Lesekompetenz und Ausdrucksfähigkeit – Beobachtungen

Die Beobachtung, dass Jugendliche oft Probleme beim den Sinn eines Textes erfassenden und interpretierenden (=verstehenden) Lesen haben, ist hinlänglich bekannt; die enge Verbindung schriftlicher Ausdrucksfähigkeit mit der Lesefähigkeit wird ebenso umfassend beschrieben.

Für mich zeigen sich diese Phänomene an folgenden Punkten (in unterschiedlicher Intensität in den unterschiedlichen Altersstufen, aber in allen Altersstufen (10–19 Jahre) beobachtbar). ((Ich erhebe hier nicht den Anspruch etwas Neues zu sagen oder eine empirisch unangreifbare Darstellung zu verfassen, sondern stelle im Rahmen dieses Blogs genau die Diskussionsgrundlage zur Verfügung, die ein privates Blog zunächst einmal schaffen kann. Dabei gehe ich aber dennoch davon aus, dass die hier beschriebenen Beobachtungen und meine Überlegungen zum Umgang mit den Phänomenen mehr als eine Privatmeinung sind.)):

  • Beim Vorlesen von Texten werden überraschend häufig sinntragende Wörter entweder ausgelassen (ohne dass sich in allen Fällen ein „Protest“ der mitlesenden Jugendlichen regen würde) oder durch andere, grammatikalisch passende, den Sinn aber verschiebende, Wörter ersetzt, ohne dass ich hierbei bislang ein klares Muster sehen könnte. Dabei handelt es sich nicht um Jugendliche mit diagnostizierter Lese-Rechtschreib-Schwäche.
  • Arbeitsaufträge, selbst in Klassenarbeiten und Klausuren, werden nicht vollständig rezipiert und wichtige Teile einer notwendigen Bearbeitung ausgelassen. Dabei beobachte ich, dass es viele Jugendliche gibt, die die ihrer Auffassung nach wichtigen Aufgabenteile (mit einem Textmarker) anstreichen und dann scheinbar die Textteile ausblenden, die ihnen nicht entgegen „leuchten“. Dieses Phänomen gibt es auch beim Markieren von literarischen oder Sachtexten, sodass wesentliche Details in den Texten bei der weiteren Bearbeitung nicht weiter berücksichtigt werden.
  • Texte werden weitgehend auf den Inhalt hin gelesen, Hinweise auf den Kontext des Textes werden dabei außen vor gelassen. Das Erlernen der Berücksichtigung formaler Textelemente als Teil der Voraussetzung eines angemessenen Verstehens von Texten fällt vielen Jugendlichen enorm schwer. Dementsprechend schwer fällt vielen Jugendlichen das „Interpretieren“. Interpretieren bezieht sich hier sowohl auf die mündliche also auch auf die schriftliche Form der Erarbeitung von Textinhalten, die über die reine Handlungs- bzw. Inhaltsebene hinausgehen.
  • Die Ausdrucksfähigkeit jenseits der Orthographie ist bei überraschend vielen Jugendlichen nicht sonderlich ausgeprägt. Vor allem in den Bereichen des Satzbaus, des Ausdrucks und der Grammatik beobachte ich eine deutliche Differenz zwischen dem Wissen über die jeweiligen Regeln und der Fähigkeit, diese für eigene Texte fruchtbar werden zu lassen.
  • Immer wieder stoße ich auf in meinen Augen einfache Wörter, die im Wortschatz der Jugendlichen bislang keinen Platz gefunden haben. In eine ähnliche Richtung geht meine Beobachtung, dass die Herleitung von Ableitungen aus Wörtern, die bekannt sind oder aus dem Sinnzusammenhang eines Textes, häufig erst dann funktioniert, wenn auf den Zusammenhang hingewiesen wurde. Die Nutzung vorhandenen Sprachwissens zum Verstehen ähnlicher Phänome oder Begriffe bedarf sehr häufig der Hinweise, dass ein Zusammenhang besteht.
  • Verbindungen zwischen im Unterricht (unterschiedlicher Fächer) erarbeiteten Wissenszusammenhängen im Kontext des Lesens und Schreibens, werden von vielen Jugendlichen wenig bis gar nicht hergestellt bzw. zur Verknüpfung und Vertiefung der vorhandenen Wissensbestände genutzt. Der Unterricht in den unterschiedlichen Fächern scheint für viele Jugendliche eine jeweils in sich selbst abgschlossene Welt zu sein und fächerübergreifendes bzw. Fächer verbindendes Arbeiten muss in vielen Fällen erst mühsam gelernt werden – ohne immer von nachhaltigem Erfolg gekrönt zu sein.
  • Die mündliche Ausdrucksfähigkeit weicht teilweise deutlich von der schriftlichen ab, auch wenn es im mündlichen Bereich ebenso zahlreiche Phänomene gibt, die auf Ausdrucksschwächen hinweisen und die gar nicht alle korrigiert werden können, da dies 1. die Jugendlichen entmutigen würde, sich am Unterrichtsgespräch zu beteiligen und sie 2. oft überhört werden bzw. gar nicht alle erinnert werden können. Auffällig ist jedoch die Tendenz, in unvollständigen Sätzen zu sprechen und kaum einmal zu längeren zusammenhängenden mündlichen Darstellungen der eigenen Gedanken zu kommen.
  • In den Bereich der mündliche Ausdrucksfähigkeit gehört auch, das Referate und Präsentation weitgehend abgelesen und meist ohne erkennbares Interesse am Wecken der Neugier der Zuhörenden gestaltet werden, was auch daran liegt, dass diese Darstellungsformen von Jugendlichen oft als etwas gesehen, werden, das man „für den Lehrer“ macht. Das erklärt die mit diesen Ausdrucksformen verbundenen Probleme im Bereich der Ausdrucksfähigkeit aber nicht wirklich, so sehr ich auch zunehmend der Meinung zustimme, dass Referate so ziemlich das langweiligste Mittel sind, das im Unterricht eingesetzt werden kann – zumindest dann, wenn sie keine kognitiven Prozesse in einer Lerngruppe zu aktivieren vermögen.

Es gibt zahlreiche, wissenschaftlich fundierte Ansätze zur Beschreibung der Anforderungen, die eine angemessene Lesekompetenz („reading literacy“) zu erfüllen hat ((vgl. hierzu die zahlreichen Arbeiten von Norbert Groeben, aber auch: Cornelia Rosebrock, Lesesozialisation und Leseförderung – literarisches Leben an der Schule, in: Michael Kämper van den Boogarrt (Hg.), Deutschdidaktik. Ein Leitfaden für die Sekundarstufen I und II, Berlin 2003, 153–174.)). Der Rahmen der zu erreichenden Lesekompetenz wurde in den vergangenen Jahren abgesteckt. Deshalb stellt sich die Frage, wie diese Kompetenz erreicht werden kann – und ob Schule strukturell dazu überhaupt in der Lage ist.

Bevor ich meine Überlegungen zu dieser Frage ausführe, möchte ich einige, den oben aufgezählten Beobachtungen tendenziell zuwider laufende Beobachtungen festhalten:

  • Überraschend viele Jugendliche sind in der Lage im Rahmen freien Schreibens spannende Geschichten zu erzählen.
  • Beim freien (kreativen) Schreiben – das nichts mit kreativen Schreibaufträgen im Sinne eines produktiven Umgangs mit Lektüren zu tun hat – zeigen viele Jugendliche oft weit bessere Fähigkeiten im Ausdruck als im schulbezogenen Schreiben. Der Transfer dieser Fähigkeiten auf im Kontext des „normalen“ Unterrichts entstehende Texte ist eine Herausforderung, die oft nicht von Erfolg gekrönt wird.
  • Ich begegne immer wieder Jugendlichen (darunter allen Statistiken zuwider laufend überraschend viele männliche Jugendliche), die privat schreiben, wobei sich hier das Klischee widerspiegelt, dass Mädchen eher Liebesgeschichten schreiben und Jungen sich eher im Fantasy- und Abenteuerbereich produzieren. So bekomme ich von Schülern und Schülerinnen immer wieder einmal z.T. sehr umfangreiche Skripte zum Lesen, mit der Bitte um ein Urteil und vor allem Tipps zur Verbesserung der Texte. Dieses Angebot besteht über den normalen Unterricht hinaus und fließt nicht in die Benotung ein. Dabei ist für mich immer wieder faszinierend, mit welcher Ernsthaftigkeit und teilweise sehr deutlich erkennbarer Konsequenz Jugendliche an solchen Texten schreiben. Teilweise sind sie sogar in der Lage, die Texte vorbereitende Arbeiten verfügbar zu haben, in denen z.B. die einzelnen Figuren der Texte in ihrem Charakter und bezüglich ihrer Handlungsmotivationen entwickelt werden. Ja, wirklich, das ist mir schon passiert.
  • In Gesprächen im Unterricht, die nicht als Unterrichtsgespräch im klassischen lehrerzentrierten Sinn wahrgenommen werden, z.B. in Gruppenarbeits- oder Partnerarbeitsphasen, beobachte ich, dass Schüler durchaus in ganzen Sätzen und auch differenziert über Texte ins Gespräch kommen können, also über eine eigentlich bessere Ausdrucksfähigkeit verfügen, als oft im Unterricht beobachtbar. – Dies gilt auch, wenn Schüler sich untereinander Dinge erklären. Dabei beobachte ich, dass wesentlich häufiger auf die zur Verfügung stehenden Materialien Bezug genommen wird, als im „normalen“ Unterrichtsgespräch.
  • Jugendliche sind durchaus bereit, Bücher zu lesen und sie lesen auch. In diesem Zusammenhang höre ich von den Jugendlichen selbst aber immer wieder die Aussage, dass die Bücher, die sie gerade lesen, für den schulischen Kontext wahrscheinlich ungeeignet seien. Aber, um hier nichts schöner zu reden als es ist: Es gibt erschreckend viele Jugendliche, die außer den in der Schule von ihnen abverlangten Lektüren keine Bücher lesen – und auch hier teilweise, statt der Lektüren selbst, vor allem auf Sekundärtexte zurückgreifen und sich Wissen über die Bücher anzueignen versuchen, ohne die Bücher selbst je in Gänze gelesen zu haben.

Zwei Beobachtungsrahmen, die mir einander scheinbar widersprechende Phänomen vor Augen führen. Welche Schlussfolgerungen sind daraus (für mich und zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Textes) möglich?

Zunächst fällt mir auf, dass ich bei meinen Beobachtungen zwischen Lesekompetenzen und Ausdrucksfähigkeiten unterscheide, die ich im Kontext von „normalem“ Unterricht mache und im Kontext des „freien“ Umgangs mit Texten und des Schreibens.

Dabei stellt sich die Frage, welche Kriterien ich zur zur Einschätzung dieser Phänomene zu Rate ziehe. Lege ich meinen Schwerpunkt auf die von der Schule zurecht geforderten Kompetenzen, so ist das Bild düster. Berücksichtige ich die Lesekompetenzen und Ausdrucksfähigkeiten, die sich mir am Rande des Schulkontextes zeigen, komme ich zu einem deutlich besserem Urteil.

Diese Differenzierung führt nicht sonderlich weit, solange nicht die Frage gestellt wird, was diese unterschiedlichen Beobachtungen an Hinweisen für eine Verbesserung der im schulischen Kontext (und somit letztlich für die Bewertung relevanten) gezeigten Lese- und Ausdruckskompetenzen mit sich bringen, ohne die Ziele des Lese- und Sprachunterrichtes aus dem Augen zu verlieren.

Meine bislang gefundenen Antworten sind so banal wie folgenreich, wobei an erster Stelle die Frage stellt, welche Ziele ich als Lehrer eigentlich erreichen will (– und warum!). Erst wenn ich dies für mich klar formuliert habe, kann ich nach Wegen fragen, diese Ziele zu erreichen, ohne dabei die von Lehrplänen vorgegebenen Ziele aus dem Blick zu verlieren, solange diese nicht stärker an zu erreichenden Kompetenzen im Kontext zu wissender Inhalte ausgerichtet sind, so sehr diese Umstrukturierung auf Kompetenzen hin in Weiterentwicklungen der Lehrpläne schon eine Rolle spielt.

  1. Unterricht muss in Bezug auf Lese- und Ausdruckskompetenzen schülerorientiert sein, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren, die vorhandenen Kompetenzen weiter zu entwickeln. Dabei muss der Begriff der „Schülerorientierung“ möglichst konkret formuliert, aus dem Schattendaseins eines pädagogischen, methodischen und fachdidaktischen Modewortes befreit und möglichst konkret gedacht werden. Das bedeutet für den Deutschunterricht unter anderem, dass die Lese- und Schreiberfahrungen der Jugendlichen ernst zu nehmen sind, nicht als pädagogischer Kniff, sondern als echte Lese- und Schreiberfahrungen. Mir ist es zunächst einmal völlig egal, ob Jugendliche von „Die wilden Kerle“ oder von Homers „Odysee“ begeistert sind (ja, diese Bandbreite hatte ich schon in Lerngruppen einer Schulstufe), da diese Bücher für die Jugendlichen bedeutsam sind. Und wenn ich in Klassen die jeweils zu einem Zeitpunkt aktuellen Lieblingsbücher der Jugendlichen vorstellen lasse, dann akzeptiere ich die Bücher, die von den Jugendlichen eingebracht werden, egal, ob sie in meinen Augen literarischen Ansprüchen genügen oder eher nicht, egal, ob es sich um Thriller (bei denen ich mir manchmal die Frage stelle, ob sie für die jeweilige Altersstufe schon geeignet sind oder nicht) oder Liebesromane handelt, die eher Klischees bedienen als neue Einsichten zu generieren. Ich empfinde die Lektüren der Jugendlichen als interessant, weil sie mir sagen können, was sie an diesen Büchern fasziniert, ohne gleich meine Vorstellungen von „guten Büchern“ ins Spiel zu bringen und somit die Leseerfahrungen der Jugendlichen als „weniger wertvoll“ zu betrachten.
  2. Ähnliches gilt für die Schreiberfahrungen der Jugendlichen. Viele schreiben längere, in sich zusammenhängende Texte heute oft ausschließlich im Schulkontext, während der Schreiballtag ganz anderen Regeln folgt. Die Formen der schriftlichen Kommunikation haben sich verändert, seit sich Jugendliche im Chat, per SMS und via E-Mail der Schriftsprache und den im Zusammenhang dieser medialen Formen verbreiteten Abkürzungen, Smileys etc. bedienen. Hier verfügen Jugendlichen in vielen Fällen über Kompetenzen, die im „normalen“ Unterricht oft als „minderwertig“ in Bezug auf die von Schule erwarteten Kompetenzen angesehen werden, sodass diese Schreibaktivitäten nicht nur diskreditiert werden, sondern diese Diskriminierung auch zu einer deutlichen Trennung zwischen Schreibkompetenzen, die im Unterricht gefordert werden, und der alltäglichen Schreiberfahrung führen. Nicht die Diskriminierung von Kommunikationsformen öffnet die Tür zu einer differenzierteren Kommunikation, sondern das Aufgreifen und die Reflexion dieser Erfahrungen im Kontext anderer Schreibangebote /-anforderungen. Dabei geht es nicht um ein „besser“ oder „schlechter“ der unterschiedlichen sprachlichen Ausdrucksformen, sondern vielmehr darum, wie es Jugendlichen gelingen kann, das, was sie ausdrücken wollen, auch auszudrücken. Und damit bin ich
  3. bei den Zielen, die mit dem Lesen und dem Ausdruck verbunden sind. Damit meine ich jetzt nicht die Ziele, die sich in der Fähigkeit zur Interpretation eines Textes erschöpfen, sondern Ziele, die mit konkreter Lebensgestaltung zu tun haben. Auch wenn es Tendenzen gibt, die darunter die Fähigkeit zum korrekten Ausfüllen von amtlichen Formularen sehen, sehe ich nach wie vor zwei zentrale Ziele: Zum einen bietet Literatur die Möglichkeit, fremde Welten zu entdecken und eigene Erfahrungen im Kontext literarischer Texte zu reflektieren und anders zu erleben. Zum anderen bietet die Ausweitung der Ausdrucksfähigkeit ein tieferes Verständnis von Welt und Selbst, begleitet von dem (in meinen Augen) lustvollen Erlebnis, endlich ein wenig mehr von dem ausdrücken zu können, was einen selbst beschäftigt, für das man so oft aber einfach keine Worte findet. Gerade das letztgenannt Ziel führt micht zum
  4. Wert des kreativen Schreibens, das mit echter Wertschätzung der Produkte der Jugendlichen verbunden ist, gleichzeitig aber Techniken zur Verfügung stellt (und somit zur Kompetenzenerweiterung beiträgt), die erfahrbar machen, dass sie mehr ausdrücken und „erfinden“ können, als sie bisher wahrgenommen haben. Solche Erfahrungen stärken das sprachliche Selbstbewusstsein auf lange Sicht deutlich, auch wenn sich dieses nicht direkt in Klassenarbeiten oder anderen gezielter auf schulische Lernzusammenhänge hin orientierten Texten niederschlägt.
  5. Bei allem Schülerbezug und aller Ernsthaftigkeit, mit der die Lektüren der Schüler berücksichtigt werden: Ich stehe auch der Erwartung an mich als Deutschlehrer gegenüber, den Horizont der Jugendlichen zu erweitern und meine eigene Leseerfahrungen ins Spiel zu bringen. Neben dem Schülerbezug bedarf es im Deutschunterricht der authentischen Lesebegeisterung des Lehrenden, die eigenen Kriterien der Lektüreauswahl folgt, ohne die Auswahlkriterien der Jugendlichen zu diskreditieren, was nicht bedeutet, dass diese Kriterien nicht im Unterricht thematisiert und auf diesem Wege auch verändert werden können.

Die Widersprüchlichkeit meiner Beobachtungen und die ersten Überlegungen zu praktischen Konsequenzen führt mich zu dem Kernpunkt meiner Überlegungen: Um Lesekompetenz und Ausdrucksfähigkeit zu fördern, bedarf es nicht nur einer stärkeren Schülerorientierung in Form von echtem Respekt von den Erfahrungen der Jugendlichen in diesem Bereich, sondern auch des Wissens, wie Lernen funktioniert. Denn schon vor den Einsichten der Hirnforschung war ich davon überzeugt: „Erkenntnis macht Lust, Lernen ist wie Sex” (Die Zeit).

Aus meine eigenen Beobachtungen ziehe ich über die bereits genannten Erkenntnisse hinaus folgende Schlussfolgerungen:

  1. Das primäre Ziel von Unterricht muss es sein, Räume für kognitive Prozesse zu schaffen, in denen Jugendliche nicht vor allem Wissen konsumieren (müssen) und zum Pauken verdonnert werden, sondern Lernen, wie Wissen von ihnen selbst konstruiert werden kann. Ziel ist also, ein wenig pathetisch gesprochen, nicht alleine das Wissen oder die Kompetenz, sondern die Erkenntnis, die Wissen, Kompetenz und Relevanz in sich vereint.
  2. Daraus ergibt sich, auch wenn das klassische Lernen dadurch nicht verschwindet oder gar diskreditiert wird, dass schülerorientierte Methoden darauf hin zu überprüfen sind, ob sie nur selbststätige Pflichterfüllung sind oder wirklich in kognitive Prozesse hinein führen. Es ist ein Unterschied, ob ich z.B. Fachbegriffe im Bereich der rhetorischen Mittel auswendig lerne oder ob Neugier geweckt wird, rhetorische Phänomene benennen zu können, da auf diesem Weg viele sprachliche und literarische Phänomen nicht nur besser verstanden werden, sondern auch die Fähigkeit vermittelt wird, diese Fähigkeiten für sich selbst nutzen zu können.

Bleibt am Ende die Frage, welche konkreten Konsequenzen solche Einsichten für den Unterricht in Bezug auf Didaktik und Methodik haben.

Für mich lautet die zentrale Frage: Wie kann es gelingen, kognitive Prozesse bei Lernenden zu ermöglichen?

Eine mögliche Antwort lautet: Indem die kongnitiven Prozesse nicht in einem lehrerzentrierten Frage- und Antwortspiel aktiviert werden, sondern vor wirkliche Probleme gestellt werden.

In der Didaktik wird hier von „problemorientiertem Unterricht“ gesprochen. Dabei werden oft über Texte hinausgehende „Probleme“ als Themen konstruiert: „Krieg in der Literatur“; „Mit Sprache überzeugen können“ etc. Mir fällt im Kontext des Deutschunterrichtes dabei allerdings auf, dass solche Themen gerade literarische Texte und die von ihnen ermöglichten Zugänge zu solchen Texten, so sehr einengen, dass für die kognitiven Zugänge der Schüler und Schülerinnen, die von diesen Themen abweichen, im Unterricht kaum noch Platz zu sein scheint. Warum nicht den Text als Text nehmen und dann die kognitiven Angebote der Lernenden aufgreifen und annehmen, statt methodisch-didaktisch überbordende Unterrichtsszenarien erstellen, in denen alles vorkommt, nur nicht der Text und seine Leser und Leserinnen, der Text und die Schülerinnen und Schüler?