Betreff: „#Schultrojaner“ || Liebe Schulbuchverlage!

Liebe Schulbuchverlage,

während der Staat nach wie vor die Idee verfolgt, Privatunternehmen mit der Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationverbindungsdaten zu befassen, wählen Sie den umgekehrten Weg.

Sie haben mit den Kultusministern der Länder einen Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 Urheberrechtsgesetz (UrhG) abgeschlossen, in dem Sie die Schulträger beauftragen, für Sie zu kontrollieren, ob das Urheberrecht im Intranet der Schulen eingehalten wird oder nicht.

Zu diesem Zwecke soll eine von Ihnen verfügbar gemachte Software die Rechner im schulischen Intranet durchsuchen.

Wenn ich das richtig sehe, geht das nur, wenn Inhalte des Rechners mit einer Datenbank abgeglichen werden, da die Software ja sonst viel zu groß würde. Es ist also davon auszugehen, dass die Software den Schulrechner nach außen hin zumindest ein Stück weit öffnet. Dabei wird mindestens die IP-Adresse mit zu den Datenbanken übertragen. Es mag ja sein, was der VdS twittert, dass 0,0 Daten an Verlage übertragen werden, aber irgendwohin werden Daten übertragen, irgendwo werden die abgeglichen.

Mit ist es reichlich egal, wohin die Daten übertragen werden. Das ist gar nicht das Problem. Das Problem ist, dass Sie Vereinbarungen treffen, die Lehrern und Schulen mindestens generell unterstellen, diese bräuchten die Präsenz einer solcher Kontrollsoftware, um davon abgehalten zu werden, womöglich rechtswidrige digitale Kopien anzufertigen. Weniger nett gedacht, stellen Sie die gesamte Lehrerschaft und alle Schulen unter Generalverdacht – und das völlig verdachtsunabhängig.

In der Regel gehe ich davon aus, dass man bei solch heiklen Dingen wie dem Zugriff auf einen Rechner, auf der niedrigsten Schwelle beginnt. Eine Beschränkung auf diese Ebene – die Schulrechner – passt jedoch nicht zur Logik Ihres Ansinnens. Es könnten ja auf Lehrerrechnern, also auf privaten Rechnern, digitale Kopien urheberrechtlich geschützter Bildungsmedien liegen, vielleicht auch auf dem Tablet-Computer eines Lehrers, auf dem Smartphone! Eltern könnten digitale Kopien angefertigt haben. – Und dann liegt es nahe, dass Verlage fordern werden, die verdachtsunabhänige Kontrolle auszuweiten. Das entspräche der Logik des von Ihnen und den Bundesländern vereinbarten Vertrages, so sehr Sie dieses Ansinnen zur Zeit auch abstreiten, so wenig Sie dieses Ansinnen zur Zeit vielleicht wirklich haben oder es für durchsetzbar halten, so liegt es meines Erachtens in der Logik des Überwachungsdenkens, dass Sie im Einvernehmen mit den Kultusministern verfolgen, insofern die Kultusminister die Tragweite der entsprechenden Regelungen im Vertrag bei dessen Unterzeichnung einzuschätzen vermochten.

Wenn mir jemand misstraut, dann begegne ich ihm mit Misstrauen.

Früher habe ich vielleicht die Preise von Schulbüchern als teuer empfunden, ärgerte ich mich über schlechte Unterrichtseinheiten in Schulbüchern, nervten mich veraltete Unterrichtsmedien. Ich hoffte darauf, dass Schulbuchverlage endlich stärker im digitalen Informationszeitalter ankommen würden,  hätte aber nicht damit gerechnet, dass einer der frühen Schritte der Bildungsmedienanbieter der Generalverdacht in Sachen Urheberrechtsverletzungen digitaler Art gegenüber Lehrern und Schulen wäre.

Ich hätte eher gedacht, dass Schulbuchverlage auftreten und uns vorführen, wie toll das Arbeiten mit Computern ist, wie wunderbar digitale Unterrichtsmedien genutzt werden können, wie innovativ die damit möglich werdenden Unterrichtskonzepte sein können. Aber nein, sie scheinen digitalen Welten nicht viel zuzutrauen, außer dass sie zur Anfertigung von digitalen Kopien Ihrer analogen Medien genutzt werden könnten.

Eine solche Einstellung verhindert Innovation. Einen solche Einstellung verschreckt gerade die Lehrer, die bereits hochgradig vernetzt arbeiten und eigentlich für Sie als Zielgruppe und Multiplikatoren wichtig wären.

Nun haben Sie erreicht, dass gerade diese Lehrkräfte auf (noch größere) Distanz zu den Schulbuchverlagen gehen, ja, teilweise nicht einmal mehr der Meinung sind, dass ein Kommunikationsprozess sinnvoll sein könnte, weil die Schulbuchverlage alleine den Gesetzen der Ökonomie folgten. Sie haben mit dieser Regelung sehr viel Porzellan zerschlagen.

Ich kann mir die Entscheidung für Spyware auf Schulrechnern nur so erklären, dass der Vertrag von Leuten abgeschlossen wurden, die schon viel von den bösen Computern gehört haben, die in jedem Computernutzer eine Copyright-Verächter sehen, aber von den Arbeitsstrukturen vernetzter Art nur wenig Ahnung haben. Doch das kann die Tragweite jenes Paragraphen 6, Abschnitt 4 nicht relativieren.

Es geht mir wirklich nicht um das Ob der verdachtsunabhängigen Dauerdurrchsuchung von Schulrechnern im Auftrage der Schulbuchverlage. Es geht mir auch nicht um die Frage der Sicherheit der eingesetzten Software. Es geht mir nicht darum, ob Daten an die Verlage gehen oder ob diese beim Schulträger bzw. den Ländern bleiben. Es geht mir auch nicht darum, dass Schulträger und Länder mit dieser Art Software noch erweiterte Kontroll- und Überwachungsphantasien verbinden könnte. Nein, es geht mir nicht um eine Optimierung der verdachtsunabhängigen Durchsuchung von Rechnern der Schulnetzwerke, um eine Absicherung dieser Durchsuchung.

Es geht mir auch nicht darum, darauf hinzuweisen, dass es von klassischen Schullektüren gemeinfreie Ausgaben im Netz gibt und diese textgleich mit den entsprechenden Druckwerken aus Schulbuchverlagen sind. Wie soll eine Scannsoftware unterscheiden, ob jenes „Da steh ich nun, ich armer Tor und bin so klug als wie zu vor“ aus einem Bildungsmedium entnommen ist oder aus der gemeinfreien Version des Fausts beim Projekt Gutenberg oder Zeno.org stammt?

Es geht mir darum, dass jener Paragraph 6, Absatz 4 mit keinem Wort auf der Website http://www.schulbuchkopie.de/ erwähnt wird, die vom VdS und der KMK gemeinsam verantwortet wird.

Es geht mir darum, dass uns immer angepriesen wurde, dass eine lehrerfreundliche Regelung zur Kopienfrage aus Schulbüchern gefunden sei, aber nie gesagt wurde, dass wir im Gegenzug Überwachungsmaßnahmen digitaler Art durch den Schulträger im Auftrage der Schulbuchverlage zu akzeptieren hätten. Die Personalräte wurden meines Wissens nach mit dieser Frage ebenso wenig befasst, wie die Datenschutzbeauftragten der Schulen.

Es geht mir darum, dass solche Entscheidungen zur Installation von Spyware an Grundüberzeugungen rütteln, die das Zusammenleben in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung prägen: Freiheit, Vertrauen und nicht zuletzt der Respekt vor den geistigen Leistungen Dritter.

Dass dieser Respekt sich auch pekuniär auszahlt, meine ich in der Weise, wie sich vor allem die großen Schulbuchverlage kürzlich auf der Frankfurter Buchmesse präsentierten, erkennen zu können. Nach verarmten, von Urheberrechts-Raubrittern ausgeraubten Verlagen sah das nicht aus. Dafür stehen auch faktische Zahlen.

Für Kopienrechte bekommen Sie dieses Jahr 7.300.000 (7,3 Mio.) Euro, 2014 sollen das, trotz Haushaltskonsoldierungen, schon 9.000.000 (9 Mio) sein. Das sind über 20% mehr in drei Jahren.

Außerdem scheint es so zu sein, dass das Copyright in großem Maße eingehalten wird. So weist allein die Klett-Gruppe für 2010 einen Umsatz von 465,3 Mio. Euro (465.300.000 Euro) aus.  Und zur Jahresbilanz 2009 der Klett-Gruppe hieß es: „Erfreulich entwickelte sich auch das Geschäft mit Schulbüchern, das weiterhin die stärkste Säule der Klett Gruppe ist“.

Diese Zahlen sprechen meines Erachtens gegen eine Generalverdacht gegenüber Lehrern und Schulen. Es wird bestimmt Fälle geben, in denen (wissentich oder unwissentlich) das Urheberrecht verletzt wird. In diesen Fällen ist auch mit angemessenen Mitteln darauf hin zu wirken, dass es eingehalten wird. Es gibt aber starke Indizien, dass das Urheberrecht zumindest so eingehalten wird, dass sich das Geschäft mit Schulbüchern „erfreulich entwickelt“.

Ebenso macht der Cornelsen Verlag und die dazu gehörende Verlagsgruppe laut eigenen Angaben 450 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Auch dies ist kein Indiz, dass Lehrer in Massen Urheberrechtsverletzungen begingen, auch wenn die Bildungsmedienverlage genau davon auszugehen scheinen.

Aber auch darum geht es mir nicht.

Mir geht es darum, dass es Grenzen gibt, die nicht überschritten werden dürfen, soll es nicht zu nachhaltigem Vertrauensverlust kommen, der sich vielleicht irgendwann auch ökonomisch niederschlägt.

Nach meinem Eindruck haben die Schulbuchverlage und die KMK diese Grenze im Paragraphen 6, Abschnitt 4  des Gesamtvertrages zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 Urheberrechtsgesetz (UrhG) überschritten.

Es wird spannend zu beobachten sein, ob diese Regelungen die Gerichte beschäftigen und zu welchem Schluss diese kommen werden. Meine Bedenken bestehen im Bereich des Datenschutzes, der Rechte der Mitarbeiterinnen und MItarbeiter im Schuldienst, der Einbindung der Personalräte und Datenschutzbeauftragten an den Schulen.

Meine Bedenken bestehen dort, wo ich persönlich den Eindruck gewinne, dass der freiheitlich-demokratische Grundkonsens, der Überwachung nur im konkreten Verdachtsfall rechtsstaatlich absichert, von Überwachungs- und Präventionsphantasien mehr und mehr ausgehölt wird.

Dieser „Schultrojaner“ ist in meinen Augen ein Mosaikstein in einer immer mehr um sich greifenden Überwachungsunkultur. Diesen Kulturwandel sehe ich mit großer Sorge. Deshalb empöre ich mich.

Liebe Schulbuchverlage, sprechen Sie mit uns Lehrern, wenn Sie sich Sorgen ums Copyright machen. Fragen Sie uns, wie Sie uns in digitalen Zeiten mit ihren Angeboten entlasten können, dann werden wir ihre Angebote im Rahmen der verfügbaren Budgets auch nutzen.

Machen Sie nicht den Fehler, uns als Lehrer und Lehrerinnen unter Generalverdacht zu stellen. Wenn Sie dies gar nicht im Sinn haben, dann unterlassen Sie doch bitte Maßnahmen, die in diese Richtung (miss)verstanden werden.

Ja, im konkreten Verdachtsfall haben Sie natürlich alle rechtlichen Möglichkeiten, gegen Urheberrechtsverletzungen vorzugehen. Präventiv die Lehrerkollegien von Schulen in die Sippenhaft von Spyware zu nehmen trägt zumindest dazu bei, dass meine Überlegungen zum wesentlich verstärktem Materialaustausch unter Kollegen – inklusive Peer-Review-Prozessen – gerade wieder zunehmen.

Diese neue Kultur des Tausches selbst erstellter Materialien unter Lehrern und Lehrerinnen mag sich nicht von heute auf morgen entwickeln, aber zum.de und andere haben damit begonnen. Digitale Möglichkeiten haben die Bereitstellung von selbst erstellten Materialien deutlich erleichtert und zeigen bereits heute, dass Lehrer und Lehrerinnen unabhängiger von Verlagen werden.

Ich vertraue darauf, dass Sie als Schulbuchverlage gerne auf das Image verzichten, in einer Reihe mit den aktuellen Diskussionen um Staatstrojaner genannt zu werden. Der Begriff „Schultrojaner“ macht zumindest schon die Runde.

Ich vertraue darauf, dass Sie als Schulbuchverlage nicht einmal in die Nähe der Spekulation gerückt werden wollen, von Ihnen beauftragte Softwareentwicklungen könnten unsicher sein und zum Datenschutzproblem werden.

Ich vertraue darauf, dass Sie den Aufschrei im Netz an diesem 31. Oktober 2011 gehört haben und uns zu erkennen geben, dass Sie Lehrern und Schulen grundsätzlich vertrauen und ausschließlich in begründeten Verdachtsfällen rechtsstaatliche Mittel einsetzen werden, um bestehendes Urheberrecht durchzusetzen.

Mein Dank gilt netzpolitk.org. Dort wurde das Thema zuerst aufgegriffen und dann auch noch weiter verfolgt.