Terézia Mora, Alle Tage: 0. Jetzt – Wochenende – Vögel (S. 9f)

Nach dem »Vorspann« kann nun also der Roman beginnen. Irritierend: Er beginnt mit einem Abschnitt der »0. Jetzt Wochenende« betitelt ist. Und dann erste Kapitel dieses Abschnittes, kaum zwei Seiten lang, mit dem Titel »Vögel« obwohl kein Vogel in dem Kapitel auftaucht.

Die Zeit »Jetzt«, der Ort »Hier«. Na, toll. Welches »Jetzt« denn? Das »Jetzt« Lesers, der Autorin, des Erzählers/der Erzählerin des Romans? Und die gleiche Verwirrung beim Ort »Hier«. Ein Hinweis, das Ort und Zeit unwesentlich sind? Dem widerspricht die folgende Beschreibung des Ortes, die mit Adjektiven nur so gespickt ist. Eine Auswahl:

östlicherer, braune, leere, vollgestopft, winzig, wüst, spitz, zerklüftet, hölzern, alt, frei, nah, klappernd …

Es sind diese Adjektive, die das Bild dieses Ortes »Hier« prägen, das Bild einer Großstadt, wie die verwendeten Substantive in Verbindung mit den Adjektiven verraten. Es ist Samstagmorgen im Herbst. Dann treten drei Arbeiterinnen auf, die beschreiben, was ihnen an jenem Samstag widerfahren ist, gefolgt vom ersten Auftritt Abel Nemas, an den Füßen mit Klebeband an einem Klettergerüst aufgehängt, den Kopf nach unten, der schwarze Mantel ist über den Kopf gefallen, sodass er wie ein Vogel, eine Fledermaus ausgesehen habe, so die Arbeiterinnen. Es folgt eine Beschreibung, die in all ihrer Offenheit doch irgendwie ein ziemlich genaues Bild von Abel Nema zeichnet. Es taucht Abels Frau Mercedes auf, die Abel in der Klinik im künstlichen Koma vorfindet »bis wir wissen, wie es um sein Gehirn steht«. Und dann sagt sie noch, sie habe Abel zuletzt bei ihrer Scheidung gesehen.

Mag die erste Zeile noch auf einen Allerweltsort zu einer Allerweltszeit verweisen: Wenn das, was dann folgt, die Beschreibung einer ganz alltäglichen Stadt sein soll, einer Großstadt, wie wir sie überall vorfinden, dann ist das ein düsteres Bild, verwirrend, eng zerklüftet eben. Und in dieser zerklüfteten Stadtlandschaft Abel, der kein Wort spricht, der da nur hängt, die Füße mit Klebeband an ein Klettergerüst gefesselt, Kopf nach unten, erst einmal unsichtbar, wie ein schwarzer Vogel aussehend. Dann Abel im Koma und jener Halbsatz »bis wir wissen, wie es um sein Gehirn steht«.

Ich will hier noch gar nicht über den Namen nachdenken, über »Abel«, der einst von Kain erschlagen wurde ((Eine ganze Magisterarbeit zu Moras Roman, in der es auch um den Namen geht, findet sich hier als PDF.)). Mir reichen auch die sonstigen Hinweise, die ich ((Ja, ich tue hier einfach mal so, als würde ich noch nicht weiter gelesen haben, auch wenn das natürlich eigentlich nicht möglich ist.)) in diesen knapp zwei Seiten finde: Ein schweigend auftretender Mensch mit Namen »Abel Nema«, der in eine extreme, von außen komisch wirkende, aber leidvolle Situation hinein geraten ist, in der er zunächst gar nicht zu erkennen ist, der dann im Koma liegt (Mercedes stellt fest, dass sie ihn noch nie schlafend sah) und der so lange in diesem Zustand gehalten werden soll, bis klar ist, » wie es um sein Gehirn steht«

Wenn das die Voraussetzungen des Romans sind und irgendwie müssen sie es sein, werden sie doch an einer der prominentesten Stellen des Buches, seinem Anfang, erzählt dann erwarte ich die »zerklüftete« ja, dieses Adjektiv hat es mir besonders angetan Geschichte, eines Menschen, bei dem man erst einmal schauen muss, wie es um sein Gehirn steht, der in Tragödien, extreme und skurrile Situationen gerät, in ständige Katastrophen ist womöglich sein ganzes Leben eine Katastrophe und der dennoch, so ist zumindest mein Eindruck in diesem ersten Kapitel, auch wenn Abel kein Wort sagt, irgendwie liebenswert ist. Ob der Roman hält, was er verspricht?

Terézia Mora, Alle Tage. Roman, Müchen (Luchterhand) 2004.