dieser Teil knapper aus als bei der ersten Frage:

  • Bei der Einführung neuer Themen könnte man mittels Computer das Grund-/Vorwissen der einzelnen Schüler erheben und darauf aufbauend würden dann individuelle Lehrpläne erstellt.
  • (S. mit Erfahrungen eines USA-Aufenthaltes): Wir haben in den USA Gruppenarbeit gemacht und online gemeinsam Texte geschrieben. Dabei hat jeder eine andere Farbe benutzt, sodass wir immer wussten, wer was gemacht hat. Das konnte auch der Lehrer sehen. (Ich frage nach, womit das gemacht worden sei. Es handelte sich um Google-Docs. S. mit Australien-Erfahrung stellte ebenfalls dar, dass jede/r einen Computer zum Arbeiten bekommen habe)
  • Es würde mehr Kommunikation über den Computer laufen und im Unterricht dann mehr Platz für Wiederholungen sein. (Damit war nicht der Flipped Classroom gemeint, wenn der Gedanke an dieser Stelle auch nah zu liegen scheint.)

Darüber hinaus wurde erzählt, wie man schon erlebt habe, dass ein Kurs an einer Schule einen Dropbox-Account genutzt habe. In die Dropbox habe z. B. die Lehrperson Bilder, Materialien etc. zum Unterricht gelegt, was möglich gewesen wäre, weil jeder im Kurs einen Account hatte. Ich erläuterte daraufhin, dass ich so etwas nur nutzen würde, wenn alle einen Account hätten, aber das nicht voraussetze(n kann und darf), und immer davon ausgehe(n muss), dass manche S das nicht wollen. – Aber zugegeben: Von der Bedienbarkeit und der zu erwartenden Nutzungsfrequenz könnte Dropbox oder ein ähnlicher Dienst vermutlich bei einigen Aktivitäten Moodle den Rang ablaufen, denn was wird in Moodle denn oft anderes gemacht, als Dateien zu hinterlegen, die für den Unterricht relevant sind?

Im weiteren Verlauf wurde weiter aus Australien berichtet, dass man dort  habe sehen können, wie Schülerinnen und Schüler auf dem Computer z. B. Tetris gespielt hätten und sich ablenken ließen. Nun, in der analogen Schülergeneration spielte man »Käsekästchen«, »Schiffe versenken«, »Tic, Tac, Toe« oder »Stadt, Land, Fluss« durchaus auch schon mal im Unterricht.

Es wurde von Schülerseite noch betont, dass »freies Lernen nicht für jeden« etwas sei, was sich noch einmal auf die Rolle der Lehrperson im Vergleich zu den freien Lernoptionen im Internet bezog.

Darüber hinaus kam von Schülerseite noch der Hinweis, dass man die Erfahrung gemacht habe, dass man sich für das eigene Lernen alles aufschreiben müsse – per Hand – und bezweifle, dass man etwas, das digital verfügbar sei, sich noch einmal auf diese Art aneigne. Darauf kam Widerspruch, wurde darauf hingewiesen, dass die Art, wie wir lernen, ein Lernprozess sei. Und so sind wir dann am Ende der Zeit für dieses Rückmeldung der Schülerinnen und Schüler an mich als Lehrer noch kurz zu den Lerntypen gekommen, die es so gibt.

 

Beitragsbild: CC0 Public-Domain (von geralt via Pixabay – https://pixabay.com/de/lehrer-schule-buchstaben-abc-797944/)