Thesen zur Zukunft des Lernens ( #opco11 )
Hier ein paar Thesen zur Zukunft des Lernens. Sie werden an dieser Stelle nur als Thesen genannt und nicht näher erläutert. Entsprechend pointiert klingen sie zum Teil vielleicht. In ihrer „Undifferenziertheit“ sollen sie zur Diskussion einladen.
Am Ende dieser Thesen versuche ich eine erste vorläufige Überlegung zu der Frage zu formulieren, Warum sich etwas verändern muss. Ich werde für mich die Frage nach der Basis von Lern- und Bildungsvisionen stellen.
Dieser Artikel ist eine kleine Einsicht in meine Ideensammlung: Worüber lohnt es sich vielleicht mal in Form eines (bislang noch nicht geschriebenen) Blogartikels nachzudenken:
- Die Zukunft des Lernens ist seine Vergangenheit und Gegenwart: Lernen ist ein (hirn)physiologischer Prozess, der analog abläuft und heute genau so funktioniert, wie er vor hundert oder tausend Jahren funktioniert hat und auch noch in hundert Jahren funktionieren wird, wenn es nicht zu einer Mensch-Maschineverbindung kommt, in deren Rahmen z. B. Chips mit dem Gehirn gekoppelt werden.
- In der Ausbildung von professionellen Lernprozessbegleitern und -begleiterinnen wird mehr und mehr auf Praxisanteile in der Ausbildung (dem Studium) Wert gelegt (werden). Ist Lernpsychologie (z. B. in Lehramtsstudiengängen) schon heute kaum Teil der professionelle Ausbildung, so ist zu befürchten, dass sie auch zukünftig nur in Form von Lernprozessbegleitungsrezepten eine Rolle spielen und nicht soweit in die Ausbildung integriert wird, dass Lernprozessbegleiter und -begleiterinnen ihre Praxis über Rezeptbuchwissen hinaus, also wissenschaftlich und mit umfassenden theoretischen Kenntnissen versehen, werden reflektieren können.
- Die Zukunft des Lernens ist mit starken Veränderungen im Bereich der Methodik verbunden, die den Prozess des Lernens optimal unterstützen soll. Diese Methodik verändert nicht das Lernen im biologischen Sinne, sondern soll dieses optimiert unterstützen. Die Zukunft des Lernens besteht also darin, die Erkenntnisse der Lernforschung, die heute oft mit der Gehirnforschung (Hirnphysiologie) verbunden ist, optimal zu nutzen, um den gewünschten Lernerfolg optimiert erreichen zu können. Die Zukunft des Lernens läuft auf Lernprozessoptimierungen hinaus.
- Die Zukunft des Lernens ist mit einer Veränderung bei den eingesetzten Medien verbunden. Es wird zu einer deutlichen Verschiebung des Verhältnisses von analogen und digitalen Informationsträgern in Lernprozessen kommen.
- Die Diskussion um das Lernen und die Bildung ist eine vor allem materialistische Diskussion (geworden), da der Bildungsbegriff seine Bedeutung mehr und mehr in Richtung ökonomischer Nützlichkeit verschoben bekommen hat. Lernprozessoptimierung bedeutet auch, dass die Funktionsfähigkeit von Menschen in ökonomischen Prozessen erhöht werden soll.
- Idealistische Bildungsbegriffe werden auf absehbare Zeit weiterhin als zunehmend exotische „Träumereien“ gesehen und solange akzeptiert werden, wie sie gesellschaftliche Reproduktionsprozesse nicht relevant kritisch zu hinterfragen und zu gestalten beginnen.
- Der leichte Zugang zu Ressourcen des Wissens in digitalen Kontexten, wird die Rolle des Wissens in Lernprozessen verändern.
- Der leichte Zugang zu Ressourcen des Wissens in digitalen Kontexten wird den Umgang mit Wissen in Lernprozessen verändern.
Die Diskussion um die Zukunft des Lernens ist, so mein Resumee an dieser Stelle, eher eine Diskussion um die Zukunft von Lernmitteln, Lerninstrumenten und somit der Methodik des Lernens.
Es stellt sich nach wie vor die Frage (Antworten beginnen sich erst langsam abzuzeichnen), wie digitale Vernetzung und die damit verbundenen Medien den Prozess des Lernens mit prägen werden / sollen.
In der gegenwärtigen Diskussion scheint es Konsens, dass sich in der Bildungslandschaft etwas verändern müsse, weil gegenwärtige Lernkontexte nicht den Strukturen entsprechen, die lernpsychologisch und hirnphysiologisch als optimal angesehen werden. Es muss sich etwas verändern, weil Ziele von Bildung nicht mehr erreicht werden.
Gleichzeitig muss mit diesem Konsens eine Debatte einhergehen, worin diese Ziele von Bildung bestehen.
Lebensglück ist nicht nur eine Frage von Kompetenzen, sondern darüber hinaus zentral von Haltungen, vom Selbstbild und von Überzeugungen abhängig.
Die Fragen, was Lernen sei und wie sich Bildung zeigt, wird in heutigen Diskussionsprozessen oft ausgeblendet.
Viele Diskussionen um das Lernen scheinen mir heute eher technokratischer Natur zu sein: Welche (selbstverständlich digitalen) Medien setzen wir wie ein?
Viele Diskussionen um die Zukunft des Lernens neigen heute dazu, den an ihnen beteiligten Personen im Rahmen eines „heimlichen Lehrplanes“ vor allem Technologien nahe zu bringen und diese methodisch auf die Nutzbarkeit in Lernprozessen hin anzuwenden.
Eine solche Annäherung an konkrete Methoden und Technologien finde ich spannend und notwendig, solange klar ist, dass die Nutzung digitaler Technologien selbst nur ein Teil des mit ihnen möglichen Lernprozesses ist, ja, dass das Erlernen der Möglichkeiten, die solche Technologien bieten, selbst ein enormer Lernprozess ist, der zunächst geleistet werden muss, bevor das Medium nicht mehr das zentrale Thema des Lernprozesses ist.
Sehr schön, Herr Larbig! Und sehr umfassend. Und ich hinke den Thesen natürlich zeitlich gnadenlos hinterher …
Kurz eine Ergänzung zum Resumee (s.o.): In den Thesen ist immer wieder von Lernprozessen, -begleitern, Lernmethoden usw. die Rede. Aus der Perspektive des Bildungsberaters kann ich das gut nachvollziehen. Meine Motivation zur (persönlichen) Veränderung zielt aber mehr in eine andere Richtung: nämlich in Kontexten wie diesen neue (Lern-)Erfahrungen zu sammeln. Dafür brauche ich eigentlich viele der aufgeführten Begriffe gar nicht: sondern eher solche wie Neugierde, Offenheit, Wachsamkeit, Risikobereitschaft usw. Das aber nur als spontane Ergänzung!
PS: Einen Nachsatz kann ich mir doch nicht verkneifen: Mit der These 1 kann ich wenig anfangen. Für mich funktioniert heute nichts mehr so, wie es gestern funktioniert hat … 😉
doch, doch, These 1 ist sogar wichtig! Was, wieviel und über welches Medium Infos auf Trommelfell oder Augenlinse treffen, mag sich stark verändert (vor allem auch vermehrt) haben, aber dahinter laufen die von Herrn Larbig genannten physiologischen Prozesse ab wie gehabt – was ja durchaus zu Problemen führen kann.
Habe gerade hierhergefunden.
Ich muss der These 1 widersprechen. Lernen ist kein hirnphysiologischer Prozess. Lernen ist eine komplexe menschliche Tätigkeit, eine psychosoziale, kulturhistorisch abhängige Tätigkeit, deren wichtigstes biologisch-materielles Organ das Gehirn ist. Eine Reduktion des Lernbegriffs auf dieses Organ und seine biologische Funktionsweise halte ich für höchst problematisch.
Lisa, dass Lernen ein sich in der Physiologie (unter anderem des Gehirns) sich ausdrückender psychosozialer, kulturhistorisch abhängiger Prozess ist, verneine ich doch gar nicht. Die These weißt nur darauf hin, dass sich Lernen nicht digitalisieren lässt, sondern analog bleibt – ich könnte sagen, wenn es echtes Lernen ist und nicht das Gehirn durch einen Chip ersetzt wird. Diese These geht in meinem Verständnis gerade in die Richtung, diese von dir genannten Prozesse zu betonen. Solltest du diesem Beitrag Biologismus unterstellen, fände ich das schade, weil du eigentlich wissen solltest, dass ich weder zur Zeit der Erstellung dieses Artikels 2011 noch heute biologistisch denke.
Danke für deine Klarstellung. Sorry, Torsten, ich wollte nichts über dich aussagen, auch nicht, dass ich dich etwa für einen Biologisten hielte. Ich habe mich nur und ausschließlich auf die Aussage in deiner 1. These oben bezogen. Du bist sicher einverstanden, dass man sie verstehen können muss, ohne dich als Person zu kennen?
Ich zitiere: „Lernen ist ein (hirn)physiologischer Prozess, der analog abläuft und heute genau so funktioniert, wie er vor hundert oder tausend Jahren funktioniert hat und auch noch in hundert Jahren funktionieren wird, wenn es nicht zu einer Mensch-Maschineverbindung kommt, in deren Rahmen z. B. Chips mit dem Gehirn gekoppelt werden.“
Und ich meine weiterhin, dass man weder sagen kann, Lernen sei ein neurophysiologischer Prozess, weil man ihn so auf das instrumentelle reduziert. Menschliches individuelles Lernen ist immer eine psychische Tätigkeit, die sich eben nicht mit den neurophysiologischen Vorgängen, die sie begleiten, identifizieren lässt. Und selbst wenn ich mal nur auf den Anteil des Gehirns am menschlichen Lernen gucke: Das Gehirn bildet in seiner Entwicklung funktionelle Systeme aus, die ihrerseits stabil (obwohl plastisch) sind. Auf der Basis dieser in Dialog mit der Systemumwelt selbstgebauten funktionellen Systeme findet das „höhere Denken“ statt. Es sind sozusagen selbstgebaute Denkorgane, diese funktionellen Hirnsysteme. Und die Art und Weise wie sie funktionieren, d.h. was mit ihnen gedacht werden kann aber auch wie mit ihnen gedacht wird, das ist abhängig von kulturhistorischen Bedingungen. Es ist nicht verkehrt, sich vorzustellen, dass diese „Apparate“ des Denkens, die das Gehirn selbst in Auseinandersetzung mit den kulturhistorischen Gegebenheiten produziert hat, im Neolithikum anders ausgesehen hat als unter den Bedingungen der mittelalterlichen Glaubensherrschaft oder den Bedingungen der durchgesetzten Aufklärung in der Moderne, oder eben heute unter wieder neuen Bedingungen der Digitalität und Netzkultur. Das Aufregende an Prensky, dem viel gescholtenen, ist nämlich nicht, dass er den Begriff „Digital Natives“ erfunden hat, auf dem sich dann alle abgearbeitet haben, sondern dass er – wie übrigens auch Schirrmacher auf einer anderen Ebene – begriffen hat, dass diese funktionellen Denkorgane im Zeitalter der Digitalität anders „ticken“ als unter den Bedingungen der Typographie als Leitmedium. Schirrmacher und Spitzer sehen das als Verfall und Katastrophe an. Prensky und viele anderen Zeitgenossen nehmen es analytisch anstatt normativ und sehen es als Entwicklung.
Soviel zum Gehirn.
Was aber das Lernen angeht, so verändert sich auch hier nicht nur der Inhalt, sondern auch die Art und Weise selbstverständlich viel mehr noch als die funktionellen Hirnsysteme in Ko-Evolution mit der Kultur und ihrem Wandel. Daher widerspricht eine solche Aussage wie in deiner 1. These deiner eigenen Absicht, Lernen nicht biologistisch zu reduzieren, weil die Aussage: Lernen ist und bleibt immer gleich, wenn überhaupt (!) nur eine sinnvolle Aussage wäre, wenn man es begrifflich auf den Vorgang des Prägens von Synaptischen Bahnen reduzieren möchte – was du ja offenbar nicht willst.
Bei dir klingt überall Systemtheorie durch. 😉
Danke für den Kommentar, für den ich dir herzlich danke. 🙂
ja klar, ohne ein mindestmaß an Systemtheorie komme ich heutzutage einfach net mehr aus – seit ich nicht mehr rauche und saufe … 😉
Aber die „funktionellen Hirnsysteme“ haben mit Systemtheorie im Luhmannschen Sinne weniger zu tun . Es ist ein Fachbegriff aus der erstklassigen Hirmforschung der Kulturhistorischen Schule.