BYOD-Klasse oder integrierende Didaktik und Methodik? – Kommentar zu Manfred Korens „Wenn mein Kind in der BYOD-Klasse wäre….“
Diesen Beitrag begann ich als Kommentar zu dem Beitrag „Wenn mein Kind in der BYOD-Klasse wäre….“ von Manfred Koren im Rahmen des Blogs zum BYOD-Projekt des Eichendorff-Gymnasiums in Koblenz. Beim Schreiben wurde daraus ein eigener Artikel, sodass ich mich entschieden habe, ihn im Rahmen meines Blogs zu veröffentlichen, inkl. Trackback zum Originalartikel natürlich.
Ich beobachte neugierig und gespannt, welche praktischen Erkenntnisse das BYOD-Projekt am Eichendorff-Gymnasium Koblenz bringen wird!
Ich arbeite selbst an Konzepten für die sinnvolle Nutzung bereits vorhandener Endgeräte und nehme deshalb einen Beitrag von Manfred Koren, einem Elternteil, das seine Gedanken im Blog des BYOD-Projekts veröffentlicht, zum Anlass für ein paar Gedanken, die mich in diesem Bereich umtreiben, wenn es um Segregation im Kontext des Einsatzes digitaler Endgeräte geht.
Manfred Koren spricht die Sorge von Eltern an, dass in einer BYOD-Klasse eine soziale Hierarchie über den Besitz bestimmter Marken bzw. Geräte entstehen könne, dass also eine soziale Segregation stattfinde.
Allerdings ist die Einrichtung einer Klasse, die nach dem BYOD-Prinzip arbeitet, selbst schon eine soziale Segregation innerhalb einer Schulgemeinde und bei aller Vielfalt von Endgeräten eine Sonderwelt: Man wünscht sich homogene Lerngruppen, nun auch in Bezug auf technische Möglichkeiten, was auch dann noch zutrifft, wenn in den anderen Klassen Lehrer die Nutzung von digitalen Endgeräten zulassen können, wie ich der Nutzungsvereinbarung aus Koblenz entnehme.
Wenn ich als Lehrer gezielt, didaktisch begründet und mit dem Ansatz arbeite, die Nutzung vorhandener digitaler Endgeräte nicht auszuschließen, dann bedeutet das auch: Ich setze in der Regel nicht voraus, dass jedes Kind einen Zugang haben muss, um am Unterricht erfolgreich teilnehmen zu können; weil es diesen Zugang nicht will – ja, solche Jugendliche gibt es! –, weil er zu teuer ist, weil Eltern diesen in ihrer Erziehungsperspektive für (noch) nicht sinnvoll erachten.
Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass, stellt man die Nutzung digitaler Geräte frei – das geht bei fast allem, was man in der Schule macht, außer z. B. bei Einführungen in Textverarbeitungen, Netzrecherchetechniken und ähnliches, für die es ja eine Ausstattung an jeder Schule mit Computern gibt, die sicherstellt, dass kein Schüler benachteiligt wird – in der Regel eine Drittelung bekommt: 1/3 arbeitet – z. B. an einem Lesetagebuch im Deutschunterricht – rein digital, 1/3 arbeitet teilweise digital und teilweise analog, 1/3 arbeitet voll analog, nutzt höchstens einmal ein digitales Gerät für Recherchen (oft sogar das eigene, denn die Entscheidung hat hier nichts damit zu tun, ob man solche Geräte besitzt oder nicht). Außerdem steht ein Laptop in jedem Klassenraum, der in diesen Situationen genutzt werden kann, da ein Internetzugang besteht. – Das sehe ich als Mindestausstattung für jeden deutschen Klassenraum – ja, für jeden deutschen Klassenraum, also auch an Grundschulen, Förderschulen etc. – an, auch wenn ich weiß, dass das wohl noch nicht umgesetzt ist.
BYOD impliziert für mich nicht, dass jeder Schüler und jede Schülerin ein Gerät haben bzw. nutzen muss. – Vielmehr geht es um sinnvolles Lernen! Im Zentrum darf nicht die Technik stehen. Im Zentrum muss das Lernen stehen. Die Frage lautet: Welche Zugänge zur Erfassung der Wirklichkeit liefern digitale Endgeräte. Dabei kann es sich um originäre Zugänge handeln (Videochats mit Austausch- oder Partnerschülern, zur Unterstützung des mündlichen Sprachgebrauchs), aber auch um Ersatzoptionen (Wikipedia als Lexikonersatz, Nutzung kindgerechter Suchmaschinen wie Blinde Kuh) handeln. Es gibt Einsatzszenarien, die liefern didaktisch-methodischen Mehrwert und es gibt Einsatzszenarien die didaktisch-methodisch gleichwertig zu analogen Formen sind. Szenarien, die zu keinem Lernerfolg führen, sind als solche in Evaluationsverfahren zu erfassen und zu vermeiden.
Fakt ist allerdings auch, dass ich selbst immer häufiger vor allem auf Oberstufenkurse treffe, in denen die Versorgung mit BYODfähigen Geräten einer Vollversorgung gleichkommt. Dann kann man (ganz ohne BYOD-Projekt) mit diesen Klassen auch Projekte durchführen, die digital bzw. digital vernetzt und vernetzend ausgerichtet sind. Kollaborationswerkzeuge können in den Unterricht integriert werden etc.
Zunächst aber gilt: Ich nehme die Lerngruppen, wie sie sind. Es gilt nicht: Ich mache mir die Lerngruppen in Hinsicht technischer Ausstattung harmonisch. Dass die Frage, ob man ein digitales Endgerät besitzt oder nicht, den Zugang zu einer bestimmten Klasse bestimmt, irritiert mich dann eher.
Ja, den sozialen Druck, den Manfred Koren bei BYOD-Klassen in Elternreihen befürchtet – ob die Kinder ihn so umsetzen bzw. leben, wäre dann noch mal ein ganz anderes Thema – gibt es. Es gibt diesen Druck sicherlich nicht nur auf der Ebene von BYOD-Klassen, sondern es handelt sich um ein Phänomen, das überall auftritt, wo viele Menschen zusammen sind und man soziale Konstellationen auch über Statussymbole konstituiert.
In ein paar Jahren werden BYOD-Klassen bzw. -Projekte vermutlich als historisches Relikt aus den Anfangszeiten der Digitalisierung gesehen werden, weil eigene Endgeräte dann so verbreitet sind, wie heute Papier.
Heute können BYOD-Projekte unterschiedlicher Art dazu beitragen, Erfahrungen zu sammeln, Didaktik und Methodik im Rahmen digitaler Möglichkeiten zu reflektieren und gegebenenfalls auch die Angst vor dem Einsatz digitaler Endgeräte zu nehmen bzw. deren Nutzung vorsichtig in eine Schulkultur zu integrieren und Bedenkenträger auf diesem Wege zu überzeugen.
Mich interessiert die Integration vorhandener digitaler Optionen in den Unterricht ganz normaler Klassen. In Koblenz und an anderen Orten gibt es BYOD-Projekte, Tablet-Klassen, Laptopklassen… Was es noch nicht gibt: Die Selbstverständlichkeit des Einsatzes digitaler Technologien dort, wo sie sinnvoll das Lernen unterstützen und die Selbstverständlichkeit des Verzichts auf den Einsatz digitaler Technologien, wo sie das Lernen nicht unterstützen bzw. wo andere Formen des Zugangs zur Wirklichkeit angezeigt sind.
Was fehlt, ist die Selbstverständlichkeit auf der Basis didaktisch-methodischer Selbstvergewisserung: Alle Projekte im Bereich des Einsatzes digitaler Endgeräte im Unterricht tragen aber dazu bei, dass die Selbstverständlichkeit auch in Deutschland größer wird, denn im angelsächsischen Bereich ist man da viel weiter, wie mir Schüler und Schülerinnen immer wieder berichten, die aus Austauschjahren zurückkommen, wie ich in englischsprachigen Blogs und Onlinemagazinen lesen kann.
Wenn die Selbstverständlichkeit zunimmt, hat man auch eine eigene Infrastruktur, setzt man nicht, wie in Koblenz auf das in den USA ansässige Unternehmen Edmodo, sondern auf von Kultusverwaltungen zur Verfügung gestellte Infrastruktur. In machen Städten und Ländern hat man mit solcher begonnen. In den USA nutzt man Angebote externer Anbieter, ja auch z. B. von Google, die Education-Umgebungen bereitstellen, aber das wird in Deutschland eher schwierig sein und im Rahmen aktueller Debatten um Geheimdienstaktivitäten im Netz eher noch schwieriger werden, sodass die Entwicklung von BYODfähigen Infrastrukturen mit netzbasierten, plattformunabhängigen Anwendungen mit der Entwicklung eines KnowHows einhergehen kann, das auch von ökonomischem Interesse sein kann.
Wir sind auf dem Weg. Ich beobachte neugierig und gespannt, welche praktischen Erkenntnisse das BYOD-Projekt am Eichendorff-Gymnasium Koblenz und andere Projekte im Bereich des Einsatzes digitaler Technologie in Lernprozessen bringen werden.
„Was es noch nicht gibt: Die Selbstverständlichkeit des Einsatzes digitaler Technologien dort, wo sie sinnvoll das Lernen unterstützen“ Doch, durchaus! Ich lasse oft, wenn es sinnvoll ist, Dinge im Unterricht von SuS auf ihrem Handy nachschlagen: Bilder, Vokabeln, Wikipedia etc. Das handhaben mit Sicherheit sehr viele Kolleginnen und Kollegen so unverkrampft..
Ja, das stimmt. Viele Lehrerinnen und Lehrer lassen pragmatisch das Smartphone als Nachschlagerät zu. Diese Option nenne ich ausdrücklich im Artikel. Das geschieht an vielen Stellen unverkrampft und ich schreibe ja auch, das ersetzende Einsatzszenarien durchaus zu den sinnvollen gehören. – Wird hier aber nur pragmatisch agiert oder steht dahinter wirklich ein didaktischer Ansatz? Wird das gemacht, weil es möglich ist oder weil es sinnvoll den Lernprozess unterstützt? Welche Erfahrungen hast du an dieser Stelle gemacht?
Zunächst einmal vielen Dank für deine kritischen Anmerkungen. Wie bereits auf Twitter geschrieben finde ich Kritik hilfreich, weil sie einen dazu bringt, die getroffenen Entscheidungen und Setzungen zu überdenken, zu begründen oder zu korrigieren. Nichtsdestotrotz würde ich gerne ein paar von dir genannten Punkte kommentieren.
Zunächst einmal geht es in unserem BYOD-Projekt nicht um Technik als Ziel, sondern als Ausgangsbasis. Wir gehen davon aus, dass die fast Vollversorgung mit einem leistungsfähigen Computer in Form eines Smartphones bei Schülern der weiterführenden Schulen in den nächsten Jahren erreicht sein wird.
Unsere Frage ist: Lassen sich diese Geräte didaktisch und methodisch sinnvoll in den Unterricht als Lernwerkzeuge integrieren? Falls ja, wie? Und wie nicht?
Aktuell beobachte ich in meinen Kursen in der Oberstufe eine Ausstattung vielleicht eines Drittels der Schüler, in den unteren Jahrgangsstufen liegt er bereits bei 50% und mehr. Ich denke, daran zeigt sich der vermutete Trend. Sollte das in Zukunft so sein, dass (fast) alle Schüler ein Smartphone besitzen und sich diese als taugliche Lernwerkzeuge erweisen, stellt sich die Frage, wie man den Schülern helfen kann, die sich ein solches Gerät nicht leisten könnten. Das ist eine soziale Frage. Hier kann man ähnliche Lösungen finden, wie es sie jetzt für Bücher, Taschenrechner oder Klassenfahrten gibt.
Natürlich erlaube ich auch in anderen Klassen und Kursen den Einsatz vorhandener Geräte. Nach Doebelis Übersicht von gestern „reines“ BYOD, also das eigentliche, echte, was ja auch in deinem Bericht durchklingt und mir persönlich angesichts einer nicht existenten allgemeinen Definition zu negativ tendenziös gegenüber anderen Lösungen ist. Nach meiner Erfahrung ist das Erlauben des Nutzens eigener Geräte keineswegs so positiv, wie von dir beschrieben. Auch wenn die analoge Arbeit gleichwertig ist, haben die Schüler ohne Gerät ja nicht die Wahl, wie sie arbeiten. Auch wenn du es auf den Willen der Eltern und Schüler wendest (was es selbstverständlich auch gibt), so findet hier in der Lerngruppe ein Ausschluss statt und ich habe es auch schon erlebt, dass sich Schüler beschweren, dass die Geräte zugelassen werden, weil sie darin eine Benachteiligung für sich sehen. Ich kann das verstehen. Probleme in bezug auf (Marken-) Produkte als Statussymbole gibt es in Schule immer und in vielen Bereichen (vom Schreibgerät bis zu den Turnschuhen). Es ist nur eine Vermutung, ich könnte mir aber vorstellen, dass er in bezug auf mobile Endgeräte in Schulen, wo „Handys“ ganz verboten sind und in „reinen BYOD“ Klassen innerhalb der Lerngruppen sehr stark ist.
In unserem BYOD-Projekt greifen wir also (ausnahmsweise, als Projekt) künstlich ein paar Jahre vor und simulieren in einer normal zusammengesetzen Lerngruppe eine Vollausstattung mit mobilen Geräten. Vielleicht ist der Hinweis noch wichtig, dass die Zusammensetzung der Schüler nicht durch eine Bewerbung oder aufgrund bestimmter Geräte erfolgte, sondern grundsätzlich nach den normalen Regeln für die Neuzusammensetzung der 7. Klassen mit dem einzigen Unterschied, dass Eltern nach ausführlicher Vorstellung des Projekts ausschließen konnten, dass ihr Kind in die Projektklasse kommt (ca. 30 von 90 haben das dann übrigens ausgeschlossen). Ist das dann kein „reines“ BYOD mehr, sondern „obligatorisches“? (Nur zur Klärung: ich finde, den Versuch der Klärung sehr hilfreich, nur die gewählten Begriffe finde ich etwas unglücklich.) Wenn ich mobile Geräte als Lernwerkzeuge ansehe, dann erhalten sie denselben Status wie Schulhefte und Bücher, übernehmen in Teilen deren Funktion. Und dann muss ich sie genauso selbstverständlich zur Schule mitbringen und dort nutzen wie eben die Schulbücher.
Ich glaube, dass es wesentliche Unterschiede gibt, BYOD als Einzelkämpfer in seinen Lerngruppen zu erlauben und zu erproben, oder sich als Schule konzeptionell auf den Weg zu machen. Das habe ich an anderer Stelle schon einmal ausführlicher dargelegt und brauche es deshalb hier nicht zu wiederholen (http://byodkoblenz.wordpress.com/2013/06/13/eine-byod-klasse-als-schulprojekt/). Meiner Meinung nach bedarf es auf schulischer Ebene der Diskussion, eines Austauschs, der Schaffung einer notwendigen Infrastruktur und Vereinbarungen, um digitales Arbeiten zu einer Selbstverständlichkeit werden zu lassen.
Zu deiner Kritik an der Nutzung von edmodo noch eine abschließende Bemerkung: Natürlich ist es gut lokale, regionale oder nationale Lösungen zu nutzen. Edmodo als US-amerikanisches Produkt anzuprangern, ohne sich das Angebot näher anzuschauen, ist ein wenig kurz geschossen. Wenn du vorweg alle Internetseiten, Angebote und Apps ausschließt, die aus den USA kommen, bleibt zur Zeit nicht viel übrig. Es wäre schön, da näher hinzuschauen und zu differenzieren.
P.S. Es gibt in RLP sowohl Lernplattformen als Landeslösungen als auch lokale Angebote. Da wir aber eine Mehrheit von Smartphone-Nutzern in der Klasse haben, muss jedes Angebot, das wir nutzen wollen für die relativ kleinen Bildschirme optimiert sein. Das ist bei den Landeslösungen leider nicht gegeben. Die Angebote jedes Mal über eine Browser auf dem Minibildschirm aufzurufen, ist auf Dauer nicht praktikabel. Im übrigen ist das Nutzen verschiedener Anwendungen und Apps in der Schule immer auch der Anlass die damit verbundenen Probleme zu thematisieren.