Kleine Geschichten von großartigen Menschen, die mir beim Museumsuferfest zu Frankfurt am Main begegneten

Am Ende wurde das Museumsuferfest doch noch spannend, weil ich mich – vom Regen und dem eher mäßigen Musikprogramm etwas genervt – an den Rand des Festes begeben hatte, in den Bereich zwischen Städel Museum und Museum Giersch. Dort erlebte ich im Laufe von ca. zweieinhalb Stunden ein paar kleine Geschichten, die mich beeindruckt oder berührt haben, weil sie Menschen aus der Masse der Menschen bei diesem Fest für mich hervorgehoben haben.

Ein Kunsthandwerker, der aus Gusseisen, Messing, Zinn und Glassteinen oder Kristallen kleine Kerzenleuchter zum Aufhängen im Wohnraum schafft, erzählte mir total begeistert von den Lichteffekten, die diese Steine erzeugen, führte mir diese auch vor, was möglich war, weil es schon dunkel war. Ich merkte richtig, wie er für seine Lampen schwärmte, wie gern er sie baut und dass er völlig dahinter steht. Diese Leidenschaft fand ich toll und vielleicht kaufe ich ihm auch noch eine ab, nachdem ich ausgemessen habe, wie lang die Aufhängung der Lampe sein muss, weil ich seine Lampen nicht nur schön finde, sondern auch, weil mich seine Begeisterung glauben lässt, dass jede von ihnen mit höchstem handwerklichen Anspruch gebaut wurde.

Das war im Übrigen bei überraschend vielen dieser Handwerker mein Eindruck: Die machen etwas, von dem sie begeistert sind. Da ist der Hutmacher, der seinen Kunden alles über das Herstellen von Hüten erzählen kann; der Sattler aus Marokko, der aus kräftigem Vollleder in handwerklich bemerkenswerter Qualität Taschen im Angebot hat, aber als Verkäufer eher zurückhaltend ist und während dem Gespräch mit den Kunden ein Stück Leder bearbeitet. Ich weiß nicht, was er da getan hat, aber es kam mir so vor, als habe er das Leder flexibel machen wollen.

Und dann war da der Stand, an dem es Humus- und Falafelgrichte gab, an dem ich erfuhr, dass hier die ganze Familie am Arbeiten war, inklusive Onkels und Tanten. Ich hatte gesehen, dass der Stand tagsüber ständig eine kleine Schlange vor sich stehen hatte, sodass ich am Abend, als ich da ohne Schlange dran kam, weil er eben etwas abseits von den Hauptbesucherströmen steht, davon überzeugt war, dass es hier kein schlechtes Essen gibt. (Ich hatte mich nicht getäuscht.)

Und so kamen wir ins Plaudern. Es sei gar nicht schlecht, wurde mir erzählt, dass man nicht irgendwo einer zwischen anderen Ständen mit Essensangeboten sei, sondern hier seinen Standort habe. Da falle man mehr auf. Und tatsächlich: Auf dem Weg von der Antiquariatsmeile hin zur langen Strecke mit den Kunsthandwerkern war das der erste Stand, der etwas zu Essen anbot.

Und dann war da M.

M. war so besoffen, dass er von dem Sicherheitsmann, der schon seit drei Nächten das Ende der Straße sichert, in der ich wohne und den ich schon vom Sehen und vom kurzen „Hallo“-Sagen kannte, und einem anderen Festbesucher zu einer Bank getragen werden musste.

M. hatte nahe dem Main auf dem Boden gelegen, sodass man sich um ihn kümmern musste. Ich kam da eher zufällig vorbei und wurde gebeten den Rettungsdienst zu rufen. Der kam auch nach wenigen Minuten. M. wollte aber nicht ins Krankenhaus.

Da er aber weder stehen noch gehen konnte und es in Strömen regnete und der Main auch nicht weit war, war klar, dass man ihn nicht einfach zurücklassen konnte.

Also wurde die Polizei gerufen, denn dann blieb als einzige Möglichkeit eigentlich die Ausnüchterung. Gegen seinen Willen, selbst wenn er so betrunken ist, können die Sanitäter keinen Menschen mitnehmen. Das kann nur die Polizei, wenn sie den Eindruck hat, dass jemand sich selbst gefährdet.

Die Polizei hätte ihn, wie ich mitbekam, sogar nach Haus gebracht, wenn er aus Frankfurt gewesen wäre. Da M. aber aus dem weiteren Umland kam, war das auch keine Option. Was also tun?

Mittlerweile hatte man aus dem Wenigen was M. artikulieren konnte, heraus gehört, warum er so betrunken war. „Ich hab getrunken. Ja. Meine Mama ist gestorben.“

Am Ende waren sechs Polizisten vor Ort, nicht weil sie nötig gewesen wären, M. war die Friedfertigkeit in Person, sondern weil zunächst vier mit dem Boot über den Main zum Ort des Geschehens gekommen sind und dann noch zwei mit dem Wagen, um M. transportieren zu können.

Aber man wollte ihn auch nicht wirklich gerne in die Ausnüchterungszelle mitnehmen, was nebenbei, wie ich mitbekam, nicht billig sein soll. Lieber wäre es den Polizisten gewesen, wenn M. ins Krankenhaus gegangen wäre, weil man ihm das Aufwachen im Polizeigewahrsam ersparen wollte, nachdem man den Grund seines Besäufnisses erfahren hatte.

Außerdem waren die Video überwachten Zellen schon alle voll. Und da M. sich bereits übergeben hatte, kam nur eine solche in Frage, denn man muss ja Sorge dafür tragen, dass da nicht zuletzt jemand an seinem eigenen Erbrochenen erstickt.

Die Lösung: Es gab auf dem Fest selbst bei den Sanitätern ein Zelt mit Liegen. Ob man ihn dorthin bringen könnte, bis er sich ein wenig erholt hatte? Das war das Letzte, was ich mitbekam. M. hatte dieser Lösung zugestimmt. – Ob diese Lösung dann funktioniert hat, weiß ich nicht.

Natürlich denke ich an M., weil ich es so traurig fand, einen Menschen so verlassen zu erleben, so traurig, dass er sich dem Alkohol hingab, weil er nicht wusste, wie er sonst mit seiner Trauer umgehen sollte.

Ich fand es aber auch beeindruckend, wie sich ein Mann von der Security, zwei Festbesucher, zwei Sanitäter und zum Schluss sechs Polizisten um diesen offensichtlich in Not seienden Menschen kümmerten und einen Weg suchten, wie er so lange betreut werden konnte, bis er wieder eigenständig nach Hause kommen kann. Es wurde kein einziger Vorwurf erhoben; er wurde von niemanden belehrt, sondern so angenommen, wie er in diesem Augenblick war. Dass so etwas geschieht, hat mich beeindruckt.

In der Zeit, in der die Polizisten auf die Ankunft eines Wagens warteten, konnte ich beobachten, wie die Polizisten von Passanten angesprochen wurden. Das war zum Teil echt seltsam. Am seltsamsten aber war der Mann, der sie fragte, ob sie denn auch Gehirn zu verschenken hätten. Darauf der angesprochene Polizist in aller Seelenruhe: „Nein, brauchen Sie denn welches?“ und der (offensichtlich auch alkoholisierte) Passant erwiderte, dass er es für seine Begleitungen brauche. Strange People.

Zwischendurch war auch jemand von dem Humus- und Flafelstand, von dem ich oben erzählt habe und neben dem diese Geschichte stattgefunden hatte, dazu gekommen und fragte die Polizisten und die Sanitäter, die warten mussten, bis ein Polizeiwagen durch den Verkehr zu der Stelle vordringen konnte, ob sie etwas zu trinken wollten. Er wollte ihnen das nicht verkaufen, sondern hatte einfach gesehen, dass sich da ein paar Menschen seit ca. 45 Minuten um einen anderen Menschen kümmern und fand es da wohl selbstverständlich, dass man Menschen, die helfen und sich kümmern, zumindest etwas zu trinken anbietet. Diese Selbstverständlichkeit hat mich beeindruckt, hat man doch sonst manchmal den Eindruck, es gehe bei solchen Festen den Betreibern der Stände nur um den Umsatz.

Nachdem dann M. meiner Wahrnehmung nach gut betreut war – und ich bin mir sicher, dass diese Polizisten gut mit ihm umgegangen sind, auch wenn sie nicht verbergen konnten, dass sie solche Situationen im Verlauf des Tages schon häufiger hatten; sie ließen erkennen, wie sie die Trauer M.s um seine Mutter achteten – wollte ich dann doch nach Hause gehen. Es hatte sich ein wenig eingeregnet.

Aber an der Kreuzung zu meiner Straße saß dann der Security-Mitarbeiter, der M. zu der Bank hatte tragen helfen. Er wollte natürlich wissen, wie es weitergegangen sei, was ich ihm dann erzählte.

Darüber kamen wir ins Gespräch und er erzählte mir, dass er aus Eritrea käme, sein Bruder in Darmstadt studiert habe, worauf er sichtlich stolz war, er selbst meistens als Koch arbeite (in Lokalen, die ich sogar kenne und in denen ich gerne esse), nun aber während dem Fest nachts als Security arbeite. Er sei gerade in Eritrea gewesen, sei erst vor einer Woche zurück gekehrt und das kalte Wetter mache ihm noch zu schaffen.

Er erzählte von Eritrea, dass es auch für Ausländer ein sehr friedliches Land sei, man aber natürlich mit der Demokratie noch zu kämpfen habe, er diese aber für ganz wichtig halte, genau so wie die Tatsache, dass es in einem Land keine Rolle spielen dürfe, ob man Christ oder Muslim sei.

Ich konnte seinen Redefluss gar nicht stoppen. Aber irgendwann hatte ich ihn dann doch gefragt, ob er eigentlich schon mal erlebt habe, dass ihn jemand wegen seiner Hautfarbe angegriffen habe. Er verneinte das, sagte, dass er stets freundlich zu den Menschen sei und diese ihm auch freundlich begegneten. Und so, wie ich ihn erlebte, glaube ich ihm das sofort.