Gedanken zu staatlichen und / oder schulspezifischen Handyverboten an Schulen

1

Die strengen Nutzungsregeln für Smartphones an unserer Schule, die auf ein Verbot der Nutzung ohne Erlaubnis durch Lehrer:innen hinauslaufen, trage ich mit. Ich habe diesen zugestimmt, obwohl ich mich über Jahre dafür engagiert habe, dass Bildungsprozesse die Digitalisierung positiv aufgreifen und Schüler:innen all das mitgegeben bekommen, was sie benötigen, um digitale Kompetenz (Digitalkompetenz; Medienkompetenz – kurz: digital literacy) zu lernen.

Wir haben dieses Ziel der digital literacy nicht erreicht.

Social Media2 haben die Schüler:innen in ihren Händen, statt dass die Schüler:innen Social Media in ihren Händen hätten. Schüler:innen werden von Social Media manipuliert.3 – Das Smartphoneverbot an Schulen ist vor diesem Hintergrund nur ein Akt der Notwehr. Da Social Media das Wohl der Kinder gefährden, versuchen wir, diese Gefährdung aus den Schulen zu verbannen und wenigstens dort eine Art Schutzraum zu schaffen. Wir wissen, dass wir das Problem nicht lösen, sondern maximal ein wenig mildern, während es außerhalb dieses etwas künstlich kreierten Schutzraums nach wie vor virulent ist.

Unterricht ist aus strukturellen Gründen – die Lehrpläne spiele hier genauso eine Rolle wie das Raumprogramm der Schulen – so unzeitgemäß, dass er die Konzentration oft / meist / in der Regel nicht so bindet, dass Schüler:innen gar kein Bedürfnis haben würden, sich während der Unterrichtszeit mit Social Media zu befassen.

Wo sind die Werkstätten in den Schulen zum Töpfern, Schreinern; die Makerspaces, die Programmierstationen, die Roboter, die von Schüler:innen programmiert, in der Mensa die Tische abräumen, den Schulhausverwalter bei der Bestuhlung der Aula entlasten et cetera …

Wo ist die 1:1-Ausstattung der Schüler:innen mit (leistungsstarken) Endgeräten, mit denen diese programmieren, 3D-Modell erstellen, Vorlagen für 3D-Druck entwickeln können; mit denen sie aber auch digitale Leseportfolios mit multimedialen Elementen anfertigen können, bei denen Bild- und Tonqualität so sind, dass es Spaß macht, diese zu erstellen?

Wo sind die Ideen, wie digitale Endgeräte – ich spreche hier von wirklich guten Tablets, die multimediales Arbeiten besser können als Laptops – zur Verbesserung der Textfähigkeiten genutzt werden können. Als Textfähigkeit sehe ich alle Fähigkeiten an, die sich rund um das Lesen und Schreiben ansiedeln lassen.

Dass Schulen in einem Akt der Notwehr Smartphones mehr oder weniger verbieten, kann ich mir als Akt der Notwehr gut vorstellen. Problematisch wird es für mich, wenn die für Schulen verantwortlichen Minister:innen solche Verbote erwägen. Deren Aufgabe wäre es eigentlich, Schule mit Lehrplänen, Raumprogrammen und Endgeräten so auszustatten, dass wir Lehrer:innen den Schüler:innen digital literacy (siehe oben) zeitgemäß vermitteln können. Dabei ist mir bewusst, dass für das Raumprogramm die Schulträger verantwortlich sind, also die Kommunen und Landkreise, aber die gesetzlichen Rahmen kommen von den Ländern und in diesen müssten endlich grundsätzliche Veränderungen vorgenommen werden. Sowohl die Lehrpläne als auch die Prüfungsformen sind den Bildungsprozessen, die Schulen im 21. Jahrhundert meines Erachtens ermöglichen müssten, eher widerständig, als dass sie diese unterstützen oder hervorbringen würden.

Lesen, Schreiben, Rechnen in unterschiedlichen Komplexitätsstufen von der Primarstufe bis zum Abitur sind traditionell und auch heute das Herz der schulischen Bildung. Heute aber sind digitale Kompetenzen längst hinzugetreten: Neben dem Lesen, Schreiben und Rechnen ist heute das »Coden« (Programmieren, digitale Kontexte verstehen und gestalten, Programme verstehen und herstellen können etc.) eine Voraussetzung, um unsere Welt zu verstehen. Mündige Bürger:innen sind das Ziel schulischer Bildung. Wenn die Schule aber in Bildungsprozessen aus strukturellen Gründen scheitert, sodass Bürger:innen sich von Social Media in gewissem Sinne mindestens bevormunden lassen und nicht in kritische Distanz zu diesen treten (können), dann führen aktuelle Lehrpläne und Raumprogramme der Schulen dazu, dass Schulen ihren in Gesetzen und Landesverfassungen festgelegten Aufgaben nicht mehr nachkommen können.

Aufgabe der für Schulen zuständigen Ministerien ist es meines Erachtens also, dafür zu sorgen, dass schulische Lernprozesse inhaltlich, räumlich und bezogen auf die Ausstattung mit Geräten in die Lage versetzt werden, die Bildungsprozesse anzugehen, die ich hier in groben Zügen angedeutet habe. Ob eine Schule für sich ein Handyverbot in wie auch immer gestalteter Art als Notwehr aktuell für nötig erachtet, sollten Politiker:innen den Fachleuten für die Situation vor Ort, also den Schulgemeinden, überlassen. Dass Schulen sich aber entschließen, solche Verbote einzuführen, sollte für die zuständigen Ministerien ein klarer Hinweis sein, dass es dringend gesetzlicher Anpassungen bedarf, die dann auch mit räumlichen, infrastrukturellen und mit Veränderungen bei der Ausstattung mit leistungsstarken Endgeräten für Schüler:innen in den Schulen einhergehen müssen, um gewünschte Zuwächse bei digtal literacy erreichen zu können.

Fortbildung der Lehrer:innen? Ja, die ist wichtig, auch wenn es einige Lehrer:innen geben dürfte, die auf die in diesem Beitrag angedeuteten Veränderungen sehnsüchtig warten, um endlich so durchstarten zu können, wie sie sich das vor dem Hintergrund ihres Berufsethos (und ihrer bereits vorhandenen Kompetenzen) wünschen. Allerdings sollten auch die Rahmenbedingungen der Fortbildungen so sein, dass Lehrer:innen sich in diesem wertgeschätzt fühlen. Aber das ist ein anderes Thema, das hier nur angedeutet werden soll.

Dieser Beitrag soll nicht ohne den Hinweis enden, dass die Veränderungen in der Schule sich nicht auf die Ermöglichung des Lernens von digitalen Kompetenzen beschränken dürfen. Die Inszenierung eines Theaterstücks, die Erforschung eines Teichs mit (digitalen) Messgeräten, die Gestaltung eines mediengestützten oder eines freien Vortrags ohne Medienunterstützung, das orthographisch richtige Schreiben – das man auch durch die Nutzung digitaler Unterstützung üben und lernen kann –, das Wissen (Allgemeinbildung) und das Rechnen im Kopf, die sprachliche Mediation durch Fremdsprachenkenntnis und die kenntnisreiche Nutzung entsprechender Programme (Apps) und vieles mehr, das sowohl analoger als auch digitaler Kompetenzen bedarf, sind grundlegende Bestandteile einer digital literacy wie ich sie meine, ausdifferenziert freilich nach den unterschiedlichen Schulabschlüssen, immer an den Fähigkeiten und Grenzen der Schüler:innen orientiert.

  1. Quelle: Pixabay
  2. Ich bleibe bei diesem Begriff beim englischen Begriff, weil die deutsche Übersetzung »soziale Medien« ein Euphemismus wäre. Das ist der englische Begriff auch, aber um die Wertung dieser Medien als »sozial« zu vermeiden und dies auch zu zeigen, gestalte ich das sprachlich so.
  3. Nicht, dass Erwachsene automatisch in einer einer anderen Situation wären. Da ich hier aber aus der Perspektive der Schule denke und argumentiere, vernachlässige ich dieses Problem, auch wenn ich mir dessen bewusst bin.