Über das Tastaturschreiben (blind und schnell)
Vor mir auf dem Schreibtisch liegt ein Buch, das meine ganze Aufmerksamkeit bekommt. Etwas zurück gesetzt mein Tablet mit einer physischen Tastatur, die so flach ist, dass der Eindruck entstehen könnte, ich schreibe direkt auf der Schreibtischunterlage, aus der sich die Tasten als flache Erhebungen herausgehoben haben. Wenn da der Kontrast zwischen Papierschreibtischunterlage und dunkler Tastatur nicht wäre, wäre der Effekt noch viel größer.
Ich bin sehr froh, dass ich irgendwann einmal den Ehrgeiz entwickelt habe, lernen zu wollen, blind auf der Tastatur schreiben zu können. Ich nutze dabei ein eigenes System des Tippens, das ich gar nicht erklären könnte, habe das klassische Zehnfingersystem nie gelernt, aber das ist ja auch gar nicht nötig gewesen, denn das Ziel habe ich auch so erreicht.
Ob ich nun in Bremen an der Weser sitze und meinen Blick schweifen lasse, während ich gleichzeitig notieren kann, was ich da sehe, ohne auf den Bildschirm oder das Papier blicken zu müssen, ob ich in der hessischen Rhön versuche die Farben eines Sonnenuntergangs – während ich ihn beobachte – schriftlich festzuhalten oder ob ich im Museum vor einem Bild sitze und – während ich es anschaue – meine Finger erzählen lassen kann, was mir beim Betrachten des Bildes durch den Kopf geht: Dass ich zwischen meiner Wahrnehmung und deren sprachlicher Fixierung eine direkte Verbindung habe, weil beides gleichzeitig passiert, ist eine Veränderung, eine Fähigkeit, die ich nie erwartet hätte, als ich anfing, mir das Schreiben beizubringen, bei dem ich nur noch selten oder gar nicht mehr auf das Geschriebene blicken muss.
Und so dann auch beim Lesen. Während die Blicke über die Seiten gleiten, ich hin und wieder Anstreichungen vornehme, kann ich direkt Gedanken und Notizen mittippen. Das läuft sicherlich nicht synchron, ich glaube nicht, dass das Gehirn solch eine Art von Multitasking kann, aber es läuft so wenig zeitlich versetzt, dass man glauben könnte, es laufe synchron. Ein wenig komme ich mir vor wie ein Pianist, der mit beiden Händen Unterschiedliches tun muss, während er die Noten vor Augen hat oder aus dem Gedächtnis spielt, oder wie ein Schlagzeuger, der Hände und Füße völlig unabhängig voneinander einsetzt, sie unterschiedlichen Rhythmen folgen lässt, oder wie ein Organist …; letztlich aber wie ein Mensch, der liest, denkt, schreibt – ineinander so verwoben, dass man meine könnte, das geschehe alles tatsächlich synchron.
Seit das Tablet zwei Fenster nebeneinander darstellen kann, kann ich nun auch hier lesen und schreiben zugleich, auch wenn es noch nicht ganz so komfortabel ist, wie wenn ich das Buch oder den E-Reader vor mir liegen habe, also mit zwei physikalisch getrennten Medien arbeite.
Ob sich dadurch die Qualität der Erinnerung gegenüber dem Gelesenen verändert, vermag ich kaum abzuschätzen, denn die Arbeit an Texten mit rein analogen Mitteln, sprich, mittels eines handschriftlichen Exzerpts, ist ein ganz anderes Arbeiten. Ich habe es in Wirklichkeit sogar immer als sehr anstrengend und wenig produktiv erlebt, weil ich nie so schnell vorankam, wie ich meinte, denken zu können. Nur dann, wenn ich mich völlig neu in ein mir völlig unbekanntes Thema einarbeite, meine ich, dass mir das handschriftlich leichter fällt.
Doch dies sind alles subjektive Einschätzungen, keine akademisch tragfähigen Ergebnisse auf einer empirischen Basis unter kontrollierten Bedingungen. Aber es ist für mich zumindest jeden Tag aufs Neue eine Offenbarung, wie wichtig die Fähigkeit ist, souverän mit einer Tastatur umgehen zu können, an die ich mich gewöhnt habe und bei der ich genau fühle, wenn ich mich vertippe, was natürlich vorkommt. Viele dieser Tippfehler korrigiert die Autokorrektur selbstständig, sodass das Tablet eine gewisse Fehlertoleranz mit sich bringt.
Nun könnte das Missverständnis entstehen, dass ich diese Arbeitsweise empfehlen wollte, dass ich womöglich dafür plädieren könnte, die Handschrift in der Schule zumindest weniger mit Wertschätzung zu überhäufen und stattdessen das Tippen zu lehren. Das aber wäre tatsächlich ein Missverständnis. Ja, dass Schüler*innen mit dem Schulabschluss oder dem Eintritt in die Oberstufe nicht zuverlässig blind mit der Tastatur umgehen können, ist ein Zustand, den sich die Schule eigentlich nicht leisten kann. Aber um souverän mit der Tastatur (inter)agieren zu können, braucht man meiner Erfahrung nach ähnlich lange, wie man vom Erlernen der Handschrift bis zum Verfassen komplexer analytischer Texte per Hand benötigt, insbesondere, wenn man so arbeitet, wie ich das oben beschrieben habe. Das war ein langer Prozess, bis ich dann mehr und mehr merkte, wie leicht es mir mittlerweile fällte, diese parallelen Lese-, Denk- und Schreibleistungen zu bringen.
Wenn man feststellt, dass Studierende, die per Hand mitschreiben, mehr behalten, als jene, die per Tastatur (womöglich sehr nah am Vortrag) mittippen, dann mag das auch daran, liegen, dass es eben kein Automatismus ist, vom Tippen zum gekonnten Einsatz dieser Kompetenz zu gelangen. Dafür sind Routine und Erfahrung nötig. – Diese befördert man übrigens nicht, wenn man Studierenden verbietet, mit dem Laptop in der Vorlesung oder dem Seminar zu sitzen, was ich angesichts der Tatsache, dass man es mit erwachsenen Menschen zu tun hat, auch rechtlich für nicht umsetzbar halte, außer vielleicht über Willkürakte in der Bewertung, welche ich mir allerdings angesichts des Ethos des Lehrberufes kaum wirklich als Möglichkeit im Universitätsbetrieb vorstellen kann.
Es lohnt sich – wenn man professionell mit dem Erstellen von Texten zu tun hat, wenn man viele Dokumente verfasst, kreativ mit Sprache umgeht – die Tastatur zuverlässig, zügig und blind bedienen zu können. Ich erinnere noch gut, wie ich mit ca. zwölf Jahren erste Erfahrungen mit einer mechanischen Schreibmaschine machte, später dann mit zwei Fingern erste Artikel als freier Mitarbeiter für eine Lokalzeitung verfasste und schließlich irgendwann an dem Punkt angekommen war, die Tastatur zuverlässig und schnell nutzen zu können. Das hat letztlich meine Produktivität erhöht, meine Form des Lesens verändert, die Möglichkeiten der kreativen Auseinandersetzung in Form kreativen Schreibens oder auch der Écriture automatique erweitert und mich schließlich vielleicht sogar zu einem glücklicheren Menschen gemacht. Zumindest kann ich mir kaum noch vorstellen, ohne mein Tablet und die Tastatur unterwegs zu sein; ebenso wenig kann ich mir übrigens vorstellen, nicht mehr regelmäßig Gedanken mit Füller auf Papier festzuhalten, aber das ist dann wieder eine andere Geschichte.
Beitragsfoto: Torsten Larbig