3 Fallen der Beratung
Lernen hat neben anderem etwas damit zu tun, dass ich an Rückmeldungen anderer erkennen kann, ob ich etwas gelernt habe oder ob ich etwas noch nicht so gut kann und weiter lernen muss: Lerne ich eine Sprache, dann merke ich, ob ich richtig spreche, daran, ob das Gegenüber mich versteht.
Will ich guten Unterricht machen, brauche ich immer wieder und nach wie vor das Gespräch mit Dritten, um für den Reflexionsprozess nicht nur meine eigenen Notizen zu haben, die sicherlich auch hilfreich sind, sondern eine externe Stimme, die mich mit mehr oder weniger professionellem Hintergrund zum Nachdenken bringt. Dabei meint Nachdenken an dieser Stelle keinen rein kognitiven Prozess, sondern einen kognitiven Prozess, der dazu beiträgt, Handlungsweisen zu befragen und kontinuierlich zu modifizieren.
Als Lehrer brauche ich Rückmeldungen zu meinem eigenen Tun aber nicht nur, um dieses zu befragen und dynamisch zu halten, sondern auch, weil ich ständig selbst in der Situation bin, Rückmeldung geben zu müssen. Schülerinnen und Schüler wollen sich orientieren können, was sie können und wo sie weiter lernen müssen; Praktikantinnen und Praktikanten wollen ebenso Feedback in ihrem Rollenfindungsprozesse wie Lehrpersonen im Vorbereitungsdienst (Referendariat). Da ist es nur gut, sich immer wieder selbst in Situationen zu bringen, die einen spüren lassen, wie sich verschiedene Formen der Rückmeldungen anfühlen.
Im Laufe der Zeit kristallisierten sich für mich aus diversen Weisen von Rückmeldungen einige Fallen heraus, in die man treten kann, sodass Rückmeldung insofern an Qualität verliert, als sie für die sie empfangende Person nicht mehr oder nur unter deutlich erschwerten Bedingungen wirken kann.
Drei dieser Fallen, vermutlich die am häufigsten vorkommenden, sollen hier nun genannt werden, wobei ich keinerlei Vollständigkeit der Aufzählung vermute oder für mich in Anspruch nehmen würde. Im Gegenteil: Gelänge es, mit diesem Beitrag dazu beizutragen, dass weitere Fallen benannt würden, würde mich das sehr freuen. Man kann die Kommentarfunktion nutzen oder einen eigenen Blogbeitrag zu dem Thema schreiben, der diesen Beitrag hier verlinken würde.
Falle 1: Lass reden – und erkläre dann, wie es »wirklich« ist.
Am Anfang dieser Falle steht die Reflexion eines Gegenübers über dessen eigenes Tun in einem bestimmten Zusammenhang. Nehmen wir einmal an, man hat eine Unterrichtsstunde gehalten, die von Menschen besucht wurde, die einen bewerten sollen, aber natürlich erst einmal »nur« den Anspruch erheben, beraten zu wollen. Dies ist die klassische Situation für Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst (Referendare und Referendarinnen). Oft beginnen diese Gespräche damit, dass die besuchte Person den eigenen Unterricht reflektieren soll. Das ist ein guter Ansatz, weil so erkennbar wird, ob die Fähigkeit zur Reflexion des eigenen professionellen Handelns vorhanden ist. Schwierig wird dieser Ansatz, wenn die beratende (bewertende) Person zu diesem Zeitpunkt längst im Kopf hat, was gleich an Feedback gegeben werden wird, da die Selbstreflexion der zu beratenden Person eigentlich als überflüssig angesehen und vor allem noch aus Routine eingefordert wird. – Es ist hochgradig frustrierend, wenn man den Eindruck gewinnt, dass die beratende Person gar nicht zugehört hat, was man selbst als Reflexionsbeitrag geleistet hat, sondern eigentlich nur auf ihren Einsatz wartete, um dann zu erläutern, was in der Unterrichtsstunde aus ihrer Sicht wirklich passiert ist. Wenn ich den anderen reflektieren lasse, dann muss diese Reflexion Ausgangspunkt des Gespräches sein und in diesem der rote Faden bleiben, an dem entlang beraten wird. Wenn den Beratenden eigentlich nicht interessiert, was die beratene Person zu einem Beratungskontext beizutragen hat, dann kann man auf deren Reflexion des zu beratenden Kontextes auch verzichten. Ob dann eine gute Beratung möglich ist, ist alles andere als wahrscheinlich.
Falle 2: Die Ich-möchte-Ihnen-nicht-weh-tun-Falle
Im Ideafall tritt man in diese Falle, weil einem die Relativität und Ungenauigkeit eigener Prognosen sehr bewusst ist; im schlechtesten Fall tritt man in diese Falle, weil man schlicht konfliktscheu ist. Das Ergebnis ist in beiden Fällen sehr ähnlich: Konkrete Rückmeldungen, die von Kriterien geleitet darzustellen vermögen, was gelungen und was nicht gelungen ist, werden vermieden. Das bedeutet nicht, dass man auf eine Bewertung verzichtet. Diese allerdings wird dem Gegenüber nicht transparent erscheinen. Mit dieser Falle verbunden ist das Phänomen, dass entweder später schlechte Noten gegeben werden, die das Gegenüber nicht nachzuvollziehen vermag, oder aber das Notenspektrum so sehr auf die Noten 1 und 2 beschränkt wird, dass aus der Berwertung selbst nicht erkennbar wird, welche Stärken und Schwächen die zu bewertende Person wirklich hat, was natürlich sowieso nicht in solche Zahlen ohne einen begleitenden kommunikativen Prozess gepackt werden kann. – Diese Falle produziert jene Referendare, bei denen man sich vom ersten Tag an verwundert die Frage stellt, wie diese Personen im Rahmen dieser Lufbahn haben so weit kommen können. Und wenn man dieser Fälle auch noch in der zweiten Phase der Lehrerausbildung nicht gewahr wird oder Gewahr werden will, so spült man Personen in das Bildungssystem, die dort unter Umständen auf der Basis ihrer Qualifikation oder Persönlichkeitsmerkmale, die sie für andere Berufe besser qualifizieren, gar nichts zu suchen haben sollten.
Falle 3: Die Konjunktiv-2-Falle
Jede Unterrichtsstunde hätte natürlich auch anders verlaufen können. Das ist zunächst einmal eine Banlität. Doch wenn man als Lehrperson im Unterricht besucht wird, erfährt man häufig, was in der Stunde hätte anders laufen können. Und Lehrpersonen machen das oft nicht besser, wenn es um Leistungen der Lernenden geht. Nun, zu nahezu jeder Situation im Leben lässt sich ein Konjunktiv 2 formulieren, der im Nachhinein formuliert, was hätte sein können. Fatal ist an diesem Ansatz der Beratung, den ich als Referendar nur allzu oft erlebt habe, dass alles, was gesagt wird, zwar stimmt, aber gar nichts oder nur sehr wenig über das aussagt, was im Unterricht passiert ist.
Die Konjunktiv-2-Falle tritt möglicherweise mit dem Anspruch auf, Alternativen des Handelns ins Bewusstsein zu rufen, sie ist aber immer in der Gefahr, das, was faktisch passiert ist, gar nicht als eine Möglichkeit zu würdigen. Die beratene Person bekommt leicht den Eindruck, dass die beratende Person etwas ganz anders sehen wollte, als das, was sie bekommen hat. Gute Berater – und im hier angeführten Beispiel sind damit gute Ausbildende im Bereich des Lehrberufs gemeint – bleiben bei dem, was das Gegenüber reflektiert hat. Das bedeutet aber auch, dass alternative Handlungsweisen entweder vom Beratenene selbst in den Ring geworfen werden oder von diesem auf Nachfrage eigenständig entwickelt werden. Alternative Verläufe von Ausbilderseite her zu formulieren, ist für einen Lernprozess im Gegenüber eher hinderlich, auch wenn es meist förderlich gemeint ist und in einigen wenigen Fällen auch förderlich sein kann.
Und weiter? Welche Fallen der Beratung kennst du / kennen Sie? Die Kommentarspalte unter dem Beitrag ist offen für Ergänzungen.
Beratung. Sehr spannend, da ich mich in den letzten Wochen intensiv damit auseinandersetzen durfte. Ich möchte an dieser Stelle (und ich ich heute abend im Edchat nicht dabei sein kann) auf jeden Fall auf das Konzept der Kooperativen Beratung nach W. Mutzeck hinweisen, für die es auch ein „Add-On“ gibt, so dass sich dieses Konzept hervorragend für Unterrichtsnachbesprechungen einsetzen lässt.
Ein wichtige Prämisse den Konzepts ist es, dass Beratung auf Freiwilligkeit beruht und in einer horizontalen, symmetrischen Struktur verlaufen sollte. Wenn man dieser Prämisse folgt, sollte Falle 1 schon per se ausgeschlossen sein, denn dann können zwar zwei völlig konträre Wahrnehmungen zu einer Unterrichtsstunde dargestellt werden, aber sie werden als gleichwertig wahrgenommen. Es obliegt dann beiden Parteien auf Grundlage von vorher (!!) vereinbarten Kriterien die Beschreibung des Wahrgenommenen zu schärfen.