Wie motiviert man Unmotivierte? – Ein Versuch

Walter Böhme fragt: „Wie motiviert man Unmotivierte?“ und lädt zu einer Blogparade ein, in der dieser Frage nachgegangen werden soll.

Die Frage ist nicht neu. Eine Lösung nach Rezeptbuch ist mir noch nicht begegnet. – Wohl aber gibt es Rezeptgeber, die grundsätzlich besser als z. B. Lehrer und Lehrerinnen wissen, wie „gekocht“ werden müsste, damit alle sowohl „Kochen“ als auch „Essen“ wollen.

Wer die Metapher des „Kochens“ und „Essens“ für zu weit her geholt hält: Die häufig verwendete Metapher des „Bulimie-Lernens“ ist eine Nahrungsmetapher! – Dieser Metapher geht es allerdings vor allem um das genussfreie In-Sich-Hineinstopfen, dem der Akt des Auskotzens folgt. – Wer so lernt, leidet früher oder später an Anorexia Ediscere.

Also, um in der Metapher zu bleiben, liegt die Lösung darin, dass neben das konsumorientierte Aufnehmen von Wissensnahrung die produktionsorientierte Wissenszubereitung gestellt wird. Lernende sollen nicht nur wissen, wie das Ergebnis schmeckt und eventuell noch das Rezept kennen, sie sollen selbst in der Lage sein, das Wissen zu produzieren.

Man nennt das „Output-Orientierung“. Nun ja, auch Erbrochenes ist in gewisser Weise ein „Output“, aber in Bildungsfragen möglicherweise nicht der erwünschte. Aber motiviert es unmotivierte, lernunwillige Personen, dass sie nun selbst kochen dürfen?

Oh nein, wird in der aktuellen Bildungsdiskussion hinzugefügt. Es geht nicht nur darum, dass gekocht und das selbst Gekochte ohne eklige Nach– bzw. Auswirkungen genussfähig und kompetent zu sich genommen werden kann. – Zur Motivation gehört auch, dass die Köche selbst entscheiden, was sie kochen wollen und sich anschließend die Zutaten gefälligst selbst besorgen. Außerdem müssen sie natürlich mit dem ihnen verfügbaren Budget umgehen können.

Und das soll dann Motivation schaffen – oder, wenn die Motivation für das Kochen (Lernen) auch so nicht geschaffen werden kann, zumindest sicherstellen, dass anders – mit oder ohne Motivation intrinsischer oder extrinsischer Art – gelernt werden kann.

Ob die Bereitschaft, sich auf das Kochen einzulassen, das Engagement während des Kochens oder gar das Ergebnis einer benotenden Bewertung unterzogen werden soll, ist dann durchaus umstritten.

Was aber mache ich mit Leuten, die trotz hochmotivierter (mittlerweile gefühlt seit Jahrhunderten geführter) Debatten der Experten darüber, wie Motivation entstehen kann, lernunwillig bleiben?

Karl-Heinz Pape sagte auf dem CorporateLearningCamp, dass man in der Planung von Fortbildungen immer den idealen Teilnehmer vor Augen habe, der aber leider nie komme. So ist das wohl auch mit der Motivation: Ideale Konstellationen, anregende Lernumgebungen etc. kann man sicher entwerfen. Allerdings würde es mich nicht wundern, wenn diese nur bei den Lernern funktionieren, die auch in allen anderen (ungünstigen) Konstellationen zu lernen in der Lage sind.

Wüsste ich, wie man Unmotivierte motivieren könnte, ich würde es überall herum erzählen. Ich würde ein Buch schreiben, das würde von allen Eltern, Politikern, Wirtschaftsmanagern und vielleicht sogar von Lehrern gekauft werden, zu einer besseren Welt beitragen und mich reich machen. – Leider habe ich aber keine Antwort, die pauschal formuliert werden kann.

Aber ganz will ich mich um ein Herantasten an eine prozessorientierte Praxis motivierenden Lernens auch nicht herumdrücken. Oh nein, das ist kein Versehen, dass ich nicht „prozessorientierte Praxis motivierenden Lehrens“ geschrieben habe. Ich meine das ganz ernst: Es geht um eine prozessorientierte Praxis motivierenden Lernens – und zwar des Lehrers.

Die Ausgangsfrage „Wie motiviert man Unmotivierte?“ geht vom Lehrenden aus und hat den Lernenden, der automatisch als „der Andere“ gedacht wird, als Ziel.

Die Frage geht von der Aktivität des Lehrenden aus, der Unmotivierte, vielleicht mit pädagogischen Tricks, die übrigens überraschend viele „unmotivierte“ Lerner sehr schnell durchschauen, aktivieren will. – Und wenn das nicht funktioniert, wenn es der Lehrende nicht schafft, fällt das Versagen in dieser Frage, wie sie Walter Böhme stellt, voll auf die Lehrenden zurück.

Oft ist es tatsächlich so, dass Lehrende sich selbst die Schuld geben, wenn sie auf unmotivierte Lerner treffen. Keine Frage: Lehrer und Lehrerinnen können massive Auswirkungen auf Motivationen von Individuen haben; aber zu meinen, sie könnten alle Probleme lösen, auf die sie in Lehr-Lern- und Bildungszusammenhängen stoßen, diese seltsamen Omnipotenzphantasien, denen sich Lehrende selbst aussetzen und mit denen sie auch von außerhalb dieser Zusammenhänge als Erwartungshaltung konfrontiert werden, löst die Probleme nicht, sondern ist wohl eher Teil der Probleme, führen diese Omnipotenzphantasien doch vor allem zu Frust und somit zu mangelnder Motivation (der Lehrenden! und der Lernenden).

Etwas plakativ ausgedrückt:

Motivieren können Motivierte.
Begeistern können Begeisterte.
Etc.

Das bedeutet aber nicht (siehe zu den Omnipotenzphantasien oben), dass mangelnde Motivation oder Begeisterung beim Gegenüber bedeutet, dass man selbst zwangsläufig unmotiviert oder gelangweilt sei. Diese Aussagen meinen eine Voraussetzung der Ermöglichung und keine Automatismen der Wirkung. Wenn jemand motiviert, dann weil er selbst motiviert ist. Wenn jemand begeistert, dann weil er selbst begeistert ist. Das bedeutet aber nicht, dass man jeden motivieren und begeistern kann! Nur wenn man nicht motiviert ist, besteht kaum eine Möglichkeit, andere zu motivieren; wenn man nicht begeistert ist, ist die Chance gering, dass man Teil der Energie wird, die bei jemandem Begeisterung auslöst.

Die eigene Motivation ist vermutlich eine notwendige Bedingung, um zu motivieren, aber keine hinreichende Bedingung. Es gibt also keinen Wirk-Automatismus zwischen eigener Motivation und der Motiviertheit anderer.

Wer fragt, wie Unmotivierte motiviert werden können, macht nichts falsch, wenn er oder sie die eigene Motivation anschaut.

Was ist von der Begeisterung (z. B. für die Fächer, die ein Lehrer unterrichtet) übrig geblieben, die vielleicht mal Motivation war, das Fach zu studieren und dann unterrichten zu wollen? Hat der Alltag die Energie aufgesogen? Oder wird die Quelle, aus der dem Fluss der Motivation (der im Idealfall zum „Flow“ wird) Frischwasser zugeführt wird, so gepflegt, dass sie weiter sprudelt und so nicht nur die Spur einer vergangenen Motivation in Form eines ausgetrockneten Flussbetts zurück bleibt?

Zu einem geeigneten Rahmen (Framework), innerhalb dessen prozessorientierte Lösungsstrategien für die Motivationsfrage entwickelt werden können, gehört aber durchaus auch die Seite des Gegenübers.

So, wie sich der Lehrende der Frage nach der eigenen Motivation stellen muss, könnte es durchaus lohnend sein, nicht von „Unmotiviertheit“ des Gegenüber zu sprechen, sondern auf die Suche nach den Motiven der „Unmotiviertheit“ zu gehen.

Es mag paradox klingen: Es gibt durchaus motivierte „Unmotiviertheit“, wobei die Motive eben nicht in der Schule liegen müssen.

Darüber hinaus könnte es ebenfalls lohnend sein, Talente und Fähigkeiten von Lernenden zu erkunden, Platz zu geben, als Anknüpfungspunkte im Verständnis konstruktivistischer Lerntheorien zu verstehen, auch wenn sie erst einmal wenig mit dem Fach zu tun haben. Da ist es dann die Phantasie des Lehrenden, die auf solche Talente und Fähigkeiten hin ausgerichtete Aufgabenformate bzw. Lernszenarien (Problemorientierung) entwickeln muss.

Alternativ zur differenzierten Aufgabenentwicklung – und vermutlich realistischer, angesichts großer Klassen – gilt es, komplexe Aufgaben zu entwickeln, die möglichst vielen Lernern Anknüpfungen ermöglichen, sodass eine Aufgabe auf unterschiedlichen Anspruchniveaus erarbeitet werden kann.

Aber reicht das als Motivationshilfe?

Im Grunde ist die Antwort noch einfacher (verkürzt, plakativ und natürlich diskutier- vielleicht sogar angreifbar):

Am liebsten lernt man, wenn man gerne mit den Menschen lernt, mit denen man lernen soll bzw. muss. Dann ist auch die Motivation hoch. Nun könnte man wieder sagen, dass die Lernenden dies untereinander lernen sollen. Aber auch hier der Blick auf den Lehrenden, für den dieser Satz auch gilt.

Am liebsten lernt man, wenn man gerne mit den Menschen lernt, mit denen man lernen soll bzw. muss. Wenn Lehrende sich nur noch als (omnipotente) Wissende verstehen und die Lust auf das Lernen mit und von den Lernenden aus dem Blick verlieren, dann könnte das der Grundmotivation einer Lerngruppe abträglich sein.

Lehrende müssen Experten des Lernens (sic!) sein, um hinreichend begründet Lehren zu können. Sind Lehrende nur Experten als Fachwissende, in der Didaktik und der Methodik, aber nicht als (dauernd weiter) Lernende, dann reichen sie Essen denen, die selbst einkaufen, kochen und essen könnten. Diese fühlen sich dann (zurecht) be-vor-MUND-edt.

Selbst motiviert sein / bleiben oder / und daran arbeiten, dass neue Motivation entsteht und die Lust am Lernen zumindest möglich ist, am gemeinsam lernen, ohne den eigenen, eventuell vorhandenen Wissensvorsprung zu verleugnen, ohne den eventuell vorhandenen Wissensvorsprung der Lernen in einigen Bereichen zu übergehen, scheinen mir zumindest einen Rahmen zu bilden, in dem Motivation entstehen kann. Dass in einem geeigenten Rahmen Motivation entstehen kann, heißt aber nicht, dass diese entstehen muss. Zu viele Faktoren intrinsischer und extrinsischer Art schaffen eine sehr komplexe Gemengelage „Motivation“, sodass ein Steuern der Ermöglichung von Motivation nur von den Rahmenbedingungen und der Wertschätzung für den anderen her möglich ist. Diese Gemengelage führt aber durchaus ein Eigenleben, das – wie bei einem Eisberg der größte Teil der gesamten Masse – unter der Oberfläche bleibt und dort wirkt.