So ein schlechter Roman. Zu Dave Eggers „Der Circle“ („The Circle“)
Ich bin durch. Endlich. Es war anstrengend. Ich habe mich geärgert. Ich war entsetzt über diese sprachliche Glätte, auf der die Figuren nicht nur ohne Tiefgang bleiben, sondern ausrutschen und zu schemenhaften Klischees statt zu ernstzunehmenden Charakteren werden.
Das scheint nicht allen so zu gehen: Die FAZ schreibt unter anderem, Dave Eggers habe mit „Der Circle“ „den Roman unserer Zeit geschrieben“. Und Andreas Platthaus nennt es – ebenfalls in der FAZ – „das wichtigste Buch des kommenden Bücherherbstes“. Iris Radisch empfiehlt das Buch seltsamerweise auf ZeitOnline, trotz anfänglicher Relativierungen in Bezug auf dessen Qualtität.
Und dann das.
Ich habe das Buch auf Englisch gelesen, weil es da schon seit letztem Herbst vorliegt. In Deutschland erscheint es am 14. August. Da war doch eigentlich genug Zeit für die Kritiker, sich mit dem Werk zu befassen. Da war doch eigentlich genug Zeit, um sich als Kritiker so kundig zu machen, dass man hätte merken können, dass Dave Eggers Horror-Roman digitaler Zukunftsphantasien zwar wunderbar mit Ängsten und Klischees zu spielen, aber mehr nicht zu leisten vermag.
Worum geht es: Mae Holland bekommt eine Stelle bei „Der Circle“ und wird zu einer zentralen Figur beim Vorantreiben einer Ideologie der Transparenz und Offenheit, die sich jeglicher Privatsphäre verweigert. Obwohl sie selbst will, dass ein Video (Sex), das ein anderer Mitarbeiter bei „The Circle“ aufgezeichnet hat, gelöscht werde (was es nicht wird), obwohl sie selbst entsetzt ist, als ihr dauernd auf Sendung stehendes Aufnahmegerät ihre eigenen Eltern in einer „etwas“ verfänglichen Situation ertappt, wird Mae als völlig im System gefangene Figur dargestellt, in einem System, das Dave Eggers ein paar Jahre zu spät vorführt, um angesichts der aktuellen Entwicklung rund um die NSA noch ernst genommen werden zu können.
Und dennoch: Dieser Roman wird sich auch durch nunmehr immerhin doch in Kritikerkreisen auftauchende Anmerkungen über die mangelnde Qualität des Romans nicht aufhalten lassen. Er wird sich super verkaufen, Menschen werden das dicke Werklein verschlingen, denn sie finden ihre eigenen Ängste in diesem Roman wunderbar bedient. An keiner Stelle werden die Ängste und deren Rationalität hinterfragt, an keiner Stelle verweigert der Roman die Identifikation der klischeehaften Ängste vieler Leser mit der Wirklichkeit des Romans.
Da werden die gläsernen Bürobauten mit Wellness-Bereichen, Bio-Mittagstisch und anscheinend flachen Hierarchien dargestellt. Es wird dieser Umgangston reproduziert, der alles toll findet, der betont, wie wichtig eine Person für einen sei, der aber eigentlich höchst autoritär ist und alles an sich abperlen lässt, was nicht in das Glitzerweltbild der schönen neuen Internetwelt passt.
Nein, Dave Eggers „Der Circle“ ist eine Zumutung. Und seine Rezeption in der deutschen Literaturkritik ist für mich weitgehend überhaupt nicht nachvollziehbar. Das Problem liegt darin, dass man sich an vielen Stellen in der Literaturkritik nur noch an Themen orientiert und dabei anscheinend vergisst, dass ein guter Plot nur ein Teil der Voraussetzungen für ein gutes Buch ist. Dazu kommen dann noch all die Aspekte, die einen Roman zu einem Kunstwerk machen und ihn von Sachtexten und journalistischen Texten unterscheiden. Und dazu gehört mehr, als völlig undialektisch einige Tendenzen in der jungen Internetindustrie ins Megalomanische zu projizieren und so zu tun, als ob dieser Industrie ein Automatismus innewohne, der als Begründung für die erzählte Geschichte ausreiche.
Nein, als Dave Eggers den Roman schrieb, wusste er noch nichts von Edward Snwoden und den Ungeheuerlichkeiten, die Staaten in Sachen digitaler Überwachung tun. Man hätte zwar spätestens seit Echelon ahnen können, was Sache ist, aber ok. Obwohl: Ein Autor, der sich mit diesem Themengebiet befasst und dann auch noch an den Punkt kommt, dass die Demokratie sich voll und ganz in die Hände eines über die Identitäten aller Einwohner eines Landes verfügen wollenden Privatunternehmens begibt, muss intellektuell die zweite Seite der Überwachung irgendwie mit anklingen lassen, die vom Staat ausgeht. Aber Politik wird von Eggers als Marionette dargestellt, verbunden mit Verschwörungstheorien: Sagt ein Politiker etwas gegen einen einflussreichen Internet-Konzern, kommt kurz danach irgend etwas aufs Tapet, dass diesen Politiker ausschaltet, zum Rücktritt zwingt. So einfach ist das – in Eggers Welt, die sich mit der vieler seiner Leser und Leserinnen decken dürfte.
Einer der vielen Tiefpunkte dieses Romans ist die melodramatische Verfolgung eines Menschen, der sich der digitalisierten Allgegenwärtigkeit eines jeden Menschen verweigert. Was die Perversion des Systems zeigen soll, wird zu einer slapstickartigen Darstellung der Macht sozialer Netzwerke, die (natürlich) Menschen, die sich diesen Netzwerken verweigern, so auf die Pelle rücken, dass da auch mal einer stirbt. Das geht dann zwar allen nahe und man bedauert das sehr, aber klüger, nein klüger werden die Figuren in dem Roman nicht. Das wäre nicht schlimm, wenn wenigstens der Leser klüger aus diesen Seiten voller Nichts wieder auftauchen könnte. Aber das verhindert Eggers erfolgreich… – um mal eine positive Formulierung zu verwenden.
Nein, Eggers macht es sich mit seiner These zu einfach. Es gibt keinen Automatismus, der gegenwärtige Entwicklungen direkt in größenwahnsinnige gesellschaftliche Perversionen sozialer Netz treibt. Das heißt nicht, dass es diese Gefahr nicht gäbe, aber so leicht, wie es sich Eggers macht, geht es nicht. Das ist Schwarz-Weiß, obwohl die Welt, in der die Geschichte spielt. in Farbe und HD daher kommt.
Das Schlimmste aber, um beim Thema des Romans zu bleiben: Eggers macht nichts sichtbar, was man nicht schon ohne seinen Roman wüsste.
Er blendet, indem er einem sich freundlich gebenden Unternehmen – manche sagen, es sei an Google angelehnt, womit das simple Feindbild des Romans dann auch schon genannt ist – größenwahnsinnige Allmachtsphantasien zuschreibt und dabei die ebenso größenwahnsinnigen Allmachtsphantasien von Staaten und vor allem derer Geheimdienste vollkommen ausblendet. Dass das so nicht sein muss, zeigt Tom Hillenbrand in seinem Roman „Drohnenland“, der auch vor dem Bekanntwerden der Snowden-Dokumente geschrieben wurde und der die Gefahr totaler Überwachung durch den Staat und diesem helfenden Privatunternehmen sieht und in einem starken Kriminalroman darstellt, in dem nicht nur der Plot stimmt, sondern in dem auch dessen Umsetzung überzeugen kann.
Und dennoch habe ich „The Circle“ bis zum bitteren Ende gelesen. Denn wenn in vielen Presseorganen ein solches Buch so gepusht wird, wie es geschehen ist, dann muss da doch irgendwas sein…?! – Es ist da nichts. Es stellt sich sogar die Frage nach den Mechanismen der Literaturkritik, denen es offensichtlich nur teilweise gelingt, gegen Marketing-Versprechen ein literarisch orientiertes Lesen zu stellen, das nach literarischen Qualitäten fragt. Die taz beschreibt schön, wie platt und öde die Bilder im Roman sind. Sehen das andere Kritiker nicht? Oder wollen sie es nicht sehen, aus welchen Gründen auch immer?
Wer wirklich etwas über unsere Zeit und die sich aus der Gegenwart heraus ergebenden Gefahrenpotentiale digitaler Überwachung wissen will, statt sich von schlechter Literatur blenden zu lassen, der lese Glenn Greenwalds Dokumentation „Die globale Überwachung“, in der die Geschichte seiner Begegnung mit Edward Snowden erzählt und einige wichtige Dokumente der NSA vorgestellt und erläutert werden, oder Tom Hillenbrands „Drohnenland“. Eine weitere Empfehlung ist Juli Zehs Roman „Corpus Delicti“, der bereits 2009 grundlegende Fragen der Erfassung von Daten unter dem Deckmantel der Prävention literarisch überzeugend aufgreift. Und auch Orwells „1984“ oder Huxleys „Schöne neue Welt“ bieten inhaltlich und literarisch einen viel breiteren Horizont, der zum Nachdenken über Entwicklungen in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts einlädt.
Grundlage dieser Rezension ist Eggers, Dave, The Circle (Vintage). Kindle Edition.
Die deutsche Ausgabe erscheint am 14.8.2014:
Dave Eggers: „Der Circle“. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, 560 Seiten, €22,99 (als EBook im epub- oder Kindle-Format kostet der Roman in Deutschland €19,99).
Ich glaube sie verkennen die wahre größe des Romans. Man kann Eggers sicher vorwerfen, dass die Figuren flach sind und die Story vorhersehbar, aber, und darin liegt die eigentliche Größe des Romans. Eggers gelingt es Emotionen zu wecken.
„Der Circle“ ist doch nicht deswegen ein gutes Buch weil es neue Erkenntnisse bringt, die viele technisch aufgeklärte Leute schon lange kennen, der Roman ist deswegen so gelungen und wichtig, weil es ihm gelingt, dass intellektuelle Wissen um Digitalisierung, Überwachung und Kontrolle, endlich auch einmal emotional zu rezipieren.
Ich stimme dem Autor dieser Rezension 100%ig zu, oder um es mitt Eggers Worten (in der Deutschen Übersetzung) zu sagen, ich gebe ihm einen Smile.
Ich habe mich durch das Buch durchgequält, nur um herauszufinden, ob noch irgendetwas nennenswertes passiert, aber da war nichts, keinerlei Emotion, keine Spannung und keine Sympathie mit irgendeinem Charakter.
Als absolute Zumutung empfand ich Mae Holland mit der weitsicht eines Maulwurfs und der Empathie einer Schlange.
Und sogar der „gute“ ,Kalden/Ty, schafft es innerhalb von Monaten nicht einmal sie beiseite zu nehmen und ruhig und offen mit Ihr über den Circle zu sprechen, obwohl sie auf ihn steht!!!! Das Kalden = Ty ist war ohnehin sofort klar, keinerlei Überraschung. Oh Mann…..
Und mindestens ebenso anstrengend wie alle Charaktere sind die seitenweise Aneinanderreihung fiktiver Zahlen ohne jeglichen Bezug, 1098 Smiles, 20.987 Viewer, 654.923 Besucher….blablabla, vorallem wenn sie relationslos sind, man also nicht weiß ob das viel oder wenig ist.
Und das Tiere aud dem Mariannengraben nicht in einem Aquarium bei normalem, Oberflächen-Druck leben können, weiss man auch ohne Ahnung von Meeresbiologie zu haben….Eggers hätte wenigstens mal „Den Schwarm“ lesen können, so als minimal Recherche.
Das Ende ist vielleicht der „logische Schluss“ der Geschichte, fühlte sich aber auch so an, als hätte Eggers selber keine Lust mehr gehabt diesen Quatsch weiterzuschreiben.
Wenn man weiss wie Twitter, Facebook und co. funktionieren braucht man das nicht über 150 Seiten beschrieben bekommen. Die Zielgruppe sind wohl aber Menschen der Generation 50+, die davon keine Ahnung haben, und für die ist das Buch reine unreflektierte Panikmache.
KATASTROPHALES BUCH
ps. wer eine günstig eine gebundene Ausgabe sucht melde sich bei mir, habe leider keinen Ofen mehr und will es keinem meiner Freunde schenken, aus Schutz
Habe das Buch auf englisch gelesen und ja, die Geschichte ist recht vorhersehbar. Ja, viele Charaktere sind stereotypisch. Ja, es ist klar worauf der Autor hinaus will. Und ja, es war recht anstrengend sich durch das Buch zu quälen. Trotzdem war es ein gutes Buch und ich bin froh es gelesen zu haben. Es zeigt uns eine mögliche Zukunftsvision auf und ich würde mich sehr um eine Verfilmung freuen, denn das Buch war zu lang, aber mit dem Inhalt sollte sich jeder und besonders die Jugend beschäftigen.
Was an dem Buch war gut, wenn man sich «durch das Buch quälen» muss und es zudem als «zu lang» wahrgenommen wurde? Wenn es nur um das Thema geht, braucht es so einen Roman nicht, da kann man gute Sachbücher mit mehr Gehalt lesen… Als Grund für eine Verfilmung die Länge des Buchs anzugeben, spricht auch nicht gerade für die Qualität des Romans. Was also führt zu dem Schluss, dass es trotzdem ein gutes Buch gewesen sei? Das ist mir nicht so wirklich nachvollziehbar.
Ich habe das Buch gerade gelesen, nach einer 3monatigen Weiterbildung in Social Media und Online Marketing. Stimmt: stilistisch hat das Buch nichts zu bieten, auch die Personen sind eigentlich nur die Trägerraketen der unverpackten Botschaften. Der Plot, auch vorhersehbar. Aber vielleicht öffnet „Der Circle“ gerade deswegen den naiven Usern der Sorte „ich habe eh nix zu verbergen, so what“ den Z ugang zum Thema „Datenkrakentum“. Nicht jeder steigt gleich bei Jaron Lanier ein, nicht jeder, der im Netz surft und mitunter absäuft, tut das mit dem Wissen um die unüberschaubare Konsequenzen und liest dazu zwingend Fachliteratur. Auf dem „literarischen Schleichweg“ dürfte Eggers auf jeden Fall eine größere und mitunter unbedarfte Klientel erreichen. Auch Geschichte lässt sich mitunter in einem Spielfilm leichter vermitteln als im Schulunterricht. Und mal ganz ehrlich: Der Preis, den wir für die vielen selbstverständlichen „Gratis-Dienste“ im Netz zahlen, ist allemal nicht so transparent wie weiland beim Kauf eines Mantels im KaDeWe.
Warum liest du das Buch eigentlich wenn du es so schlecht fandest. Ich habe die ersten Absätze deines Artikels gelesen und hätte fast kotzen können so schlecht war deine Argumentation. Das Buch iat nicht für leute die Bücher nur lesen weil ation darin enthalten ist.
Die Qualität eines Romans zu beurteilen setzt dann schon voraus, dass man ihn gelesen hat. Und wenn ein Roman ein Bestseller ist, kann man schon mal schauen, ob er denn literarisch als Kunstwerk auch gelungen ist oder eben nicht.
Wenn die ersten Absätze meines Beitrags Sie nahezu zum Erbrechen gebracht haben, dann wüsste ich gerne, was denn an der Argumentation so schlecht ist? Ohne argumentative Darlegung Ihrer Kritik bleibt diese wenig nachvollziehbar.
Perfekt, diese Rezension von Herrn Larbig! Ich hatte das Buch geschenkt bekommen und war willens es zu lesen, aber beim ersten Hineinlesen hatte ich dann schon Schwierigkeiten, die Wörter schienen aus Plastik zu sein. Ich war von Anfang an gelangweilt und ärgerte mich, aber nachdem so ein Hype um das Buch gemacht wurde, dachte ich, vielleicht muss man nur ein wenig mehr Geduld haben, vielleicht ist es ja Autorenabsicht zu langweilen, ganz raffiniert! und danach fliegen einen die Fetzen der Erkenntnis, sozusagen als Belohnung fürs Durchhalten, nur so um die Ohren?Aber nichts da, es blieb öde und platt. Ich konnte leider nicht die Disziplin aufbringen, es zu Ende zu lesen, warum auch. Es blieb seifig.
Ich frage mich auch, was Kritiker dazu treibt, ein offensichtlich so „schlechtes Buch“ so zu hofieren…
Was würde Reich-Ranitzky dazu sagen?
Jedenfalls bin ich froh, dass einer mal „des Kaisers neue Kleider“ als Nichts erkennt und benennt.