Welche Zeitschriften ich warum in meiner Freizeit lese
Seit ich das Lesen einigermaßen beherrsche, bin ich ein Leser von Zeitschriften. ((Neben den hier erwähnten Zeitschriften gibt es noch beruflich relevante Fachzeitschriften zur Didaktik und Pädagogik, die ich sichte, aber hier geht es um Zeitschriften, die ich in meiner »Freizeit« über diese hinaus lese.)) Waren das in meiner Jugend eher Zeitschriften wie »P.M.« oder das Geschichtsmagazin »damals« – klassische Jugendzeitschriften wie »Bravo« interessierten mich eher nicht – hat sich der Schwerpunkt der Zeitschriften verschoben, die ich heute lese.
Teilweise kann ich an den Jahrgängen ablesen, wann mich welches Thema besonders interessierte. So gibt es ein paar Jahre, in denen ich häufiger als heute die »PAGE« oder »Wallpaper« gelesen habe. In anderen Jahren dominierten eindeutig Zeitschriften zur Photographie, wobei interessanterweise ein leichter Schwerpunkt auf Schwarzweiß-Photographie lag.
Heute lese ich mit Genuss den »Merkur« und »Lettre International«, hin und wieder die »Neue Rundschau« und mit hoher Regelmäßigkeit »Brand Eins«. Was ein Algorithmus aus diesem Leseverhalten nun wohl über meine Person festhalten würde? In welche Kategorien würde der mich schieben?
Wenn er dann noch mitbekommen würde, dass ich als Zeitungen die »F.A.Z.«, »Die Zeit« und die »Süddeutsche Zeitung« ebenso lese, nicht jede jeden Tage oder jeder Woche, aber doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit, wie ich mich mit »Die Tageszeitung – taz« befasst oder in der »Neuen Zürcher Zeitung« lese: Wie würde der Algorithmus mich dann einordnen?
Lassen wir diese Gedankenspiele. Viel interessanter die Frage: Warum mache ich das?
Ich bleibe jetzt mal bei den Zeitschriften, denn von diesen gingen die Überlegen hier ja aus. Ich lese den »Merkur« , weil die Qualität, Differenziertheit und Vielfalt der Essays nicht nur hervorragend ist, sondern regelmäßig dazu führt, dass ich nachdenke. Es werden Perspektiven aufgegriffen, die in meiner Social-Media-Filterblase so kaum vorkommen. Und wenn es um Differenziertheit geht, ist mir das allemal eine hervorragende Ergänzung.
So schreibt der »Merkur« in seiner Selbstdarstellung: Der Merkur »wendet sich an ein anspruchsvolles und neugieriges Publikum, das an der bloßen Bestätigung der eigenen Ansichten nicht interessiert ist. Mit kenntnisreichen und pointierten Essays, Kommentaren und Rezensionen hält der Merkur gleichermaßen Distanz zum Feuilleton wie zu Fachzeitschriften.« – Das stimmt.
An »Lettre international« fasziniert mich, dass in dieser vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift u. a. europäische Perspektiven aufgegriffen werden, die ich im Feuilleton der Zeitungen in dieser Vielfalt ein wenig vermisse. Gerade osteuropäische und südosteuropäische Denker kommen hier immer wieder vor und man traut sich im überdimensiontierten Format Artikel in überdimmensionierter Länge zu veröffentlichen – oder soll ich sagen, man traut sich, Differenziertheit möglich machende Artikellängen zuzulassen.
Die »Neue Rundschau« gibt es seit 1890 und sie ist somit einer der ältesten Kuluturzeitschriften Europas. Alleine diese Tatsache ist Grund genug, immer wieder zu schauen, was gerade Thema der aktuellen Ausgabe ist, und diese gegebenenfalls zu erwerben und zu lesen.
Dieses Interesse ist freilich ein Nischeninteresse. Der Merkur hat eine Druckauflage von ca. 4500 und traut sich bei seinen Autoren ein breites politisches Spektrum zu, was die Lektüre so spannend macht. »Lettre International« hat eine verkaufte Auflage von 16000 bis 23000. Auch das ist nicht viel, angesichts von 82 000 000 Bundesbürgern.
Wenn ich mal wo warten muss und da liegen Zeitschriften aus, greife ich übrigens fast immer zur Yellow Press, zu jenen Sensationsblättchen, die nicht nur häufiger erscheinen als z. B. Lettre, sondern auch größere Auflagen erreichen. Ich erkläre mir das damit, dass mich das Warten so sehr langweilt, dass ich bereit bin, mich mit jeglicher geistigen Anregung zu befassen, die verfügbar ist. Und da in Wartebereichen der Merkur, Lettre International oder die Neue Rundschau selten ausliegen, erweitere ich dort also meinen Horizont mit neuesten Liebesschnulzen aus Europas Adeslhäusern.
Woher ich die Zeit für das Lesen der Zeitschriften nehme? Woher nehme ich die Zeit zum Atmen? Eben: Das ist keine Frage der Zeit, sondern eine Frage der Notwendigkeit. Und für Notwendigkeiten findet sich Zeit.
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