Deutsche Klassik als literarische Epoche(n)

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Deutsche Klassik als literarische Epoche(n) von Torsten Larbig steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht-kommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

In der Geschichte der deutschsprachigen Literatur ist die „Klassik“ ein spätes Phänomen. In Spanien gab es das klassische Zeitalter bereits zwischen ca. 1550 und 1680, in England gilt das Elisabethanische Zeitalter (1558–1603) als literarische Hochphase, in der Shakespeare das Theater zu einer Blüte führte, die selbst noch auf Goethe Einfluss hatte. In Italien begann die klassische Phase der Literatur sogar noch früher, nämlich mit Dante Alighieri (1265–1321) und dauert bis zu Torquato Tasso (1544–1594), dem wiederum Goethe sogar ein eigenes Bühnenwerk widmete. ((Vgl. zu diesem Abschnitt Artikel auf Exlibris))

Dass die „deutsche Klassik“ erst 1786 – und damit im Vergleich zu anderen Nationalliteraturen sehr spät – beginnt ((Zum Teil wird der Beginn der Klassik mit Goethes Ankunft in Weimar im Jahre 1775 terminiert. Allerdings hat Goethe in den ersten Jahren in Weimar kaum etwas geschrieben, sodass man schon annahm, er habe als Autor seinen Zenit nach dem Werther und Götz von Berlichingen überschritten. Dass Goethe sich bei der Arbeit an „Iphigenie auf Tauris“ bereits in einer Entwicklung fort vom Sturm und Drang befand, wusste damals natürlich noch keiner. 1786 wurde die dritte Fassung der Iphigenie fertig. Diese Fakten und da der Bezug zur Antike, der für die deutsche Klassik bedeutend ist, erst auf Goethes Italienreise deutlich erkennbar wird, folge ich Festsetzung des Beginns der Klassik auf den Beginn der Italienreise Goethes. Epochengrenzen sind immer schwer festzulegen. Mir scheint aber die Begründung für das Jahr 1786 nachvollziehbarer)) und nur bis zu Schillers Tod 1805 dauert, hat sicherlich mit der politischen Entwicklung Deutschlands zu tun, aber womöglich kommt eine literarische Blindheit hinzu, die zentrale Gestalten und Epochen der deutschsprachigen Literatur aus dem Bewusstsein der breiten Bevölkerung einfach ausblendet. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die deutsche Klassik in der Regel nur mit Goethe und Schiller verbunden wird, denen am Rande dann noch Humboldt zur Seite gestellt wird. Klassik im literarischen Sinne bezeichnet aber eine Epoche in einer Nationalliteratur, „die wegen ihrer besonders reichen Entfaltung, ihrer Dichte an Werken von hohem künstlerischem Rang, ihrer Wirkung auf spätere Epochen und ihrer internationalen Bedeutung als die Klassik angesehen wird“ ((http://xlibris.de/Epochen/Klassik)).

Zwei Autoren sollen eine solche Epoche ausmachen? Nun, es stimmt, die Zeit von 1774, dem Erscheinungsjahr von Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ bis zum Revolutionsjahr 1848 waren geprägt von großartigen Autoren, die aber seltsamerweise selten der deutschsprachigen Klassik zugeordnet werden: Hölderlin, Jean-Paul, Wieland, Kleist, Heine, die Romantiker etc. werden nicht der literarischen Epoche der deutschen Klassik zugeordnet, obwohl doch erst diese Fülle von großen Autoren in weniger als hundert Jahren den Fokus auf diese Zeit richtet.

Ja, Goethe und Schiller werden in der Regel noch einmal aus dem Reigen der Autoren dieser Zeit hervorgehoben, weil sie mit ihrem Werk universeller waren, aber wenn zwei Autoren eine klassische Epoche kennzeichnen können, dann gab es in Deutschland noch eine zweite klassische Epoche, die der Sprachentwicklung bis heute zentrale Impulse gegeben hat: Die deutsche Mystik. Viele Präfixe und Suffixe, die bis heute von Bedeutung sind, wurden von der mystischen Literatur geprägt. Die Zeit des Barocks brachte bedeutende poetologische Schriften und mit Grimmelshausens Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch” erschien der wohl erste deutschsprachige Roman, der zum Teil als der erste Abenteuerroman der Welt angesehene wird, im Bewusstsein deutschsprachiger Nationalliteratur, wohl auch wegen massiver dialektaler Prägung des Werkes, kaum eine Rolle spielt, auch wenn der Roman kaum unbedeutender als der ca. sechzig Jahre früher veröffentlichte Don Quijote von Miguel de Cervantes ist.

Es gab in der Zeit vom 12. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert also drei Phasen, die ich bereit wäre, für die deutsche Literatur als klassisch zu betrachten: Die deutschen Mystik, das Zeitalter des Barocks und die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert.

Gemeinsam ist diesen Zeiten, dass sie nicht nur für die Sprachentwicklung von herausragender Bedeutung waren, sondern auch relevante literarische Eigenleistungen der Autoren hervorbrachten. – Eine Sonderrolle nimmt bei solchen Überlegungen Luther ein, der mit seiner Übersetzung der Bibel ins Deutsche zwar sprachhistorisch hochgradig relevant ist, aber darüber hinaus literaturhistorisch nicht die Größe eines Meister Eckhart, einer Mechthild von Magdeburg, eines Grimmelshausens, Goethes oder Schillers erreichte.

Dass wir also von der Zeit zwischen Goethes Italienreise (1786–88) und Schillers Tod (1805) für die deutsche Sprach- und Literaturgeschichte als Klassik bezeichnen, so mag das damit zu tun haben, dass die deutsche Sprachentwicklung zu diesem Zeitpunkt an einem Punkt angelangt war, der uns auch heute noch verständlich ist.

Dass die deutsche Klassik häufig auch „Weimarer Klassik“ genannt wird, erscheint mir symptomatisch für eine Sprachgemeinschaft, die in Kleinstaaterei so zerrissen ist, dass für literarische Entwicklungen und Freiheiten der jeweilige Landesherr von großer Bedeutung war. Das galt schon bei Luther, aber auch Goethe und Schiller waren von der Gunst ihrer Landesherren abhängig. Deutschland hatte damals kein Zentrum wie Paris in Frankreich, oder London in England, doch von seiner Bedeutung her war Weimar als „Deutschlands Athen“ überragend.

Goethe floh vor der Last des Ministeramtes nach Italien. Wenn von der „Italienischen Reise“ gesprochen wird, so handelt es sich mehr um eine Flucht, als um eine Reise, um eine äußerst fruchtbare Flucht allerdings, ohne die man sich den späteren Goethe kaum denken kann. Goethe selbst schreibt in seinem Tagebuch über den Aufbruch:

„Den 3. September früh drei Uhr stahl ich mich aus dem Karlsbad weg, man hätte mich sonst nicht fortgelassen. Man merkte wohl, daß ich fort wollte. Ich ließ mich aber nicht hindern, denn es war Zeit.“

Goethes Tagebuch, 3.9.1786

In Italien entdeckt Goethe die Antike. Dieser Epoche stand auch Schiller nahe. In Verbindung mit der Renaissance, die schon einmal die Werke der griechischen und auch der römischen Antike wiederentdeckte und sich an ihnen künstlerisch orientierte, steht die deutsche Klassik in einer uralten, auf griechischem und römischen Kunstverständnis basierenden Fundamenten.

Ja, Goethe hat schon früher durch Winkelmanns „Geschichte der Kunst des Altertums“ (1764) ein Bild von der Antike, aber erst auf der Reise durch Italien kam die persönliche Anschauung hinzu. Für Goethe begann dort eine Umorientierung seines Kunstverständnisses. Vom Sturm und Drang hatte er sich mit dem Antritt des Dienstes am Weimarer Hof faktisch verabschiedet, mit Werther und Götz von Berlichingen hatte er aber auch Werke verfasst, die dem Kunstverständnis der Aufklärung, das in vielen Fällen von Regelpoetiken geprägt war, widersprachen. Die Beschäftigung mit der Antike führte ihn zu einem Kunstverständnis, in dem es um Einheit – in unserer heutigen Sprache würden vielleicht den Begriff der „Ganzheitlichkeit“ nutzen – ging. Die Vernunft und die sinnliche Seite des Menschen sollten in ein Gleichgewicht gebracht werden, Pflicht und persönliche Interessen zusammen finden, Subjektivität und Objektivität ausgewogen zur Geltung kommen.

Was Goethe in Italien fand, entwickelte sich für Schiller als Geisteshaltung in seiner Beschäftigung mit Immanuel Kants Schriften, wobei vor allem die „Kritik der Urteilskraft“ (1790) von großer Bedeutung gewesen sein dürfte, in der die Ästhetik der Natur und der Kunst reflexiv auf ihren Bezug zur menschlichen Beurteilung von Natur und Kunst aufgearbeitet wird.

Diese Synthese drückt sich in der Vorstellung des Wahren, Guten und Schönen aus, das z.B. als Schriftzug an der Frankfurter Alten Oper bis heute prominent in Frankfurt und dort in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Türmen des Bankenviertels finden lässt.

Das Individuum wird als autonom angesehen, doch die Natur ist von Gott geordnet, auch wenn das Gottesbild Goethes eher abstrakt bleibt als auf einen christlichen Gott bezogen zu sein, wie in seiner Hymne „Prometheus“ klar erkennbar ist.

Schließlich, diese Aufzählung von Merkmalen des Welt- und Menschenbildes der literarischen deutschen Klassik ist unvollständig!, ergibt sich aus dem Ideal der Klassik die Vorstellung der Bildung und der Selbstbildung, die in Goethes großem Roman „Wilhelm Meister“ im Zentrum stehen. Der Entwicklungs- bzw. Bildungsroman ist sicherlich mit der Klassik eng verbunden.

1794 kam es nach langer Distanziertheit zu einem Treffen zwischen Goethe und Schiller, in dem sie ihre Gemeinsamkeiten erkannten und entdeckten, dass sie sich ergänzten. Diese Übereinstimmung hatte allerdings auch mit der Distanz beider Dichter zur französischen Revolution (wie sie sich bis dahin entwickelt hatte) zu tun. – Ohne diese Begegnung, diesen Beginn der Zusammenarbeit beider Dichter, wäre es zu der Weimarer Klassik, wie wir sie heute kennen nicht gekommen. Nicht nur, dass Schiller und Goethe fruchtbar kritisch auf das Werk des je anderen blickten, sie feuerten auch einander an, sodass es 1797 zu dem sogenannten Balladenjahr kam. Und die Ballade wurde zu einem wichtigen Ausdrucksmittel der Weimarer Klassik.

Gefühl und Reflexion, verbinden sich in der Literatur der Weimarer Klassik. War es im Sturm und Drang „nur“ das Gefühl, für das ein Ausdruck gesucht wurde und in der Aufklärung vermeintlich vor allem der Verstand und somit die Reflexionsfähigkeit, die im Zentrum stand, versuchte die Klassik deren Verbindung. In dieser Verbindung entsteht gleichzeitig ein Verständnis des „Ideals“, eine Vorstellung davon, wie der Mensch sein könnte und das Streben nach diesem Ideal.

Wie sich die Klassik konkret vor allem in der Lyrik zeigt und welches Menschenbild in der Lyrik der Klassik zu finden ist, wird Thema von Einzelanalysen von Gedichten sein, die im Laufe der nächsten Wochen hier erscheinen sollen. So viel sei aber schon gesagt: Der Mensch wird als zwischen Geist und Materie stehend betrachtet, seine Humanität soll durch Kunst und Dichtung gefördert werden und so letztlich ein Weltbürgertum entstehen, das in der Lage ist, das Denken in Grenzen zu überwinden. ((Vgl. hierzu: Willi Vocke – Weimarer Klassik))

Literaturverzeichnis ((Weiterführende Informationen auch als Links im Text. Hier sind nur die Texte aufgeführt, die direkten Einfluss auf diesen Beitrag hatten.))

  • Dieter Borchmeyer (DuMont Schnellkurs Goethe), Goethe in Weimar (1775–1786) auf Website goethezeiportal.de unter http://www.goethezeitportal.de/?id=804 (Stand: Donnerstag, 04. August 2011).
  • Albert Meier, Sizilianische Enttäuschungen. Johann Hermann Riedesel und Johann Wolfgang Goethe in der Magna Gracia, in: Christiana Albertina. Forschungsbericht und Halbjahresschrift der Universität Kiel. Heft 50 (neue Folge). April 2000, S. 5-19. (PDF).
  • Adelheid Petruschke, Lyrik von der Klassik bis zur Moderne, Stuttgart / Leipzig 2004 (Stundenblätter Deutsch).
  • Wolfgang Pohl, Die Epoche der deutschen Klassik (1786–1732) – http://www.pohlw.de/literatur/epochen/klassik.htm (Stand: Donnerstag, 04. August 2011).
  • Dr. Axel SanJosé, Literaturepoche Klassik – http://xlibris.de/Epochen/Klassik (Stand: Donnerstag, 04. August 2011).
  • Inge Stephan, Weimarer Klassik, in: Wolfgang Beutin, Klaus Ehlert et al., Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart / Weimar 1994 (5. Auflage), S. 161–169.
  • Willi Vocke, Weimarer Klassik – http://www.lehrer.uni-karlsruhe.de/~za874/homepage/klassik.htm (Stand: Donnerstag, 04. August 2011).