Ermutigung: Lest Lektüren laut einander im Unterricht vor
Es war dieser Satz:
»Er war in den Kleidern eingeschlafen, und die leise, mütterliche Hand des Schlummers ebnete die Wogen in seinem unruhigen Kinderherzen und löschte die kleinen Falten auf seiner hübschen Stirn.« (Hermann Hesse, Unterm Rad, S. 17.)
Mein Vorgehen dabei ist immer ähnlich: Eine Person, ja auch ich, liest vor, alle anderen lesen leise mit. Gewechselt wird, wenn der / die Lesende weitergeben will.
Doch das Vorlesen lebt von den Unterbrechungen.
- Wer ein Wort nicht versteht, unterbricht sofort mit »Stop«, auch mitten im Satz.
- Wer einen Gedanken zu dem Text hat, unterbricht sofort mit »Stop«, auch mitten im Satz.
- Wer Widerspruch zu einer Aussage formulieren will, unterbricht sofort mit »Stop«, auch mitten im Satz.
- Wer sich an andere Texte erinnert, in denen Ähnliches vorkam, ob in der Schule gelesen oder privat, unterbricht sofort mit »Stop«, auch mitten im Satz.
- Wer sich an Filme, Computerspiele, Fantasy-Rollenspiele und so weiter erinnert fühlt, unterbricht sofort mit »Stop«, auch mitten im Satz.
- …
Foto: Torsten Larbig
Unser Lehrer hat mit uns Faust II gelesen, indem -wohl meist von ihm – jeder Satz gelesen und dazwischen immer wieder kommentiert wurde. Für mich war es fruchtbar, weil da eine Lektüre, bei der ständig der Kommentar begleitend gelesen wird – noch dazu, seit es den von Albrecht Schöne gibt – fast noch abschreckender, weil aufwändiger ist, als das bloße Lesen des Textes. – Von heute aus gesehen pädagogisch unzumutbar.
Ich möchte also die Anregung unterstützen -sofern man Imponierkommentare in Grenzen halten kann. Aber doch mit Maßen. Was bei Preußlers Krabat sehr fruchtbar sein kann, ist bei Endes Unendlicher Geschichte meiner Erfahrung nach schon in der Unterstufe überflüssiger Zeitaufwand.
Ich freue mich sehr über Ihre Ausführungen und kann das hier dargestellte Verfahren aus meiner eigenen Erfahrung, die ich nun über viele Jahre im Unterricht gemacht habe, nur bestätigen. Das gemeinsame Lesen in dieser Art und Weise ist durch kein Arbeitsblatt zu ersetzen.
Vielen Dank für diese Ausführungen!